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BGH - Entscheidung vom 31.01.2019

I ZB 49/18

Normen:
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 31.01.2019 - Aktenzeichen I ZB 49/18

DRsp Nr. 2019/4900

Übertragung des Verfahrens zwingend an das Kollegium durch den Einzelrichter bei Rechtssachen mit einem bejahten Zulassungsgrund hinsichtlich Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters; Gewährung von Akteneinsicht

Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, in denen er einen Zulassungsgrund bejaht, das Verfahren zwingend an das Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Gebot des gesetzlichen Richters.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss des Landgerichts München I - 16. Zivilkammer - vom 9. Mai 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 2.000 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I. Die Schuldnerin wurde wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft in das zentrale Schuldnerverzeichnis eingetragen. Den Widerspruch der Schuldnerin hat das Vollstreckungsgericht mit Beschluss vom 5. Dezember 2017 zurückgewiesen; dagegen hat sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Die Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin haben Akteneinsicht beantragt und um Übersendung der Akten, zunächst an ihre Kanzlei in A. , später an das Amtsgericht Augsburg gebeten. Das Vollstreckungsgericht hat Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle gewährt, die nicht in Anspruch genommen worden ist. Mit Beschluss vom 8. März 2018 ist der Antrag auf Übersendung der Akte an das Amtsgericht Augsburg abgelehnt worden. Auch dagegen hat sich die Schuldnerin mit der sofortigen Beschwerde gewandt.

II. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerden zurückgewiesen. Es hat angenommen, mit dem Beschluss vom 5. Dezember 2017 sei rechtliches Gehör nicht versagt worden, weil die Versendung der Akte an das Amtsgericht Augsburg zu Recht versagt worden sei. Die Schuldnerin habe einen Anspruch auf Gewährung von Akteneinsicht. Die Entscheidung über die Versendung der Akten stehe dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Bei einer Abwägung im Einzelfall sei es vorliegend vertretbar, die Möglichkeit zur Einsichtnahme auf die Geschäftsräume des Vollstreckungsgerichts zu beschränken. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mir ihrer vom Beschwerdegericht - Einzelrichter - zugelassenen Rechtsbeschwerde.

III. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO ) zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache.

1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb unwirksam, weil sie durch den Einzelrichter erfolgt ist, obwohl er bei Annahme eines Zulassungsgrunds das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO der mit drei Mitgliedern besetzten Kammer (§ 75 GVG ) hätte übertragen müssen. An eine dennoch erfolgte Zulassung ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO gleichwohl gebunden (st. Rspr.; vgl. nur Beschluss vom 22. Februar 2018 - V ZB 157/17, juris Rn. 2 mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung unterliegt bereits deshalb der Aufhebung, weil sie unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergangen ist.

a) Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, in denen er einen Zulassungsgrund bejaht, das Verfahren zwingend an das Kollegium zu übertragen. Bejaht er mit der Zulassungsentscheidung zugleich die - im Sinne aller in § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsgründe zu verstehende - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Gebot des gesetzlichen Richters. Dieser Verstoß ist vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200 , 202 bis 204 [juris Rn. 6 bis 9]; Beschluss vom 8. März 2011 - VIII ZB 65/10, WuM 2011, 242 Rn. 4; Beschluss vom 14. Juni 2017 - I ZB 87/16, juris Rn. 10; Beschluss vom 22. Februar 2018 - V ZB 157/17, juris Rn. 3; Beschluss vom 19. Dezember 2018 - VII ZB 45/18, juris Rn. 8 f., jeweils mwN).

b) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht daraus, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch den Einzelrichter ausweislich seines Hinweises vom 10. Juli 2018 versehentlich erfolgt ist. Nach § 319 Abs. 1 ZPO ist eine Berichtigung des Beschlusses, in den versehentlich eine Zulassung aufgenommen wurde, grundsätzlich möglich (Musielak/Voit, ZPO , 15. Aufl., § 319 Rn. 11; Prütting/Gehrlein/Thole, ZPO , 10. Aufl., § 319 Rn. 8). Dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde unbeabsichtigt erfolgt ist, muss sich dann aber aus dem Zusammenhang des Beschlusses selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seinem Erlass oder seiner Verkündung ergeben, weil nur dann eine offenbare Unrichtigkeit vorliegen kann. Ein gerichtsintern gebliebenes Versehen, das meist nicht ohne weitere Beweiserhebung überprüft werden könnte, ist keine "offenbare" Unrichtigkeit im Sinne von § 319 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - IX ZB 114/12 juris Rn. 9 f.). An derartigen, nach außen getretenen Umständen, die den gerichtsinternen Bereich verlassen hätten, fehlt es hier. Davon ist auch der Einzelrichter zutreffend ausgegangen.

IV. Die Zurückverweisung der Sache erfolgt an den Einzelrichter, der unter Berücksichtigung der Rechtsbeschwerdebegründung sowie der Rechtsbeschwerdeerwiderung zu überprüfen haben wird, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung an die Kammer gemäß § 568 Satz 2 ZPO vorliegen.

Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG .

Vorinstanz: AG München, vom 05.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1552 M 56785/17
Vorinstanz: LG München I, vom 09.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 16 T 5450/18