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BGH - Entscheidung vom 24.06.2019

AnwZ (Brfg) 18/19

Normen:
BRAO § 112e S. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 24.06.2019 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 18/19

DRsp Nr. 2019/10712

Zulässige Berufung gegen ein Scheinurteil; Bestehen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Scheinurteils

Bei einer versehentlich zugestellten klagestattgebenden Urteilsausfertigung handelt es sich um ein Nicht- bzw. Scheinurteil, das als solches weder der formellen noch der materiellen Rechtskraft fähig ist. Ein Urteil mit diesem Inhalt ist nicht verkündet worden. Es handelt sich lediglich um einen Urteilsentwurf, der als solcher trotz Ausfertigung und Zustellung an die Parteien keine Rechtswirkung entfaltet.

Tenor

Auf Antrag der Beklagten wird die Berufung gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2018 zugestellte Scheinurteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs zugelassen.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 112e S. 2; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger hat die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der von ihm beantragten Zulassung als Syndikusrechtsanwalt begehrt. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2018 verkündetem Urteil abgewiesen. Als "Urteilsausfertigung" zugestellt wurde den Parteien und der Beigeladenen jedoch zunächst versehentlich die Abschrift einer früheren Arbeitsgrundlage des Anwaltsgerichtshofs, mit der der Klage stattgegeben wurde. Der Anwaltsgerichtshof hat hierauf durch Schreiben der Geschäftsstelle vom 9. Januar 2019 hingewiesen, Ausfertigungen des (verkündeten) klageabweisenden Urteils zugestellt sowie mitgeteilt, für die von der Beklagten beantragte Berichtigung der versehentlich als Urteilsausfertigung versandten Arbeitsgrundlage bestehe keine Notwendigkeit, und um deren Rücksendung gebeten.

Die Beklagte hat am Montag, den 21. Januar 2019 die Zulassung der Berufung gegen die ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2018 zugestellte klagestattgebende "Urteilsausfertigung" beantragt. Sie ist der Ansicht, es handele sich zumindest um ein rechtsmittelfähiges Scheinurteil, dessen Rechtsschein erst durch förmliche gerichtliche Entscheidung beseitigt werde.

II.

1. Der Antrag der Beklagten ist statthaft und zulässig nach § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 VwGO .

a) Bei der versehentlich zugestellten klagestattgebenden Urteilsausfertigung handelt es sich um ein Nicht- bzw. Scheinurteil, das als solches weder der formellen noch der materiellen Rechtskraft fähig ist. Ein Urteil mit diesem Inhalt ist nicht verkündet worden. Es handelt sich lediglich um einen Urteilsentwurf, der als solcher trotz Ausfertigung und Zustellung an die Parteien keine Rechtswirkung entfaltet (vgl. BVerfG, NJW 1985, 788 ; BGH, Beschluss vom 4. Februar 1999 - IX ZR 7/98, ZIP 1999, 499 , 500 mwN).

Gleichwohl ist der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung dagegen zulässig. Die erteilte Ausfertigung stellt dem äußeren Anschein nach ein Urteil dar und ist damit durch ihre bloße Existenz geeignet, schutzwürdige Interessen der nach dem Inhalt beschwerten Partei zu beeinträchtigen. Sie kann daher zur Beseitigung der mit ihr verbundenen Scheinwirkung mit demselben Rechtsmittel wie ein wirksam erlassenes und Rechtswirkungen entfaltendes Urteil angefochten werden (vgl. BVerfG, NJW 1985, 788 ; BVerwGE 91, 242 ; BGH, Urteil vom 4. Februar 1999 - IX ZR 7/98, ZIP 1999, 499 , 500). Das formlose Schreiben der Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtshofs vom 9. Januar 2019 reicht zur Beseitigung dieses Rechtsscheins - wie die Beklagte zu Recht geltend macht - nicht aus; hierfür bedarf es vielmehr einer klarstellenden förmlichen richterlichen Entscheidung.

b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Rechtsschutzinteresse der Beklagten auch nicht deshalb zu verneinen, weil er gegen das ihm am 14. Januar 2019 zugestellte klageabweisende Urteil keinen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt hat.

Solange die Partei, zu deren Gunsten das Scheinurteil lautet, die ihr übermittelte Ausfertigung nicht zurückgegeben hat, lässt sich auch bei Rechtskraft des tatsächlich ergangenen Urteils nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass dem Gegner dadurch Nachteile entstehen können. Dieser behält daher ein berechtigtes Interesse daran, den Vorgang mittels einer förmlichen Entscheidung zu beseitigen, auch wenn die ihm günstige Entscheidung inzwischen rechtskräftig geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1999 - IX ZR 7/98, ZIP 1999, 499 , 500).

Ein solcher Fall liegt hier vor, da der Kläger die ihm persönlich erteilte Ausfertigung des Scheinurteils bislang nicht zurückgegeben hat. Aus der Akte ergibt sich, dass sämtlichen Verfahrensbeteiligten, d.h. auch den anwaltlich vertretenen Parteien persönlich, Ausfertigungen des Scheinurteils zugestellt worden sind. Der Rücksendungsaufforderung des Anwaltsgerichtshofs vom 9. Januar 2019 sind jedoch außer der Beklagten nur die Beigeladene und die Prozessbevollmächtigten des Klägers nachgekommen, nicht aber der Kläger selbst.

c) Dass der Kläger seinen Kostenfestsetzungsantrag mit Schreiben vom 21. Januar 2019 zurückgenommen hat, gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Das ändert nichts daran, dass er weiterhin im Besitz der ihm erteilten Ausfertigung des Scheinurteils ist, dem zufolge er einen Anspruch auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt hat. Auch wenn die Rücknahme seines Kostenfestsetzungsantrags dafür spricht, dass er auch künftig aus dem Scheinurteil keine Rechte herleiten möchte, ist damit die Gefahr einer künftigen Verwendung der bei ihm verbliebenen Ausfertigung zum Nachteil der Beklagten bzw. der von ihr durch das Zulassungsverfahren zu wahrenden öffentlichen Interessen nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

2. Der Zulassungsantrag ist auch in der Sache begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Scheinurteils (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ), da ein Urteil mit diesem, dem wirksam ergangenen Urteil widersprechenden Inhalt nicht verkündet und damit nicht zur Entstehung gelangt ist.

III.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 Satz 2 BRAO . Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass das Verfahren nur die Beseitigung des Rechtsscheins eines Urteils betreffend die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zum Gegenstand hat.

IV.

Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO ).

Rechtsmittelbelehrung:

...

Vorinstanz: AnwGH Bayern, vom 20.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen BayAGH III - 4 - 5/18