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BGH - Entscheidung vom 13.06.2019

V ZB 132/17

Normen:
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 13.06.2019 - Aktenzeichen V ZB 132/17

DRsp Nr. 2019/11014

Unzulässige Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines zurechenbaren Anwaltsverschuldens; Notwendiger Eingang eines fristgebundenen Schriftsatzes innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht

Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass ausgebildetes und bisher zuverlässiges Büropersonal eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Liegen jedoch Umstände vor, die dem Rechtsanwalt Anlass geben, an der Umsetzung seiner Arbeitsanweisung durch die Büroangestellte zu zweifeln, hat er deren Ausführung zu überprüfen.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 24. April 2017 wird auf Kosten der Kläger als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.000 €.

Normenkette:

ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Kläger haben gegen ein ihren Prozessbevollmächtigen am 9. November 2016 zugestelltes Urteil, mit dem ihre Klage teilweise abgewiesen worden ist, am 9. Dezember 2016 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2017, eingegangen am gleichen Tag, haben die Kläger die Berufung begründet und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten ihrer Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am 9. November 2016 das Anlegen einer Berufungsakte, die Eintragung der Fristen im Kalender und die sofortige Wiedervorlage der Handakte nebst Ausführungsvermerk verfügt. Die bislang stets zuverlässige Büroangestellte habe diese Anweisungen in seiner Gegenwart notiert und die Akte angelegt, die Eintragung der Fristen aber vergessen und die Akte erst am 10. Januar 2017 vorgelegt. Auf gerichtlichen Hinweis haben die Kläger ergänzend vorgetragen, dass der sachbearbeitende Rechtsanwalt bereits am 9. November 2016 die Berufungsschrift unterzeichnet und in die Postmappe gelegt habe, um sie bei einer Mandatierung abzusenden, den Klägern aber möglichst lange Bedenkzeit zu lassen. Am 8. Dezember 2016 habe er die Berufungsschrift selbst abgesandt, ohne die Handakte beizuziehen.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, den Klägern könne eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, da ein ihnen zurechenbares Anwaltsverschulden vorliege. Bescheinige der Anwalt - wie hier am 9. November 2016 geschehen - den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, steigere dies die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibe, und erhöhe damit die Sorgfaltspflicht des Anwalts. Er müsse, falls er sich die mit dem entsprechenden Vermerk versehene Handakte nicht sogleich nachreichen lasse oder er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen vornehme, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Notierungen veranlassen. Ob die hier erteilte Einzelanweisung den an sie zu stellenden Anforderungen genüge, sei bereits zweifelhaft, könne aber offenbleiben, da sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass die Fristen weisungswidrig nicht notiert worden seien. So hätten sich dem sachbearbeitenden Anwalt Zweifel an der Erfassung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender aufdrängen müssen, als weisungswidrig die sofortige Vorlage der Handakte unterblieben sei. Zudem habe er nach seinen eigenen Angaben die Berufungsschrift schon am 9. November 2016 - mithin vor Anlage der Handakten - gefertigt, sie sodann längere Zeit in einer Postausgangsmappe aufbewahrt und erst am 8. Dezember 2016, dem vorletzten Tag der Berufungsfrist, versandt, ohne dass ihm die Handakten anlässlich des bevorstehenden Ablaufs der Berufungsfrist vorgelegen hätten. Bei Eintragung der Berufungsfrist nebst Vorfrist von einer Woche hätte ihm aber die Handakte vorliegen müssen. Da dies nicht erfolgt sei, habe ein dringender Anlass bestanden, sich die Handakte vorlegen zu lassen und die ordnungsgemäße Eintragung der Fristen zu überprüfen.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO zwar statthaft; sie ist aber unzulässig, da die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 87 , 89) nicht vorliegen. Das Berufungsgericht hat durch die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags insbesondere nicht den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert.

2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 ZPO ) auf ein den Klägern gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigen beruht und daher ein Wiedereinsetzungsgrund nicht vorliegt.

a) Der Prozessbevollmächtigte einer Partei hat durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - VI ZB 45/16, MDR 2017, 782 Rn. 6 mwN). Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung grundsätzlich nur unterzeichnen und zurückgeben darf, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass diese im Fristenkalender notiert worden ist. Bescheinigt der Rechtsanwalt - wie hier - den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt oder unzutreffend ist und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er sich die mit dem entsprechenden Vermerk versehene Handakte nicht sogleich nachreichen lässt oder er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Notierungen veranlassen (BGH, Beschluss vom 19. September 2013 - III ZR 202/13, juris Rn. 4 mwN).

b) Hier hat der sachbearbeitende Rechtsanwalt zwar eine solche Einzelanweisung erteilt. Entgegen den von dem Berufungsgericht angeführten Zweifeln dürfte diese weder im Hinblick auf ihren Inhalt noch auf ihre Form zu beanstanden und damit die von einem ordentlichen Rechtsanwalt zu fordernde übliche Sorgfalt gewahrt sein. Diese und nicht die äußerste und größtmögliche Sorgfalt ist der Verschuldensmaßstab (Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZB 21/11, NJW-RR 2012, 122 Rn. 12). Letztlich kann dies aber offenbleiben.

c) Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass sich Anhaltspunkte ergaben, die den sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten zur Überprüfung der Ausführung seiner Anweisung hätten veranlassen müssen.

aa) Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass ausgebildetes Büropersonal, das sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend zu vergewissern, ob eine erteilte Weisung auch ausgeführt worden ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Februar 2016 - VII ZB 36/15, NJW 2016, 1740 Rn. 12; Beschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 Rn. 12 jeweils mwN). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Liegen Umstände vor, die dem Rechtsanwalt Anlass geben, an der Umsetzung seiner Arbeitsanweisung durch die Büroangestellte zu zweifeln, hat er deren Ausführung zu überprüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - V ZB 161/14, NJW 2016, 718 Rn. 14).

bb) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ergeben sich derartige Umstände allerdings nicht daraus, dass dem sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten die Handakte nicht - wie angeordnet - sofort nach ihrer Anlage vorgelegt wurde. Konnte sich der Anwalt auf die Ausführung seiner Anweisung verlassen, stellt sich die zusätzliche Anweisung, den Vorgang „sofort“, also noch vor Eintritt der angeordneten Vorfrist, wieder vorzulegen, als zusätzliche, das gebotene Maß an Sorgfalt übersteigende weitere Sicherungsmaßnahme dar. Derartige, nach Sachlage an sich nicht gebotene Maßnahmen führen aber nicht zur Verschärfung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten. Ein etwaiger Pflichtverstoß im Bereich dieser zusätzlichen Kontrollebene kann dem Anwalt daher nicht vorgehalten werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 54/15, NJW-RR 2016, 126 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 - VII ZB 95/08, NJW 2011, 1080 Rn. 13; Beschluss vom 22. März 1995 - VIII ZB 2/95, NJW 1995, 1682 jeweils mwN).

cc) Zweifel an der Ausführung der Anweisung mussten sich dem sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten - wie das Beschwerdegericht zutreffend annimmt - aber aufdrängen, als er am 8. Dezember 2016 die Versendung der Berufungsschrift veranlasste. Bei einer ordnungsgemäßen Ausführung der der Büroangestellten erteilten Einzelanweisung hätte neben der Berufungsfrist eine Vorfrist eingetragen werden müssen. Ihm hätte daher am 8. Dezember 2016 die Handakte bereits vorliegen müssen. Nach dem Inhalt der ergänzenden Ausführungen zum Wiedereinsetzungsantrag lag dem sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigen jedoch nur die bereits am 9. November 2016 gefertigte Berufungsschrift vor. Er durfte sich daher nicht auf die Veranlassung der Absendung der Berufungsschrift beschränken, sondern hätte die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelfristen im Fristenkalender jedenfalls anhand der Handakte überprüfen müssen (zu weitergehenden Prüfungspflichten vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 - VI ZB 40/16, MDR 2017, 1380 Rn. 11). In dieser hätte sich nach dem Inhalt der vorgetragenen Einzelanweisung ein auf die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender bezogener Erledigungsvermerk befinden müssen. Bei einer entsprechenden Prüfung wäre zu Tage getreten, dass die von dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt erteilte Anweisung nicht ausgeführt worden war. Das Berufungsgericht hat daher zu Recht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO . Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat nach der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts bestimmt.

Vorinstanz: LG Mannheim, vom 25.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 157/13
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 24.04.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 12 U 45/17