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BGH - Entscheidung vom 16.05.2019

AK 23/19

Normen:
StGB § 53
StGB § 52
VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9
VStGB § 25 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 16.05.2019 - Aktenzeichen AK 23/19

DRsp Nr. 2019/8765

Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus; Kriegsverbrechen gegen Personen auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuchs ( VStGB )

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht München übertragen.

Normenkette:

StGB § 53 ; StGB § 52 ; VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 ; VStGB § 25 Abs. 2 ;

Gründe

I.

1. Der Angeschuldigte wurde am 25. Oktober 2018 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 26. Oktober 2018 ( 4 BGs 224/18). Gegenstand dieses Haftbefehls war der Vorwurf, der Angeschuldigte habe gemeinschaftlich mit anderen nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihnen zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende 2013/Anfang 2014 in A. in Afghanistan erhebliche Schäden oder Leid zufügte.

2. Der Generalbundesanwalt hat unter dem 28. März 2019 gegen den Angeschuldigten vor dem Oberlandesgericht München Anklage erhoben. Gegenstand des Anklagevorwurfs ist die dem Angeschuldigten in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zur Last gelegte Tat und darüber hinaus ein weiterer Vorwurf.

3. Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 16. April 2019 - unter gleichzeitiger Aufhebung und Ersetzung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs - entsprechend dem in der Anklageschrift aufgeführten Tatvorwurf einen neuen, erweiterten Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erlassen; diesen hat es mit Beschluss vom 18. April 2019 dem Angeschuldigten verkündet, den Haftbefehl in Vollzug gesetzt, Haftfortdauer und die Vorlage an den Bundesgerichtshof beschlossen.

Gegenstand des nunmehrigen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

-

durch eine Handlung gemeinschaftlich handelnd drei nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen grausam und unmenschlich behandelt, indem er ihnen erhebliche körperliche oder seelische Schäden zugefügt, insbesondere sie gefoltert habe, sowie

-

durch eine weitere selbständige Handlung gemeinschaftlich handelnd eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,

strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 9 VStGB , § 25 Abs. 2 , §§ 52 , 53 StGB .

Das Oberlandesgericht hält die Fortdauer der Untersuchungshaft ausweislich seines Beschlusses vom 18. April 2019 für erforderlich.

II.

Die Voraussetzungen der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Angeschuldigte war etwa ab dem Jahr 2009 Angehöriger der Afghanischen Nationalarmee (ANA) und zuletzt im Rang eines Leutnants tätig. Zum Zeitpunkt der im Folgenden geschilderten Tathandlungen des Angeschuldigten bestand in Afghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt zwischen den afghanischen Regierungsstreitkräften, unterstützt durch die Truppen der sogenannten International Security Assistance Force (ISAF) auf der einen Seite und den Taliban sowie anderen nichtstaatlichen bewaffneten Gruppierungen auf der anderen Seite.

aa) Zu einem nicht genauer zu ermittelnden Zeitpunkt Ende des Jahres 2013/Anfang des Jahres 2014 befand sich der Angeschuldigte in einer Armeekaserne in der Ortschaft A. in der Provinz Paktia im Südosten Afghanistans. Der Hauptmann seiner Einheit war nicht anwesend; als dessen Vertreter fungierte ein im gleichen Rang wie der Angeschuldigte tätiger Leutnant.

Nachdem drei Gefangene zu dem Stützpunkt und in das Büro dieses Leutnants gebracht worden waren, vernahm der Angeschuldigte Schreie. Er begab sich zu dem Büro und betrat den Vernehmungsraum, in dem sich außer den drei Gefangenen, die mit verbundenen Augen und auf den Rücken gefesselten Händen auf dem Boden saßen, und dem Leutnant ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Soldat befand und mindestens ein weiterer Soldat, der die Vernehmung filmte. Als der Angeschuldigte hinzutrat, schlug der andere Leutnant gerade mit einem etwa 80 cm langen, in der Mitte gefalteten etwa zolldicken Stück Wasserschlauch auf die Gefangenen ein. Er forderte den Angeschuldigten auf, bei der Vernehmung mitzuschreiben, was dieser auch tat.

Im weiteren Verlauf der Vernehmung saßen der Angeschuldigte und der andere Leutnant den gefesselten Gefangenen im Abstand von maximal einem Meter gegenüber und fragten wiederholt nach dem Aufenthalt des Mullah der drei als Mitglieder der Taliban verdächtigen Gefangenen, sowie nach Waffenverstecken der Taliban. Sie hatten jedenfalls konkludent den Entschluss gefasst, Aussagen von den drei Gefangenen auch mittels Gewalthandlungen zu erzwingen, und wirkten dabei wie folgt zusammen:

Der Angeschuldigte drohte dem ersten vor ihm sitzenden Gefangenen mit dem Einsatz eines Elektroschockers, zu dem es dann allerdings nicht kam; sodann griff er dem Gefangenen in die Haare und zog daran. Der andere Leutnant schlug diesem Gefangenen sodann mit dem gefalteten Wasserschlauch zweimal auf den Kopf. Der Angeschuldigte fasste im Anschluss daran dem zweiten vor ihm sitzenden Gefangenen in die Haare und hielt ihn für etwa 30 Sekunden fest. Kurz darauf schlug er ihn mit der flachen Hand auf den Kopf. Der andere Leutnant wandte sich sodann dem links von dem Angeschuldigten sitzenden dritten Gefangenen zu und schlug diesen mehrfach mit dem Handrücken und der Faust gegen den Kopf und ins Gesicht. Wegen der vorangegangenen Gewalthandlungen teilte der dritte Gefangene letztlich mit, wo sich weitere Taliban, ihre Waffen und ihr Mullah befanden; anschließend wurden die drei Gefangenen abgeführt und in ein Gefängnis verbracht.

bb) Im März des Jahres 2014 erhielt der Angeschuldigte von seinem Vorgesetzten den Befehl, einen hochrangigen Taliban-Kommandeur aufzuspüren, und begab sich zu diesem Zweck gegen Abend des nicht mehr genau zu bestimmenden Tages mit 13 Soldaten an eine in der Nähe der Ortschaft S. gelegenen Straße, um dort Personenkontrollen durchzuführen. Nach einigen Stunden wurden der Angeschuldigte und sein Trupp von dem gesuchten Taliban-Kommandeur und dessen Leuten angegriffen. In dem sich anschließenden Feuergefecht wurde der Kommandeur getötet; seine Leiche wurde am frühen Morgen des nächsten Tages auf einem Feld gefunden. Der Angeschuldigte meldete dies seinem Vorgesetzten, der ihm befahl, den TalibanKommandeur in den Ort S. zu einem Metzger mit einem Fleischerhaken zu bringen. Auf Anordnung des Angeschuldigten wurde die Leiche deshalb mit einem Militärfahrzeug, von dem Arme und Beine herunterbaumelten, im Schritttempo in den Ort gefahren; der Angeschuldigte folgte dem Wagen zu Fuß. Ein Polizist, der bereits vorher mit der Faust auf den Leichnam eingeschlagen hatte, traktierte diesen weiter mit Schlägen mit seinem Sturmgewehr und führte tanzende Bewegungen aus. Ein weiterer Soldat, der auf dem Fahrzeug saß, schlug ebenfalls mit seinem Gewehr auf den Getöteten ein.

Nachdem der Angeschuldigte bei einem kurzen Stopp - umringt von Zivilisten - einen Fleischerhaken auf den Leichnam gelegt hatte, ließ er ihn zu einem Schutzwall eines Militärstützpunkts fahren, legte ihm eine Seilschlinge um den Hals, zog diese zu und ließ den getöteten Taliban-Kommandeur von seinen Soldaten an einem Seil nach oben ziehen und an dem Schutzwall aufhängen. Dabei unterstützte er die Soldaten; anschließend sagte er zu den Anwesenden, dass er den Taliban-Kommandeur wie einen Esel getötet habe und dass dieser deshalb wie ein Esel aufgehängt werden müsse. Dabei ging es dem Angeschuldigten und den von ihm befehligten Soldaten darum, den Getöteten unter Missachtung seiner Totenehre wie eine Trophäe zu präsentieren und ihn damit herabzuwürdigen.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:

aa) Dass im Tatzeitraum in den Jahren 2013 und 2014 in Afghanistan ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt unter Beteiligung der genannten Konfliktparteien bestand, folgt aus dem im Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. M. vom 19. Januar 2019.

bb) Der Angeschuldigte hat seine Tathandlungen in mehreren Vernehmungen, insbesondere auch gegenüber dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, weitgehend eingeräumt. Sie ergeben sich darüber hinaus aus weiteren Beweismitteln, in erster Linie aus den Videoaufzeichnungen, die von den Vorfällen gemacht worden sind, sowie den Übersetzungen des dabei aufgenommenen Gesprochenen. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die ausführlichen Darlegungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift vom 28. März 2019.

2. In rechtlicher Hinsicht ergibt sich daraus, dass der Angeschuldigte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB strafbar gemacht hat, indem er im ersten Fall gemeinsam mit dem befehlshabenden Leutnant die drei gefangenen mutmaßlichen Taliban-Kämpfer folterte; diese waren nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen, weil sie infolge ihrer Gefangennahme als Kämpfer der gegnerischen Partei wehrlos waren (§ 8 Abs. 6 Nr. 3 VStGB ).

Im zweiten Fall stellt der Umgang mit dem Leichnam des getöteten Taliban-Kommandeurs eine schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB dar. Die Vorschrift schützt auch bereits Verstorbene (BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 , 276 ff.); der Getötete war eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person im Sinne von § 8 Abs. 6 Nr. 3 VStGB .

Deutsches Strafrecht ist gemäß § 1 VStGB anwendbar.

3. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO . Der Angeschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung eine empfindliche Freiheitsstrafe zu erwarten, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet.

Er verfügt trotz zwischenzeitlich fortgeschrittenen Spracherwerbs und absolvierten Ausbildungsinhalten in der Bundesrepublik Deutschland nicht über einen hinreichend gesicherten Lebensmittelpunkt: Sein Aufenthaltsstatus ist ungeklärt, er hat nach abgelehntem Asylantrag und nicht anerkanntem Flüchtlings- oder subsidiärem Schutzstatus - vorbehaltlich einer abweichenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - derzeit keine legale Aufenthaltsperspektive. Er hat zwar soziale Bindungen zu seiner - deutschen - Lebensgefährtin; andererseits sind aber seine Personalien ungeklärt, nachdem er die Möglichkeit gewählt hat, sich seinen Nachnamen frei auszusuchen. Angesichts dessen und seiner Verbindungen zu seiner nach wie vor in Afghanistan lebenden Großfamilie, die über auskömmliche Einnahmen verfügt, steht deshalb nicht zu erwarten, dass er dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz widerstehen und sich den deutschen Strafverfolgungsbehörden freiwillig zur Verfügung stellen wird.

Der Zweck der Untersuchungshaft kann deshalb auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden.

4. Die spezifischen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) sind ebenfalls gegeben. Der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist auch mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden:

Parallel zu der nach der Festnahme des Angeschuldigten durchgeführten Auswertung der bei ihm und seiner Ehefrau nach islamischen Recht sichergestellten elektronischen Geräte und Datenträger wurden zwischen Anfang November und Ende Dezember 2018 zahlreiche Zeugen vernommen sowie mehrere Sachverständigengutachten - unter anderem zu den tatsächlichen Voraussetzungen des nichtinternationalen Konflikts - in Auftrag gegeben und fertiggestellt.

Nach Abschluss der polizeilichen Ermittlungen am 15. Februar 2019 hat der Generalbundesanwalt - wie dargelegt - unter dem 28. März 2019 Anklage erhoben, die am Folgetag beim Oberlandesgericht München einging und deren Zustellung am 1. April 2019 verfügt wurde. Zugleich ist die Übersetzung der Anklageschrift in Auftrag gegeben und eine Erklärungsfrist von vier Wochen nach Zustellung der Übersetzung angekündigt worden. Das Oberlandesgericht hat mit mehreren Verfügungen vom 5. und 10. April 2019 ergänzende Ermittlungen und die Beiziehung von weiteren Unterlagen veranlasst. Am 16. April 2019 hat es den verfahrensgegenständlichen neuen Haftbefehl erlassen und diesen dem Angeschuldigten am 18. April 2019 eröffnet.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alldem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).