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BGH - Entscheidung vom 10.01.2019

1 StR 463/18

Normen:
StGB § 63
StGB § 176 Abs. 4 Nr. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 140
StV 2021, 294

BGH, Urteil vom 10.01.2019 - Aktenzeichen 1 StR 463/18

DRsp Nr. 2019/3030

Revision gegen die Ablehnung der Unterbringung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei den Taten aufgrund des Vorliegens einer Autismus-Spektrum-Störung; Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei tateinheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Erregung öffentlichen Ärgernisses

Allein das Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung bei dem Angeklagten rechtfertigt nicht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn eine die Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden kann. Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind.

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 13. Dezember 2017 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Normenkette:

StGB § 63 ; StGB § 176 Abs. 4 Nr. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren den Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt – außer hinsichtlich der Feststellungen zum äußeren Geschehen der Anlasstaten – vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der 49-jährige Beschuldigte leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung, Exhibitionismus sowie einem Klinefelter-Syndrom. Zudem weist er, was auf die autistische Erkrankung oder das Klinefelter-Syndrom zurückzuführen sein kann, eine leichte geistige Behinderung auf. Dabei ist seine sprachliche Ausdrucksfähigkeit gut entwickelt. Im Alltag eines geschützten und strukturierten Umfelds kommt der Beschuldigte alleine zurecht. Aufgrund seiner autistischen Erkrankung ist der Beschuldigte aber in seiner Fähigkeit zu kommunizieren deutlich auffällig: Er ist stark ich-bezogen, kann schlecht andere Meinungen wahrnehmen und sich schwer bis gar nicht in andere Personen hineinversetzen.

Seit dem Jahr 2004 steht der Beschuldigte unter gesetzlicher Betreuung, die auch die Aufgabenkreise Aufenthaltsbestimmung und Sorge für die Gesundheit umfasst. Auf Veranlassung der Berufsbetreuerin zog der Beschuldigte im Jahr 2010 ins F. in R. . Sein dortiger Wohngruppenplatz in einem Mehrgenerationenhaus wurde ihm während seines Aufenthalts in einstweiliger Unterbringung im I. mittlerweile gekündigt.

Die beim Beschuldigten führende Erkrankung einer Autismus-Spektrum-Störung führte im Zeitraum von 2002 bis 2013 zu insgesamt vier stationären Klinikaufenthalten im I. . Lediglich einer der Vorfälle, die Anlass für eine stationäre Aufnahme waren, hatte ein sog. Hands-on-Delikt zum Gegenstand: Der Beschuldigte hatte in einem öffentlichen Bus ein fünfzehnjähriges Mädchen mit seiner Hand an der linken Hälfte des Gesäßes berührt. Grund für einen stationären Aufenthalt im I. im Jahr 2013 war der Vorwurf, der Beschuldigte habe in einem Leichenhaus onaniert und dadurch die Totenruhe gestört. Die jeweils eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft wegen angenommener Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt. Bereits im Jahr 1992 war ein gegen den Beschuldigten geführtes Ermittlungsverfahren wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden.

2. Das Landgericht hat folgende Anlasstaten festgestellt:

a) Am 21. Februar 2016 onanierte der Beschuldigte in einer Kirche in R. am entblößten Glied vor drei dreizehnjährigen Mädchen. Dabei suchte der Beschuldigte den Blickkontakt zu den Mädchen und fühlte sich durch ihre Anwesenheit und ihre Beobachtung sexuell erregt. Die Mädchen fühlten sich durch das Verhalten des Beschuldigten zunächst belustigt, in der Folge aber angeekelt.

b) Am 20. Juli 2016 onanierte der Beschuldigte in der S-Bahn über der Hose und unter vorgehaltener Stofftasche. Dabei suchte er den Blickkontakt mit einem ihm gegenüber sitzenden zehnjährigen Jungen, der ihn jedoch nicht wahrnahm. Allerdings bemerkte ein erwachsener Fahrgast sein sexuell motiviertes Verhalten, nahm daran Anstoß und sprach den Beschuldigten daraufhin an. Wie der Beschuldigte nunmehr erkannte, wurden dadurch auch andere Fahrgäste auf sein Verhalten aufmerksam.

c) Bei beiden Vorfällen war der Beschuldigte wegen seiner Autismus-Spektrum-Störung nicht ausschließbar nicht in der Lage, das Unrecht seines Tuns einzusehen (§ 20 StGB ). Jedenfalls war dabei infolge dieser Störung die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert.

3. Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als sexuellen Missbrauch von Kindern in drei tateinheitlichen Fällen (§ 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ) in Tatmehrheit mit versuchtem sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Erregung öffentlichen Ärgernisses gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 , Abs. 6 , §§ 183a, 22 StGB gewertet, das wegen nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit des Beschuldigten bei Tatbegehung nicht bestraft werden könne (§ 20 StGB ).

4. Den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB ) hat das Landgericht abgelehnt. Es ist zum Ergebnis gelangt, dass beim Beschuldigten die von § 63 Satz 1 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht gegeben ist. Ausgehend von den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebe sich zwar, dass der Beschuldigte erneut Handlungen vergleichbar den verfahrensgegenständlichen – öffentliches Onanieren – vornehmen werde. Die zu erwartenden Taten erreichten jedoch nicht den Bereich der mittleren Kriminalität, was aber Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß § 63 StGB sei.

II.

Die Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Das sachverständig beratene Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass bei dem Beschuldigten eine Autismus-Spektrum-Störung vorliegt, deretwegen bei ihm für die Tatzeitpunkte die Aufhebung seiner Einsichtsfähigkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann, seine Steuerungsfähigkeit bei den Taten aber jedenfalls erheblich vermindert war (§ 21 StGB ).

2. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Landgericht ebenfalls ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht vorliegen. Zwar beging der Beschuldigte im Zustand zumindest erheblich verminderter Schuldfähigkeit rechtswidrige Taten des vollendeten bzw. versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern. Das Landgericht hat jedoch rechtsfehlerfrei dargelegt, dass dem Beschuldigten eine seine Unterbringung rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose nicht gestellt werden kann.

a) Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Satz 1 StGB kommt als außerordentlich beschwerende Maßnahme nur dann in Betracht, wenn eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Bei den zu erwartenden Taten muss es sich um solche handeln, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden schwer zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, NStZ-RR 2019, 41 , 42; vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18, Rn. 12 und vom 10. April 2014 – 4 StR 47/14, Rn. 14; Beschlüsse vom 31. Oktober 2018 – 3 StR 432/18, Rn. 6 und vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337 , 338, jeweils mwN). Zudem ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung solcher Taten erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2018 – 1 StR 36/18, Rn. 25 und vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141 , 142 mwN; Urteil vom 21. Februar 2017 – 1 StR 618/16, Rn. 9 [insoweit nicht abgedruckt in BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 2]). Die zu stellende Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 – 4 StR 195/18, aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2013, 424], jeweils mwN).

b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.

Das Landgericht hat der Gefahrenprognose zutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt und ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, seines Vorlebens und der festgestellten Anlasstaten zu dem Ergebnis gelangt, dass von dem Beschuldigten keine erheblichen rechtswidrigen Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Es hat dabei beachtet, dass die Gefahrenprognose anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entwickeln ist.

aa) Die Annahme des Landgerichts, dass von dem Beschuldigten als Folge seiner autistischen Grunderkrankung in der Zukunft lediglich Handlungen, die den verfahrensgegenständlichen – öffentliches Onanieren – vergleichbar sind, nicht aber andere, erhebliche Straftaten zu erwarten sind, ist sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Landgericht durfte sich bei seiner Prognose auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen S. und des den Beschuldigten behandelnden Arztes O. stützen. Es hat im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände nicht nur die Anlasstaten, sondern auch die früheren Vorfälle, die zu einem stationären Aufenthalt des Beschuldigten führten, wie auch sein Verhalten im F. und sein Verhalten nach den verfahrensgegenständlichen Vorfällen gewürdigt. Hierbei durfte es auch dem Umstand erhebliches Gewicht beimessen, dass der Beschuldigte zu keinem Zeitpunkt Gewalt anwendete und von ihm auch in Stresssituationen keine Bedrohung ausging. Bei den früheren Vorfällen kam es überhaupt nur bei dem Geschehen aus dem Jahr 2010, bei dem der Beschuldigte einem Mädchen kurz mit der Hand an den Po fasste, zu einer körperlichen Berührung.

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht in die Gesamtwürdigung eingestellt, dass der Beschuldigte auch in der Wohngruppe im F. nur durch wiederholtes, wenn auch in der Häufigkeit zunehmendes Onanieren im öffentlichen Raum aufgefallen ist und gelegentlich auch in öffentlichen Verkehrsmitteln onaniert habe. Wenn er aufgefordert wurde, dies zu unterlassen, waren es seine Standardantworten, dass er dies nicht akzeptieren könne bzw. dass er zu 100 % schwerbehindert sei und „man ihm daher nichts könne“ (UA S. 25). Dies hat das Landgericht berücksichtigt.

Die Würdigung des Landgerichts, auch aus dem Verhalten des Beschuldigten nach den Anlasstaten seien keine gewichtigen Anhaltspunkte für ein zu erwartendes gefährliches Verhalten zu entnehmen, hält ebenfalls sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Dem steht nicht entgegen, dass der Beschuldigte bereits eine Woche nach dem verfahrensgegenständlichen Vorfall in der S-Bahn erneut im öffentlichen Nahverkehr aufgefallen ist. Er beanspruchte – was das Landgericht berücksichtigt hat – laut schreiend einen Sitzplatz, den er für sich ausgesucht hatte, und zeigte dabei seinen Behindertenausweis.

bb) Ausgehend von der – wie dargelegt – rechtsfehlerfreien Prognose, dass von dem Beschuldigten in der Zukunft lediglich den Anlasstaten vergleichbare Handlungen zu erwarten sind, hält auch die Wertung des Landgerichts, dass die von dem Beschuldigten zu erwartenden Taten nicht den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen und deshalb auch keine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, rechtlicher Nachprüfung stand.

(1) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei in den Blick genommen, dass es sich bei den Anlasstaten um exhibitionistische Handlungen vor Kindern handelt, die zwar dem Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB unterfallen, für die der Gesetzgeber aber mit § 183 Abs. 3 und 4 Nr. 2 StGB hinsichtlich der Bewährungsaussetzung eine Sonderregelung geschaffen hat. Diese Regelung erlaubt eine Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitstrafe auch dann, wenn dem Täter erst nach längerer Heilbehandlung eine günstige Prognose gestellt werden kann. Für einen längeren Zeitraum wird daher die Gefahr einer Wiederholung derartiger Taten hingenommen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es mit dieser gesetzlichen Wertung unvereinbar wäre, exhibitionistische Handlungen vor Kindern stets als erhebliche, für die Allgemeinheit gefährliche Straftaten anzusehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. August 2007 – 2 StR 263/07, NStZ 2008, 92 und vom 25. Februar 1999 – 4 StR 690/98, NStZ-RR 1998, 298 ; Urteil vom 24. März 1998 – 1 StR 31/98, NStZ 1998, 408 , 409). Dass diese Wertung der § 183 Abs. 3 und 4 Nr. 2 StGB auch für die Beantwortung der Frage Bedeutung hat, ob die Vollstreckung einer angeordneten Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen ist, führt hinsichtlich der Anordnungsvoraussetzungen der Unterbringung zu keinem anderen Ergebnis.

(2) Hiervon ausgehend hat das Landgericht die von dem Beschuldigten zukünftig zu erwartenden Handlungen in der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72 , 73) rechtsfehlerfrei als Taten gewertet, die nicht in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen und deshalb auch nicht geeignet sind, den Rechtsfrieden schwer zu stören.

(a) Die Beanstandung der Revision, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Gefahr der Begehung künftiger Straftaten nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB als von vornherein vom Anwendungsbereich des § 63 StGB ausgenommen angesehen und die Taten des Beschuldigten keiner sorgfältigen Einzelfallprüfung unterzogen, trifft nicht zu. Vielmehr hat das Landgericht ohne Rechtsfehler das Gewicht der von dem Beschuldigten begangenen exhibitionistischen Handlungen vor Kindern ausgehend von den konkreten Umständen der festgestellten Einzelfälle geprüft, jedoch als nicht groß genug angesehen, um sie mindestens dem Bereich mittlerer Kriminalität zuordnen zu können. Es hat dargelegt, dass auch zukünftig vom Beschuldigten keine gewichtigeren Taten zu erwarten sind. Auch vor dem Hintergrund, dass der abstrakte Strafrahmen von Taten gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht, ist im Hinblick auf die Maßgeblichkeit der konkret zu erwartenden Straftaten für die Gefährlichkeitsprognose entgegen der Annahme der Revision nicht zu besorgen, das Landgericht könnte von einem zu engen Verständnis des Bereichs der mittleren Kriminalität ausgegangen sein.

(b) Das Landgericht durfte bei der Bewertung des Gewichts der Taten auch dem Umstand Bedeutung beimessen, dass der Beschuldigte in keinem Fall die Nähe von Kindern suchte und auch nicht Orte aufsuchte, an denen sich üblicherweise Kinder aufhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2007 – 2 StR 263/07, NStZ 2008, 92 f.). Nach den Urteilsfeststellungen war es auch bei der Anlasstat in der Kirche lediglich Zufall, dass an diesem Tag Konfirmandengottesdienst war und sich die Mädchen neben den Beschuldigten setzten. Ebenso durfte das Landgericht für die Gefährlichkeitsprognose berücksichtigen, dass es bei den Anlasstaten zu keinem körperlichen Kontakt des Beschuldigten mit den Kindern kam, dass er die Kinder nicht ansprach, sowie, dass er in keiner Weise den Kindern nachstellte oder in sonstiger Weise versuchte, ihre Beobachtung zu erzielen. Bei der Bewertung des Gewichts der Handlung in der S-Bahn durfte das Landgericht schließlich berücksichtigen, dass sich der Beschuldigte auf einen freien Platz setzte und sich bei den Onanierbewegungen über der Hose eine Stofftasche vorhielt.

(c) Die Wertung des Landgerichts, dass die Auswirkungen der Anlasstaten auf die betroffenen Kinder gering waren, hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand. Sie wird von den Feststellungen getragen, nach denen die Mädchen in der Kirche das Verhalten des Beschuldigten zunächst als lustig empfanden, sich gegenseitig auf den Vorgang aufmerksam machten und die Handlungen des Beschuldigten erst im weiteren Verlauf als unangenehm bis eklig empfanden. Nachteilige Folgen in der sexuellen Entwicklung der Mädchen sind nach den Urteilsfeststellungen nicht aufgetreten und wurden vom Landgericht rechtsfehlerfrei auch nicht als nahe liegend angesehen. Bei der zweiten Anlasstat hatte der Junge in der S-Bahn die Handlungen des Beschuldigten zunächst nicht einmal bemerkt.

(d) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch die festgestellten Vorfälle vor und nach den Anlasstaten nicht als Fälle mittlerer Kriminalität gewertet. Die kurze Berührung des fünfzehnjährigen Mädchens im Jahr 2010 hat das Landgericht rechtsfehlerfrei als „im niederschwelligen sexuellen Bereich angesiedelt“ eingeordnet; bei dem Vorfall in der Leichenhalle wollte der Beschuldigte beim Onanieren allein sein.

(3) Entgegen der Auffassung der Revision weist die vom Landgericht vorgenommene Gefährlichkeitsprognose auch sonst keine den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler auf.

(a) Den Umstand, dass eine deutliche Wiederholungsgefahr für exhibitionistische Handlungen des Beschuldigten auch vor Kindern besteht, hat das Landgericht ebenso in die Gesamtwürdigung für die Gefährlichkeitsprognose eingestellt wie die Feststellung, dass der Beschuldigte eine überdauernde Einsicht, dass öffentliches Onanieren falsch ist, bislang nicht gewonnen hat. Die Äußerung des Beschuldigten, die (zufällige) Anwesenheit der Mädchen habe ihn beim Onanieren beflügelt, musste das Landgericht nicht zu einer eingehenderen Erörterung dazu veranlassen, wie sich der Beschuldigte gegenüber Kindern verhalten könnte, wenn diese sein Verhalten nicht akzeptieren. Das Landgericht durfte aus den Umständen, dass der Beschuldigte zur Durchsetzung seiner Vorstellungen in der Vergangenheit – auch in Stresssituationen – nie Gewalt angewendet hat, den Schluss ziehen, dass von dem Beschuldigten keine Bedrohung anderer ausgeht. Einer ausdrücklichen Darlegung, dass dies auch für den Fall gilt, dass sich der Angeklagte durch die Anwesenheit von Kindern bei seinen Taten „beflügelt“ fühlt, bedurfte es nicht. Der vom Landgericht in den Blick genommene Umstand, dass der Beschuldigte unter Vorzeigen seines Behindertenausweises in der S-Bahn laut schreiend einen bestimmten Sitzplatz für sich beanspruchte, musste das Landgericht nicht zu einem anderen Schluss drängen.

(b) Soweit der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hinweist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind (BGH, Urteil vom 26. Juni 2012 – 1 StR 163/12, Rn. 27, mwN), wird eine Lücke in der Gesamtwürdigung des Landgerichts ebenfalls nicht aufgezeigt. Die Urteilsgründe lassen hinreichend deutlich erkennen, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, das wiederholte und in der Häufigkeit zunehmende Onanieren im öffentlichen Raum werde auch in der Zukunft häufig stattfinden. Eine zu erwartende Steigerung der Intensität der sexuellen Handlungen hat das Landgericht mit tragfähigen Erwägungen abgelehnt.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG München II, vom 13.12.2017
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 140
StV 2021, 294