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BGH - Entscheidung vom 18.07.2019

4 StR 43/19

Normen:
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 373
StV 2020, 370

BGH, Beschluss vom 18.07.2019 - Aktenzeichen 4 StR 43/19

DRsp Nr. 2019/15875

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Anordnung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus; Begründung der Gefährlichkeitsprognose mit der hohen Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Gewalttaten zum Nachteil von Personen

Die tatrichterliche Darlegung, dass von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades die Begehung von Betäubungsmitteldelikten und damit von erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten sei, vermag die Gefährlichkeitsprognose nicht zu tragen, da es sich bei ihnen nicht um Taten handelt, durch welche andere Personen als Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden und aufgrund deren Begehung der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 31. Oktober 2018 aufgehoben; die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 2 ; StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Beleidigung freigesprochen. Zugleich hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allgemein auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte zumindest seit dem Jahr 2014 an einer paranoiden Schizophrenie und einer psychischen Abhängigkeit von THC. Den Besitz von Cannabispflanzen und den Konsum von THC betrachtete er als einzige Möglichkeit, effektiv etwas gegen seine psychische Erkrankung zu unternehmen, weshalb sich sein gesamtes Denken hierauf konzentrierte und der Anbau und Besitz von Cannabis existentielle Bedeutung für ihn erlangten.

Am 27. Januar 2017 suchten Polizeibeamte seine Wohnung auf, nachdem das Betreuungsgericht seine Vorführung zur Untersuchung durch einen psychiatrischen Sachverständigen angeordnet hatte. In seinem Wohnzimmer stellten die Polizeibeamten 28,8 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % THC sicher. Als dem Angeklagten klar wurde, dass die Polizeibeamten das Marihuana beschlagnahmen würden, schrie er lautstark herum und trat gegen eine Tür. Schließlich begleitete er aber die Polizeibeamten, die ihn einem psychiatrischen Sachverständigen zuführten (Tat 1). In der Zeit bis zum 5. Oktober 2017 zog der Angeklagte in seiner Wohnung sechs bereits hüfthoch gewachsene Cannabispflanzen sowie elf Cannabissetzlinge in einer professionellen Cannabisplantage auf (Tat 2). Am 5. Oktober 2017 suchten vier Polizeibeamte die Wohnung des Angeklagten auf, da gegen ihn ein Vorführungsbefehl der Staatsanwaltschaft vorlag. Als die Polizeibeamten die Cannabisplantage entdeckten, wurde der Angeklagte aggressiv, weil ihm klar wurde, dass Folge des Polizeieinsatzes auch der Verlust seiner Cannabispflanzen sein würde. Als ihm wegen seiner zunehmenden Aggressivität Handschellen angelegt werden sollten, trat er nach den Polizeibeamten, jedoch ohne sie zu treffen. Während er zu einem Dienstfahrzeug geführt wurde, leistete er massiv Widerstand und beleidigte die Polizeibeamten mehrfach. Einem der Beamten fügte er Kratz- und Schürfwunden zu und versetzte ihm einen schmerzhaften Tritt gegen das Knie, aufgrund dessen der Beamte zwei Tage dienstunfähig war (Tat 3).

b) Das Landgericht hat die Tat 1 als unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln, die Tat 2 als unerlaubten Anbau von Betäubungsmitteln und die Tat 3 als tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Beleidigung in vier tateinheitlichen Fällen gewertet. Sachverständig beraten ist es davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei allen drei Taten aufgrund seiner Erkrankung an einer paranoiden Schizophrenie sicher erheblich vermindert und möglicherweise sogar vollständig aufgehoben gewesen sei.

Die Taten 2 und 3 hat es als Anlasstaten für die Maßregelanordnung herangezogen. Es hat angenommen, dass von dem Angeklagten infolge seiner psychischen Erkrankung auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 63 StGB zu erwarten seien. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sei auch in Zukunft mit Cannabis-Anbauaktivitäten zur Deckung seines Eigenbedarfs in einem Umfang wie bei Tat 2 zu rechnen. Darüber hinaus sei es sehr wahrscheinlich, dass es dem Angeklagten wieder - wie bereits in der Vergangenheit - gelingen werde, Cannabispflanzen bis zur Erntereife großzuziehen und hochwertiges Marihuana mit einer Gesamtwirkstoffmenge von deutlich mehr als 7,5 Gramm THC zu gewinnen. Schließlich sei es sehr wahrscheinlich, dass er auch künftig krankheitsbedingt Körperverletzungsdelikte zum Nachteil von Personen verüben werde, von denen aus seiner Sicht die Gefahr des Verlustes der Pflanzen oder der von ihm vorrätig gehaltenen Cannabisprodukte ausgehe.

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 535/16, StV 2017, 575 , 576; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74 , 75; vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394 , 395).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

aa) Soweit das Landgericht zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose darauf abstellt, der Angeklagte werde mit hoher Wahrscheinlichkeit Gewalttaten zum Nachteil von Personen verüben, von denen aus seiner Sicht die Gefahr des Verlustes der Pflanzen oder der von ihm vorrätig gehaltenen Cannabisprodukte ausgehe, erweisen sich die Erörterungen als lückenhaft.

Denn das Landgericht führt hier zwar an, gefährdete Personen könnten neben Polizeibeamten auch gesetzliche Betreuer, Familienangehörige oder sonstige Dritte sein, die im Zuge eines Aggressionsdurchbruchs des Angeklagten - wie er in den drei oder vier Jahren vor dessen Inhaftierung im Oktober 2017 "etwa zehnmal" vorgekommen sei - seine Wohnung betreten würden. Näheres zu diesen Aggressionsdurchbrüchen teilt die Strafkammer indes nicht mit. Damit bleibt unklar, wie sich der Angeklagte in diesen Situationen verhalten hat und ob und gegebenenfalls in welcher Form er hierbei gegenüber anderen Personen gewalttätig wurde. Für die Beurteilung der Frage, ob der Angeklagte - wie vom Landgericht angenommen - mit hoher Wahrscheinlichkeit Körperverletzungsdelikte zum Nachteil von Personen, die seine Wohnung aufsuchen, begehen wird, durfte sein Verhalten bei diesen Situationen in der Vergangenheit jedoch nicht offenbleiben. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte auch bei der Tat vom 27. Januar 2017 - trotz der hier erfolgten Beschlagnahme seines Marihuanas - keine Gewalt gegenüber Personen ausübte.

bb) Die Gefährlichkeitsprognose hält rechtlicher Nachprüfung aber auch insoweit nicht stand, als das Landgericht diese auf die künftige Begehung von Betäubungsmitteldelikten durch den Angeklagten stützt.

Zwar hat die Strafkammer ausreichend dargelegt, dass von dem Angeklagten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades die Begehung von Betäubungsmitteldelikten - namentlich der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG - und damit von erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten sei. Diese vermögen gleichwohl die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht zu tragen, da es sich bei ihnen nicht - wie von § 63 Satz 1 StGB vorausgesetzt wird - um Taten handelt, durch welche andere Personen als Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden und aufgrund deren Begehung der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die vom Angeklagten zu erwartenden Betäubungsmitteldelikte sind vielmehr ausschließlich auf dessen Selbstschädigung gerichtet. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen dienten die angebauten Cannabisprodukte allein dem eigenen Konsum des Angeklagten, da es ihm darum ging, hierdurch die Symptome seiner paranoiden Schizophrenie zu reduzieren. Dass der Angeklagte Cannabis zu anderen Zwecken als dem Eigenkonsum besaß, ist nicht festgestellt.

3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten mit aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Februar 2017 - 4 StR 565/16, NStZ-RR 2017, 308 , 309; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74 ,75; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1).

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO ).

Vorinstanz: LG Waldshut-Tiengen, vom 31.10.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 373
StV 2020, 370