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BGH - Entscheidung vom 18.07.2019

IX ZR 276/17

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1

Fundstellen:
NJW-RR 2019, 1458

BGH, Beschluss vom 18.07.2019 - Aktenzeichen IX ZR 276/17

DRsp Nr. 2019/11923

Schadensersatzanspruch eines Mandanten wegen unzureichender Belehrung eines Rechtsanwalts beim Abschluss eines Mietvertrags über Gewerberäume bzgl. der Beurkundungsbedürftigkeit des dinglichen Vorkaufsrechts am Mietobjekt

Das Gericht nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Nur wenn besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde, liegt eine Gehörsverletzung vor.

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen den Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. Oktober 2017 zugelassen.

Auf die Revision des Beklagten wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 80.000 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der beklagte Rechtsanwalt beriet den Kläger im Jahr 2011 beim Abschluss eines Mietvertrags über Gewerberäume. Die Vermietung erfolgte zum Betrieb eines Autohauses. In dem Mietvertrag räumte der Kläger als Vermieter der Mieterin ein dingliches Vorkaufsrecht am Mietobjekt ein. Eine notarielle Beurkundung erfolgte nicht. Aufgrund der sich daraus ergebenden Ungewissheit über die Wirksamkeit des Vertragsschlusses handelten die Vertragsparteien die Konditionen neu aus und schlossen im Jahr 2013 einen neuen Mietvertrag, der kein Vorkaufsrecht, dafür aber andere der Mieterin günstige Konditionen enthielt. Der Kläger nimmt den Beklagten wegen unzureichender Belehrung bezüglich der Beurkundungsbedürftigkeit des dinglichen Vorkaufsrechts auf Schadensersatz in Anspruch.

Das Landgericht hat dem Kläger durch Teil- und Grundurteil einen Teil des im Leistungsantrag bezifferten Schadens zugesprochen, wegen des weiteren bezifferten Schadens die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und im Übrigen festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger weitere künftige Schäden zu erstatten. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde erstrebt der Beklagte die Zulassung der Revision und mit dieser die Abweisung der Klage.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Beklagte den Kläger auf das Erfordernis einer notariellen Beurkundung hingewiesen habe, dahinstehen lassen dürfen. Zutreffend habe es eine Pflichtverletzung des Beklagten schon deshalb angenommen, weil er nicht behauptet habe, auf das Risiko hingewiesen zu haben, dass mangels notarieller Beurkundung trotz der im Vertrag enthaltenen salvatorischen Klausel der gesamte Vertrag nichtig sein könne. Zutreffend habe das Landgericht auch den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden bejaht. Der Zurechnungszusammenhang sei nicht durch das Verhalten des Klägers beim Abschluss des neuen Mietvertrags unterbrochen worden.

2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl. BVerfGE 86, 133 , 145 f; 96, 205, 216 f; BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 300). Dieser Verpflichtung ist das Berufungsgericht insoweit nicht nachgekommen, als es bei seiner Entscheidung die im Schriftsatz vom 13. Oktober 2017 erhobene Behauptung des Beklagten nicht berücksichtigt hat, er habe im Rahmen des Telefonats vom 23. Juli 2011 auch auf die möglichen Konsequenzen der Missachtung des Formerfordernisses auf die Wirksamkeit des Mietvertrags im Ganzen hingewiesen.

a) Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein Gericht den Vortrag der Parteien zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat, auch wenn es sich in den Entscheidungsgründen nicht mit jedem Vorbringen ausdrücklich befasst hat. Nur wenn besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen wurde, liegt eine Gehörsverletzung vor (BGH, Beschluss vom 27. März 2003, aaO).

b) Ein solcher Schluss ist hier gerechtfertigt. Das Berufungsgericht stellt zur Frage einer Pflichtverletzung in seinem Hinweisbeschluss vom 30. August 2017 darauf ab, dass der Beklagte lediglich vorgetragen habe, er habe den Sohn des Klägers auf die Beurkundungspflicht der Klausel betreffend das dingliche Vorkaufsrecht hingewiesen, nicht aber, dass er den Kläger oder dessen Sohn über das Risiko der Gesamtnichtigkeit des Mietvertrags als Folge des Formmangels belehrt hätte. In dem die Berufung des Beklagten zurückweisenden Beschluss vom 18. Oktober 2017 führt das Berufungsgericht zu der Stellungnahme des Beklagten im Schriftsatz vom 13. Oktober 2017 aus, es könne auch aus den übrigen in erster Instanz abgegebenen Erklärungen des Beklagten nicht abgeleitet werden, dass er behaupten wolle, über das Risiko der Gesamtnichtigkeit des Mietvertrags belehrt zu haben. Es erwähnt aber mit keinem Wort, dass der Beklagte zu diesem für die Frage der Pflichtverletzung nach Ansicht des Berufungsgerichts entscheidenden Punkt in dem fraglichen Schriftsatz (unter I.3 a.E.) erstmals behauptet hat, den Hinweis auf das Risiko einer Unwirksamkeit des Vertrags im Ganzen erteilt zu haben. Dies erlaubt nur den Schluss, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen übersehen hat.

c) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen, für den Beklagten günstigeren Entscheidung gekommen wäre, wenn es die Behauptung des Beklagten berücksichtigt hätte. Ob prozessuale Gründe einer Berücksichtigung entgegenstehen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen.

aa) Sofern der Kläger das Vorbringen des Beklagten bestreitet, ist es als neues Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 529 Abs. 1 Nr. 2 , § 531 Abs. 2 ZPO zulässig. Feststellungen zu den Zulassungsvoraussetzungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es könnte in Betracht kommen, dass der Zulässigkeitsgrund des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO gegeben ist, weil das Landgericht ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten erstmals in seinem Urteil mit einer unterlassenen Belehrung über das Risiko der Unwirksamkeit des gesamten Mietvertrags begründet hat, ohne zuvor auf diesen auch vom Kläger nicht eindeutig formulierten Gesichtspunkt nach § 139 Abs. 2 ZPO hinzuweisen.

bb) Da das übergangene Vorbringen des Beklagten nicht bereits in der Berufungsbegründung, sondern erst in seiner Stellungnahme zum gerichtlichen Hinweis nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO enthalten war, wird über die Zulassung zudem nach §§ 530 , 296 Abs. 1 und 4 ZPO zu entscheiden sein.

III.

Für das weitere Verfahren gibt der Senat die folgenden Hinweise:

Sollte sich das Berufungsgericht erneut davon überzeugen, dass der Beklagte pflichtwidrig gehandelt hat, stellt sich die Frage, ob die Pflichtverletzung den geltend gemachten Schaden verursacht hat. Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit der Kläger. Bei dieser Beurteilung ist die real eingetretene Vermögenslage des Klägers mit derjenigen zu vergleichen, die sich im Falle pflichtgemäßen Handelns des Beklagten ergeben hätte. Hierzu fehlt es bisher an den erforderlichen Feststellungen. Da nach einer Belehrung über die zur Vermeidung einer Gesamtnichtigkeit erforderliche notarielle Beurkundung für den Kläger verschiedene Handlungsmöglichkeiten in Betracht gekommen wären - neben der notariellen Beurkundung des unveränderten Mietvertrags auch der Abschluss eines Mietvertrags ohne dingliches Vorkaufsrecht, entweder zu ansonsten gleichen Konditionen oder mit den Konditionen des späteren Mietvertrags, möglicherweise mit nicht formbedürftigen Absichtserklärungen betreffend eine bevorzugte Behandlung der Mieterin im Verkaufsfall -, sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises für ein beratungsgemäßes Verhalten nicht anwendbar. Grundsätzlich hat der Mandant in einem solchen Fall den Weg zu bezeichnen, für den er sich entschieden hätte. Lässt er dies offen, ist die nach § 287 ZPO erforderliche Schadenswahrscheinlichkeit nur gegeben, wenn diese für alle in Betracht kommenden Verläufe besteht. Ist, wie im Streitfall, für die in Frage kommenden Vorgehensweisen zudem die Bereitschaft eines Dritten erforderlich, den beabsichtigten Weg mitzugehen, muss der Mandant dessen Bereitschaft im damaligen Zeitpunkt darlegen und beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/01, WM 2006, 927 Rn. 29 f; vom 16. Juli 2015 - IX ZR 197/14, ZIP 2015, 1684 Rn. 25 ff). Sollte sich ergeben, dass bei pflichtgemäßer Belehrung der unveränderte Mietvertrag notariell beurkundet worden wäre, ist in die Schadensbetrachtung auch die vom Kläger selbst behauptete Minderung des Grundstückswerts infolge des dinglichen Vorkaufsrechts einzubeziehen.

Vorinstanz: LG Karlsruhe, vom 02.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 5 O 166/15
Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 18.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 6 U 25/17
Fundstellen
NJW-RR 2019, 1458