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BGH - Entscheidung vom 11.09.2019

IV ZB 13/19

Normen:
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
ZPO § 3
ZPO § 4 Abs. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2019, 1511

BGH, Beschluss vom 11.09.2019 - Aktenzeichen IV ZB 13/19

DRsp Nr. 2019/14289

Zustimmung des Kraftfahrzeug-Kaskoversicherers zur Geltendmachung von übergegangenen Schadensersatzansprüchen eines Geschädigten nach Regulierung seines Verkehrsunfallschadens; Beschränkung des wirtschaftlichen Interesses eines Geschädigten auf die Vermeidung der Rückstufung seines Versicherungsvertrages

Die Kosten des laufenden Prozesses sind bei der Wertbemessung nicht zu berücksichtigen, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist. Zu den Prozesskosten zählen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern grundsätzlich auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 11. Juni 2019 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Streitwert: bis 500 €

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 20 Abs. 3 ; ZPO § 3 ; ZPO § 4 Abs. 1 ;

Gründe

I. Der Kläger begehrt die Zustimmung des beklagten Kraftfahrzeug-Kaskoversicherers dazu, dass er seine auf die Beklagte nach Regulierung eines Verkehrsunfallschadens übergegangenen Schadensersatzansprüche selbst geltend machen kann.

Er hält für seinen PKW eine Vollkaskoversicherung bei der Beklagten. In den Versicherungsbedingungen heißt es unter Ziff. I. 5.2:

"Sie können eine Rückstufung in der Vollkaskoversicherung vermeiden, wenn Sie uns die Entschädigung freiwillig, also ohne vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung erstatten. Zahlen Sie den Erstattungsbeitrag in voller Höhe innerhalb von sechs Monaten nach Regulierung der Entschädigungsleistung an uns zurück, wird Ihr Vollkaskoversicherungsvertrag als schadensfrei behandelt. ..."

Am 18. Juli 2018 ereignete sich ein Verkehrsunfall, in den das Fahrzeug des Klägers und ein bei der B. Versicherungs AG (im Folgenden: Haftpflichtversicherer) haftpflichtversichertes Fahrzeug verwickelt waren. Nachdem der Kläger die Beklagte um Versicherungsleistungen ersucht hatte, regulierte diese den Schaden am PKW des Klägers im August 2018 unter Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 500 € mit einer Zahlung von 15.800 €. Der Haftpflichtversicherer des gegnerischen Fahrzeugs hält sich nicht für eintrittspflichtig.

Mit Schreiben vom 24. August 2018 ersuchte der vom Klä ger damit beauftragte Rechtsanwalt die Beklagte um Auskunft über die Höhe des Rückstufungsschadens sowie um eine Bestätigung, dass der Kläger die auf die Beklagte übergegangenen Schadensersatzansprüche selbst verfolgen könne. Mit Schreiben vom 6. September 2018 errechnete die Beklagte für die Jahre 2019 bis 2021 einen Rückstufungsschaden von 105,12 € und teilte dem Kläger mit, sie habe ihre Regressforderung bereits beim Haftpflichtversicherer angemeldet und werde diesen Anspruch selbst verfolgen. Auch nachdem der Rechtsanwalt des Klägers unter Vorlage eines Klageentwurfes erneut schriftlich um die Ermächtigung zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche ersucht hatte, erwiderte die Beklagte mit Schreiben vom 13. September 2018, sie werde ihre Regressforderung selbst verfolgen und untersage dem Kläger die Geltendmachung.

Der Kläger meint, Gründe für diese Weigerung seien nicht ersichtlich. Es sei lediglich denkbar, dass die Beklagte mit dem Haftpflichtversicherer eine Vereinbarung getroffen habe, die mittels wechselseitiger Regulierungen zu Höherstufungen in beiden Versicherungsverträgen führe und gegen die vertragliche Pflicht der Beklagten verstoße, mit ihm, dem Kläger, als ihrem Versicherungsnehmer und nicht mit dem gegnerischen Versicherer zusammenzuarbeiten. Er habe infolge der Regelung in Ziff. I. 5.2 der Bedingungen ein wirtschaftliches Interesse an der eigenen Verfolgung der Schadensersatzansprüche. Eine entsprechende Ermächtigung werde von Kaskoversicherern in 99 Prozent der Fälle auch erteilt.

Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen und den Streitwert auf 12.640 € (80% von 15.800 €) festgesetzt hatte, hat das Oberlandesgericht im Berufungsverfahren den Streitwert auf bis zu 500 € festgesetzt, die Berufung des Klägers nicht zugelassen und als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde.

II. Diese ist zwar nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil Gründe für ihre Zulassung nach § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die angefochtene Entscheidung widerspricht weder der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch verletzt sie den Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz. Da sie sich auf besondere Umstände des Einzelfalles stützt, ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, das mit der Klage und der Berufung verfolgte wirtschaftliche Interesse des Klägers entspreche nicht dem unfallbedingten Sachschaden, denn der Kläger wolle diesen nicht für eigene Rechnung einklagen, sondern den Unfallgegner auf Zahlung an die Beklagte in Anspruch nehmen. Das gemäß § 3 ZPO maßgebliche wirtschaftliche Interesse des Klägers beschränke sich dabei auf die Vermeidung der Rückstufung seines Versicherungsvertrages, wobei sich der Rückstufungsschaden für die ersten drei Jahre auf 105,12 € belaufe und für die Streitwertbemessung analog § 9 ZPO der 3,5-fache Jahresbetrag maßgeblich sei. Dabei sei ein - vom Berufungsgericht nicht bezifferter - Abschlag geboten, weil noch offen sei, ob der Kläger bei einer Verfolgung des Schadensersatzanspruchs voll obsiege. Der Wert des Beschwerdegegenstandes belaufe sich deshalb auf lediglich bis zu 500 €, so dass die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht sei. Der pauschalen Behauptung des Klägers, ihm drohe bei Belastung seines Versicherungsvertrages außerdem ein "Malus" und bei Erbringung von Versicherungsleistungen werde im Rahmen einer Kulanz oder Entscheidung über eine Regulierung auch die Belastung des Vertrages mitberücksichtigt, komme keine Bedeutung zu. Bei der Entscheidung über Versicherungsleistungen sei der Versicherer an Gesetz und Vertrag gebunden. Die Berücksichtigung eines "Malus" sei nicht möglich. Soweit der Kläger für den Fall eines unbelasteten Vertrages die ungewisse, noch in keiner Weise konkretisierte Erwartung auf Kulanzleistungen hege, sei dies bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen. Infolgedessen müsse darüber auch kein Sachverständigenbeweis erhoben werden. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung habe das Berufungsgericht nachzuholen gehabt. Ein Zulassungsgrund nach § 511 Abs. 4 ZPO liege nicht vor; er ergebe sich auch nicht daraus, dass die vorliegende Konstellation noch nicht obergerichtlich entschieden worden sei.

2. Der Kläger hält eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Die angefochtene Entscheidung verletze sein durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip geschütztes Verfahrensgrundrecht auf effektiven Rechtsschutz.

Das Berufungsgericht sei unter Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör und willkürlich über den ausdrücklichen Klägervortrag hinweggegangen, dass es ihm nicht um Rückgängigmachung der Rückstufung gehe, sondern darum, seinen Versicherungsvertrag von der Belastung mit Zahlungsansprüchen aus dem Unfall vom 18. Juli 2018 freizuhalten. Da die Beklagte gegen den Unfallgegner aus unerklärlichen Gründen nicht vorgehe, wolle er den übergeleiteten Schadensersatzanspruch in Höhe von 15.800 € mit Ermächtigung der Beklagten selbst geltend machen.

Die Zahlung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € an seinen Rechtsschutzversicherer schulde die Beklagte als Schadensersatz infolge ihrer Vertragsverletzung. Dies sei unabhängig von der Überleitung der Schadensersatzansprüche auf die Beklagte, weshalb das Berufungsgericht zumindest von einem Beschwerdegegenstand in Höhe von 1.029,35 € hätte ausgehen müssen.

3. Damit kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen.

a) Sie zeigt nicht auf, dass die Frage der Streitwertbemessung in Fällen wie dem vorliegenden von den Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet oder darüber in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache im Sinne von § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist somit nicht dargelegt. Auch die Fortbildung des Rechts oder di e Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Es trifft insbesondere nicht zu, dass sich das Berufungsgericht über den Vortrag, es gehe dem Kläger nicht um Rückgängigmachung der Rückstufung, sondern darum, seinen Versicherungsvertrag von der Belastung mit Zahlungsansprüchen aus dem Unfall vom 18. Juli 2018 freizuhalten, gehörswidrig hinweggesetzt hätte. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr damit auseinandergesetzt, ist jedoch zu dem Ergebnis gelangt, das gemäß § 3 ZPO maßgebliche wirtschaftliche Interesse des Klägers sei nicht auf die Erlangung des Schadensersatzes gerichtet, sondern der angestrebte eigene Vorteil des Klägers beschränke sich auf die Vermeidung der Rückstufung.

b) Das Berufungsgericht hat entgegen dem Vorwurf der Rechtsbeschwerde auch nicht das Recht des Klägers auf effektiven Rechtsschutz verletzt.

aa) Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährt den Parteien eines Rechtsstreits den Anspruch auf ein faires Verfahren sowie effektiven Rechtsschutz. Das Gericht muss das Verfahren so handhaben, dass die eigentlichen materiellen Rechtsfragen entschieden werden und ihnen nicht durch übertriebene Anforderungen an das formelle Recht ausgewichen wird (vgl. BVerfG NJW 2005, 814 , 815 m.w.N.). Insbesondere darf den Prozessparteien der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - IV ZB 29/10, VersR 2011, 814 Rn. 6).

bb) Dagegen hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht verstoßen.

Das Rechtsbeschwerdegericht kann - wie die Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend erkennt - die Bemessung der Beschwer nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von seinem nach § 3 ZPO eröffneten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2011 - II ZB 20/10, NJW 2011, 2974 Rn. 4 m.w.N.). Gemessen hieran erweist sich die Festsetzung der Beschwer durch das Berufungsgericht nicht als rechtsfehlerhaft. Entgegen dem Vorwurf des Rechtsbeschwerdeführers hat es sich nicht über Klägervortrag hinweggesetzt, sondern diesen dahingehend bewertet, dass das wirtschaftliche Interesse des Klägers hier nicht auf die Erlangung der Schadensersatzleistung gerichtet war, weil diese an die Beklagte erfolgen soll, sondern sich letztlich darin erschöpft, die Rückstufung im Versicherungsvertrag zu revidieren. Auch soweit das Berufungsgericht angenommen hat, den Erwägungen des Klägers zu einem "Malus" bei künftigen Versicherungsleistungen oder zu Kulanzleistungen komme für die Wertfestsetzung keine Bedeutung zu, weil es sich um ungewisse, noch in keiner Weise konkretisierte Erwartungen des Klägers handele, hält dies der eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerde gericht stand, denn dabei handelt es sich nicht um sachwidrige Erwägungen.

c) Auch soweit die Beschwerde darauf verweist, schon der als Schadensersatzanspruch geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 1.029,35 € an den Rechtsschutzversicherer des Klägers begründe die Statthaftigkeit der Berufung, deckt dies keinen Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf, weil die damit in Zusammenhang stehenden Rechtsfragen in der Rechtsprechung geklärt sind.

aa) Einem allgemeinen Grundsatz entsprechend sind die Kosten des laufenden Prozesses bei der Wertbemessung nicht zu berücksichtigen, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist (§ 4 ZPO ; vgl. BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 24. November 1994 - GSZ 1/94, BGHZ 128, 85 [juris Rn. 24]. Zu den Prozesskosten rechnen nicht nur die durch die Einleitung und Führung eines Prozesses ausgelösten Kosten, sondern grundsätzlich auch diejenigen Kosten, die der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2005 - I ZB 21/05, NJW-RR 2006, 501 [juris Rn. 11]). Soweit derartige Kosten zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören, können sie im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103 , 104 ZPO , § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 - X ZB 7/06, VersR 2007, 1102 Rn. 6). Sie können aber auch Gegenstand eines materiellen Kostenersatzbegehrens sein.

Anspruchsvoraussetzung des materiell-rechtlichen Kostenersatzbegehrens ist das Bestehen einer sachlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage, nämlich dass der Schuldner wegen Vertragsverletzung, Verzugs oder sonstiger Rechtsverletzung für den adäquat verursachten Schaden einzustehen hat. Wird der materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig, so dass es sich bei den zur Durchsetzung dieser Hauptforderung vorprozessual aufgewendeten Geschäftsgebühren um Nebenforderungen im Sinne von § 4 ZPO handelt, solange die Hauptsache Gegenstand des Rechtsstreits ist. Die geltend gemachten Beträge wirken deshalb nicht werterhöhend, solange das Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung besteht . Diese Berechnung gilt unabhängig davon, ob die Kosten der Hauptforderung hinzugerechnet werden oder neben der im Klagewege geltend gemachten Hauptforderung Gegenstand eines eigenen Antrags sind (BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 - X ZB 7/06, VersR 2007, 1102 Rn. 6, 7 m.w.N.).

bb) Entsprechend liegt der Fall auch hier. Der Kläger hat in der Klageschrift vorgetragen, der Klageantrag zu 2 ziele auf die Erstattung seiner außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten, die die Beklagte deshalb schulde, weil sie die begehrte Ermächtigung pflichtwidrig verweigere. Daraus folgt, dass diese Rechtsverfolgungskosten nach der Behauptung des Klägers zur vorgerichtlichen Durchsetzung seines Hauptanspruchs entstanden und mithin gemäß § 4 Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen sind.

III. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich im Übrigen, dass die Rechtsbeschwerde auch in der Sache unbegründet wäre.

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 22.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 21 O 331/18
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 11.06.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 31/19
Fundstellen
NJW-RR 2019, 1511