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BGH - Entscheidung vom 13.08.2019

5 StR 257/19

Normen:
JGG § 67

Fundstellen:
NStZ 2019, 680
StV 2020, 690

BGH, Beschluss vom 13.08.2019 - Aktenzeichen 5 StR 257/19

DRsp Nr. 2019/13103

Rechtmäßige Verwertung von Angaben aus der Beschuldigtenvernehmung; Ausgestaltung des Elternkonsultationsrechts bei Jugendstrafverfahren

Es kann dahinstehen, ob sich aus § 67 JGG ein "Elternkonsultationsrecht" und eine dahingehende Belehrungspflicht herleiten lässt, wenn eine zu einem Beweisverwertungsverbot führende Rechtsverletzung nicht ersichtlich ist, weil die Mutter des 15-jährigen Angeklagten mit ihm vor der Vernehmung sprechen konnte, es aber dem ausdrücklichen Wunsch des Minderjährigen entsprach, dass sie nicht an der Vernehmung des Angeklagten teilnehmen sollte.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. November 2018 wird verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsmittels aufzuerlegen. Er hat die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

JGG § 67 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Die hiergegen mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts identifizierte sich der zur Tatzeit 15 Jahre und drei Monate alte Angeklagte zunehmend mit der Figur des gewalttätigen Psychopathen "Joker", einer Comic-Figur aus den "Batman"-Geschichten, die aus purer Freude tötet. Spätestens am 1. März 2018 beschloss er, seine 14 Jahre alte Mitschülerin K. G. zu töten. Er fand den Gedanken an die Tötung eines Menschen schon seit einiger Zeit "spannend" und fragte sich, wie es sich "anfühle", einen Menschen zu töten. Außerdem wollte er herausfinden, ob er die eigenhändige Tötung eines Menschen ertragen könne. Sein Opfer suchte er aus, weil er wusste, dass K. in ihn verliebt war und deshalb keinen Argwohn hegte.

Am Nachmittag des Tattages nahm er einen zuvor gepackten Rucksack mit Wechselkleidung, einem Küchenmesser mit 11 cm langer Klinge, Handschuhen und Plastiküberziehern für Kopfhaare sowie Schuhe und ging zu K. . Die Tötung hatte er zuvor seiner besten Freundin gegenüber angekündigt und mit ihr eine "Alibi-Absprache" getroffen. Die Freundin ging darauf ein, weil sie die Ankündigung nicht ernstnahm. In K. s Wohnung versetzte der Angeklagte seinem Opfer mindestens 23 Messerstiche und brachte ihr darunter drei tödliche Stichverletzungen bei. Anschließend umwickelte er mit einem Schal fest ihren Kopf. Unter Mitnahme von K. s Mobiltelefon verließ er die Wohnung. Kurz darauf schilderte er die Tat seiner besten Freundin gegenüber, am Folgetag auch einer weiteren engen Freundin. Das Tatmesser brachte er zurück in die Küche und stellte den Rucksack mit den übrigen Tatutensilien in sein Zimmer.

Der Angeklagte hat gestanden, K. getötet zu haben. Er hat allerdings angegeben, sie habe ihn zur Tat genötigt, weil sie habe sterben wollen. Diese Einlassung hat die Strafkammer als widerlegt angesehen und auf sein Motiv u.a. auch aufgrund seiner Angaben in einer Beschuldigtenvernehmung geschlossen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hinaus bedarf Folgendes der Erörterung:

1. Die Verfahrensrüge, Angaben aus der Beschuldigtenvernehmung seien zu Unrecht verwertet worden, versagt.

a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:

Der Angeklagte wohnte bei seiner Mutter, die das alleinige Sorgerecht besitzt. Wenige Tage nach der Tat war der Angeklagte in Verdacht geraten. Mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss suchten Polizeibeamte die Wohnung des Angeklagten am Sonntagmorgen auf, wo sie ihn und seine Mutter antrafen. Der Mutter wurde in der Küche der Tatverdacht gegen ihren Sohn erklärt, sie wurde über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt. Schockiert rannte sie sogleich ins Zimmer ihres Sohnes und konfrontierte ihn in Anwesenheit eines Polizeibeamten mit dem Tatvorwurf. Sie fragte ihn, ob er die Tat begangen habe, woraufhin er schwieg. Sie rief ihm zu: "Wenn du das warst, will ich, dass du das sagst. Das hat K. s Mama verdient!" Der Angeklagte erwiderte nichts. Nachdem seine Mutter das Zimmer verlassen hatte signalisierte er jedoch, dass er Angaben machen wolle, dies aber nicht in Gegenwart seiner Mutter. Anschließend wurden Mutter und Sohn in getrennten Fahrzeugen zur Mordkommission gefahren. Während der Fahrt äußerte sie den Wunsch, bei der Vernehmung anwesend zu sein. Im Kommissariat ging sie in das Vernehmungszimmer, wo ihr Sohn in Gegenwart mehrerer Beamter saß. Sie fragte ihn, ob er die Vernehmung tatsächlich allein machen wolle, was er mit der Bemerkung bejahte, es sei ihm "zu peinlich". Daraufhin verließ sie den Raum.

Die anschließende Vernehmung des Angeklagten begann mit einer Belehrung, in der es u.a. hieß: "Ich habe dich bereits in der Wohnung darüber belehrt, dass du nichts sagen musst, aber das Recht hast, dich zu äußern. Du darfst jederzeit einen Rechtsanwalt zu Vernehmungen hinzuziehen oder zumindest kontaktieren. Deine Mutter ist auch hier. Du sagtest mir, dass du nicht möchtest, dass deine Mutter bei der Vernehmung dabei ist. Das kannst du dir jederzeit anders überlegen. Deine Mutter weiß Bescheid und ist damit einverstanden, vorerst draußen zu warten." Anschließend äußerte sich der Angeklagte zur Tat und zu seinem Motiv. In der Hauptverhandlung hat der Verteidiger des Angeklagten der Verwertung widersprochen.

Der Beschwerdeführer rügt, dass weder er noch seine Mutter hinreichend über ein sogenanntes Elternkonsultationsrecht belehrt worden seien und keine Gelegenheit gehabt hätten, sich unter vier Augen zu besprechen.

b) Die Verfahrensrüge ist unbegründet.

Es kann dahinstehen, ob sich aus § 67 JGG ein "Elternkonsultationsrecht" und eine dahingehende Belehrungspflicht herleiten lässt (so OLG Celle, StraFo 2010, 114 ; Ludwig, NStZ 2019, 123 , 125 mwN; offengelassen ebenso von BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 - 5 StR 2/19). Denn jedenfalls wäre eine zu einem Beweisverwertungsverbot führende Rechtsverletzung nicht ersichtlich. Die Mutter des Angeklagten konnte mit ihm vor der Vernehmung sprechen und ihr Anliegen - er solle gestehen, wenn er die Tat begangen habe - deutlich formulieren. Dass sie nicht an der Vernehmung des Angeklagten teilnehmen sollte, entsprach seinem ausdrücklichen Wunsch. Dem Angeklagten war - auch aufgrund der Belehrung und der Anwesenheit seiner Mutter im Nebenraum - klar, dass er auf ihrer Anwesenheit hätte bestehen können; die Mutter des Angeklagten war zudem damit einverstanden, vorerst draußen zu warten. Auch nach der Vernehmung hatte sie erneut Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Selbst wenn in diesem Vorgehen keine bestmögliche Gewährleistung eines etwaigen "Elternkonsultationsrechts" zu sehen sein sollte, läge ein Beweisverwertungsverbot fern. In Frage käme ohnehin nur ein relatives Beweisverwertungsverbot, bei dem es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des Einzelfalls bedarf (ausführlich dazu Ludwig, aaO, S. 125 f. mwN; aA OLG Celle, StraFo 2010, 114 ; LG Saarbrücken NStZ 2012, 167 ). Dabei ist vorliegend zu bedenken, dass sich der Angeklagte mit seiner Mutter vor der Vernehmung kurz besprechen konnte, sie ihren Rat, was aus ihrer Sicht zu tun sei, eindeutig formuliert hat und ihre spätere Abwesenheit bei der Vernehmung dem ausdrücklichen Wunsch des Angeklagten entsprach, der zudem darüber belehrt war, sich jederzeit anders entscheiden zu können. Damit wurde im Kern das elterliche Erziehungsrecht gewahrt und dem Schutzbedürfnis des jugendlichen Angeklagten Rechnung getragen. Dass die Mutter den Angeklagten bei einer vertraulichen Unterredung zu einem anderen Verhalten bei seiner Vernehmung geraten hätte, als sie dies in Anwesenheit der Polizeibeamten getan hat, schließt der Senat zudem aus. Einem demnach allenfalls wenig gewichtigen Verfahrensverstoß stünde die Schwere des Tatvorwurfs als Abwägungskriterium entgegen, was insgesamt für die Verwertbarkeit der Angaben spricht.

2. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei; die Feststellungen tragen den Schuldspruch.

Dies gilt insbesondere für die Annahme des Mordmerkmals der Mordlust, das auch ein Jugendlicher verwirklichen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2007 - 5 StR 335/06, NStZ 2007, 522 ). Aus Mordlust handelt, wem es darauf ankommt, einen Menschen sterben zu sehen, wer aus Mutwillen, Angeberei, aus Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens oder aus Zeitvertreib tötet, die Tötung als nervliche Stimulans oder "sportliches Vergnügen" betrachtet (vgl. Fischer, StGB , 66. Aufl., § 211 Rn. 8; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 49 ff., je mwN).

All dies trifft auf den Angeklagten zu. Er handelte nach den Feststellungen mit Tötungsabsicht allein aus dem Motiv, sein Opfer sterben zu sehen und sich durch diese mutwillige, anlasslose Tat zu stimulieren. Andere Motive hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 22.11.2018
Fundstellen
NStZ 2019, 680
StV 2020, 690