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BGH - Entscheidung vom 25.09.2019

2 StR 177/19

Normen:
StGB § 32 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ 2020, 147
StV 2020, 286
StV 2021, 100

BGH, Beschluss vom 25.09.2019 - Aktenzeichen 2 StR 177/19

DRsp Nr. 2019/17110

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung; Überprüfung des Vorliegens einer Notwehrlage; Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB

Maßgebend für die Prüfung einer Notwehrhandlung ist die objektive Sachlage. Entscheidend sind nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung, die auch das Maß der erforderlichen und gebotenen Abwehrhandlung bestimmen.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 19. Dezember 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 32 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kannten sich der Angeklagte und der Geschädigte K. seit Ende des Jahres 2017. Gemeinsam verbrachten sie ab und zu Zeit miteinander und konsumierten gemeinsam Alkohol. Einige Zeit vor dem Tattag kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen beiden, an der außerdem noch der Bruder des Geschädigten beteiligt war.

Am 31. März 2018 zwischen 11.00 und 12.00 Uhr trafen sich der Angeklagte und der Geschädigte zufällig in K. . Sie entschlossen sich, zu der in der Nähe befindlichen Unterkunft des Angeklagten zu gehen, um dort Alkohol zu trinken. In den Abendstunden entschieden sie sich sodann, mit der S-Bahn zusammen in die Stadt zu fahren. An der Haltestelle "H. " stiegen beide gegen 21.00 Uhr aus der S-Bahn aus und gingen in Richtung "P. ", in der sich die Wohnung des zu diesem Zeitpunkt nicht anwesenden Bruders des Geschädigten befand. K. , der keinen Schlüssel für die Wohnung mit sich führte, und der Angeklagte gelangten gleichwohl in den Hausflur des Hauses, weil eine andere Person gerade das Haus verließ.

Im Hausflur hörte der Angeklagte, wie zwei Personen die Treppe herunterkamen, mit denen der Geschädigte sodann auf Deutsch sprach, was der Angeklagte nicht verstand. Weil er die Situation nicht einschätzen konnte und sich unsicher fühlte, begab er sich vorsorglich in Richtung des Hinterhofes, den man zur Straße hin nur über ein zu diesem Zeitpunkt geschlossenes Garagentor verlassen kann. Auch der Geschädigte trat anschließend zu dem Angeklagten in den Hinterhof, während die beiden anderen Personen im Bereich der Tür zum Hinterhof stehen blieben. Es entwickelte sich zwischen 21.15 Uhr bis 21.30 Uhr ein Streitgespräch. Gegenstand des Streits war, dass der Angeklagte, ohne dass festgestellt werden konnte, wie und warum, im Besitz von persönlichen Dingen des Geschädigten war, die dieser von ihm herausverlangte. Im Zuge der verbalen Auseinandersetzung fürchtete der Angeklagte, der diese Dinge zu diesem Zeitpunkt nicht bei sich führte, dass die Lage weiter eskalieren könne. Um sich aus der von ihm als bedrohlich wahrgenommenen Situation zu befreien, zog er aus seiner Hosentasche ein darin befindliches Schweizer Messer und klappte zunächst die ungefähr fingerlange Klinge auf. Anschließend ging er mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten zu, schwang dieses auf Kopfhöhe mehrere Male hin und her, und fügte ihm im Gesicht vier Schnittverletzungen zu, was er auch bemerkte.

Als sich plötzlich das zur Straße gelegene Garagentor öffnete, ergriff der Angeklagte die Gelegenheit, den Hinterhof durch dieses zu verlassen. Der Geschädigte lief ihm hinterher und stellte ihn auf der Straße. Es kam zu einem Gerangel, schließlich wurden beide voneinander getrennt. Der Angeklagte konnte zunächst entkommen, wurde aber einige Zeit später im Hauptbahnhof im Besitz von Gegenständen aufgegriffen, die dem Geschädigten gehörten. Das Landgericht hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte diese Dinge dem Geschädigten bei der vorangegangenen Auseinandersetzung gegen seinen Willen abgenommen hätte.

b) Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Eine Rechtfertigung durch Notwehr hat es ausgeschlossen. Ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff sei von dem Geschädigten und den vor Ort befindlichen Personen nicht ausgegangen.

Die Strafkammer verkenne nicht, dass gegenwärtig auch ein Verhalten sein könne, das zwar noch kein Recht verletze, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen könne und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlichen, nicht mehr hinnehmbaren Risiken aussetzen würde. Denn auch unter Zugrundelegung der der Auseinandersetzung vorangegangenen Hintergründe, so wie der Angeklagte diese dargelegt habe, seien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, habe der Angeklagte doch geschildert, dass es ihm maßgeblich darum gegangen sei, sich einen Weg aus dieser Situation zu eröffnen. Selbst eingeräumt habe er insoweit auch, dass er sich alleine durch das Herausnehmen und Zeigen des Messers, vorrangig, um die anderen in die Flucht zu schlagen, zu helfen gewusst habe. Als dies jedoch nicht gelungen sei, habe er das Messer gegen den Geschädigten bewusst eingesetzt. Selbst wenn man unterstelle, dass das Verhalten des Geschädigten das Verlangen nach der Herausgabe seiner persönlichen Dinge mit zwei einige Meter entfernt stehenden Personen, unmittelbar in eine Verletzung hätte umschlagen können, so fehle es vorliegend daran, dass die Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen den Erfolg gefährdet oder den Angeklagten nicht hinnehmbaren Risiken ausgesetzt hätte. Denn Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sich bei einem Angriff des Geschädigten oder der anderen beiden Personen nicht ebenso mit dem Messer hätte verteidigen und aus der Situation hätte befreien können, seien nicht ersichtlich.

2. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer die Annahme der Voraussetzungen des § 32 StGB abgelehnt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, welche tatsächlichen Absichten das spätere Tatopfer im Tatzeitpunkt hatte. Dies wäre jedoch zur Prüfung der Frage, ob der Angeklagte in Notwehr gehandelt hat, erforderlich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Maßgebend für die Prüfung des § 32 Abs. 2 StGB ist die objektive Sachlage. Entscheidend sind nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2017 - 1 StR 486/16), die auch das Maß der erforderlichen und gebotenen Abwehrhandlung bestimmen. Die Strafkammer hätte sich deshalb eine Überzeugung bilden müssen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise ein rechtswidriger Angriff auf den Angeklagten bevorstand.

b) Dies war nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe das Messer zum Tatzeitpunkt nicht einsetzen dürfen, weil er - ohne dass dadurch seine Verteidigungsmöglichkeiten geschmälert worden wären - dieses auch später zur Abwehr eines dann erfolgten Angriffs aussichtsreich hätte einsetzen können. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer den Begriff des gegenwärtigen Angriffs zu eng verstanden hat. Ein Angriff ist gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB nicht nur, wenn er beginnt, sondern schon dann, wenn er unmittelbar bevorsteht. Zu den erforderlichen Verteidigungsmaßnahmen berechtigt nicht erst die Verletzungshandlung selbst, sondern bereits ein Verhalten des Gegners, das unmittelbar in eine Rechtsgutsverletzung umschlagen kann, so dass durch das Hinausschieben der Abwehrhandlung entweder deren Erfolg gefährdet würde oder der Verteidiger das Wagnis erheblicher eigener Verletzungen auf sich nehmen müsste. Für die Gegenwärtigkeit des Angriffs entscheidend ist nicht erst die Vornahme der Verletzungshandlung, sondern bereits der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Angesichts der den Urteilsgründen zu entnehmenden örtlichen Verhältnisse, nach denen der Angeklagte im Hinterhof eingeschlossen war und zur Flucht an allen drei im Hinterhof bzw. im Flur befindlichen Personen hätte vorbeikommen müssen, erscheint es - im Gegensatz zur Ansicht des Landgerichts - nicht ausgeschlossen, dass ein etwa geplanter Angriff so nahe bevorstand, dass ein weiteres Abwarten dem Angeklagten die Chance zu einer erfolgversprechenden Verteidigung (hier einer Flucht) genommen hätte. Dies gilt umso mehr, als letztlich nicht die Messerstiche des Angeklagten (allein) die Abwehr des (möglichen) Angriffs durch den Geschädigten bzw. die weiteren Personen ermöglichten, sondern erst das sich plötzlich öffnende Garagentor, das der Angeklagte zum Entkommen über den Hof nutzen konnte (ohne an den Personen vorbeilaufen zu müssen). Entgegen der Ansicht des Landgerichts sind demnach durchaus Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein Abwarten des Angeklagten seine Verteidigungsmöglichkeiten verschlechtert hätte.

Vorinstanz: LG Köln, vom 19.12.2018
Fundstellen
NStZ 2020, 147
StV 2020, 286
StV 2021, 100