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BGH - Entscheidung vom 12.09.2019

IX ZB 56/18

Normen:
InsO § 36 Abs. 1
ZPO § 850i Abs. 1 S. 1 Alt. 2
InsO § 36 Abs. 1
ZPO § 850i Abs. 1 S. 1 Alt. 2
ZPO § 850i Abs. 1 S. 1 Alt. 2

Fundstellen:
DB 2019, 2626
DZWIR 2020, 93
FamRZ 2020, 125
MDR 2019, 1471
NZG 2020, 72
NZI 2019, 977
WM 2019, 2205
ZIP 2019, 2267
ZInsO 2019, 2460
ZVI 2019, 483

BGH, Beschluss vom 12.09.2019 - Aktenzeichen IX ZB 56/18

DRsp Nr. 2019/16435

Pfändungsschutzes für Kaufpreisrentenansprüche; Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte erfasst alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte

Kaufpreisrentenansprüche, die der Schuldner durch vertragliche Vereinbarung als Abfindung für die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen vor Insolvenzeröffnung erworben hat, werden von dem Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte erfasst.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 90.924,54 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 850i Abs. 1 S. 1 Alt. 2;

Gründe

I.

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 25. Januar 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet und der weitere Beteiligte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Schuldner war bis 1992 an verschiedenen Gesellschaften - unter anderem als Kommanditist der Beteiligten zu 2 - beteiligt. Mit notariellem Vertrag vom 15. Oktober 1992 veräußerte er seine Gesellschaftsanteile gegen eine Abfindung von 155.850,40 DM und eine auf Lebenszeit zu zahlende, wertgesicherte Kaufpreisrente von monatlich 5.000,00 DM. Hinsichtlich der hieraus erzielten monatlichen Einkünfte in Höhe von zuletzt 2.556,46 € hat er beantragt, ihm nach § 850i Abs. 1 ZPO einen Betrag von 2.164,87 € pfandfrei zu belassen. Das Insolvenzgericht hat als Vollstreckungsgericht den Antrag abgelehnt und auf Antrag des Insolvenzverwalters festgestellt, dass die Ansprüche aus der Kaufpreisrente dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Freistellungsantrag weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht im vollstreckungsrechtlichen Rechtszug nach § 567 Abs. 1 , § 793 ZPO , § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO ). Sie ist auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO ) und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Voraussetzungen des Pfändungsschutzes gemäß § 850i ZPO lägen für die Kaufpreisrentenansprüche nicht vor, weil diese keine eigenständig erwirtschafteten Einkünfte seien. Es handele sich nicht um Einkommen aus dem Kapital, sondern dessen Verwertung. Ein gezahlter Kaufpreis wäre in die Masse gefallen, und nichts anderes könne gelten, wenn dem Käufer die ratierliche Zahlung gestattet sei.

2. Mit dieser Begründung kann die vom Schuldner beantragte Pfandfreistellung der Kaufpreisrentenansprüche nicht verweigert werden.

a) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, erfasst der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte nach § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte (BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2014 - IX ZB 88/13, WM 2014, 1485 Rn. 9 ff; vom 23. April 2015 - VII ZB 65/12, WM 2015, 1291 Rn. 9; vom 27. September 2018 - IX ZB 19/18, WM 2018, 2098 Rn. 10). Unter die Vorschrift fallen auch Einkünfte aus kapitalistischer Tätigkeit, etwa Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung, auch Werklohnansprüche und aus der Verwertung von Eigentum des Schuldners resultierende Forderungen, unabhängig davon, ob das zur Entstehung der Forderung verwertete Kapital erarbeitet wurde, solange die Einkünfte nur selbst erzielt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2018, aaO mwN). Dies folgt aus dem Wortlaut der Regelung und ihrer systematischen Auslegung in Verbindung mit dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014, aaO Rn. 10 ff). Im Insolvenzverfahren wie im Verfahren der Einzelzwangsvollstreckung soll gewährleistet werden, dass der Schuldner seinen Lebensunterhalt in angemessenem Umfang mit eigenen Mitteln bestreiten kann und hierfür nicht auf staatliche Leistungen angewiesen ist (BT-Drucks. 16/7615 S. 12, 18).

b) Nach diesen Grundsätzen unterfallen die verfahrensgegenständlichen Kaufpreisrentenansprüche, die der Schuldner durch vertragliche Vereinbarung begründet und damit selbst erwirtschaftet hat, dem § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO . Soweit das Beschwerdegericht anführt, die Kaufpreisrente nicht anders behandeln zu können als einen Kaufpreisanspruch, kann dies eine Versagung des Pfändungsschutzes nicht begründen, weil auch ein Kaufpreisanspruch in den Anwendungsbereich des § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO fällt. Dass hingegen dem Schuldner bei Zahlung des gesamten Kaufpreises für daraus bei Verfahrenseröffnung etwa noch vorhandene Geldmittel kein Pfändungsschutz nach § 850i ZPO zugestanden hätte, folgt aus dem Erlöschen der Forderung durch Erfüllung und besagt nichts darüber, ob der Anspruch vor seiner Erfüllung dem § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO unterfiel.

3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen worden sind. Das Beschwerdegericht wird zu prüfen haben, in welcher Höhe dem Schuldner nach §§ 850i, 850c Abs. 1, 2a ZPO Pfändungsschutz für die Kaufpreisrentenansprüche zu gewähren ist. Der Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO greift nicht stets in vollem Umfang durch. Zwar spielen in der Gesamtvollstreckung die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten (§ 850i Abs. 1 Satz 2 ZPO ) grundsätzlich keine Rolle, weil in der Insolvenz sämtliche pfändbaren Vermögensgegenstände (§ 36 Abs. 1 InsO ) in die Masse fallen und deswegen zugunsten der Gläubiger verwertet werden. Auch ist § 850i Abs. 1 Satz 3 ZPO im Insolvenzverfahren nicht unmittelbar anwendbar, weil durch diese Regelung sichergestellt werden soll, dass die individuellen Belange des vollstreckenden Gläubigers - etwa seine über die allgemeinen Verhältnisse hinausgehende Schutzbedürftigkeit - Berücksichtigung finden. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Abwägung zugunsten einzelner Gläubiger ausgeschlossen (vgl. Ahrens, ZInsO 2010, 2357 , 2362). Gleichwohl bedarf es nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO , § 850i Abs. 1 ZPO einer wertenden Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, ob und wie die Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff ZPO unter Abwägung der Belange von Schuldner und Gläubiger zur Anwendung kommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juni 2014 - IX ZB 87/13, WM 2014, 1432 Rn. 14; vom 6. April 2017 - IX ZB 40/16, WM 2017, 913 Rn. 18).

Die Sache ist daher zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 und 5 ZPO ). Das Beschwerdegericht wird zu beachten haben, dass nach § 850i ZPO sonstige Einkünfte, die kein Erwerbseinkommen sind, nur für unpfändbar erklärt werden können, soweit dies erforderlich ist, damit dem Schuldner ein unpfändbares Einkommen in Höhe der von § 850c Abs. 1 , 2a ZPO bestimmten Beträge verbleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2016 - IX ZB 69/15, ZIP 2016, 1078 Rn. 14).

III.

Der Gegenstandswert ergibt sich gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG aus § 9 ZPO in Höhe des dreieinhalbfachen Wertes des einjährigen Bezuges der nach dem Antrag pfandfrei zu belassenden Einkünfte.

Vorinstanz: AG Ludwigsburg, vom 31.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 IN 37/17
Vorinstanz: LG Stuttgart, vom 17.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 142/17
Fundstellen
DB 2019, 2626
DZWIR 2020, 93
FamRZ 2020, 125
MDR 2019, 1471
NZG 2020, 72
NZI 2019, 977
WM 2019, 2205
ZIP 2019, 2267
ZInsO 2019, 2460
ZVI 2019, 483