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BGH - Entscheidung vom 25.09.2019

4 StR 448/19

Normen:
StPO § 349 Abs. 4

Fundstellen:
NStZ 2020, 218
NStZ-RR 2020, 19
StV 2020, 105

BGH, Beschluss vom 25.09.2019 - Aktenzeichen 4 StR 448/19

DRsp Nr. 2019/17111

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes

Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelt, wer den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dessen Eintritt abfindet. Beide Elemente sind im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 9. Mai 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Hagen verwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte am 3. Dezember 2018 ab 1.00 Uhr in einer Flüchtlingsunterkunft in M. in erheblichem Umfang Alkohol. Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt danach wurde er von dem Nebenkläger in dessen Zimmer eingeladen. Als der Angeklagte das dort abgelegte Portemonnaie des Nebenklägers - wie er vorgab aus Spaß - heimlich einsteckte, wurde er des Zimmers verwiesen. Nach 15 bis 30 Minuten versuchte der Angeklagte erneut in das Zimmer des Nebenklägers zu gelangen. Dabei kam es zwischen beiden zu einer Schubserei. Auf dem Rückweg in sein Zimmer traf der Angeklagte auf den Hausmeister der Flüchtlingsunterkunft, auf den er einen betrunkenen, leicht aggressiven und schlecht gelaunten Eindruck machte. Nach etwa fünf Minuten begab sich der Angeklagte ein drittes Mal zu dem Zimmer des Nebenklägers. Dabei hielt er in seiner rechten Hand ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 20 Zentimetern, das er zunächst, für den Nebenkläger nicht sichtbar, hinter seinem Rücken verborgen hielt. Beim Eintreten in das Zimmer hob der Angeklagte "direkt" die Hand mit dem Messer über seinen Kopf und stach mit dem Messer abwärts in Richtung des Halses des Nebenklägers. Dabei nahm er dessen Tod zumindest billigend in Kauf. Dem Nebenkläger gelang es, mit seiner linken Hand das rechte Handgelenk des Angeklagten zu umfassen und das Messer von seinem Körper wegzuhalten. Der Angeklagte drückte das Messer nun weiter in Richtung des Halses des Nebenklägers, der aber dessen Spitze von seinem Hals weglenken konnte. Schließlich schlug der Nebenkläger mit der flachen Hand auf den Messergriff, woraufhin dessen Klinge abbrach und zu Boden fiel. Hierbei verletzte er sich an seinem linken Ringfinger. Anschließend kam es zu einer Rangelei, bei der der Angeklagte den Messergriff wegwarf. Schließlich wurden beide von dem Hausmeister getrennt, der auch die Polizei informierte. Eine dem Angeklagten um 14.45 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,79 Promille auf.

Die Strafkammer hat ihre Feststellung, der Angeklagte habe den Tod des Nebenklägers zumindest billigend in Kauf genommen, aus "der objektiven Gefährlichkeit der Tat" hergeleitet. Der Angeklagte habe versucht, mit einem Messer mit einer 20 cm langen Klinge auf den Hals des Nebenklägers einzustechen. Dabei handele es sich um einen besonders empfindlichen Bereich, in dem sich lebensnotwendige Gefäße befänden. Das verwendete Messer sei geeignet gewesen, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.

2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags kann nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begründet hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht standhalten.

a) Einen bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt - Wissenselement - und sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dessen Eintritt abfindet, mag ihm dies auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein - Willenselement. Beide Elemente sind im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 158/17, NStZ 2018, 460 , 461 f. mwN). Bei gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, einen solchen Erfolg auch billigend in Kauf nimmt, sodass ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auf beide Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes grundsätzlich möglich ist. Das Wissens - oder das Wollenselement können aber auch hier im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung wie etwa einem Affekt oder alkoholischer Beeinflussung zur Tatzeit nicht bewusst ist oder wenn er deshalb trotz Kenntnis aller gefahrbegründenden Umstände ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des Erfolgs vertraut (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 , Rn. 26 mwN). Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören daher zu den Umständen, die der Annahme eines bedingten Vorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 2018 - 4 StR 251/18, NStZ 2018, 332 ; Urteil vom 25. Oktober 2005 - 4 StR 185/05; NStZ-RR 2006, 11 , 12 mwN).

b) Den sich daraus ergebenden Begründungsanforderungen werden die zum bedingten Tötungsvorsatz angestellten Erwägungen der Strafkammer nicht gerecht. Denn sie schöpfen die insoweit relevanten Feststellungen nicht aus und sind deshalb lückenhaft (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - 4 StR 159/13 Rn. 19 mwN).

Das Landgericht hat seine Bewertung ausschließlich auf die generelle Gefährlichkeit des Angriffs gestützt. Mit der Tatsache, dass der Angeklagte erheblich alkoholisiert war, und der sich daraus ergebenden Möglichkeit, dass er das Risiko falsch eingeschätzt oder sachwidrig auf einen nicht tödlichen Ausgang vertraut haben könnte, setzt es sich nicht auseinander. Hierzu hätte aber unter den hier gegebenen Umständen Anlass bestanden. Denn die Strafkammer hat selbst an anderer Stelle eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,39 Promille für gegeben erachtet (UA 17). Auch hat sie den Angaben des Zeugen S. (Hausmeister) glauben geschenkt, der zu dem Angeklagten kurz vor und kurz nach der Tat Kontakt hatte und ihn dabei als betrunken wahrnahm (UA 6). Dabei gab der Zeuge weiter an, den Angeklagten noch nie in einem derartigen Zustand erlebt zu haben, wie am Tattag (UA 22).

3. Die Ausführungen des Landgerichts zu einer möglichen alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB sind widersprüchlich, lückenhaft und unklar.

So führt die Strafkammer - in Abgrenzung zu dem angehörten Sachverständigen - zunächst aus, dass bei dem Angeklagten keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen habe (UA 18 f.). In der rechtlichen Würdigung wird im Gegensatz hierzu dann aber festgestellt, dass sich der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung "im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB " schuldig gemacht habe (UA 20).

Soweit die Strafkammer annimmt, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat eine Blutalkoholkonzentration von nicht ausschließbar bis zu 2,39 Promille aufgewiesen habe und sich dies aus einer Rückrechnung von zwei Stunden seit der Blutentnahme unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages ergebe (UA 17), kann diese Berechnung revisionsrechtlich nicht nachvollzogen werden, weil die Feststellungen zur Sache und die sie tragende Beweiswürdigung keine konkrete Tatzeitangabe enthalten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 - 3 StR 60/03; Fischer, StGB , 66. Aufl., § 20 Rn. 16 mwN).

Die für die Annahme einer nur unerheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ins Feld geführte Erwägung, der Angeklagte sei "nach eigenen Angaben Alkohol gewöhnt" (UA 19), steht in Widerspruch zu der zu seiner Person getroffenen Feststellung, wonach er "in der Regel einmal in der Woche Alkohol" trinke (UA 4) und den Ausführungen zur Nichtanordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB . Dort hat sich die Strafkammer den Bekundungen des Sachverständigen angeschlossen, der die Annahme eines Hangs unter anderem mit der Begründung verneint hat, dass die Konsumfrequenz "lediglich im Bereich von einmal in der Woche bis einmal im Monat und damit im sozial üblichen Rahmen" liege (UA 22).

Schließlich hätte sich die Strafkammer auch in diesem Zusammenhang mit der Aussage des Hausmeisters auseinandersetzen müssen, wonach der Angeklagte öfter Alkohol trinke, er den Angeklagten aber noch nie in einem derartigen Zustand erlebt habe, wie am Tattag (UA 22).

4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht von § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht - Schwurgericht - Hagen.

Vorinstanz: LG Arnsberg, vom 09.05.2019
Fundstellen
NStZ 2020, 218
NStZ-RR 2020, 19
StV 2020, 105