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BGH - Entscheidung vom 05.09.2019

4 StR 206/19

Normen:
StGB § 63

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 372
StV 2021, 232

BGH, Beschluss vom 05.09.2019 - Aktenzeichen 4 StR 206/19

DRsp Nr. 2019/16080

Revisionsrechtliche Überprüfung der Unterbringung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Erfüllung der Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf u.a. nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist.

Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 21. Dezember 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der vielfach, u.a. wegen einer im Jahr 1997 begangenen Körperverletzung mit Todesfolge und wegen Eigentumsdelikten vorbestrafte Beschuldigte zeigte schon seit dem 5. Schuljahr Verhaltensauffälligkeiten. Er konsumierte Alkohol, später auch Heroin und Kokain. Wegen Wahrnehmungsstörungen, Realitätsverkennungen und seiner polyvalenten Suchtmittelabhängigkeit war er mehrfach erfolglos in stationärer Behandlung. Zwei Unterbringungen nach § 64 StGB wurden jeweils für erledigt erklärt. Bei Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe fiel er im Mai 2018 durch wirres Reden und Aggressionen gegen die Mitgefangenen auf. Er wurde deshalb in eine psychiatrische Klinik verlegt, die eine akute schwere psychotische Erkrankung, differentialdiagnostisch ein Entzugsdelir oder eine paranoide Schizophrenie diagnostizierte. Während der anschließenden einstweiligen Unterbringung in dieser Sache zeigte sich der krankheitsuneinsichtige Beschuldigte zeitweise hochpsychotisch.

b) Am 1. November 2017 konsumierte der Beschuldigte gemeinsam mit B. Alkohol auf einer Bank in S. . B. , der seinen kleinen Hund dabei hatte, stieß diesen mit dem Bein zur Seite. Der Beschuldigte schlug ihm nun mehrfach mit der Faust ins Gesicht, so dass B. einen Nasenbeinbruch erlitt. B. setzte sich zur Wehr und schlug seinerseits auf den Beschuldigten ein, bis die Polizei beide trennte (Tat 1). Am 9. März 2018 hielt sich der Beschuldigte in O. auf. Wegen seiner Alkoholisierung fand er keinen Platz im Obdachlosenasyl. Gegen 22.00 Uhr kam er an einem Damenmodengeschäft vorbei und entschloss sich spontan, dort einzubrechen, um Stehlenswertes zu entwenden und später zu verkaufen. Er warf die Schaufensterscheibe mit einem Pflasterstein ein und stieg in das Geschäft ein. Er nahm ein rotes Kleid zum Verkaufspreis von 298 Euro und drei Modeschmuckketten für insgesamt 60 Euro an sich, wobei er glaubte, an den Sachen Preisschilder von mehreren Tausend Euro gesehen zu haben. Das rote Kleid warf er kurze Zeit nach Verlassen des Geschäfts weg, die drei Ketten verschenkte er. Als ihn Polizeibeamte gegen 22.35 Uhr festnahmen, redete er "wirres Zeug", war aber nicht aggressiv (Tat 2).

c) Das Landgericht hat die Tat 1 vom 1. November 2017 als vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB ) und die Tat 2 vom 9. März 2018 als Einbruchdiebstahl (§§ 242 , 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB ) gewürdigt. Dem gehörten Sachverständigen folgend hat es hinsichtlich der ersten Tat eine Aufhebung der Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit wegen einer chronifizierten, seit 2008 bestehenden paranoiden Schizophrenie nicht auszuschließen vermocht. Bei der zweiten Tat sei aufgrund der paranoiden Schizophrenie die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen. Der Beschuldigte habe unmittelbar nach der Tat deutliche Zeichen einer schizophrenen Phase gezeigt, habe wirr geredet, Wahngedanken geäußert, und auch die Angaben zu den Preisschildern würden auf eine Realitätsverkennung hindeuten. Die Strafkammer hat (nur) in dem Einbruchdiebstahl eine erhebliche Anlasstat im Sinne von § 63 StGB gesehen. Es sei wahrscheinlich, dass der Beschuldigte auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Er pflege einen unsteten Lebenswandel, habe eine Vielzahl von Straftaten begangen und sei unbeeindruckt von gerichtlichen Sanktionen. Die chronifizierte Schizophrenie diene als Grundlage für das Ausleben aggressiver Impulse. Es seien nicht nur Diebstähle im besonders schweren Fall, sondern auch Körperverletzungen und gefährliche Körperverletzungen zu erwarten.

2. Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB zu tragen.

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt unter anderem die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20 , 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306 , 307; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 , 77; vom 17. Juni 2015 - 4 StR 196/15, NStZ-RR 2015, 275 ; und vom 10. August 2017 - 3 StR 181/17 Rn. 6; jeweils mwN). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1997 - 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383 ; Beschlüsse vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14 Rn. 7).

a) Ausgehend davon sind die Voraussetzungen der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB im Urteil bereits deswegen nicht rechtsfehlerfrei dargetan, weil das Landgericht nicht ausreichend dargelegt hat, wie sich die beim Beschuldigten vorliegende Schizophrenie auf seine Steuerungsfähigkeit bei der Anlasstat des Einbruchdiebstahls ausgewirkt hat. Die festgestellte Tatmotivation, Stehlenswertes zu entwenden und später zu verkaufen, ist unschwer normalpsychologisch zu erklären. Aus dem Umstand, dass der Beschuldigte nach Einsteigen in das Geschäft einer Fehlwahrnehmung bei den Preisschildern erlag und bei seiner Festnahme "wirres Zeug" redete, lässt sich demgegenüber ohne nähere Darlegung nicht entnehmen, dass in Folge der Schizophrenie die Steuerungsfähigkeit aufgehoben war. Hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung, bei der das Landgericht eine Schuldunfähigkeit lediglich nicht auszuschließen vermocht hat und die deshalb als Anlasstat ausscheidet, erschließt sich ein Zusammenhang der Tat mit der Erkrankung des Beschuldigten ebensowenig, zumal auch einer der Zeugen angegeben hat, sich über das Verhalten des B. gegenüber dem Hund geärgert zu haben, weshalb er schon habe dorthin gehen wollen.

b) Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat der Beschuldigte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Straftaten, zumeist Eigentumsdelikte, begangen. Die Urteilsgründe verhalten sich jedoch nicht dazu, inwieweit diese Straftaten im Zusammenhang mit der Erkrankung des Beschuldigten stehen. Die Eintragungen im Bundeszentralregister beginnen bereits im Jahr 1992. Die Körperverletzung mit Todesfolge hat der Beschuldigte im Jahr 1997 begangen. Danach ist er - abgesehen von der verfahrensgegenständlichen Tat zum Nachteil des B. - nicht mehr mit Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten. Die paranoide Schizophrenie des Beschuldigten ist erstmals 2008 diagnostiziert worden. Angesichts des langen Zeitraums der Erkrankung, in dem der Beschuldigte nicht gewalttätig geworden ist, und des Umstands, dass die Körperverletzung zum Nachteil des B. nicht sicher auf seine Erkrankung zurückzuführen ist, ist nicht belegt, dass von dem Beschuldigten gerade aufgrund seiner Erkrankung in Zukunft Körperverletzungen und gefährliche Körperverletzungen zu erwarten sind. Allein durch die allgemein gehaltene Annahme, dass die chronifizierte Schizophrenie als Grundlage für das Ausleben aggressiver Impulse diene, ist eine Wiederholungsgefahr im Sinne von § 63 StGB für den konkreten Fall nicht hinreichend dargetan.

Soweit das Landgericht als "ähnlich gelagerte Straftaten" künftige Einbruchdiebstähle für wahrscheinlich hält, lassen die Urteilsgründe schon nicht erkennen, ob dadurch ein schwerer wirtschaftlicher Schaden droht.

Die Sache bedarf daher umfassender neuer tatrichterlicher Prüfung.

Vorinstanz: LG Stendal, vom 21.12.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 372
StV 2021, 232