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BGH - Entscheidung vom 16.01.2019

IV ZR 182/17

Normen:
VVG § 172 Abs. 2

Fundstellen:
NJW-RR 2019, 664
VersR 2019, 868
r+s 2019, 344
r+s 2020, 366

BGH, Beschluss vom 16.01.2019 - Aktenzeichen IV ZR 182/17

DRsp Nr. 2019/5405

Zahlungsanspruch eines Versicherten auf Berufsunfähigkeitsrente aus einer bei der überbetrieblichen Pensionskasse gehaltenen Rentenversicherung wegen Beinverletzungen aufgrund eines Sturzes

Mit der in Bedingungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung formulierten "bisherigen Tätigkeit" ist die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit gemeint und für die Bemessung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist. Danach setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann.

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Juni 2017 gem. § 552a Satz 1 ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen

eines Monats

Stellung zu nehmen.

Streitwert: bis 65.000 €

Normenkette:

VVG § 172 Abs. 2 ;

Gründe

1. Der Kläger, Diplom-Ingenieur für Automatisierungstechnik, fordert Berufsunfähigkeitsrente aus einer beim beklagten Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, einer überbetrieblichen Pensionskasse, gehaltenen Rentenversicherung.

Im Jahre 1994 wurde der seinerzeit noch bei einer Bank angestellte Kläger von dieser beim Beklagten zur Versicherung angemeldet. In den vereinbarten "Versicherungsbedingungen Tarif DA" heißt es unter anderem:

"§ 15

1) Im Falle von Berufsunfähigkeit hat der Versicherte ohne Rücksicht auf das Lebensalter Anspruch auf Rente. Als berufsunfähig ist derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist. ..."

Neben seiner Tätigkeit als Angestellter gründete der Kläger im Juni 2007 das im Keller seines Hauses betriebene Einzelunternehmen "M. ", das sich mit Anlagenbau im Meerwasserbereich sowie dem Import und der Zucht von Korallen und anderen Lebewesen (insbesondere Anemonen) befasste. Schon etwa 15 Jahre zuvor hatte der Kläger damit begonnen, Korallen zu züchten. Er wollte ab dem Jahre 2017 nur noch sein Einzelunternehmen betreiben und seine Angestelltentätigkeit aufgeben.

Anlässlich eines zum 1. September 2009 vollzogenen Wechsels des Klägers in eine leitende Anstellung bei einem anderen Unternehmen wurde der vorgenannte Versicherungsvertrag von den Parteien als freiwillige Weiterversicherung mit der Maßgabe fortgeführt, dass der Kläger fortan Versicherungsnehmer war. 2011 betrug das Einkommen des Klägers aus seiner Angestelltentätigkeit 123.523 €. Daneben führte er sein Unternehmen "M. " fort und erzielte damit im Jahre 2011 erstmals seit der Gründung einen Gewinn von 8.434 €.

Am 13. Januar 2012 zog sich der Kläger bei einem Sturz Beinverletzungen, insbesondere Verletzungen beider Knie unter anderem an Kniescheiben, Menisken und Bändern, zu. Auch nach zwei Operationen des rechten und einer Operation des linken Knies verbliebe n Einschränkungen und Schmerzen. Der Kläger ist unter anderem beim Gehen eingeschränkt, kann nicht lange stehen oder sitzen und muss häufig seine Beinposition verändern, um Schwellungen und Schmerzen zu verhindern. Autofahren ist ihm nur bis zu einer Stunde lang schmerzfrei möglich. Da er sich verletzungsbedingt nicht um seine Korallen und Anemonen kümmern konnte und diese infolgedessen eingingen, stellte er das Unternehmen "M. " ein.

Der Beklagte lehnt Versicherungsleistungen ab, weil der Kläger in seinem Beruf als Angestellter noch zu mehr als 50% berufsfähig sei und sein Beruf als selbständiger Korallenzüchter für die Frage der Berufsunfähigkeit ohne Bedeutung und mit Blick auf die Einkommensverhältnisse zu vernachlässigen sei.

Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, vor seinem Sturz neben seiner Angestelltentätigkeit in seiner Freizeit und an Wochenenden im Durchschnitt täglich fünf Stunden und zehn Minuten für sein eigenes Unternehmen - überwiegend körperlich belastend - gearbeitet zu haben. Seinen Beruf als leitender Angestellter könne er nur eingeschränkt, seine unternehmerische Tätigkeit gar nicht mehr ausüben. Seine Angestelltentätigkeit habe er auf täglich sieben Stunden reduzieren müssen, was einer verbleibenden Berufsfähigkeit von 73% entspreche. Es müsse mittels einer Gesamtbetrachtung jedoch auch seine selbständige Tätigkeit berücksichtigt werden. Hier sei er zu 100% berufsunfähig. Nachdem sein Unternehmen 2011 erwartungsgemäß erstmals Gewinn erzielt habe, wären im Falle des Fortbestandes künftig höhere - sein Angestelltengehalt übersteigende - Einnahmen zu erwarten gewesen. Deshalb habe er auch beabsichtigt, seine Tätigkeit als Angestellter im Jahre 2017 aufzugeben.

2. Seine auf Zahlung rückständiger Renten, die Festst ellung der Pflicht des Beklagten zur künftigen Rentenzahlung einschließlich vereinbarter Erhöhungsbeträge sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen, weil der Kläger nicht bedingungsgemäß um mehr als die Hälfte berufsunfähig sei.

Die hierfür allein maßgebliche Tätigkeit sei die Vollzeitbeschäftigung als Angestellter, die der Kläger auch nach seinem Unfall im Januar 2012 weiter ausgeübt habe, die auch jetzt jedenfalls zeitlich mehr als die Hälfte seiner ursprünglichen Tätigkeit ausmache und in der er weiter sein volles Gehalt beziehe. Dass er eine dauerhafte Reduzierung seiner Angestelltentätigkeit auf 73% behaupte, sei insoweit unerheblich.

Das Berufungsgericht hat es abgelehnt, den Grad der Berufsunfähigkeit des Klägers anhand einer Gesamtbetrachtung seiner angestellten und selbständigen Tätigkeit zu ermitteln oder auch beide Tätigkeiten isoliert als zwei Berufe zu bewerten. Der maßgebliche Beruf müsse in der Berufsunfähigkeitsversicherung eigenständig und unabhängig von gewerbe-, finanz- oder sozialrechtlichen Definitionen bestimmt werden. Als Beruf im Sinne von § 172 Abs. 2 VVG werde der in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte Beruf angesehen. Das sei jede auf Dauer angelegte, der Schaffung oder der Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit, wobei nicht notwendigerweise Einkünfte erzielt werden müssten. Entscheidend sei vielmehr, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherten konkret ausgestaltet gewesen sei. Dabei sei die Erwerbstätigkeit von Hobbies abzugrenzen.

Der Kläger habe seine Lebensgrundlage durch seine Tätigkeit als Angestellter geschaffen und erhalten. Unstreitig sei seine Korallenzuc ht zunächst nur ein Hobby gewesen. Daran habe sich aber auch durch die Anmeldung als selbständiges Unternehmen oder das etwaige Erreichen des sog. Break-Even-Points mit dem ersten Jahresgewinn im Jahre 2011 nichts geändert, wobei zwar allein die anfänglichen Verluste noch nicht gegen die Einordnung als Beruf sprächen. Maßgeblich sei aber, inwieweit ein Versicherter die konkrete Tätigkeit vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Erhaltung der Lebensgrundlage eingesetzt habe.

Die selbständige Tätigkeit habe die Angestelltentätigkeit nach dem Vortrag des Klägers erst 2017 ablösen sollen und sei deshalb für den maßgeblichen Unfallzeitpunkt noch unerheblich, da Hoffnungen und Erwartungen auf einen künftigen Beruf nicht zu berücksichtigen seien .

Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger behaupteten Arbeitszeiten stellten seine Tätigkeiten nicht gemeinsam die versicherte Tätigkeit dar. Zwar könne sich ein Beruf aus Haupt- und Nebentätigkeiten zusammensetzen, auch könnten mehrere zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeübte Tätigkeiten als ein Berufsbild mit verschiedenen Bereichen anzusehen sein. Versicherungsnehmer seien in der modernen Arbeitswelt manchmal gehalten, zur Schaffung und Erhaltung ihrer Lebensgrundlage verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen. Beim Kläger hätten sie aber gerade nicht kumulativ, sondern alternativ der Erhaltung der Lebensgrundlage dienen sollen; er habe lediglich für die Zukunft erwartet, zum Erhalt der Lebensgrundlage seine Angestelltentätigkeit durch seine selbständige Tätigkeit im Bereich der Korallenzucht abzulösen. Das sei aber lediglich eine nicht versicherte Hoffnung.

3. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, die das Berufungsgericht zugelassen hat, weil ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung der Frage bestehe, wie der Berufsbegriff in der Berufsunfähigkeitsversicherung auszulegen sei, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tät igkeit treffe.

4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) liegen indes nicht vor, das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO ).

a) Eine grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO , die das Berufungsgericht hier ersichtlich angenommen hat, setzt voraus, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2009 - IV ZR 217/08, VersR 2009, 1106 Rn. 2 m.w.N.), klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 291 [juris Rn. 5]; vom 1. Oktober 2002 - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 181 , 190 f. [juris Rn. 25]). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen dazu vertreten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZR 54/09, NJW-RR 2010, 1047 Rn. 3, jeweils m.w.N.).

b) Daran fehlt es hier.

aa) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass mit der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen angesprochenen "bisherigen Tätigkeit" die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Berufstätigkeit gemeint und für die Bemessung der Berufsunfähigkeit maßgeblich ist. Danach setzt Berufsunfähigkeit voraus, dass der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge der in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann. Dass darüber in Rechtsprechung, Literatur oder den beteiligten Verkehrskreisen Streit bestünde, ist nicht ersichtlich.

Das gleiche gilt, soweit das Berufungsgericht im Weiteren davon ausgeht, dass sich der Versicherungsschutz allein wegen des in § 15 Abs. 1 Satz 2 der Bedingungen verwendeten Singulars "Tätigkeit" nicht notwendigerweise auf eine einzelne Berufstätigkeit beschränkt, sondern auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen kann (vgl. zu mehreren Tätigkeiten des Versicherungsnehmers auch OLG Dresden r+s 2013, 564 [juris Rn. 34]).

bb) Einer weitergehenden Klärung ist die vom Berufungsgericht aufgeworfene Rechtsfrage, wie der Berufsbegriff auszulegen sei, wenn der Versicherungsnehmer parallel zur vormals ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Wechsel der Tätigkeit treffe, nicht zugänglich. Vielmehr kann dies - wie es das Berufungsgericht getan hat - nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Deshalb ist auch für das Vorliegen weiterer Revisionszulassungsgründe im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nichts ersichtlich.

c) Die Entscheidung des Streitfalles hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler getroffen, weshalb die Revision auch keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 552a Satz 1 ZPO ).

Es hat anhand der vom Kläger vorgetragenen Fallumstände angenommen, er habe seine selbständige Tätigkeit bis zu seinem Unfall als Hobby und noch nicht als Beruf neben seiner Angestelltentätigkeit ausgeübt.

Diese tatrichterliche Würdigung lässt auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine revisionsrechtlich beachtlichen Fehler erkennen.

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 29.10.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 351/14
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 07.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 180/15
Fundstellen
NJW-RR 2019, 664
VersR 2019, 868
r+s 2019, 344
r+s 2020, 366