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BGH - Entscheidung vom 22.10.2019

XI ZR 203/18

Normen:
BGB § 495 Abs. 1
BGB § 355 (Fassung bis 10. Juni 2010)
BGB § 242 Cc
BGB § 495 Abs. 1
BGB (i.d. bis 10.06.2010 geltenden Fassung) § 355
BGB § 242 Cc
BGB § 242
BGB a.F. § 355 Abs. 2 S. 2
BGB § 495 Abs. 1

Fundstellen:
MDR 2020, 233
WM 2020, 84
ZIP 2020, 69

BGH, Urteil vom 22.10.2019 - Aktenzeichen XI ZR 203/18

DRsp Nr. 2020/486

Verwirkung des Rechts auf Widerruf der auf Abschluss eines beendeten Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers

Zur Verwirkung des Rechts auf Widerruf der auf Abschluss eines beendeten Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 28. März 2018 aufgehoben.Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Normenkette:

BGB § 242 ; BGB a.F. § 355 Abs. 2 S. 2; BGB § 495 Abs. 1 ;

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen der Beklagten.

Die Parteien schlossen im Februar 2008 zwei Darlehensverträge, zum einen über 130.000 € (Endnummer -045) mit einem bis zum 31. Januar 2018 festen Nominalzinssatz von 4,78% p.a. und zum anderen über 40.000 € (Endnummer -359) mit einem bis zum 30. März 2018 festen Nominalzinssatz von 4,80% p.a. Ob die Verträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurden, hat das Berufungsgericht offengelassen. Zur Sicherung der Ansprüche der Klägerin diente eine Buchgrundschuld über 170.000 €. Bei Abschluss der Darlehensverträge belehrte die Klägerin die Beklagten über ihr Widerrufsrecht wie folgt:

Die Beklagten erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen. Im Mai 2015 einigten sich die Parteien auf eine vorzeitige Beendigung der Darlehensverträge. Die Beklagten leisteten Aufhebungsentgelte. Die Klägerin gab die Sicherheit frei. Unter dem 29. Februar 2016 widerriefen die Beklagten ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen.

Die Klage auf Feststellung, dass sich die näher bezeichneten Darlehensverträge durch den Widerruf vom 29. Februar 2016 nicht in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt hätten, hat das Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ausgeführt:

Die begehrte Feststellung sei nicht zu treffen, weil die Beklagten ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen wirksam widerrufen hätten. Die erteilten Widerrufsbelehrungen hätten nicht dem Deutlichkeitsgebot genügt. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung könne sich die Klägerin nicht berufen.

Darauf, ob die Darlehensverträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden seien, komme es nicht an. Die Regelung, der zufolge das nach fernabsatzrechtlichen Vorschriften gewährte Widerrufsrecht erlösche, sofern der Vertrag von beiden Seiten auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers vollständig erfüllt worden sei, bevor der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausgeübt habe, sei nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auf das bei Verbraucherdarlehensverträgen vorrangig und ausschließlich gewährte Widerrufsrecht nicht anwendbar.

Die Beklagten hätten das Widerrufsrecht auch nicht verwirkt. Die Beklagten hätten das Fortbestehen ihres Widerrufsrechts nicht erkennen können. Der Gewinn einer entsprechenden Erkenntnis sei ihnen aufgrund der scheinbar ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung noch schwerer gefallen. Von Verwirkung könne auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil die Darlehensverträge mehr als neun Monate vor Erklärung des Widerrufs beendet und vollständig abgewickelt worden seien. Ohne das Hinzutreten besonderer, hier nicht ersichtlicher Umstände rechtfertige die auf Wunsch des Verbrauchers erfolgte vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrags "nicht zugleich ein Vertrauen der Bank darauf, dass der Verbraucher den Vorgang für abgeschlossen" betrachte. Jedenfalls dann, wenn der Darlehensnehmer - wie hier - zur Zahlung eines Aufhebungsentgelts bereit sei, liege die Annahme nahe, dass er allein deshalb von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mache, weil er sich für unwiderruflich an den Darlehensvertrag gebunden halte. Ein Vertrauen des Darlehensgebers darauf, dass der Darlehensnehmer die Vertragsabwicklung als endgültig betrachte, könne daher erst dann gerechtfertigt sein, wenn nach der Abwicklung des Vertragsverhältnisses eine längere Zeitspanne verstrichen sei, während derer sich für den Darlehensgeber keine Anhaltspunkte ergäben, dass sich der Darlehensnehmer die Geltendmachung des Widerrufsrechts zumindest vorbehalten wolle. Die zwischen der Abwicklung der Darlehen im Mai 2015 und der Erklärung des Widerrufs im Februar 2016 liegende Zeitspanne sei zu gering.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht freilich entgegen den Einwänden der Revision zu dem Ergebnis gelangt, den Beklagten sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB - vorbehaltlich einer weiteren Überprüfung anhand des § 242 BGB das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen. Die den Beklagten erteilten Widerrufsbelehrungen unterrichteten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 18 mwN). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung kann sich die Klägerin, die unter der Überschrift "Finanzierte Geschäfte" den Gestaltungshinweis (9) nicht vollständig umgesetzt hat, entgegen der Rechtsmeinung der Revision nicht berufen (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, BGHZ 212, 207 Rn. 27).

2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht zudem angenommen, es könne dahinstehen, ob die Darlehensverträge im Wege des Fernabsatzes geschlossen worden seien, weil auch in diesem Fall die Regelung über das Erlöschen des Widerrufsrechts nach § 312d Abs. 3 Nr. 1 BGB in der hier weiter maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 3. August 2009 geltenden Fassung keine Anwendung finde. Der Senat hat mit Urteil vom 15. Oktober 2019 ( XI ZR 759/17, n.n.v.) im Anschluss an sein Urteil vom 3. Juli 2018 ( XI ZR 702/16, WM 2018, 1601 Rn. 10 ff.) nochmals eingehend begründet, dass und warum es ihm auch im Lichte des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 11. September 2019 ( C-143/18, "Romano", WM 2019, 1919 ff.) aufgrund der eindeutigen deutschen Gesetzeslage nicht möglich ist, im demokratisch verfassten Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG ) contra legem eine Regelung anzuwenden, deren Geltung für den Verbraucherdarlehensvertrag der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich gemäß § 312d Abs. 5 BGB in der ab dem 8. Dezember 2004 geltenden Fassung ausgeschlossen hat. Das Berufungsurteil entspricht dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung.

3. Dagegen weisen die Überlegungen, die das Berufungsgericht zu dem Resultat geführt haben, das Widerrufsrecht sei bei Ausübung nicht verwirkt gewesen, Rechtsfehler auf.

a) Das gilt zunächst für das vom Berufungsgericht gegen eine Verwirkung angeführte Argument, aus dem Wunsch nach vorzeitiger Beendigung des Darlehensvertrags gegen ein Aufhebungsentgelt könne im Sinne des Umstandsmoments nichts abgeleitet werden, weil der Darlehensnehmer - hätte er um sein Widerrufsrecht gewusst - nicht abgelöst, sondern widerrufen hätte. Das Berufungsgericht hat damit der Sache nach unterstellt, der tatrichterlichen Würdigung, der Darlehensnehmer habe das Widerrufsrecht entgegen § 242 BGB ausgeübt, stehe es entgegen, dass der Darlehensgeber im Zuge der Verhandlungen über die vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrags keine Nachbelehrung erteilt habe. Die Nachbelehrung hat indessen nicht den Zweck, den Darlehensnehmer in Fällen der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags vor der Entrichtung eines Aufhebungsentgelts zu bewahren. Der Darlehensgeber hat die Möglichkeit, nicht eine Verpflichtung zur Nachbelehrung. Die Verpflichtung, den Darlehensnehmer deutlich über sein aus § 495 Abs. 1 BGB folgendes Widerrufsrecht nach Maßgabe des bis zum 10. Juni 2010 geltenden Rechts zu belehren, ist keine Dauerverpflichtung, die ab dem Vertragsschluss als Verpflichtung zur Nachbelehrung gleichsam ständig neu entstünde. Mit der Präzisierung der Modalitäten einer Nachbelehrung im Zuge der Einführung des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Fassung des OLG-Vertretungsänderungsgesetzes vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2850 ) wollte der Gesetzgeber vielmehr befürchtete Härten für die Unternehmer aus der zeitgleichen Einführung des § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB kompensieren (Senatsurteil vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 20; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 19). Soweit sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Mai 2017 ( 6 U 192/16, juris Rn. 39) berufen hat, hat das Oberlandesgericht Stuttgart, worauf die Revision zutreffend hinweist, die dort eingenommene Position vor Erlass des Berufungsurteils ausdrücklich aufgegeben (OLG Stuttgart, WM 2018, 373 , 375; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteile vom 12. Dezember 2017 - 6 U 174/14, juris Rn. 22 und - 6 U 316/16, juris Rn. 9).

b) Das Berufungsurteil steht weiter in Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, "nach der Abwicklung des Vertragsverhältnisses" müsse, damit das Umstandsmoment erfüllt sei, "eine längere Zeitspanne verstrichen" sein, wobei eine Zeitspanne von neun Monaten nicht genüge. Der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf kann zwar gerade im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs (vgl. Senatsbeschluss vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, WM 2017, 2146 Rn. 8) bei der Prüfung des Umstandsmoments Berücksichtigung finden (Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 14 und vom 25. September 2018 - XI ZR 462/17, juris Rn. 11). Insofern gelten aber zugunsten des Darlehensnehmers keine Mindestzeitspannen.

c) Das Berufungsgericht hat überdies verkannt, dass die Freigabe von Sicherheiten oder der weitere Einsatz der vom Darlehensnehmer erlangten Mittel in Konstellationen wie der vorliegenden durchaus geeignet sein können, auch für sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Darlehensgebers zu begründen (Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 34 und vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 16 f.). Sie gewinnen - anders als vom Berufungsgericht angenommen - nicht erst dann Relevanz, wenn eine Mindestzeitspanne zwischen der Beendigung des Darlehensvertrags und dem Widerruf verstrichen ist oder der Darlehensgeber davon ausgehen kann, der Darlehensnehmer habe in die vorzeitige Beendigung in Kenntnis der Möglichkeit eines Widerrufs seiner auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärung eingewilligt.

III.

Das Berufungsurteil, das sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ), unterliegt mithin der Aufhebung (§ 562 ZPO ). Insbesondere kann der Senat der dem Tatrichter obliegenden Würdigung, ob der Ausübung des Widerrufsrechts § 242 BGB entgegengestanden habe, nicht vorgreifen (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteil vom 9. April 2019 - XI ZR 70/18, juris Rn. 16 mwN). Er verweist die Sache daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

Verkündet am: 22. Oktober 2019

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Cottbus, vom 28.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 268/16
Vorinstanz: OLG Brandenburg, vom 28.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 U 67/17
Fundstellen
MDR 2020, 233
WM 2020, 84
ZIP 2020, 69