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BGH - Entscheidung vom 23.04.2019

2 StR 79/19

Normen:
BGB § 187 Abs. 1
StPO § 404 Abs. 2
ZPO § 291 S. 1

BGH, Beschluss vom 23.04.2019 - Aktenzeichen 2 StR 79/19

DRsp Nr. 2019/14309

Verpflichtung des Angeklagten zur Zahlung von Schadenersatz für alle materiellen und immateriellen Schäden; Miteinbeziehung aller aus den Taten zukünftig entstehenden Schäden; Fehlen einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung; Beginn der Verpflichtung des Angeklagten zur Zinszahlung

Verlangt der Geschädigte für durch einen sexuellen Missbrauch erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden können.

Tenor

1.

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Oktober 2018 wird als unbegründet verworfen, jedoch mit der Maßgabe, dass

a)

Zinsen auf das Schmerzensgeld für die Nebenklägerinnen jeweils ab dem 14. September 2018 zu zahlen sind und

b)

der Ausspruch über die Verpflichtung des Angeklagten zur Zahlung von Schadenersatz für alle materiellen und immateriellen Schäden, die der Nebenklägerin R. aus den Taten zukünftig entstehen, aufgehoben wird. Insoweit wird von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen.

2.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Neben- und Adhäsionsklägerinnen hierdurch verursachten besonderen Auslagen zu erstatten. Jedoch trägt die Staatskasse die durch den Feststellungsausspruch für die Nebenklägerin R. entstandenen zusätzlichen Auslagen.

Normenkette:

BGB § 187 Abs. 1 ; StPO § 404 Abs. 2 ; ZPO § 291 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und den Vorwegvollzug von zwei Jahren und drei Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet. Ferner hat das Landgericht den Angeklagten dazu verurteilt, an die Nebenklägerin R. ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro und an die Nebenklägerin K. ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 Euro, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. September 2018 zu zahlen. Dazu hat es festgestellt, dass die Ansprüche der Nebenklägerin R. aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrühren. Schließlich hat es festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Nebenklägerin R. sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die zukünftig aus dem schweren sexuellen Missbrauch entstehen, soweit nicht Ansprüche auf Dritte übergangen sind.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit es sich gegen die strafrechtliche Verurteilung richtet. Hinsichtlich der Aussprüche im Adhäsionsverfahren führt es zu den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderungen.

1. Der Ausspruch über die Verpflichtung des Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes nebst Zinsen an die Adhäsionsklägerinnen ist rechtlich im Wesentlichen nicht zu beanstanden. Jedoch ist der Zeitpunkt des Zinsbeginns dahin zu ändern, dass die Verpflichtung des Angeklagten zur Zinszahlung nicht am 13. September 2018, dem Tag des Eingangs der Antragsschriften bei Gericht, sondern am 14. September 2018 beginnt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnt die Verpflichtung zur Zinszahlung gemäß § 404 Abs. 2 StPO , § 291 Satz 1, § 187 Abs. 1 BGB analog erst ab dem auf den Eintritt der Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 292/18, NStZ-RR 2019, 96 mwN).

2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Ausspruch über die Feststellung, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Nebenklägerin R. sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen hat, die aus dem schweren sexuellen Missbrauch zukünftig entstehen, soweit nicht Ansprüche auf Dritte übergegangen sind.

a) Dieser Ausspruch ist wegen Fehlens einer auf den Einzelfall bezogenen Begründung rechtsfehlerhaft.

aa) Auch der Feststellungsausspruch bedarf grundsätzlich einer – gegebenenfalls kurzen – Begründung mit Blick auf die Umstände des Einzelfalls (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344 ), soweit sich der Ausspruch nicht ohne weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erklärt. Daran fehlt es hier.

bb) Die Urteilsgründe enthalten nur die floskelhafte Bemerkung, es sei festzustellen, dass der Angeklagte „alle immateriellen Schäden zu ersetzen habe“. Das reicht nicht aus.

(1) Bezüglich künftiger materieller Schäden der am 6. Oktober 2006 geborenen Nebenklägerin R. findet sich im Urteil kein Anhaltspunkt für die Wahrscheinlichkeit solcher Zukunftsschäden der Adhäsionsklägerin aufgrund der Straftaten des Angeklagten.

(2) Auch die Wahrscheinlichkeit künftiger immaterieller Schäden, die nicht bereits von dem Ausspruch über die Verurteilung des Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000 Euro umfasst sind, erschließt sich nicht.

Verlangt der Geschädigte für erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld, so werden nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes davon alle Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar sind oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden können (st. Rspr., BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15, NJW-RR 2018, 1426 , 1427 mwN). Daher war auch die Feststellung des Landgerichts, dass sich die Adhäsionsklägerin R. seit Juli 2018 weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung befindet, bereits in die Bemessung des Umfangs der Zahlungspflicht des Angeklagten aufgrund der Leistungsklage einzubeziehen. Hinweise auf die Wahrscheinlichkeit anderer zukünftiger immaterieller Schäden enthalten die Urteilsgründe nicht.

b) Der Feststellungsausspruch ist daher aufzuheben. Danach ist auszusprechen, dass von einer Entscheidung über den geltend gemachten Feststellungsanspruch abzusehen ist (§ 406 Abs. 3 Satz 3 StPO ). Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 1987 – 2 StR 106/87, BGHR StPO § 405 Feststellungsmangel 1; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2011 – 5 StR 471/11, BeckRS 2012, 1453).

3. Die Kostenentscheidung folgt, soweit die Revision zum Adhäsionsausspruch Erfolg hat, aus § 472a Abs. 2 StPO , im Übrigen aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO .

Vorinstanz: LG Bonn, vom 31.10.2018