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BGH - Entscheidung vom 22.05.2019

4 StR 140/19

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2

BGH, Beschluss vom 22.05.2019 - Aktenzeichen 4 StR 140/19

DRsp Nr. 2019/13275

Prüfung der Schuldfähigkeit und Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose eines Beschuldigten mit einer paranoidhalluzinatorischen Psychose für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Die Diagnose einer paranoidhalluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit. Es bedarf einer konkretisierenden Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der jeweiligen konkreten Tatsituation ausgewirkt haben soll.

Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 26. November 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 63 ; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der zur Tatzeit 29 Jahre alte Beschuldigte litt infolge einer seit etwa fünf Jahren bestehenden paranoidhalluzinatorischen Psychose unter Schlafstörungen und glaubte "nahezu permanent", bis zu 30 Personen redeten fortwährend auf ihn ein. Infolge seiner Schlafstörungen fuhr er am 28. Mai 2018 gegen 1.15 Uhr mit seinem unbeleuchteten Fahrrad ziellos in B. umher; dabei trug er gummierte Arbeitshandschuhe und führte auf dem Gepäckträger seines Fahrrads ein Brecheisen mit sich, um sich gegen mögliche Angriffe verteidigen zu können. Die Polizeibeamten N. und D. , die sich auf Streifenfahrt befanden, unterzogen den Beschuldigten einer Verkehrskontrolle. Auf die Aufforderung der Polizeibeamten, sich auszuweisen, reagierte der Beschuldigte "aufgrund seiner psychischen Erkrankung sehr aggressiv" und verlangte, dass die Beamten ihm ihrerseits ihre Dienstausweise zeigen sollten. Polizeimeisterin N. lehnte dies ab und forderte den Beschuldigten auf, seinen Rucksack abzunehmen, damit sie diesen nach einem Personaldokument durchsuchen könne. Darauf reagierte der Beschuldigte aufgebracht und stieß sein Fahrrad in Richtung der beiden Polizeibeamten auf den Boden, wodurch das Brecheisen zu Boden fiel. In der "aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankung" irrigen Annahme, es handele sich bei den sich ihm nähernden Personen nicht um Polizeibeamte, sondern um "mit Kostümen versehene Betrüger", schlug der Beschuldigte mit beiden Fäusten auf POM D. ein, um sich gegen den vermeintlichen Angriff zur Wehr zu setzen. Sodann "ergriff" der Beschuldigte das auf den Boden gefallene, rund 60 Zentimeter lange Brecheisen, "schlug damit in Richtung" der Polizeibeamtin, wobei er die Verletzung beider Beamten billigend in Kauf nahm. Er traf sie jedoch nicht. Die beiden Beamten setzten nunmehr Pfefferspray gegen ihn ein, weshalb der Beschuldigte nicht mehr auf die Beamten einzuwirken vermochte. Polizeiobermeister D. erlitt infolge der Faustschläge des Beschuldigten eine "Rötung" am rechten Ohr.

2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Beschuldigte den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen verwirklicht habe. Sachverständig beraten ist es davon ausgegangen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt krankheitsbedingt aufgehoben gewesen sei (§ 20 StGB ). Es hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil infolge seines Zustands mit weiteren, den Anlassdelikten vergleichbaren Taten - insbesondere mit gefährlichen Körperverletzungen - zu rechnen und der Beschuldigte deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei (§ 63 StGB ).

II.

Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.

1. Die Feststellungen zur rechtswidrigen Anlasstat sind nicht belegt, soweit das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, der Beschuldigte habe tateinheitlich auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 , § 52 StGB ) begangen. Die Feststellung, der Beschuldigte habe mit dem Brecheisen in Richtung von Polizeimeisterin N. geschlagen, ist beweiswürdigend nicht tragfähig begründet. Damit ist auch der Feststellung der subjektiven Tatseite die Tatsachengrundlage entzogen.

Der Beschuldigte hatte sich zum Tatvorwurf eingelassen und in Abrede gestellt, das Brecheisen gegen die Beamten "zum Einsatz gebracht" zu haben. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit dem Brecheisen einen Schlag gegen die Beamtin ausgeführt und dabei ihre und die Verletzung ihres Kollegen billigend in Kauf genommen habe, hat das Landgericht allein auf die Aussage von Polizeimeisterin N. gestützt. Ihre Angaben sind in den Urteilsgründen dahin wiedergegeben, dass sie und ihr Kollege "davon ausgegangen" seien, "dass der Beschuldigte mit dem vom Boden aufgenommenen Brecheisen auf sie, die Beamten, habe einschlagen wollen". Worauf die Einschätzung der Polizistin, dass der Beschuldigte das Schlagwerkzeug ergriff, um damit einen Schlag auszuführen, gründet, ergibt das Urteil nicht. Eine Schlagbewegung hat die Zeugin nicht beschrieben. Es bleibt daher offen, ob der Beschuldigte - wie das Landgericht angenommen hat - das Brecheisen tatsächlich ergriff, um es als Schlagwerkzeug einzusetzen und die Beamten damit zu verletzen.

2. Darüber hinaus halten auch die Schuldfähigkeitsprüfung und die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sinne der §§ 20 , 21 StGB ist nicht tragfähig belegt.

aa) Das Tatgericht hat die Schuldfähigkeit des Beschuldigten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt es sich dem Sachverständigen an, so muss es die wesentlichen Anknüpfungspunkte sowie dessen Schlussfolgerungen in den Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2019 - 2 StR 505/18, NStZ-RR 2019, 134 ; vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165 ; vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.

bb) Die Ausführungen des Landgerichts sind auf die Wiedergabe der Wertung des Sachverständigen beschränkt, dass "davon ausgegangen werden" müsse, der Beschuldigte habe "zum Tatzeitpunkt an einer überdauernden psychotischen Symptomatik im Rahmen einer bereits seit mehreren Jahren bestehenden schizophrenen Psychose gelitten" und zur Tatzeit "unter einer so massiven floriden psychotischen Beeinflussung gestanden", "dass daraus ein völliger Realitätsverlust mit Verkennung der Polizeibeamten resultiert habe". Hierfür spreche die Beschreibung einer sich in den Augen des Beschuldigten zuspitzenden "Bedrohungssituation" und seiner in Notwehr getätigten "Verteidigungshandlungen", ohne dass es hierfür unter Zugrundelegung der Zeugenbeschreibungen einen realen Bezug gegeben habe. Eine zusätzliche tatbegünstigende Wirkung von Suchtmitteln könne ausgeschlossen werden. Es sei deshalb unter Würdigung aller aktuell vorliegenden Informationen davon auszugehen, dass "die genannten, auf die Psychose zurückzuführenden psychopathologischen Auffälligkeiten den Beschuldigten außerstande gesetzt hätten, zu erkennen, dass es sich bei seinen Handlungen um eine Straftat handele".

Diesen sachverständigen Ausführungen hat sich die Kammer angeschlossen und ergänzend auf die Angaben des Beschuldigten in der Hauptverhandlung verwiesen, er habe die Polizeibeamten für Betrüger gehalten und sich gegen sie zur Wehr setzen wollen, weil die Polizeibeamtin seinen Rucksack unberechtigt habe "durchwühlen" wollen. Dies belege, dass der Beschuldigte sich "noch heute" offensichtlich in einem floriden Wahnsystem befinde, das ihn daran hindere, die tatsächlichen Umstände realistisch einzuschätzen.

cc) Diesen knappen und vage gehaltenen ("müsse davon ausgegangen werden") Ausführungen vermag der Senat nicht zu entnehmen, dass die vom Beschuldigten beschriebene Situationsverkennung sicher auf dem diagnostizierten und dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung zuzuordnenden Störungsbild einer paranoiden Schizophrenie beruht. Es fehlt bereits an jeglicher Begründung für die Annahme des Landgerichts, dass das diagnostizierte Krankheitsbild seit mehreren Jahren bestehe. Seine Überzeugung von einer akuten floriden Beeinflussung des Beschuldigten zur Tatzeit hat sich das Landgericht allein aufgrund der Angaben des Beschuldigten verschafft, ohne diese kritisch daraufhin zu hinterfragen, ob die geschilderten Symptome mit dem angenommenen Störungsbild vereinbar sind. Auch soweit das Landgericht die Ausführungen des Sachverständigen dahin wiedergibt, "unter Würdigung aller aktuell vorliegenden Informationen" sei "davon auszugehen", dass die auf die Psychose zurückzuführenden psychopathologischen Auffälligkeiten den Beschuldigten außerstande gesetzt hätten zu erkennen, dass es sich bei seinen Handlungen um eine Straftat handele, vermag der Senat nicht zu erkennen, auf welcher Tatsachengrundlage diese sachverständige Einschätzung beruht.

b) Schließlich hält auch die Begründung der Gefährlichkeitsprognose rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist - auch - auf die nicht näher begründete und nicht nachvollziehbare Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, dass der Beschuldigte bereits im Jahr 2016 einen räuberischen Diebstahl "unter dem Einfluss psychotischen Erlebens" begangen habe. Diese Folgerung beruht ersichtlich allein auf der - bereits für sich genommen nicht tragfähig belegten - Annahme, dass der Beschuldigte bereits zum damaligen Tatzeitpunkt unter paranoider Schizophrenie litt. Dies ist rechtlich durchgreifend bedenklich. Die Diagnose einer paranoidhalluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 1 StR 33/18). Es bedarf vielmehr auch hier einer konkretisierenden Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der jeweiligen Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der jeweiligen konkreten Tatsituation ausgewirkt haben soll (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2017 - 1 StR 63/17; Beschlüsse vom 16. März 2017 - 4 StR 11/17; und vom 6. September 2017 - 1 StR 307/17). Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen eine Tat - wie hier das der Vorverurteilung zugrundeliegende strafbare Tun des Beschuldigten - zwanglos auch normalpsychologisch erklären lässt.

3. Das Urteil beruht auf diesen Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO ). Die Sache bedarf daher insgesamt - naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen - neuer Verhandlung und Entscheidung.

Vorinstanz: LG Magdeburg, vom 26.11.2018