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BGH - Entscheidung vom 09.04.2019

XI ZR 119/18

Normen:
BGB § 495 Abs. 1
BGB § 355 Abs. 1
BGB § 355 Abs. 2
BGB § 242

BGH, Urteil vom 09.04.2019 - Aktenzeichen XI ZR 119/18

DRsp Nr. 2019/8795

Wirksamkeit des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags; Anforderung an die Deutlichkeit und Verständlichkeit der Rechtsbelehrung in Bezug auf das Widerrufsrecht; Erstattung verauslagter Anwaltskosten

Bei nicht hinreichend deutlicher Belehrung eines Verbrauchers über sein Widerrufsrecht kann der Verbraucher seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung auch noch nach Ablauf der Frist widerrufen. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Verwender die Belehrung durch den Zusatz "Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Entgelten bei Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist" verunklart.

Tenor

Auf die Revision des Klägers und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 6. Februar 2018 in der Fassung des Beschlusses vom 12. April 2018 mit Ausnahme der Entscheidung über die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist, soweit es Versäumnisurteil ist, vorläufig vollstreckbar.

Normenkette:

BGB § 495 Abs. 1 ; BGB § 355 Abs. 1 ; BGB § 355 Abs. 2 ; BGB § 242 ;

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Klägers.

Die Parteien schlossen unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Mai 2010 einen Darlehensvertrag über 364.000 € mit einem bis zum 30. April 2020 festen Nominalzinssatz von 3,85% p.a. Zur Sicherung der Beklagten diente ein Grundpfandrecht. Unter der Überschrift "Auszahlungsvoraussetzungen / Auflagen" hielt die Beklagte im Verhältnis zum Kläger fest:

"Vor erster Auszahlung müssen vorliegen:

[…]

- Widerrufsbelehrung(en) zum Darlehensvertrag, von allen Darlehensnehmern gesondert zu unterschreiben; Auszahlung erst nach Ablauf der Widerrufsfrist".

Bei Abschluss des Darlehensvertrags belehrte die Beklagte den Kläger über sein Widerrufsrecht wie folgt:

Der Kläger erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen. Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 widerrief er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf des Klägers unter dem 6. Februar 2015 zurück.

Die zunächst bei dem Landgericht Düsseldorf anhängig gemachte Klage auf Feststellung, dass der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag beendet worden sei, und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich mit der Maßgabe weiterverfolgt hat, es möge festgestellt werden, dass die Beklagte aus dem Darlehensvertrag keinen Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung habe, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Klageanträge in der zuletzt gestellten Form weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Insoweit ist über das Rechtsmittel antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war. Inhaltlich ist das Urteil insoweit jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79 , 81 f.). Soweit der Kläger die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begehrt, hat die Revision dagegen keinen Erfolg und ist durch Endurteil zurückzuweisen.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:

Der im Jahr 2015 erklärte Widerruf des Klägers sei ins Leere gegangen, weil die Beklagte den Kläger hinreichend deutlich über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt habe und die Widerrufsfrist damit schon im Jahr 2010 an- und abgelaufen sei. Das gelte nach Maßgabe der konkreten Vertragsgestaltung auch für die Ausführungen in der Widerrufsbelehrung unter der Überschrift "Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Entgelten bei Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist".

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe den Kläger bei Vertragsschluss hinreichend deutlich über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass er seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung im Januar 2015 nicht mehr habe widerrufen können.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats verunklarte die Beklagte durch den Zusatz "Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Entgelten bei Vertragsausführung vor Ablauf der Widerrufsfrist" die nach § 495 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung, § 312d Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 , § 312c BGB in der vom 8. Dezember 2004 bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung erteilte Widerrufsbelehrung (vgl. Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 31 und vom 3. Juli 2018 - XI ZR 520/16, WM 2018, 1596 Rn. 11 ff., 17 sowie - XI ZR 572/16, WM 2018, 1599 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 28. November 2017 - XI ZR 167/16, juris).

Die übrige Informations- und Vertragsgestaltung der Beklagten führt entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts zu keinem anderen Ergebnis (Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 381/16, WM 2017, 806 Rn. 13 ff., 17, vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 14 und vom 3. Juli 2018 - XI ZR 520/16, WM 2018, 1596 Rn. 21). Der Inhalt einer Widerrufsbelehrung kann nicht anhand des nicht in der Widerrufsbelehrung selbst in Textform dokumentierten gemeinsamen Verständnisses der Parteien nach Maßgabe der besonderen Umstände ihrer Erteilung präzisiert werden.

III.

Das Berufungsurteil ist nur insoweit aus anderen Gründen richtig, als das Berufungsgericht der Berufung des Klägers betreffend die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten den Erfolg versagt hat (§ 561 ZPO ). Ein solcher Anspruch besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt (vgl. Senatsurteile vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff., 34 f., vom 19. September 2017 - XI ZR 523/15, juris Rn. 22, vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 443/16, WM 2017, 2248 Rn. 27, vom 7. November 2017 - XI ZR 369/16, WM 2018, 45 Rn. 19, vom 21. November 2017 - XI ZR 106/16, WM 2018, 51 Rn. 16 und vom 27. November 2018 - XI ZR 174/17, juris Rn. 18). In diesem Umfang weist der Senat die Revision durch Endurteil zurück.

Im Übrigen unterliegt das Berufungsurteil insoweit, als das Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers erkannt hat, der Aufhebung (§ 562 ZPO ), weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Insbesondere kann der Senat der dem Tatrichter obliegenden und vom Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet konsequent bisher unterbliebenen Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 393/16, WM 2017, 2247 Rn. 11, vom 3. Juli 2018 - XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 16, vom 24. Juli 2018 - XI ZR 305/16, BKR 2019, 29 Rn. 19 und vom 27. November 2018 - XI ZR 111/17, juris Rn. 12 mwN). Der Senat verweist die Sache daher in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang durch Versäumnisurteil an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 9. April 2019

Entscheidungsform: URTEIL UND VERSÄUMNISURTEIL

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 07.09.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 39/16
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 06.02.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 17 U 199/16