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BGH - Entscheidung vom 31.01.2019

4 StR 432/18

Normen:
StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1

BGH, Urteil vom 31.01.2019 - Aktenzeichen 4 StR 432/18

DRsp Nr. 2019/2687

Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei Inbrandsetzung einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Mietwohnung

Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche Folge seines Handelns erkennt und dies billigt. Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es regelmäßig nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat.

Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt vom 8. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und mit fahrlässiger Körperverletzung zu der Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet ist und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verneinung eines Tötungs- und Körperverletzungsvorsatzes sowie die unterbliebene Verurteilung wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion. Der Angeklagte wendet sich mit der Sachrüge gegen seine Verurteilung.

Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen lebte der 18 Jahre alte Angeklagte, der seit geraumer Zeit unter wiederkehrenden Depressionen litt, mit seiner Mutter in B. . Da die Mutter beabsichtigte, mit dem Angeklagten nach V. umzuziehen, hatte sie dort bereits eine Wohnung angemietet, die im zweiten Obergeschoss eines von zwei in geschlossener Bauweise errichteten Mehrfamilienhäusern mit insgesamt sechs Wohneinheiten in drei Obergeschossen gelegen war. Der Angeklagte, der davon ausging, dass der Umzug seinem psychischen Zustand abträglich wäre und ihn letztlich in den Suizid treiben würde, wollte den Umzug um jeden Preis verhindern. Zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Frühjahr oder Sommer 2017 entwickelte er den Plan, die angemietete Wohnung in V. in Brand zu setzen.

Am Tattag, dem 21. August 2017, fasste der Angeklagte den Entschluss, seinen Plan nunmehr auszuführen. Nachdem er an einer Tankstelle zwei Kanister erworben und mit Benzin befüllt hatte, begab er sich gegen 10.40 Uhr in die von seiner Mutter angemietete Wohnung. Dort verteilte er auf dem Fußboden in sämtlichen Räumen mit Ausnahme eines Abstellraums großflächig Benzin, welches er mittels einer aus einem Waschlappen bestehenden Lunte anzündete. Mit der Brandlegung verfolgte der Angeklagte, der möglicherweise aufgrund einer schweren depressiven Episode kognitiv eingeengt und daher in seiner Steuerungsfähigkeit nicht unerheblich eingeschränkt war, das Ziel, die Wohnung unbewohnbar zu machen, um so den Umzug nach V. zu verhindern. Er erkannte, dass aufgrund der Brandlegung und der zu erwartenden Folgen, insbesondere der Rauchentwicklung, die Gefahr bestand, dass andere Hausbewohner in Lebensgefahr geraten könnten, führte die Tat aber dennoch aus, um sein Ziel zu erreichen. Dass der Angeklagte auch erkannte und billigend in Kauf nahm, dass die übrigen Hausbewohner oder sonstige dritte Personen tatsächlich körperlich zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnten, hat die Jugendkammer nicht festzustellen vermocht.

Infolge der Brandlegung kam es - für den Angeklagten überraschend, aber vorhersehbar - zu einer Explosion des vorhandenen Benzin-Luft-Gemisches und zu einem Vollbrand, der sich so schnell entwickelte, dass dem Angeklagten zunächst der Fluchtweg durch die Wohnungseingangstür versperrt war. Schließlich rannte der Angeklagte aus der Wohnung, wobei er sich Verbrennungen 1. und 2. Grades an den Händen und im Gesicht zuzog.

Durch die Explosion und den Vollbrand wurden das Dachgeschoss und der Dachstuhl des Gebäudes vollständig zerstört. Ein sich zum Tatzeitpunkt im dritten Obergeschoss aufhaltender Bewohner konnte trotz der bereits erheblichen Rauch- und Hitzeentwicklung im Treppenhaus das Gebäude unverletzt verlassen. Da eine Flucht durch das Treppenhaus infolge der Hitze und des Rauchs nicht mehr möglich war, begaben sich vier Personen - darunter eine wegen einer Lungenerkrankung pflegebedürftige, 69 Jahre alte Bewohnerin, die aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands nicht in der Lage war, das Haus selbständig zu verlassen - auf einen Balkon im zweiten Obergeschoss, wo sie sich bis zu ihrer Rettung durch die Feuerwehr mit nassen Waschlappen vor der Rauchentwicklung schützten. Als Folge der Brandlegung trug die pflegebedürftige Bewohnerin eine Rauchgasvergiftung, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression davon. Der durch die Explosion, den Brand und die Löscharbeiten verursachte materielle Schaden belief sich auf knapp 620.000 Euro.

2. Das Landgericht hat einen bedingten Vorsatz des Angeklagten hinsichtlich der durch die Brandlegung verursachten konkreten Lebensgefahr für die fünf unmittelbar vom Brandgeschehen betroffenen Personen angenommen und den Angeklagten dementsprechend wegen tateinheitlich begangener besonders schwerer Brandstiftung nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es demgegenüber verneint, weil mit hinreichender Sicherheit nicht habe festgestellt werden können, dass das für die Vorsatzannahme erforderliche Wissenselement im Tatzeitpunkt gegeben war. Aufgrund der psychischen Verfassung des Angeklagten sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die potentielle Möglichkeit der Tötung oder Verletzung anderer Personen nicht erkannt habe.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Die Beweiserwägungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat, halten unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, NJW 2018, 1621 , 1622; vom 5. Dezember 2017 - 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206 , 207; vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37 ) einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17 aaO, 1623; vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, BGHR § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17 aaO, 1623; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 , 186), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581 , 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15 aaO; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13 aaO; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443 , 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es - vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls - nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15 aaO; vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207 , 208 mwN).

b) Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen nicht, mit denen das Landgericht seine Auffassung begründet hat, das kognitive Element eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht sicher feststellen zu können. Denn diese Erwägungen sind mit der gleichzeitigen Annahme eines Gefährdungsvorsatzes nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht widerspruchsfrei in Einklang zu bringen.

Die Jugendkammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen folgend davon ausgegangen, dass die schwere depressive Episode beim Angeklagten möglicherweise zu einer derartigen kognitiven Einengung geführt habe, dass er im Tatzeitpunkt die potentielle Möglichkeit der Tötung oder Verletzung anderer Personen nicht erkannt habe und ihm damit das Risiko einer Tötung nicht bewusst gewesen sei. Demgegenüber hat sie - bezogen auf die tatbestandlich erforderliche konkrete Todesgefahr nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB - angenommen, dass dem Angeklagten bei Tatbegehung bewusst gewesen sei, dass es infolge der Brandlegung in der von seiner Mutter angemieteten Wohnung zu einer Ausbreitung des Feuers ins Treppenhaus sowie zu einer Rauchentwicklung kommen könne, welche eine Lebensgefahr für die übrigen Hausbewohner darstelle. Dies habe er billigend in Kauf genommen, um den geplanten Umzug zu verhindern.

Diese Erwägungen des Landgerichts stehen zueinander in einem nicht auflösbaren Widerspruch. Gefährdungsvorsatz und Schädigungsvorsatz haben zwar unterschiedliche Bezugspunkte (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67, BGHSt 22, 67 , 73 ff.; vom 24. Juli 1975 - 4 StR 165/75, BGHSt 26, 176 , 182; vom 12. Juni 2008 - 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 309 , 310; vgl. Radtke in MK- StGB , 3. Aufl., § 306b Rn. 30; Wolff in LK- StGB , 12. Aufl., § 306b Rn. 17). Da die Gefahr begrifflich aber nichts anderes beschreibt als die naheliegende Möglichkeit einer Schädigung (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67 aaO, 74), bleibt beim Vorliegen eines auf die Gefahr des Todes bezogenen Vorsatzes kein Raum mehr für die Verneinung des kognitiven Elements eines bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1967 - 4 StR 441/67 aaO; vom 12. Juni 2008 - 4 StR 78/08 aaO). Denn derjenige, der die Gefahrenlage für das Leben anderer erkennt und sich mit ihr abfindet, weiß um die Möglichkeit des Eintritts eines tödlichen Erfolgs (vgl. Radtke, NStZ 2000, 88 , 89).

2. Aus denselben Gründen hält auch die Verneinung eines bedingten Körperverletzungsvorsatzes rechtlicher Prüfung nicht stand.

III.

Die Revision des Angeklagten hat ebenfalls Erfolg, weil bereits die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur subjektiven Tatseite der besonders schweren Brandstiftung nach § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB widersprüchlich sind.

Die Strafbarkeit wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter hinsichtlich des Eintritts der konkreten Todesgefahr vorsätzlich handelt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 - 4 StR 185/99, NJW 1999, 3131 , 3132; Beschluss vom 29. November 2012 - 3 StR 293/12, NStZ-RR 2013, 137 ; vgl. Radtke in MK- StGB aaO). Erforderlich ist, dass der Täter die für die konkrete Todesgefahr maßgeblichen Umstände in ihrer gefahrbegründenden Bedeutung erkennt und sich im Sinne eines bedingten Vorsatzes mit dem Eintritt der Gefahrenlage zumindest abfindet (vgl. Wolff aaO Rn. 17). Das Landgericht hat einerseits festgestellt, dass der Angeklagte wusste, dass aufgrund der durch die Brandlegung zu erwartenden Rauchentwicklung die Gefahr bestand, dass andere Hausbewohner in Lebensgefahr geraten könnten. Andererseits hat es sich aber nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte auch erkannte, dass andere Personen tatsächlich körperlich zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnten. Damit ist ein auf die konkrete Todesgefahr des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB bezogener bedingter Vorsatz nicht widerspruchsfrei dargetan. Dieser Widerspruch wird - wie zur Revision der Staatsanwaltschaft dargelegt - auch durch die Ausführungen der Jugendkammer zur Beweiswürdigung nicht aufgelöst.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: AG Bocholt, vom 08.03.2018