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BGH - Entscheidung vom 16.05.2019

AnwZ (Brfg) 35/17

Normen:
BRAO § 46 Abs. 3

BGH, Beschluss vom 16.05.2019 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 35/17

DRsp Nr. 2019/8998

Zulassung als Syndikusrechtsanwalt in einem Versicherungsunternehmen; Prägung des Arbeitsverhältnisses durch anwaltliche Tätigkeit;

Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bezieht sich auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Werden nach einer Zulassung weitere Arbeitsverhältnisse als Syndikusrechtsanwalt aufgenommen oder tritt innerhalb bereits bestehender Arbeitsverhältnisse eine wesentliche Änderung der Tätigkeit ein, ist auf Antrag die Zulassung auf die weiteren Arbeitsverhältnisse oder auf die geänderte Tätigkeit zu erstrecken.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das der Klägerin am 26. Juni 2017 zugestellte Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 46 Abs. 3 ;

Gründe

I.

Der Beigeladene ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Seit 2010 ist er bei der A. Group Ltd., einem Versicherungsunternehmen, angestellt. Unter dem 17. März 2016 beantragte er die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Die Klägerin wurde angehört und trat dem Antrag entgegen. Mit Bescheid vom 22. Juni 2016 ließ die Beklagte den Beigeladenen als Syndikusrechtsanwalt zu. Die Klägerin klagte gegen diesen Bescheid. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof am 11. November 2016 hob die Beklagte den Zulassungsbescheid auf, nachdem das Gericht Bedenken hinsichtlich dessen Zustellung geäußert hatte. Der Rechtsstreit wurde daraufhin übereinstimmend für erledigt erklärt. Am 15. November 2016 erließ die Beklagte erneut einen Zulassungsbescheid. Die Klage der nicht erneut angehörten Klägerin gegen diesen Bescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt die Klägerin die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ).

1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Bescheid vom 15. November 2016 nicht wegen einer unterbliebenen erneuten Anhörung rechtswidrig. Gemäß § 46a Abs. 2 Satz 1 BRAO ist der Träger der Rentenversicherung zwar vor der Entscheidung über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt anzuhören. Die Klägerin ist jedoch angehört worden. Die Beklagte hat ihr den Antrag des Beigeladenen nebst Anlagen mit Schreiben vom 23. März 2016 übermittelt und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Schreiben vom 4. April 2016 hat die Klägerin Stellung genommen, nämlich mitgeteilt, dass sie der beabsichtigten Zulassung nicht zustimme. Der zweite Zulassungsbescheid vom 15. November 2016 betraf immer noch den Antrag des Beigeladenen vom 17. März 2016. Das durch diesen Antrag eingeleitete Verwaltungsverfahren war noch nicht abgeschlossen, nachdem der erste Bescheid vom 22. Juni 2016 mangels Zustellung ohne rechtliche Wirkung geblieben und zudem aufgehoben worden war.

Wollte man dies anders sehen, läge jedenfalls ein Fall des gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO anwendbaren § 46 VwVfG vor. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das ist hier der Fall.

2. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Zulassungsbescheid vom 15. November 2016 auch hinreichend bestimmt.

a) Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsakts richten sich jeweils nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2018 - 9 B 26/17, juris Rn. 6 mwN). Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt bezieht sich, wie sich aus § 46 Abs. 2 Satz 1 BRAO ergibt, auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis muss den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO genügen. Entspricht die arbeitsvertragliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses oder die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit diesen Anforderungen nicht oder nicht mehr, ist die Zulassung zu widerrufen (§ 46b Abs. 2 Satz 2 BRAO ; vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2018 - AnwZ (Brfg) 12/17, NJW 2018, 791 Rn. 14). Werden nach einer Zulassung weitere Arbeitsverhältnisse als Syndikusrechtsanwalt aufgenommen oder tritt innerhalb bereits bestehender Arbeitsverhältnisse eine wesentliche Änderung der Tätigkeit ein, ist auf Antrag die Zulassung auf die weiteren Arbeitsverhältnisse oder auf die geänderte Tätigkeit zu erstrecken. Der Zulassungsbescheid muss deshalb das Arbeitsverhältnis und die von ihm umfassten Tätigkeiten, auf welche sich die Zulassung bezieht, so genau bezeichnen, dass nachträgliche Veränderungen, die einen Antrag auf Erweiterung der Zulassung oder aber deren Widerruf erfordern, erkennbar sind. Die Zulassung bindet überdies gemäß § 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO den Träger der Rentenversicherung bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , Abs. 3 SGB VI . Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung beschränkt. Diese muss sich folglich aus dem Zulassungsbescheid ergeben (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2018 - AnwZ (Brfg) 68/17, NJW 2018, 3712 Rn. 9; Beschluss vom 27. Februar 2019 - AnwZ (Brfg) 36/17, juris Rn. 5).

b) Der Tenor des Zulassungsbescheides vom 15. November 2016 spricht die Zulassung des Beigeladenen "als Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt) für die im Arbeitsvertrag vom 16.02.2010, in der Ergänzung vom 15.03.2016 bezeichneten Tätigkeit für die A. Group Ltd." aus. Die Begründung des Bescheides nimmt zudem auf die vom Beigeladenen mit dem Zulassungsantrag vorgelegte Tätigkeitsbeschreibung Bezug. Der Antrag des Beigeladenen vom 17. März 2016 nebst den genannten Anlagen lag allen Beteiligten vor. Der Arbeitsvertrag vom 16. Februar 2010, die Ergänzung vom 15. März 2016 und die Tätigkeitsbeschreibung können damit zur Auslegung des Bescheides herangezogen werden und bestimmen den Inhalt der Zulassungsentscheidung mit (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Februar 2019 - AnwZ (Brfg) 36/17, juris Rn. 6).

3. Die Klägerin bezweifelt schließlich, dass die anwaltliche Tätigkeit des Beigeladenen dessen Arbeitsverhältnis prägt. Diese Bedenken teilt der Senat nicht.

a) Wie der Senat bereits entschieden hat, müssen die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO genannten, fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten quantitativ und qualitativ den Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses darstellen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2018 - AnwZ (Brfg) 20/18, NJW 2018, 3701 , zVb in BGHZ, Rn. 79 mwN). Ob es für die Annahme einer Prägung des Arbeitsverhältnisses ausreicht, dass die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO genannten Tätigkeiten mehr als die Hälfte der insgesamt geleisteten Arbeit ausmachen, hat der Senat bisher offengelassen (vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 18. März 2019 - AnwZ (Brfg) 22/17, juris Rn. 13). Ein Anteil von etwa 70 bis 80 Prozent der insgesamt geleisteten Arbeit reicht regelmäßig aus (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2018, aaO Rn. 82; Beschluss vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 29/17, juris Rn. 7). Im Urteil vom 14. Januar 2019 (AnwZ (Brfg) 25/18, NJW 2019, 927 Rn. 27) hat der Senat einen Anteil an anwaltlichen Tätigkeiten von "mindestens 60 %, zeitweise eher 70 %" für ausreichend gehalten. Die anwaltliche Tätigkeit muss den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts darstellen; das Arbeitsverhältnis muss durch die anwaltliche Tätigkeit beherrscht werden (BGH, Urteil vom 18. März 2019 - AnwZ (Brfg) 22/17, juris Rn. 13).

b) Von diesen Grundsätzen ist der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Er hat nach Auswertung der eingereichten Unterlagen und nach Anhörung des Beigeladenen die Überzeugung gewonnen, dass die anwaltlichen Tätigkeiten dessen Arbeitsverhältnis prägen. Demgegenüber verweist die Klägerin auf die Ausschreibung der Stelle des Beigeladenen aus dem Jahre 2010, welche nur Management- und Führungsaufgaben ausweise, während anwaltliche Tätigkeiten so gut wie gar nicht vorkämen. Soweit der Anwaltsgerichtshof zu dem Ergebnis komme, das Arbeitsverhältnis des Beigeladenen sei tatsächlich anders ausgestaltet und werde anders "gelebt", als die Ausschreibung vermuten lasse, sei dies nicht nachzuvollziehen. Der Sache nach bestreitet die Klägerin damit die Richtigkeit des Vorbringens des Beigeladenen, insbesondere die Richtigkeit der mit dem Zulassungsantrag eingereichten Tätigkeitsbeschreibung, der erstinstanzlich vorgelegten, auf den Zeitraum 14. November 2016 bis 18. November 2016 bezogenen Tätigkeitsübersicht und der im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Angaben des Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung. Dem folgt der Senat nicht. Die genannte Ausschreibung ist schon nicht so eindeutig auf Führungsaufgaben bezogen, wie die Klägerin meint. Unter "Aufgaben" ist etwa die "Bearbeitung höhervolumiger Schäden" genannt, unter "Profil" heißt es an erster Stelle, dass ein Rechtsanwalt gesucht werde. Der Beigeladene hat nachvollziehbar dargelegt, dass Grundsatzfragen in der Zentrale seiner Arbeitgeberin in L. bearbeitet würden, so dass seine Verwaltungs- und Führungsaufgaben nur etwa 20 % seiner Arbeitszeit in Anspruch nähmen.

III.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 112c Abs. 1 BRAO , § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO . Der Streitwert wurde nach § 194 Abs. 2 BRAO festgesetzt.

Vorinstanz: AnwGH Rheinland-Pfalz, vom 26.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 AGH 21/16