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BGH - Entscheidung vom 30.04.2019

XI ZB 14/18

Normen:
KapMuG § 1 Abs. 1 Nr. 2
KapMuG § 8 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 30.04.2019 - Aktenzeichen XI ZB 14/18

DRsp Nr. 2019/12062

Schadensersatzanspruch wegen einer fehlerhaften Anlageberatung durch Verletzung von Beratungspflichten i.R.e. Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds; Verwendung der öffentlichen Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung durch Übergabe an den Kapitalanleger vor Vertragsschluss; Anordnung der Fortsetzung des Verfahrens

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG kommt eine Aussetzung nur dann in Betracht, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Der Rechtsstreit hängt in diesem Sinne erst dann von den Feststellungszielen des Musterverfahrens ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden können.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden der Beschluss des 14. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 16. März 2018 sowie der Beschluss der 30. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 2. August 2017 aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf bis 16.000 € festgesetzt.

Normenkette:

KapMuG § 1 Abs. 1 Nr. 2 ; KapMuG § 8 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen einer angeblich fehlerhaften Anlageberatung hinsichtlich ihrer Beteiligung an der S. Immobilienfonds in Anspruch.

Im März 2007 zeichnete die Klägerin eine Fondsbeteiligung an der S. Immobilienfonds . Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser Zeichnung eine Beratung durch die Beklagte vorausging. Die Klägerin behauptet hierzu, sie habe sich von ihrem Vater, dem Zeugen Dr. K. , vertreten lassen, der auf einer von der Beklagten organisierten Frankreichreise einen Kundenberater der Beklagten, den Zeugen G. , kennengelernt habe. Dieser habe ihrem Vater erklärt, dass eine Beteiligung an dem Fonds direkt über die Beklagte erfolgen könne. Nach einem Telefonat ihres Vaters mit dem Zeugen G. am 7. März 2007 sei ihr ein Zeichnungsschein übersandt worden, den sie unterzeichnet an die Beklagte zurückgeschickt habe. Sie bzw. ihr Vater seien von der Beklagten nicht ordnungsgemäß beraten worden, weil sie unter anderem über die Höhe der von der Beklagten vereinnahmten Rückvergütung getäuscht worden sei. Zudem sei der zugehörige Prospekt, der der Klägerin unstreitig rechtzeitig vor der Zeichnung der Fondsbeteiligung vorlag, in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft, worauf die Beklagte sie ebenfalls nicht hingewiesen habe.

Die Beklagte behauptet demgegenüber, sie sei zwar - was unstreitig ist Initiatorin und Anbieterin des geschlossenen Immobilienfonds gewesen, aber nicht als Beraterin oder Vermittlerin der Anlage aufgetreten. Der Zeuge G. sei nicht im Endkundengeschäft tätig, sondern mit der Vertriebspartnerbetreuung befasst gewesen. Da Informationsreisen für neu aufgelegte Fonds nur für Vertriebspartner organisiert worden seien, habe der Vater der Klägerin den Zeugen G. auf einer solchen Reise nicht kennenlernen können. Zudem befinde sich auf dem von der Klägerin vorgelegten Zeichnungsschein über den vorgesehenen Feldern für den jeweiligen Einreicher und Vermittler ein Stempel der Firma "W. GmbH". Die Beklagte hat zudem die Einrede der Verjährung erhoben.

Am 9. Februar 2017 erließ das Landgericht Hamburg (Az.: 327 OH 2/16) einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG , der am 22. Februar 2017 im Klageregister des Bundesanzeigers bekannt gemacht wurde. Die Feststellungsziele des Vorlagebeschlusses sind unter anderem auf die Feststellung der von der Klägerin gerügten Prospektfehler des Emissionsprospekts betreffend die S. Immobilienfonds gerichtet. Das Musterverfahren ist mittlerweile beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen 14 Kap 2/17 anhängig.

Mit Beschluss vom 2. August 2017 hat das Landgericht den mit Klageschrift vom 29. Dezember 2016 eingeleiteten Rechtsstreit gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt. Gegen den Aussetzungsbeschluss, der den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 9. August 2017 zugestellt worden ist, hat diese am 23. August 2017 sofortige Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass die Aussetzung zu Unrecht erfolgt sei, weil der klägerische Vortrag zu ihrer Passivlegitimation widersprüchlich und damit unschlüssig sei, so dass es an der erforderlichen Vorgreiflichkeit des Musterverfahrens fehle. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 16. März 2018 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ) ist zulässig und begründet. Sie führt unter Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts sowie unter Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts zur Anordnung der Fortsetzung des Verfahrens.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Landgericht habe den Rechtsstreit zu Recht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ausgesetzt. Die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von den im Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen ab.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Rechtsstreit nicht deshalb bereits ohne weitere Beweiserhebungen entscheidungsreif, weil die Klage wegen widersprüchlicher Angaben zur Passivlegitimation unschlüssig sei. Die Klägerin habe vorgetragen, dass ein Anlageberatungsvertrag zwischen ihr und der Beklagten zustande gekommen sei und sie, vertreten durch ihren Vater, von dem Zeugen G. in mehrfacher Hinsicht unzureichend oder falsch beraten worden sei. Der Schlüssigkeit der Klage stehe nicht entgegen, dass in der Klageschrift auf den als Anlage K 3 überreichten Zeichnungsschein Bezug genommen worden sei, der in einem für Vermittler vorgesehenen Feld den Stempelaufdruck "W. GmbH" trage. Die Klägerin habe hierzu vorgetragen, dass ihr ein Herr P. unbekannt sei und sie nicht sagen könne, in welchem Zusammenhang er involviert sei, weil ihr Vater nur mit dem Zeugen G. in Kontakt gestanden habe. Ob der Vortrag zutreffend sei, sei keine Frage der Schlüssigkeit. Für den Abschluss eines Anlageberatungsvertrages sei Beweis angetreten worden durch die Benennung der Zeugen Dr. K. und G. , weswegen der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif sei.

Der Aussetzungsbeschluss sei auch nicht deshalb fehlerhaft, weil die Frage der Passivlegitimation durch eine - nicht umfangreiche - Beweisaufnahme geklärt und dadurch möglicherweise Entscheidungsreife herbeigeführt werden könne. Zur Auslegung des Begriffs der Abhängigkeit der Entscheidung eines Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG würden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zu folgen sei der Ansicht, nach der die Abhängigkeit abstrakt zu beurteilen sei. Es sei nicht erforderlich, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher übriger Voraussetzungen nur noch von den Feststellungszielen abhänge. Sinn und Zweck des Musterverfahrens, geschädigten Anlegern die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch eine Bündelung von Verfahren mit gleichgerichteten Tatsachen- und Rechtsfragen zu erleichtern, würden verfehlt, wenn in jedem Einzelverfahren zunächst alle anderen relevanten Fragen durch Beweisaufnahmen geklärt werden müssten.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Prozessgericht hätte für die Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG nicht ungeklärt lassen dürfen, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungs- oder Auskunftsvertrag zustande gekommen ist und ob die Beklagte, falls ein solcher Vertrag besteht, nicht bereits unabhängig von den im Musterverfahren streitgegenständlichen Prospektfehlern deshalb haftet, weil sie die Klägerin über die Höhe der von ihr vereinnahmten Rückvergütungen unzutreffend unterrichtet hat. Nur wenn ein Anlageberatungs- oder Auskunftsvertrag als Grundlage einer möglichen Haftung der Beklagten für die angeblichen Prospektfehler besteht und die nicht musterverfahrensfähige Anspruchsbegründung das Klagebegehren nicht trägt, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen ab.

a) Zutreffend ist das Beschwerdegericht allerdings davon ausgegangen, dass die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 Abs. 1 KapMuG nicht daran scheitert, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes nicht eröffnet (aa) oder der Rechtsstreit ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens bereits entscheidungsreif wäre (bb).

aa) Der Anwendungsbereich des KapMuG ist eröffnet.

(1) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG dann unzulässig ist, wenn die geltend gemachten Klageansprüche nicht nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 KapMuG in den Anwendungsbereich des KapMuG fallen (Senatsbeschluss vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 23; vgl. zu § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG in der bis 31. Oktober 2012 geltenden Fassung [im Folgenden: aF] bereits Senatsbeschlüsse vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 10 ff. und vom 30. November 2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 10 ff.).

(2) Diese Grundsätze schließen eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG hier nicht aus.

(a) Durch § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2182 ) ist der Anwendungsbereich des KapMuG auf Schadensersatzansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation erweitert worden. Danach reicht der mittelbare Bezug zu einer existierenden öffentlichen Kapitalmarktinformation aus. Aufklärungsfehler, die ohne Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation begangen worden sein sollen, können jedoch weiterhin nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein (Senatsbeschlüsse vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 23 und vom 23. Oktober 2018 - XI ZB 3/16, WM 2019, 20 Rn. 73, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

Die vom Gesetzgeber beabsichtigte "moderate" Erweiterung des Anwendungsbereichs hat auch nichts daran geändert, dass die öffentliche Kapitalmarktinformation als solche - und nicht der Inhalt eines individuell geführten mündlichen Aufklärungsgesprächs - Voraussetzung des vertraglichen oder vorvertraglichen Anspruchs sein muss (vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 16). Nur unter dieser Voraussetzung können überhaupt Fragen aufgeworfen werden, die in einem Musterverfahren verallgemeinerungsfähig geklärt werden können. Daraus folgt, dass es nach Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG nicht unerheblich ist, in welcher Form die öffentliche Kapitalmarktinformation Eingang in die Aufklärung des Kapitalanlegers gefunden hat (für § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO anders BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 - X ARZ 573/15, WM 2016, 156 Rn. 14). Danach ist der Anwendungsbereich des Gesetzes vielmehr nur dann eröffnet, wenn die öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung verwendet worden ist. Dafür muss sie dem Kapitalanleger so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben worden sein, dass ihr Inhalt noch rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden konnte (vgl. dazu Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 21 und BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 - II ZR 139/17, WM 2019, 495 Rn. 21, jeweils mwN). Der Erfahrungssatz, dass etwaige Prospektfehler auch dann für die Anlageentscheidung ursächlich werden können, wenn der Kapitalanleger den Prospekt zwar nicht selbst erhalten hat, der Prospekt aber dem Anlageberater oder -vermittler als Arbeitsgrundlage für das mit dem Anlageinteressenten geführte Gespräch gedient hat (BGH, Urteile vom 3. Dezember 2007 - II ZR 21/06, WM 2008, 391 Rn. 16 ff., vom 17. April 2018 - II ZR 265/16, WM 2018, 1101 Rn. 24 und vom 17. Juli 2018 - II ZR 13/17, WM 2018, 1594 Rn. 16, jeweils mwN), ändert nichts daran, dass in diesen Fallkonstellationen allein die mündliche Beratung maßgebend bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 - II ZR 139/17 aaO Rn. 22). Ob diese pflichtwidrig erfolgt ist, kann nur individuell geklärt werden.

(b) Danach ist der Anwendungsbereich des Gesetzes hier gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG eröffnet. Der Prospekt lag der Klägerin nach ihrem unstreitig gebliebenen Vortrag rechtzeitig vor der Anlageentscheidung vor und sie begründet den Vorwurf der fehlerhaften Anlageberatung jedenfalls auch mit Prospektfehlern, die Gegenstand des Musterverfahrens sind. Der Umstand, dass der Kapitalanleger seinen Anspruch auch auf eine Anspruchsbegründung stützt, der keine im Musterverfahren festzustellenden Tatsachen oder Rechtsfragen zugrunde liegen (wie hier der unabhängig vom Inhalt des Prospekts erhobene Vorwurf, unzutreffend über die Höhe der Rückvergütungen unterrichtet worden zu sein), führt nicht dazu, dass der Klageanspruch insgesamt aus dem Anwendungsbereich des KapMuG fällt (BGH, Beschluss vom 5. November 2015 - III ZB 69/14, BGHZ 207, 306 Rn. 24).

bb) Der Rechtsstreit ist auch nicht bereits ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens entscheidungsreif.

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 KapMuG unzulässig, wenn der Rechtsstreit bereits unabhängig von den Feststellungszielen auf geklärter Tatsachengrundlage ohne weitere Beweiserhebung entscheidungsreif ist, beispielsweise wegen anderweitiger Rechtshängigkeit des Streitgegenstands oder Verjährung der geltend gemachten Ansprüche (Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 13; BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15, WM 2016, 403 Rn. 14, vom 25. Februar 2016 - III ZB 74/15, juris Rn. 14, III ZB 76/15, juris Rn. 14, III ZB 77/15, juris Rn. 14, III ZB 78/15, juris Rn. 14, III ZB 79/15, juris Rn. 14 und vom 24. März 2016 - III ZB 75/15, juris Rn. 14).

(2) Das ist hier nicht der Fall. Wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat, ist die Klage nicht bereits mangels schlüssiger Darlegung des Zustandekommens eines Anlageberatungs- oder Auskunftsvertrags mit der Beklagten ohne Beweiserhebung abweisungsreif.

Eine Partei genügt ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich diese Darstellung ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 - II ZR 199/03, WM 2005, 1847 f.; Beschlüsse vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, WM 2007, 1569 Rn. 8 und vom 21. Juli 2011 - IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384 Rn. 6). Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, kann der Vortrag weiterer Einzelheiten oder die Erklärung für einen gehaltenen Vortrag nicht gefordert werden. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2007, aaO und vom 21. Juli 2011, aaO).

Gemessen hieran ist der Vortrag der Klägerin unter Berücksichtigung der ständigen Senatsrechtsprechung zu den Voraussetzungen für den Abschluss eines Anlageberatungsvertrages (vgl. dazu Senatsurteile vom 6. Juli 1993 - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 , 128, vom 25. September 2007 - XI ZR 320/06, BKR 2008, 199 Rn. 12 und vom 1. Juli 2014 - XI ZR 247/12, WM 2014, 1621 Rn. 21) schlüssig. Der Umstand, dass der Stempelaufdruck auf dem als Anlage K 3 überreichten Zeichnungsschein im Widerspruch zu dem übrigen Vortrag der Klägerin stehen mag, ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung nach der Vernehmung der von ihr zum Beweis ihres Tatsachenvortrages angebotenen Zeugen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2012 - II ZR 50/09, WM 2012, 990 Rn. 16).

b) Über die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärten Fallgruppen hinaus hat der Bundesgerichtshof bislang offengelassen, wie das Tatbestandsmerkmal der Abhängigkeit von den geltend gemachten Feststellungzielen als Voraussetzung der Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auszulegen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 24 und vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 14).

aa) In der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum wird unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 20) die Ansicht vertreten, die Abhängigkeit sei grundsätzlich nur abstrakt zu beurteilen. Es genüge deshalb, wenn die Möglichkeit bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängen könne. Es sei nicht erforderlich, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher Rechtsfragen nur noch von den Feststellungszielen abhänge (OLG München, ZIP 2013, 2077 , 2078; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 23 W 120/13, juris Rn. 7; OLG München, ZIP 2018, 327 , 328; OLG Brandenburg, Beschluss vom 9. August 2018 - 4 W 18/18, juris Rn. 9; OLG Oldenburg, WM 2019, 590 , 591; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 3 Rn. 40 und § 8 Rn. 28; Reuschle in Wieczorek/Schütze, ZPO , 4. Aufl., § 8 KapMuG Rn. 21 ff.; Söhner, ZIP 2013, 7 , 10; in diesem Sinne wohl auch Schneider/Heppner, BB 2012, 2703 , 2707).

bb) Der Senat und andere Stimmen in der Literatur haben bereits darauf hingewiesen, dass gegen ein solches Verständnis im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes Bedenken bestehen (Senatsbeschlüsse vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 24 und vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 14; Halfmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO , 10. Aufl., § 8 KapMuG Rn. 2; ders., DB 2012, 2145 f.; Möllers/Seidenschwann, NZG 2012, 1401 , 1405; Wolf/Lange, NJW 2012, 3751 , 3753). Diese Bedenken greifen durch. Soweit die Gesetzesbegründung zu § 8 KapMuG die Abhängigkeit grundsätzlich abstrakt beurteilen und dem Prozessgericht im Hinblick auf die Aussetzung einen Beurteilungsspielraum einräumen will (vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 20), ist dies mit dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ) nicht vereinbar.

(1) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet in zivilrechtlichen Streitigkeiten - ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG für den Bereich des öffentlichen Rechts - nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Sie garantiert vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Schränkt der Gesetzgeber im Rahmen der ihm obliegenden normativen Ausgestaltungsbefugnis die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte ein, müssen solche Einschränkungen mit den Belangen einer rechtsstaatlichen Verfahrensordnung vereinbar sein und dürfen den einzelnen Rechtsuchenden nicht unverhältnismäßig belasten. Darin findet die Ausgestaltungsbefugnis des Gesetzgebers zugleich ihre Grenze. Der Rechtsweg darf danach nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 88, 118 , 123 ff.; 93, 99, 107 f.).

(2) Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben erfordern eine Auslegung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG , nach der eine Aussetzung nur dann in Betracht kommt, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung (§ 286 ZPO ) gebildet hat, dass es auf dort statthaft geltend gemachte Feststellungsziele für den Ausgang des Rechtsstreits konkret ankommen wird. Das gilt auch dann, wenn hierzu eine Beweisaufnahme durchzuführen ist. Der Rechtsstreit hängt im Sinne des § 8 Abs. 1 KapMuG erst dann von den Feststellungszielen des Musterverfahrens ab, wenn nur noch Tatsachen oder Rechtsfragen offen sind, die unabhängig vom Ausgang des Musterverfahrens nicht beantwortet werden können.

Es ist dem Rechtsuchenden nicht zuzumuten, dass sein individueller Rechtsstreit ausgesetzt wird und er unabsehbare Zeit auf das Ergebnis des oft jahrelang dauernden Musterverfahrens warten muss, obwohl nicht feststeht, dass es auf den Ausgang des Musterverfahrens in seinem Prozess tatsächlich ankommt. Neben der reinen Verzögerung kann er erhebliche Rechtsnachteile in der Beweisführung dadurch erleiden, dass Zeugen verstorben sind oder sich wegen des Zeitablaufs nicht mehr genau an den Sachverhalt erinnern können. Ferner ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, eine Partei an den Kosten eines Musterverfahrens anteilig zu beteiligen (vgl. § 24 KapMuG ), das für ihren Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Juni 2009 - XI ZB 33/08, WM 2009, 1359 Rn. 15 und vom 11. September 2012 - XI ZB 32/11, WM 2012, 2146 Rn. 13).

cc) Nach diesem Maßstab war die Aussetzungsentscheidung hier unzulässig.

(1) Das Prozessgericht hätte nicht ungeklärt lassen dürfen, ob zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag oder zumindest ein Auskunftsvertrag zustande gekommen ist. Etwaige spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte nach § 13 VerkProspG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG , jeweils in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (künftig: aF), wären verjährt (vgl. § 46 BörsG aF), so dass ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte ohne das Zustandekommen einer vertraglichen Haftungsgrundlage zwischen den Parteien ausscheidet. Die Klage wäre dann abweisungsreif. Auf die im Musterverfahren streitgegenständlichen Prospektfehler kann es im vorliegenden Rechtsstreit nur dann ankommen, wenn sich das Prozessgericht bereits die Überzeugung gebildet hat, dass die Beklagte auf vertraglicher Grundlage die Pflicht traf, die Klägerin vollständig und zutreffend über die gezeichnete Anlage zu unterrichten.

(2) Darüber hinaus kommt eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG hier nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass dem Klagebegehren nicht bereits deshalb stattzugeben ist, weil die Beklagte - wie von der Klägerin geltend gemacht - ihre Beratungspflicht durch unzutreffende Angaben über die Höhe der von ihr vereinnahmten Rückvergütungen verletzt hat.

Werden Beratungspflichtverletzungen geltend gemacht, die - wie hier der Vorwurf einer unabhängig von den Angaben im Prospekt erfolgten Fehlinformation über Rückvergütungen - keinen Bezug zu einer veröffentlichten Kapitalmarktinformation haben, können diese nicht Gegenstand eines Musterverfahrens sein (Senatsbeschlüsse vom 8. April 2014 - XI ZB 40/11, WM 2014, 992 Rn. 23 und vom 23. Oktober 2018 - XI ZB 3/16, WM 2019, 20 Rn. 73 mwN). Der Erfolg einer solchen nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung kann von vorneherein nicht vom Ausgang des Musterverfahrens abhängen. Das gilt auch dann, wenn sie in unzulässiger Weise zum Gegenstand eines Feststellungsziels des maßgeblichen Vorlagebeschlusses geworden ist. Denn da ein Feststellungsantrag, der ein unstatthaftes Feststellungsziel zum Gegenstand hat, im Musterentscheid nicht in der Sache zu entscheiden, sondern als im Musterverfahren nicht statthaft zurückzuweisen ist (Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 aaO Rn. 69 ff.), kann das Musterverfahren auch dann zur Klärung der nicht musterverfahrensfähigen Anspruchsbegründung nichts beitragen.

(3) Vor der Aussetzungsentscheidung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG demgegenüber offenbleiben müssen nicht nur die im Musterverfahren statthaften Feststellungsziele, sondern auch solche Tatsachen oder Rechtsfragen, die nur auf diese bezogen geprüft werden können. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, hierzu vor seiner Aussetzungsentscheidung hypothetische Erwägungen anzustellen. Offenbleiben muss deswegen hier, ob eine Unrichtigkeit des Prospekts vorliegt und gegebenenfalls welche, sowie ferner, ob die Beklagte hierauf bezogen ein Verschulden trifft, der Prospektfehler für die Anlageentscheidung kausal geworden ist oder die kenntnisabhängige Verjährung eingreift. Diese Punkte lassen sich erst konkret prüfen, wenn ein bestimmter Prospektfehler feststeht.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO aufzuheben. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 577 Abs. 5 , § 563 Abs. 3 ZPO ). Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten ist der Beschluss des Landgerichts vom 2. August 2017 aufzuheben und dem Verfahren Fortgang zu geben.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Beklagte wendet sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 8 KapMuG . Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Ausgangsrechtsstreits, welche die in der Sache unterliegende Partei unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens nach §§ 91 ff. ZPO zu tragen hat (Senatsbeschlüsse vom 30. November 2010 - XI ZB 23/10, WM 2011, 110 Rn. 18 und vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 20).

Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat gemäß § 3 ZPO mit einem Fünftel des Werts des Rechtsstreits (bis 16.000 €) bemessen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. November 2015 - III ZB 69/14, juris Rn. 26, insoweit in BGHZ 207, 306 nicht abgedruckt, und vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15, WM 2016, 403 Rn. 19).

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 02.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 330 O 530/16
Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 16.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 14 W 53/17