BGH, Urteil vom 19.02.2019 - Aktenzeichen XI ZR 326/17
Rechtsstreit um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von drei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen; Prüfung einer Verwirkung des Widerrufsrechts; Ordnungsgemäße Belehrung über das zustehende Widerrufsrecht
Für das Umstandsmoment der Verwirkung kommt es weder auf die Kenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand seines Widerrufsrechts noch auf das Vertrauen des Darlehensgebers an, der Darlehensnehmer habe in sonstiger Weise Kenntnis vom Fortbestand seines Widerrufsrechts erlangt. Dass der Darlehensgeber davon ausgeht oder ausgehen muss, der Darlehensnehmer habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schließt vielmehr eine Verwirkung nicht aus.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 28. April 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien (der Kläger zu 1 ist ehemaliger Außendienstmitarbeiter der Beklagten) streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von drei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Kläger.
Die Parteien schlossen im Februar 2003 auf "Vermittlung" des Klägers zu 1 Darlehensverträge mit der Endnummer -712 über 145.000 € zu einem bis zum 28. Februar 2018 festen Nominalzinssatz von 5% p.a., mit der Endnummer -046 über 112.000 € zu einem bis zur Zuteilung einer Anschlussfinanzierung mittels eines Bausparvertrags festen Nominalzinssatz von 4,79% p.a. und mit der Endnummer -038 über 113.000 € zu einem bis zur Zuteilung einer Anschlussfinanzierung mittels eines Bausparvertrags festen Nominalzinssatz von 4,85% p.a. Zur Sicherung der Beklagten diente eine Grundschuld über 338.000 €. Bei Abschluss der Darlehensverträge belehrte die Beklagte die Kläger über ihr Widerrufsrecht wie folgt:
Auf Wunsch der Kläger beendeten die Parteien den Darlehensvertrag zur Endnummer -038 im Juni 2010 und die Darlehensverträge mit den Endnummern -712 und -046 im November 2014. Die Beklagte gab im Jahr 2014 einen Teil der Grundschuld in Höhe von 284.100 € frei.
Die Kläger haben mit ihrer der Beklagten am 21. August 2015 zugestellten Klage ihre auf Abschluss der drei Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen widerrufen. Zuletzt haben sie in erster Instanz beantragt festzustellen, dass ihre Willenserklärungen wirksam widerrufen und die Darlehensverträge in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden seien, und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 131.812,69 € nebst Zinsen zu zahlen sowie vorgerichtlich verauslagte Anwaltskosten zu erstatten. Diese Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung, mit der die Kläger noch die Zahlung von 37.176,29 € nebst Zinsen (Herausgabe mutmaßlich bis zum "Tag des Widerrufs" gezogener Nutzungen auf Basis der Vermutung "2,5 Prozentpunkte über Basiszinssatz") und die Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten weiterverfolgt haben, hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 37.124,63 € nebst Zinsen verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung der Kläger weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - ausgeführt:
Die Beklagte habe die Kläger unzureichend deutlich über das ihnen zustehende Widerrufsrecht belehrt, so dass die Widerrufsfrist im Jahr 2015 noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Das Widerrufsrecht der Kläger sei nicht verwirkt. Das Berufungsgericht könne die Feststellung nicht treffen, dass die Beklagte aus dem gesamten Verhalten der Kläger den Schluss habe ziehen dürfen, die Kläger würden von dem auch nach Vertragsbeendigung fortbestehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr machen. Auch die vorzeitige Abwicklung der Darlehensverträge auf Wunsch der Kläger rechtfertige nicht die Annahme der Beklagten, die Kläger würden ein bestehendes Widerrufsrecht nicht mehr ausüben, weil sie damit habe rechnen müssen, den Klägern sei ihr Widerrufsrecht bei Ablösung und in der Zeit danach unbekannt gewesen. Für die Beklagte habe kein Anlass bestanden zu unterstellen, die Kläger hätten das Bestehen eines Widerrufsrechts geprüft oder auch nur in Betracht gezogen. Es habe für die Beklagte auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, die Kläger seien im Zuge der Ablösungsverhandlungen rechtlich beraten gewesen.
Zwar sei der Einwand der Verwirkung auch dann nicht generell ausgeschlossen, wenn dem Berechtigten sein Recht nicht bekannt sei. Es spreche aber gegen die Annahme des Vertrauenstatbestands, wenn der Verpflichtete davon ausgehen müsse, der Berechtigte wisse von den ihm zustehenden Ansprüchen nichts. Aus Sicht der Beklagten sei es naheliegend gewesen, dass die Kläger nur deshalb zum Abschluss der Aufhebungsvereinbarung bereit gewesen seien, weil ihnen nicht bekannt gewesen sei, dass sie sich auch durch einen Widerruf von den Verträgen hätten lösen können.
Anders könne der Fall zu beurteilen sein, wenn die Beklagte aus dem Verhalten der Kläger habe schließen dürfen, ihnen sei die Möglichkeit des Widerrufs bekannt. Hätten sie vor diesem Hintergrund die vorzeitige Beendigung der Verträge gewünscht und wären sie nach Ablösung längere Zeit untätig geblieben, hätte der Schluss der Beklagten, mit einem Widerruf müsse nicht mehr gerechnet werden, berechtigt sein können. So liege der Fall indessen nicht.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt, den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2 , §§ 32 , 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung (künftig: aF) zu widerrufen. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen gewesen, weil die Beklagte die Kläger unzureichend deutlich über das ihnen zukommende Widerrufsrecht belehrt habe. Mittels der Wendung, die Widerrufsfrist beginne "einen Tag, nachdem der von Ihnen unterzeichnete Darlehensvertrag bei der Gläubigerin eingegangen ist", knüpfte die Beklagte das Anlaufen der Widerrufsfrist an einen Umstand, von dem der Darlehensnehmer keine Kenntnis hatte (Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 24).
2. Als rechtsfehlerhaft erweisen sich aber die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat.
Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung des Umstandsmoments die höchstrichterliche Rechtsprechung, der zufolge die Unkenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand des Widerrufsrechts eine Verwirkung nicht hindert, verkannt. Es hat unterstellt, solange der Darlehensgeber davon ausgehen müsse, der Darlehensnehmer habe vom Fortbestehen des Widerrufsrechts keine Kenntnis, könne der Darlehensgeber schutzwürdiges Vertrauen im Sinne des Umstandsmoments nicht bilden. Damit hat das Berufungsgericht einen Rechtssatz formuliert, der zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Widerspruch steht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für das Umstandsmoment der Verwirkung weder auf die Kenntnis des Darlehensnehmers vom Fortbestand seines Widerrufsrechts noch auf das Vertrauen des Darlehensgebers an, der Darlehensnehmer habe in sonstiger Weise Kenntnis vom Fortbestand seines Widerrufsrechts erlangt. Dass der Darlehensgeber davon ausgeht oder ausgehen muss, der Darlehensnehmer habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schließt vielmehr eine Verwirkung nicht aus (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 33 und vom 27. November 2018 - XI ZR 111/17, juris Rn. 11; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 17 mwN).
Außerdem hat das Berufungsgericht, was die Revision zu Recht rügt, rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen, dass der Umstand, dass der Darlehensgeber Sicherheiten - zumindest teilweise - freigegeben hat, ein Aspekt ist, den der Tatrichter bei der Prüfung des Umstandsmoments berücksichtigen kann.
Dem steht nicht entgegen, dass der Darlehensgeber nach Beendigung des Darlehensvertrags und vollständiger Erfüllung der aus dem unwiderrufenen Darlehensvertrag resultierenden Pflichten des Darlehensnehmers die Sicherheiten ohnehin freizugeben hätte. Die Sicherheiten sichern regelmäßig auch Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB . Dem Rückgewähranspruch des Darlehensnehmers aus der Sicherungsabrede haftet die für den Fall des Widerrufs auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung an. Beendet der Darlehensgeber trotz der Möglichkeit der Revalutierung durch Rückgewähr der Sicherheit den Sicherungsvertrag oder reduziert er im Falle einer Teilfreigabe seine Sicherung, kann darin die Ausübung beachtlichen Vertrauens im Sinne des § 242 BGB liegen (vgl. Senatsurteile vom 11. September 2018 - XI ZR 125/17, WM 2018, 2128 Rn. 34 und vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 17 sowie - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 23. Januar 2018 - XI ZR 298/17, WM 2018, 614 Rn. 20 mwN).
Dem setzt die Revisionserwiderung mit dem Zitat eines Urteils des V. Zivilsenats vom 16. März 2007 ( V ZR 190/06, WM 2007, 1940 Rn. 8) und einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (NZA 2018, 301 Rn. 39 f.), die mit der Rechtsprechung des Senats nicht in Widerspruch stehen, Erhebliches nicht entgegen.
III.
Das Berufungsurteil unterliegt mithin, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, der Aufhebung (§ 562 ZPO ), da es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO ). Der Senat, der der dem Tatrichter obliegenden Würdigung der konkreten Umstände nach § 242 BGB nicht vorgreifen kann (st. Rspr., vgl. zuletzt nur Senatsurteile vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, WM 2018, 2274 Rn. 18 und - XI ZR 69/18, WM 2018, 2275 Rn. 21 mwN), verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 ZPO ).
Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, das Widerrufsrecht sei nicht verwirkt, wird es zu beachten haben, dass es einen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO darstellt, wenn das Gericht eine nach seiner Auffassung unbegründete Forderung des Klägers durch eine andere, vom Kläger aber nicht geltend gemachte Forderung - hier: Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen auf Leistungen vor dem 1. September 2004 zu -712 bzw. vor dem 1. April 2004 zu -046 - ersetzt.
Von Rechts wegen
Verkündet am: 19. Februar 2019