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BGH - Entscheidung vom 10.01.2019

V ZB 159/17

Normen:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
AsylG § 55 Abs. 1
AsylG § 71 Abs. 1
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1
AsylG § 55 Abs. 1
AsylG § 71 Abs. 1
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und S. 2
VwVfG § 51 Abs. 1
VwVfG § 51 Abs. 2
VwVfG § 51 Abs. 3
AsylG § 71 Abs. 1 S. 1
FamFG § 58

Fundstellen:
ZAR 2020, 152

BGH, Beschluss vom 10.01.2019 - Aktenzeichen V ZB 159/17

DRsp Nr. 2019/6586

Unterbrechen der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die für den Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche vollziehbare Ausreisepflicht durch einen Asylfolgeantrag

Ein Asylfolgeantrag unterbricht die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die für den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche vollziehbare Ausreisepflicht nur und erst dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 9. Juni 2017 den Betroffenen in dem Zeitraum bis zum 28. Juni 2017 in seinen Rechten verletzt hat.

Von den Gerichtskosten trägt der Betroffene 30 % mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von Dolmetscherkosten abzusehen ist. Weitere Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Stadt Hamburg trägt 70 % der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Im Übrigen trägt sie dieser selbst.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und S. 2; VwVfG § 51 Abs. 1 ; VwVfG § 51 Abs. 2 ; VwVfG § 51 Abs. 3 ; AsylG § 71 Abs. 1 S. 1; FamFG § 58 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste eigenen Angaben zufolge Ende 2014 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stellte mit Bescheid vom 13. Januar 2015 fest, dass ihm kein Asylrecht zustehe, weil ihm bereits in Italien internationaler Schutz (Flüchtlingseigenschaft) gewährt worden war. Es drohte ihm die Abschiebung nach Italien an. Mit Verfügung vom 5. April 2016 erließ es ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt der Abschiebung. Im Oktober 2016 wurde der Betroffene nach Italien abgeschoben. Am 29. November 2016 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein und stellte einen weiteren Asylantrag. Diesen lehnte das BAMF mit Bescheid vom 2. Dezember 2016 als unzulässig ab. Eine für den 16. Mai 2017 geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden, da der Betroffene nicht angetroffen wurde.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 9. Juni 2017 Sicherungshaft bis zum 21. Juli 2017 angeordnet. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen, der am 20. Juni 2017 einen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht gestellt hat, am 29. Juni 2017 zurückgewiesen. Nachdem das Verwaltungsgericht am 6. Juli 2017 angeordnet hatte, dass er vorläufig nicht nach Italien abgeschoben werden dürfe, ist der Betroffene am 7. Juli 2017 aus der Haft entlassen worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er festzustellen, dass er durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in seinen Rechten verletzt worden ist. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Landgericht meint, der Haftantrag sei zunächst unzulässig gewesen, der Mangel sei aber im Beschwerdeverfahren geheilt worden. Es könne offenbleiben, ob der von dem Amtsgericht angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG erfüllt sei. Jedenfalls sei der Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG gegeben, zu dem der Betroffene ebenfalls angehört worden sei. Der Betroffene sei unter Verstoß gegen das ihm am 5. April 2016 auferlegte befristete Einreiseverbot eingereist. Die Anordnung der Haft erweise sich als verhältnismäßig. Die mit Arztbrief vom 7. Juni 2017 belegte Erkrankung und die Anerkennung der Vaterschaft für ein in Deutschland lebendes Kind stünden der Anordnung der Haft nicht entgegen. Die Bewertung dieser Umstände sei allein Aufgabe des Verwaltungsgerichts, das bereits mit einem gegen die Abschiebung gerichteten Eilantrag des Betroffenen vom 20. Juni 2017 befasst sei.

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG nach Erledigung der Hauptsache durch die Entlassung des Betroffenen aus der Haft mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthaft (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150 Rn. 9 f.) und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG ). Mit ihr kann, wenn sich - wie hier - eine Freiheitsentziehung in der Hauptsache nach der Beschwerdeentscheidung erledigt hat, auch im Rechtsbeschwerdeverfahren die Feststellung verlangt werden, dass die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts den Rechtsbeschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152 Rn. 4). Die richterliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft beruht auf dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach einem Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht, das weder von dem Ablauf des Verfahrens noch von dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme abhängt (vgl. BVerfGE 104, 220 , 235; Senat, Beschluss vom 28. April 2011 - V ZB 292/10, FGPrax 2011, 200 Rn. 8; Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 238/11, FGPrax 2013, 39 Rn. 6).

2. Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet. Die Haftanordnung war bis zur Entscheidung des Beschwerdegerichts am 29. Juni 2017 rechtswidrig. Die Aufrechterhaltung über diesen Zeitpunkt hinaus hat den Betroffenen dagegen nicht in seinen Rechten verletzt.

a) aa) Die Haftanordnung des Amtsgerichts war rechtswidrig, weil es, wovon auch das Beschwerdegericht ausgeht, an einem zulässigen Haftantrag fehlte. Die Angaben der beteiligten Behörden in dem Haftantrag vom 9. Juni 2017 zur erforderlichen Dauer der Haft (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG ) waren unzureichend. Ohne einen zulässigen Haftantrag der Behörde darf der Richter die beantragte Sicherungshaft nicht anordnen (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2013 - V ZB 162/12, InfAuslR 2014, 51 Rn. 6 mwN; Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 29/17, InfAuslR 2018, 139 Rn. 6 mwN; Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 11).

bb) Der Mangel des Haftantrags ist zwar während des Beschwerdeverfahrens geheilt worden, indem die Behörde ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag geschlossen und das Beschwerdegericht den Betroffenen zu den ergänzenden Angaben persönlich gehört hat (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.; Beschluss vom 15. September 2016 - V ZB 30/16, juris Rn. 9 mwN; Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris Rn. 6; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 5). Die ohne einen ordnungsgemäßen Antrag der Behörde angeordnete und vollzogene Haft verletzt den Betroffenen aber bis zu der Behebung des Mangels in seinem Freiheitsgrundrecht (vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 12). Die Heilung des Mangels tritt nämlich nur mit Wirkung für die Zukunft ein (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, aaO Rn. 21; Beschluss vom 17. November 2016 - V ZB 90/16, juris Rn. 6), und zwar mit der Entscheidung des (Beschwerde-)Gerichts über die Fortdauer der Haft (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6, 10 ). Das ist hier am 29. Juni 2017 geschehen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die angeordnete und vollzogene Haft rechtswidrig.

b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist hingegen nicht zu beanstanden.

aa) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, hätte das Beschwerdegericht nicht im Hinblick darauf, dass der Haftantrag zunächst unzulässig war, die Rechtswidrigkeit der Haft bis zum 28. Juni 2017 feststellen müssen. Der Betroffene kann für den Fall, dass die Haft durch die Entscheidung über die Beschwerde beendet wird, die Beschwerde gegen die Haftanordnung nach §§ 58 ff. FamFG mit einem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG verbinden. Ist das geschehen, muss das Beschwerdegericht über beide Anträge entscheiden (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 238/11, FGPrax 2013, 39 Rn. 6; Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 7 mwN; Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 7). Stellt der Betroffene dagegen - wie hier - in der Beschwerdeinstanz keinen Feststellungsantrag, besteht für das Beschwerdegericht kein Grund, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen. Der Feststellungsantrag ist nicht als Minus in dem auf Beendigung der Haft gerichteten Beschwerdeantrag enthalten.

bb) Das Beschwerdegericht bejaht rechtsfehlerfrei den Haftgrund der unerlaubten Einreise gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG .

(1) Zwar wurde die Haft nicht zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen in sein Heimatland, sondern nach Italien als dem Erstaufnahmestaat angeordnet. Die Anordnung der Haft richtete sich aber gleichwohl nicht nach den Vorschriften über die Rücküberstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat nach Art. 28 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (fortan: Dublin-III-Verordnung), sondern nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG .

(a) Ohne Erfolg weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, es sei umstritten, ob die Dublin-III-Verordnung noch anwendbar sei, wenn ein Ausländer in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits subsidiären Schutz erhalten habe und er nunmehr einen Folgeantrag mit dem Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stelle (sog. Aufstockung). Diese Frage, die das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hat (Vorlagebeschlüsse vom 23. März 2017 - 1 C 17.16, BVerwGE 158, 271 Rn. 41, und 1 C 18.16, 1 C 20.16, jeweils juris Rn. 41 ff.; vgl. dazu Mantel, Asylmagazin 2017, 297, 298), stellt sich hier schon deshalb nicht, weil der Betroffene in Italien nicht nur subsidiären, sondern internationalen Schutz erhalten hat, der auch die Flüchtlingseigenschaft umfasst (vgl. Art. 2 Buchst. a, b und f der Dublin-III-Verordnung i.V.m. Art. 2 Buchst. a, b und h der Richtlinie 2011/95/EU).

(b) Auch die Frage, ob die Dublin-III-Verordnung noch anwendbar ist, wenn - wie hier - einem Ausländer in einem Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, kann offenbleiben. Sie bedarf im Haftverfahren keiner Entscheidung.

(aa) Wenn die Behörde das Dublin-III-Verfahren als beendet ansieht und die Entscheidung trifft, die Abschiebung des Ausländers nach § 58 AufenthG in einen EU-Mitgliedstaat auf der Grundlage einer vollziehbaren Abschiebungsandrohung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 34a AsylG zu betreiben, unterliegt auch die Haftanordnung nicht der Dublin-III-Verordnung, sondern kann unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 AufenthG angeordnet werden. Ob die Behörde das richtige Verfahren gewählt hat, hat der Haftrichter grundsätzlich nicht zu prüfen. Die Tätigkeit der Ausländerbehörde und des Bundesamts unterliegt insoweit der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - V ZB 80/17, zur Veröffentlichung bestimmt).

(bb) Hier hat die beteiligte Behörde das Dublin-Verfahren als abgeschlossen angesehen und entschieden, den Betroffenen nach Italien als Erstaufnahmestaat abzuschieben. Grundlage dafür war der Bescheid des BAMF vom 2. Dezember 2016. In diesem hat das BAMF den weiteren Asylantrag zurückgewiesen und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und der Betroffene kein Recht auf Verbleib im Bundesgebiet hat, weil er gemäß Art. 41 Abs. 1 Buchst. a VRL (Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU, ABl. EG Nr. L 180 S. 60) den Folgeantrag (§ 71 AsylG ) nur zur Verzögerung der Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung gestellt habe; die mit Bescheid vom 13. Januar 2015 erlassene Abschiebungsandrohung nach Italien (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ) sei weiter gültig und vollziehbar. An der von der beteiligten Behörde getroffenen Entscheidung, daraufhin die Abschiebung des Betroffenen nach Italien als sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG = § 26a AsylG ) und nicht dessen Rücküberstellung aufgrund der Dublin-III-Verordnung zu betreiben, waren das Amtsgericht und das Beschwerdegericht - entsprechendes gilt für den Senat als Rechtsbeschwerdegericht - gebunden. Zur Sicherung einer solchen Abschiebung konnte die Haft unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG angeordnet werden (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - V ZB 79/15, InfAuslR 2016, 108 Rn. 9).

(2) Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG lag vor. Der Betroffene ist unter Verstoß gegen das befristete Einreiseverbot und damit unerlaubt eingereist (vgl. § 11 Abs. 1 , § 14 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ).

(a) Etwas anderes folgt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht daraus, dass nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts die Befristungsverfügung vom 5. April 2016 dem Betroffenen bei der (ersten) Abschiebung am 18. Oktober 2016 erst auf dem Flughafen übergeben worden ist. Zwar darf die Abschiebung eines Betroffenen nur erfolgen, wenn ihm zuvor die Entscheidung über die Befristung des Einreiseverbots bekannt gemacht wird, und zwar so frühzeitig, dass er noch in Deutschland Rechtsschutz dagegen organisieren kann (vgl. Senat, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 194/14, FGPrax 2016, 33 Rn. 5). Das bedeutet hier aber nur, dass die Befristung des Einreiseverbots, das die Abschiebung des Betroffenen vom 18. Oktober 2016 ausgelöst hat, in einem zeitlichen Abstand vor dieser Abschiebung hätte bekannt gegeben werden müssen, der es ihm erlaubt hätte, die gerichtliche Überprüfung noch im Inland in die Wege zu leiten. Auf die von der Behörde hier erstrebte (zweite) Abschiebung im Jahr 2017 wirkt sich das indes nicht aus. Nachdem die Befristungsentscheidung vom 5. April 2016 rechtskräftig geworden ist, war die Wiedereinreise des Betroffenen unerlaubt. Die tatrichterliche Würdigung, dass die Befristungsentscheidung tatsächlich am 18. Oktober 2016 zugestellt worden ist, unterliegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen die aus ihnen gezogenen Schlüsse als möglich erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2016 - V ZB 26/16, juris Rn. 6; Beschluss vom 13. Februar 2012 - V ZB 46/11, juris Rn. 9; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 40/11, juris Rn. 7 jeweils mwN). Sie ist in diesem Rahmen nicht zu beanstanden.

(b) Dass der Betroffene am 29. November 2016 einen Asylfolgeantrag gestellt hat, lässt die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht nicht entfallen.

(aa) Bei dem Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG muss die vollziehbare Ausreisepflicht auf der unerlaubten Einreise beruhen. An der Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht fehlt es, wenn der Betroffene nach seiner Einreise einen Asylantrag gestellt hat und ihm deshalb nach § 55 Abs. 1 und 3 AsylG der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist. Eine solche zwischenzeitliche Aufenthaltsgestattung lässt die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die vollziehbare Ausreisepflicht entfallen (Senat, Beschluss vom 9. November 2017 - V ZB 15/17, juris Rn. 4; Beschluss vom 16. Februar 2017 - V ZB 10/16, juris Rn. 6; Beschluss vom 28. Oktober 2010 - V ZB 210/10, InfAuslR 2011, 71 Rn. 19; vgl. auch Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 119/10, juris Rn. 21).

(bb) Der Betroffene hat durch den weiteren Asylantrag keine Aufenthaltsgestattung erlangt. Der Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG ) ist zwar ein Asylantrag im Sinne des § 13 AsylG . Er unterbricht die Ursächlichkeit der unerlaubten Einreise für die für den Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderliche vollziehbare Ausreisepflicht aber nicht, wenn kein Asylverfahren durchgeführt wird, sondern nur und erst dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bejaht und ein weiteres Asylverfahren durchführt (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ). Denn nur dann erlangt der Ausländer eine Aufenthaltsgestattung i.S.d. § 55 Abs. 1 AsylG . Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 12/2062, S. 37) und entspricht der weit überwiegenden Ansicht in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum (vgl. VGH Mannheim, VBlBW 1995, 327 , 328; VGH München, NVwZ-Beil. 1994, 59 , 60; VG Oldenburg, InfAuslR 1993, 203 , 204; Bergmann/Dienelt/Bergmann, AsylG , 12. Aufl., § 71 Rn. 15; GK -AsylVfG/Funke-Kaiser [Oktober 2017], § 71 AsylG Rn. 144 f.; Hailbronner, Ausländerrecht [Oktober 2016], § 71 Rn. 94; Marx, AsylG , 9. Aufl., § 71 Rn. 109 f.; NK-AuslR/Kerstin Müller, 2. Aufl., § 71 AsylVfG Rn. 50; Bell/Henning, ZAR 1993, 37 f.; so auch für den Zweitantrag nach § 71a AsylG : Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2017 - V ZB 41/17, InfAuslR 2018, 93 Rn. 20; a.A. VG Würzburg, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - W 6 E 00.1149, juris; VG Schleswig, EZAR 224 Nr. 24; GK -AsylVfG/Bodenbender [Juni 2008], § 55 AsylG Rn. 30). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

Der Asylfolgeantrag stand nach § 71 Abs. 8 AsylG auch nicht der Haftanordnung entgegen (zur Erforderlichkeit der Prognose zur Durchführbarkeit der Abschiebung vgl. Senat, Beschluss vom 10. September 2018 - V ZB 182/17, juris Rn. 6). Eine Abschiebungsandrohung war entbehrlich (§ 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ).

cc) Der Betroffene ist im Ergebnis auch nicht dadurch nicht in seinen Rechten verletzt worden, dass das Beschwerdegericht die Haft für den Zeitraum ab dem 29. Juni 2017 aufrechterhalten hat, ohne bei der Prüfung des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG den von dem Betroffenen bei dem Verwaltungsgericht gestellten Eilantrag in seine Prognose mit einzubeziehen.

(1) Ist über die Fortdauer der Abschiebungshaft eines Ausländers zu entscheiden, der zur Verhinderung der Abschiebung einstweiligen Rechtsschutz bei dem Verwaltungsgericht beantragt hat, setzt eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG allerdings voraus, dass der Haftrichter den Stand und voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufklärt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (zu § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG aF vgl. BVerfG, NJW 2009, 2659 Rn. 26; Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 12/10, juris Rn. 8; Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 24; zu § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vgl. Senat, Beschluss vom 11. Oktober 2018 - V ZB 70/17, juris Rn. 7; Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 118/17, InfAuslR 2018, 96 Rn. 18; BVerfGK 15, 139, 147). Anders kann es liegen, wenn allgemein bekannt ist, dass die Verwaltungsgerichte Rechtsschutzanträgen bei der Überstellung oder Abschiebung in bestimmte Länder regelmäßig stattgeben (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - V ZB 118/17, aaO Rn. 18).

(2) Dieser Aufklärungspflicht (§ 26 FamFG ) ist das Beschwerdegericht zwar nicht gerecht geworden. Der Betroffene hatte am 20. Juni 2017 verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz beantragt und dies dem Beschwerdegericht mitgeteilt. Das Beschwerdegericht hätte bei dem Verwaltungsgericht nach dem Stand sowie dem voraussichtlichen Fortgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachfragen müssen. Der Fehler hat sich aber nicht ausgewirkt (§ 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG ; vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 - V ZB 309/10, juris Rn. 20). Es kann, da der Antrag auf besondere Umstände des Einzelfalls, nämlich eine psychische Erkrankung gestützt war, nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht bei einer entsprechenden Nachfrage des Beschwerdegerichts vorab eine Aussage zu der Erfolgsaussicht des Eilantrags des Betroffenen gemacht hätte. Die Rechtsbeschwerde legt auch keine Praxis der Verwaltungsgerichte dar, wonach Eilanträgen, die sich gegen die Abschiebung nach Italien richteten, regelmäßig stattgegeben wurden. Die von dem Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Juli 2017 erlassene einstweilige Anordnung hat es damit begründet, dass angesichts des zwischenzeitlich ergangenen Vorlagebeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 ( 1 C 26.16, juris) offen sei, ob der Betroffene aufgrund der Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Italien auf europarechtskonforme Weise dorthin abgeschoben werden dürfe. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungsgericht, soweit es überhaupt zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 hatte, schon absehen konnte, dass es dem Eilantrag im Hinblick auf diese Entscheidung stattgeben werde, und dem Beschwerdegericht deshalb auf Nachfrage eine Einschätzung zu der Erfolgsaussicht mitgeteilt hätte.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG , Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Hamburg-Mitte, vom 09.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen XIV 163/17
Vorinstanz: LG Hamburg, vom 29.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 329 T 39/17
Fundstellen
ZAR 2020, 152