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BGH - Entscheidung vom 17.09.2019

X ZR 71/17

Normen:
PatG § 3

BGH, Urteil vom 17.09.2019 - Aktenzeichen X ZR 71/17

DRsp Nr. 2019/16587

Nichtigerklärung eines Patents; Patent für die Verwendung von Dexmedetomidin zur Sedierung von Patienten in Intensivbehandlung; Fehlende Neuheit i.S.v. § 3 PatG

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 7. März 2017 unter Zurückweisung des Rechtsmittels der Beklagten abgeändert.

Das europäische Patent 1 069 893 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Streithelferin trägt 1/6 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie 1/3 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten. Im Übrigen hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Normenkette:

PatG § 3 ;

Tatbestand

Die Beklagte war Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 069 893 (Streitpatents), das am 31. März 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier US-Anmeldungen vom 1. April und 4. Dezember 1998 angemeldet wurde und im Verlaufe des Berufungsverfahrens durch Zeitablauf erloschen ist. Das Schutzrecht betrifft die Verwendung von Dexmedetomidin zur Sedierung von Patienten in Intensivbehandlung. Patentanspruch 1, auf den elf weitere Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

Use of dexmedetomidine or a pharmaceutically acceptable salt thereof in the manufacture of a medicament for use in sedating a critically ill patient who is given intensive care, wherein the patient remains arousable and orientated.

Die Klägerin und die Streithelferin, die beide von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in Anspruch genommen worden sind, haben das Streitpatent wegen mangelnder Patentfähigkeit seines Gegenstands angegriffen. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten Fassung und mit zuletzt vier Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über die mit Hilfsantrag IV verteidigte Fassung hinausgeht, und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen wenden sich die Klägerin und die Beklagte mit der Berufung. Beide Parteien verfolgen ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Streithelferin hat ebenfalls Berufung mit dem Ziel der vollständigen Nichtigerklärung des Streitpatents eingelegt, dieses Rechtsmittel aber später zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Beide Rechtsmittel sind zulässig. Die Berufung der Beklagten erweist sich als unbegründet. Die Berufung der Klägerin führt hingegen zur vollständigen Nichtigerklärung.

I. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von Dexmedetomidin zur Sedierung von Patienten mit kritischer Erkrankung in Intensivbehandlung.

1. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, zur Sedierung von Patienten mit kritischer Erkrankung in Intensivbehandlung werde im Stand der Technik eine Kombination von Medikamenten eingesetzt, die unterschiedliche Teilaspekte wie etwa Anxiolyse, Amnesie, Analgesie, Vermeidung von Depressionen, Muskelrelaxation, Schlaf und Anästhesie beträfen. Diese Medikamente zeitigten unerwünschte Wirkungen und nicht vorhersehbare Synergieeffekte. In neuerer Zeit habe sich zudem der bevorzugte Sedierungsgrad geändert. Bevorzugt werde nunmehr meist, dass die Patienten schliefen, aber leicht aufzuwecken (easily arousable, die deutsche Übersetzung des Streitpatents verwendet den Begriff "leicht erregbar") seien.

Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Medikament für den gewünschten Sedierungsgrad mit möglichst wenig unerwünschten Nebenwirkungen zur Verfügung zu stellen.

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent eine Verwendung des Wirkstoffs Dexmedetomidin vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Dexmedetomidin oder ein pharmazeutisch verträgliches Salz davon wird zur (Herstellung eines Medikaments zur) Sedierung eines Patienten verwendet.

2.

Der Patient

2.1

befindet sich wegen einer kritischen Erkrankung in Intensivbehandlung (a critically ill patient who isgiven intensive care) und

2.2

wird so sediert, dass er aufweckbar und orientiert bleibt.

3. Diese technische Lehre bedarf in einigen Punkten näherer Erläuterung.

a) Zur Bestimmung der in Merkmal 2.1 definierten Patientengruppe hat das Patentgericht als maßgeblich angesehen, dass der Patient intensivmedizinisch behandelt wird. Den Begriff "critically ill" hat es als Synonym verstanden, dem keine eigenständige Bedeutung zukomme. Diese Beurteilung ist in der Sache zutreffend.

aa) Eine kritische Erkrankung ist nach dem im Kern übereinstimmenden Vorbringen der Parteien und den Stellungnahmen der von diesen beauftragten Gutachter ein lebensbedrohlicher Zustand, der eine sofortige intensivmedizinische Behandlung erforderlich macht. Angesichts dessen hat das Patentgericht die beiden Teilaspekte "kritische Erkrankung" und "intensive medizinische Behandlung" zu Recht als einander ergänzend und gleichbedeutend angesehen.

Verfehlt wäre allerdings eine Auslegung, wonach allein der Aufenthalt eines Patienten auf einer Intensivstation ausschlaggebend ist, unabhängig von seinem Gesundheitszustand und der ihm zugedachten Behandlung. Von einem solchen Verständnis ist indes auch das Patentgericht nicht ausgegangen. Es hat vielmehr zu Recht den Umstand als maßgeblich angesehen, dass der Patient intensivmedizinisch behandelt wird. Ausgehend davon ist der Begriff "critically ill" zwar nicht völlig bedeutungslos, denn er bringt zum Ausdruck, dass der Patient einer solchen Behandlung bedarf. Dies hat aber auch das Patentgericht nicht anders gesehen. Seinen Ausführungen liegt zumindest stillschweigend die Annahme zugrunde, dass sich die intensivmedizinische Behandlung aufgrund des Zustands des Patienten als medizinisch erforderlich darstellt.

bb) Ein Zustand dieser Art kann akut entstehen, etwa durch eine Infektion, einen Ausfall oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung lebensnotwendiger Körperfunktionen oder eine Unfallverletzung, aber auch die Folge eines geplanten medizinischen Eingriffs sein, insbesondere einer schweren Operation. Die erfindungsgemäße Lehre erfasst alle diese Konstellationen.

b) Eine Sedierung im Sinne des Merkmals 1 ist das Herbeiführen eines Zustands, in dem der Bewusstseinsgrad des Patienten so eingeschränkt ist, dass er auf die ungewohnte und häufig unangenehme Behandlungssituation möglichst nicht mit Angst, Aufregung oder Depression reagiert. Konkrete Anforderungen an den angestrebten Zustand - und damit mittelbar an den Sedierungsgrad - sind in Merkmal 2.2 definiert.

Die Beschreibung des Streitpatents nimmt in diesem Zusammenhang auf die Ramsay-Skala Bezug, die in Figur 1 dargestellt ist und insgesamt sechs Stufen (von "1: ängstlich, aufgeregt oder unruhig" bis "6: schlafend, keine Reaktion") unterscheidet.

Die Beschreibung lässt nicht eindeutig erkennen, welcher Stufe dieser Skala der in Merkmalsgruppe 4 definierte Zustand entspricht. Zum einen bestehen Übereinstimmungen mit der Stufe 4 (schlafend, aber schnelle Reaktion auf leichtes Klopfen auf die Glabella [Stirnbeinerhebung zwischen den Augenbrauen] oder laute Ansprache), zum anderen wird bei der Beschreibung von Ausführungsbeispiel 2 als mindestens erforderlicher Sedationsgrad die Stufe 3 (reagiert auf Aufforderungen) angeführt (Abs. 37 f.); bei der Beschreibung von Ausführungsbeispiel 3 wird für Intubationen mindestens die Stufe 3 und für den Zustand nach Extubation mindestens die Stufe 2 (kooperativ, orientiert und ruhig) als erforderlich bezeichnet (Abs. 42).

Vor diesem Hintergrund ist Merkmal 2.2 (arousable) nicht zwingend dahin zu verstehen, dass sich der Patient in einem Schlafzustand befinden muss. Es reicht vielmehr aus, wenn die Dexmedetomidin-Gabe dazu führt, dass der Patient in einem Zustand ist, in dem er ausschließlich auf Ansprache oder vergleichbare Reize reagiert und bei Anwendung dieser Mittel gegebenenfalls aus dem Schlaf oder einem schlafähnlichen Zustand erwacht.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben, dass die Verwendung von Dexmedetomidin eine mit anderen Sedierungsmitteln nicht erreichbare Wirkung erlaube, bei der der Patient weitgehend frei von Schmerzempfinden, Angst und Unruhe sei, ohne dass dies mit einer unerwünschten tiefen Sedierung verbunden sei, unter der die Ansprechbarkeit und Kooperationsbereitschaft des Patienten leide; eine Bezugnahme auf die Ramsay-Skala könne diese im Prioritätszeitpunkt nicht erwartbare Wirkungsweise nicht widerspiegeln.

Dies mag zutreffen, erlaubt jedoch keine weitere Konkretisierung der erfindungsgemäßen Lehre. Merkmal 2.2 kann vielmehr lediglich entnommen werden, dass die Dexmedetomidin-Gabe so zu dosieren ist, dass bei dem intensivmedizinisch behandelten Patienten einerseits die gewünschte Sedierung erreicht, anderseits aber seine Ansprechbarkeit und Orientiertheit möglichst wenig beeinträchtigt wird.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Gegenstand der erteilten Fassung des Streitpatents sei in der Veröffentlichung von Talke et al. (Effects of Perioperative Dexmedetomidine Infusion in Patients Undergoing Vascular Surgery, Anesthesiology 1995, 620-633, NiK3) vollständig offenbart. In NiK3 werde eine Studie zur perioperativen Verabreichung von Dexmedetomidin beschrieben. Die Patienten gehörten den Klassen III und IV der von der American Society of Anesthesiologists (ASA) vorgeschlagenen Klassifikation an, was eine schwere Allgemeinerkrankung und in Stufe IV zusätzlich eine ständige Lebensbedrohung voraussetze. Der Fachmann beziehe hierbei als selbstverständlich mit ein, dass zumindest die Patienten mit einer Aortenoperation postoperativ intensivmedizinisch betreut würden. NiK3 offenbare jedenfalls für den ersten Tag der postoperativen Phase eine Sedierung der Patienten durch Dexmedetomidin, und zwar dergestalt, dass die Patienten geschlafen hätten, aber leicht aufweckbar und in der Lage gewesen seien, ihr Schmerzempfinden anzugeben.

Die erst in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträge I bis III seien wegen Verspätung zurückzuweisen.

Der mit Hilfsantrag IV verteidigte Gegenstand sei demgegenüber patentfähig. Das darin zusätzlich vorgesehene Merkmal, wonach eine Ladungs- und eine Erhaltungsdosis verabreicht werden, sei in NiK3 nicht offenbart. Die Veröffentlichung von Aho et al. (Effect of Intravenously Administered Dexmedetomidine on Pain After Laparoscopic Tubal Ligation, Anesthesia & Analgesia 1991, 112-118, NiK2) offenbare nicht die Behandlung von Patienten mit kritischer Erkrankung. Die Publikation von Mirski et al. (Sedation for the critically ill neurologic patient, Critical Care Medicine 1995, 2038-2053, NiK11) enthalte keine Angaben zum Dosisregime.

Ausgehend von NiK11 habe der Fachmann zwar Veranlassung gehabt, ergänzend auf NiK3 zurückzugreifen. Auch aus einer Kombination dieser Entgegenhaltungen habe sich aber nicht die Anregung ergeben, Dexmedetomidin mit der beanspruchten Plasmakonzentration von 0,1 bis 2 ng/ml mit einer Ladungs- und einer Erhaltungsdosis zu verabreichen. Auch NiK2 gebe keine Veranlassung zu einer solchen Dosierung. Der Veröffentlichung von Dyck et al. (The Pharmacokinetics and Hemodynamic Effects of Intravenous and Intramuscular Dexmedetomidine Hydrochloride in Adult Human Volunteers, Anesthesiology 1993, 813-820, NiK7) sei ein Hinweis auf die Behandlung von Patienten mit kritischer Erkrankung ebenfalls nicht zu entnehmen.

Aus den Veröffentlichungen von Hassan et al. (Therapeutic Considerations in the Management of Agitated or Delirious Critically Ill Patients, Pharmacotherapy 1998, 113-129, NI5) und Aantaa et al. (Intramuscular dexmedetomidine, a novel alpha2-adrenoceptor agonist, as premedication for minor gynaecological surgery, Acta Anaesthesiologica Scandinavica 1991, 283-288, NI4) ergäben sich keine weitergehenden Anregungen.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren nur teilweise stand. Die Nichtigkeitsklage erweist sich als in vollem Umfang begründet.

1. Wie auch das Oberlandesgericht Wien in dem österreichischen Patentnichtigkeitsverfahren angenommen hat (Urteil vom 11. Mai 2017 - 34 R 113/16m - zu 3.3), ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 entgegen der Auffassung des Patentgerichts allerdings neu. In NiK3 ist Merkmal 2 nicht offenbart.

a) NiK3 berichtet über die Verabreichung von Dexmedetomidin an Patienten vor, während und nach einer Gefäßoperation.

Einleitend wird dargelegt, operativer und postoperativer Stress führe unter anderem zu einer Stimulation des Sympathikus. Dies erhöhe den Noradrenalin- und Adrenalinspiegel im Plasma und bewirke damit eine Steigerung von Blutdruck und Herzfrequenz, was postoperative Komplikationen, insbesondere eine Ischämie nach sich ziehen könne. Klinische Studien hätten gezeigt, dass alpha2-Adrenozeptor-Agonisten bei der Abschwächung der perioperativen Stressreaktion von Nutzen sein könnten und Clonidin in diesem Zusammenhang antiischämisch wirken könne. Dexmedetomidin gehöre zu diesen Agonisten und habe eine zehnmal höhere Rezeptorselektivität als Clonidin. Bei gesunden Probanden habe es ähnlich wie Clonidin eine antinozizeptive und beruhigende Wirkung. Bei gesunden OP-Patienten erhöhe es die hämodynamische Stabilität; es verringere ferner den Narkosebedarf und schwäche die hyperdynamische Reaktion auf die Intubation ab. Um zu einer vorläufigen Bewertung der Wirkung bei Hochrisiko-OP-Patienten zu gelangen, sei die Infusion von Dexmedetomidin an Gefäßchirurgiepatienten in drei fortlaufend erhöhten Dosen untersucht worden.

Als Ergebnis wird unter anderem mitgeteilt, nach einer einstündigen Infusion von Dexmedetomidin hätten sich die Herzfrequenz und der systolische Blutdruck im Vergleich zur Placebo-Gruppe signifikant verringert. Bei hoher Dosierung sei der systolische Blutdruck zunächst gestiegen und erst etwa fünf Minuten nach Beginn der Infusion gesunken.

Nach der einstündigen Infusion seien alle Patienten mit mittlerer und hoher Dosierung eingeschlafen, aber leicht aufzuwecken gewesen. Während des zweiten postoperativen Tags sei keine Sedierung durch das Studienmedikament klinisch beobachtbar gewesen. Dies sei konsistent mit neueren Befunden zur Tachyphylaxie betreffend die Anästhesieeffekte von Dexmedetomidin bei Ratten.

Die Werte der postoperativen Schmerzbewertung seien in allen Gruppen ähnlich gewesen. Beim postoperativen Morphiumbedarf habe es keinen Unterschied gegeben.

b) Damit sind die Merkmale 2.1 und 2.2 zwar je für sich, aber nicht in der erfindungsgemäßen Kombination offenbart.

aa) Den Angaben in NiK3 lässt sich nicht entnehmen, dass die in die Studie einbezogenen Patienten schon vor der Operation in einem Merkmal 2.1 entsprechenden Zustand waren.

Im Hinblick auf das zugrunde gelegte Auswahlkriterium einer Herz- oder Gefäßerkrankung spricht NiK3 zwar von Hochrisiko-OP-Patienten. Angesichts der Art der Erkrankung spricht auch alles dafür, dass die betroffenen Patienten ohne die Operation über kurz oder lang einem lebensbedrohlichen Zustand ausgesetzt gewesen wären. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Patienten im Zeitpunkt der Operation bereits ein Stadium erreicht hatten, in dem eine sofortige intensivmedizinische Behandlung erforderlich war. Gegen eine solche Annahme spricht auch der Umstand, dass Patienten mit besonderen Risiken wie instabiler Angina oder nicht auswertbarem EKG von der Studie ausgeschlossen wurden.

bb) Zu Recht hat das Patentgericht jedoch angenommen, dass jedenfalls ein Teil der Patienten nach der Operation intensivmedizinischer Behandlung bedurfte.

Nach den Feststellungen des Patentgerichts entnimmt ein fachkundiger Leser der Angabe, dass Patienten an der Aorta operiert wurden, ohne weiteres, dass diese postoperativ einer intensivmedizinischen Betreuung bedurften.

Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen, zeigt die Beklagte mit der Berufung nicht auf. Der von ihr beauftragte Gutachter Prof. Dr. H. bestätigt in seinem erstinstanzlich eingereichten Gutachten vielmehr, dass Patienten nach Eingriffen an Aorta oder Halsschlagader routinemäßig postoperativ auf einer Intermediate-Care- oder einer Intensivstation behandelt werden (Gutachten vom 8. Juli 2015, B2 S. 3). Dass nach der Einschätzung des Parteigutachters in einigen Fällen eine Behandlung auf einer Intermediate-Care-Station ausreichen kann, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Umstand, dass NiK3 keine näheren Angaben zur Intensität der postoperativen Behandlung macht, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass alle in die dortige Studie einbezogenen Patienten nur dieses geringeren Grads an Betreuung bedurften.

cc) NiK3 offenbart allerdings eine Sedierung der untersuchten Patienten auch für die Zeit nach der Operation und damit für den Zeitraum, in denen einige dieser Patienten intensivmedizinisch behandelt wurden.

Die Ausführungen in NiK3, wonach die Patienten schliefen, aber leicht aufgeweckt werden konnten (NiK3 S. 627 und 631), beziehen sich ihrem Wortlaut nach zwar nur auf die Phase vor dem Anästhesieren. Aus den an beiden Stellen unmittelbar daran anschließenden Ausführungen, am Tag nach der Operation habe keine Sedierung festgestellt werden können, ergibt sich aber, dass die Patienten am Tag der Operation selbst auch postoperativ sediert waren.

dd) Für den Zeitraum vor der Operation ist in NiK3 auch ein Ursachenzusammenhang zwischen der Verabreichung von Dexmedetomidin und dem präoperativ festgestellten Sedierungszustand offenbart.

Dem steht nicht entgegen, dass den Patienten vor der Operation mit Lorazepam ein weiteres sedierend wirkendes Mittel verabreicht wurde. Entgegen den Ausführungen der Beklagten offenbart NiK3 die Verabreichung von Lorazepam nicht für einen zwei Stunden vor Beginn der Operation liegenden Zeitpunkt, sondern lediglich für den Abend vor dem Operationstag (NiK3 S. 621). Dass diese Verabreichung ausreicht, um am Folgetag auch nach der Operation noch eine Sedierung zu bewirken, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Unabhängig davon ist der in Rede stehende Sedierungszustand in NiK3 nur für Patienten offenbart, denen Dexmedetomidin in mittlerer oder hoher Dosis verabreicht wurde. Daraus ergibt sich, dass dieser Zustand jedenfalls nicht allein durch die Gabe von Lorazepam verursacht worden sein kann.

ee) Den Ausführungen in NiK3 lässt sich indes nicht eindeutig entnehmen, welcher Grad an postoperativer Sedierung am Tag der Operation zu beobachten war und inwieweit dieser Zustand durch die Gabe von Dexmedetomidin verursacht wurde.

Die vorsichtige Ausdrucksweise in NiK3 lässt erkennen, dass die Verfasser der Veröffentlichung sich insoweit nicht festlegen wollten. Vor diesem Hintergrund konnte der Fachmann nicht davon ausgehen, dass die in NiK3 für den Zustand vor der Operation geschilderten, Merkmal 2.2 entsprechenden Wirkungen von Dexmedetomidin ohne weiteres auch postoperativ eintreten.

Zudem spricht die in NiK3 offenbarte Beobachtung, dass am Tag nach der Operation keine Sedierung mehr festzustellen war, eher dafür, dass die Wirkung schon am Tag der Operation nachgelassen hat. Auch vor diesem Hintergrund spricht der Umstand, dass NiK3 für die postoperative Phase am Tag der Operation keine ausdrücklichen Angaben enthält, gegen die Annahme, dass die postoperative Wirkung in jeder Hinsicht derjenigen entspricht, die vor der Operation festgestellt wurde.

Der Umstand, dass die in NiK3 erwähnten Untersuchungen über die Tachyphylaxie (Wirkungsabnahme bei wiederholter Gabe) von Dexmedetomidin bei Ratten (Reid et al., Chronic Administration of an α2 Adrenergic Agonist Desensitizes Rats to the Anesthetic Effects of Dexmedetomidine, Pharmacology Biochemistry and Behavior 1994, 171-175, NI3) eine Wirkungsabnahme erst für den zweiten Tag zeigt, führt vor diesem Hintergrund nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann aufgrund der Bezugnahme in NiK3 alle Ausführungen in NI3 ohne weiteres mitgelesen hätte. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, ließen es die Angaben in NI3 allenfalls als möglich erscheinen, dass der in NiK3 für die Phase vor der Operation beschriebene Sedierungszustand auch postoperativ anhielt. Mangels konkreter Angaben in NiK3 ergibt sich daraus jedoch nicht unmittelbar und eindeutig, dass dieser Zustand in der dort beschriebenen Studie tatsächlich beobachtet worden ist.

ff) Vor diesem Hintergrund fehlt es zudem an der Offenbarung eines zweckgerichteten Einsatzes von Dexmedetomidin zur Sedierung in der Phase der intensivmedizinischen Behandlung nach der Operation.

Im Mittelpunkt der Ausführungen in NiK3 stehen die hämodynamischen Wirkungen von Dexmedetomidin. Dies schließt zwar nicht aus, dass das Medikament zugleich zum Zwecke der Sedierung verabreicht wird, zumal NiK3 die sedierende Wirkung von Clonidin und Dexmedetomidin erwähnt (NiK3 S. 620) und eine sedierende Wirkung von Dexmedetomidin für die Phase vor der Operation offenbart. Der Umstand, dass die sedierenden Wirkungen für die postoperative Phase nicht näher beschrieben werden, zeigt aber, dass solche Wirkungen nicht das Ziel der Verabreichung von Dexmedetomidin waren. Damit fehlt es an einem zweckgerichteten Einsatz im Sinne der Merkmale 1 und 2.2 des Streitpatents.

2. Die Lehre des Patentanspruchs 1 war dem Fachmann - den das Patentgericht unangefochten als Team definiert hat, das einen Pharmazeuten und einen Intensivmediziner umfasst - jedoch durch den Stand der Technik nahegelegt.

a) Wie das Patentgericht im Zusammenhang mit der Prüfung des Gegenstands des Hilfsantrags IV zutreffend angenommen hat, konnte der Fachmann als Ausgangspunkt auf die Arbeit von Mirski (NiK11) zurückgreifen, die sich mit der Sedierung kritisch kranker Neurologiepatienten befasst und einen Überblick über die hierzu vorliegende klinische und wissenschaftlichen Literatur gibt.

In NiK11 wird ausgeführt, Patienten mit schwerer Erkrankung profitierten oftmals von einer Sedierung zur Optimierung ihrer Behandlung auf einer Intensivstation. Mit der Sedierung ließen sich Anxiolyse, Amnesie und Analgesie kombinieren. Insbesondere bei Neurologie-Patienten mit kognitiven, motorischen oder sensorischen Funktionsstörungen sollten Sedativa als wichtige Therapiehilfsmittel betrachtet werden. Die Sedierung ermögliche nicht nur einen angenehmeren Behandlungsverlauf, sondern könne auch zu einer optimalen neurologischen Evaluierung beitragen. Da die Behandlung auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnitten werden müsse, könne der Einsatz einer einzelnen oder mehrerer Klassen von Sedativen erforderlich sein. Die Sedierung sollte auf die kleinstmögliche Dosis und die kürzestmögliche Dauer beschränkt werden. Da eine Titration wünschenswert sei, würden üblicherweise die Verwendung kurz wirkender Arzneimittel und die Verabreichung durch intermittierenden Bolus oder intravenöse Infusion empfohlen.

Als geeignete Mittel werden in Tabelle 2 verschiedene Wirkstoffgruppen aufgeführt, nämlich Benzodiazepine, Opioide, Barbiturate und Neuroleptika, sowie Ketamin, Propofol und Clonidin. Als Mittel zur Beurteilung des Sedierungsgrads wird in Tabelle 3 eine modifizierte Ramsay-Skala vorgestellt.

Die einzelnen Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen werden sodann näher erörtert, wobei Benzodiazepine als die am häufigsten verwendete Klasse von Sedierungsmitteln bezeichnet werden. Sie würden hauptsächlich zur Anxiolyse und Amnesie verwendet und besäßen keine direkten analgetischen Eigenschaften. Vorteile lägen in der eingeschränkten Störung des zerebralen und systemischen Gefäßtonus, einer starken antikonvulsiven Wirkung und einem moderaten Rückgang des Bedarfs des zerebralen Stoffwechsels an Sauerstoff. Vorsicht sei hingegen bei Patienten mit hohem sympathetischen Tonus geboten. In der Intensivpflege würden Diazepam, Lorazepam und Midazolam verwendet.

Als zweithäufigste, in erster Linie als Analgetika verwendete Sedierungsmittel werden Opioide bezeichnet, von denen Morphin, Meperidin, Oxycodon und Fentanyl hervorgehoben werden. Die direkten Wirkungen auf die intrakranielle Hämodynamik schienen geringfügig zu sein. Neben der analgetischen Wirkung reflektierten die neurophysiologischen Wirkungen vorwiegend die Folgen einer Atemdepression.

Barbiturate würden nur noch selten zur Sedierung verabreicht, und ebenso heißt es von Neuroleptika, dass sie wegen vieler möglicher Nebenwirkungen nicht so häufig verwendet und nicht als Arzneimittel der ersten Linie zur Sedierung schwerkranker neurologischer Patienten empfohlen werden sollten.

Propofol wird als reines Sedativum-Hypnotikum mit - wenn überhaupt - geringer analgetischer Wirkung bezeichnet. Wie Barbiturate induziere es eine dosisabhängige Bewusstseinsveränderung von leichter Sedierung bis zu allgemeiner Anästhesie. Es sei ein starkes Atemdepressivum und vermindere den systemischen Gefäßwiderstand, was zu signifikanter Hypotonie führen könne. Mehrere Nachteile von Propofol erforderten die Aufmerksamkeit des Arztes, der den Wirkstoff als Sedativum bei neurologischen Patienten in Erwägung ziehe. Gleichwohl sei zu erwarten, dass sich mit wachsenden Erfahrungen eine bedeutsame Nische für Propofol ergeben werde.

Ketamin sei ein kurzwirkendes intravenöses Anästhetikum, das eine rasche Hypnose mit tiefgründiger Amnesie induziere und im Gegensatz zu anderen Sedativa-Hypnotika selbst bei sub-anästhetischen Dosen für eine hervorragende Analgesie sorge. Die Verwendung als Sedativum bei Neurologiepatienten sei durch seine anderen Wirkungen auf das zentrale Nervensystem dennoch stark eingeschränkt.

Als letzte Wirkstoffgruppe werden die Alpha2-Adrenozeptor-Agonisten vorgestellt. Sie führten zu einer Reduzierung der zentralen Sympathikusaktivität und zu einer ausgeprägten Sedierung und Analgesie. Der am besten bekannte Stoff aus dieser Gruppe sei Clonidin. Die sympathikolytischen und sedativen Eigenschaften von Clonidin würden seit langem von Akutmedizinern genutzt, um Entzugserscheinungen zu mildern; der anxiolytische Effekt konkurriere mit demjenigen von Benzodiazepinen, und in Tierversuchen und klinischen Studien sei eine starke analgetische Wirkung nachgewiesen worden. In neuerer Zeit seien Clonidin und Dexmedetomidin, ein stärker selektiver Alpha2-Adrenozeptor-Agonist, der sich noch in klinischen Tests befinde, angewendet worden, um den intraoperativen Anästhesiebedarf zu senken und die Stressantwort auf eine chirurgische Reizung abzustumpfen. Bei postoperativen Patienten seien profunde sedative und analgetische Eigenschaften nachgewiesen worden.

Die Verwendung von Alpha2-Adrenozeptor-Agonisten zur Sedierung von Neurologiepatienten sei unter mehreren Gesichtspunkten vorteilhaft. Die sedierende Wirkung gehe nicht mit psychischen Beeinträchtigungen einher, wie dies bei Ketamin und sogar Benzodiazepinen der Fall sei. Unter geeigneten Umständen hätten die kombinierten anxiolytischen und analgetischen Wirkungen das Potential, Polypharmazie - d.h. den Einsatz mehrerer Arzneimittel - entbehrlich zu machen. Eine Verringerung des zentralen sympathetischen Ausflusses führe zu einer Abnahme des systemischen Gefäßwiderstands mit typischerweise verbesserter hämodynamischer Stabilität. Diese potentiell positiven Wirkungen würden durch einige negative Eigenschaften leicht abgeschwächt. So nehme der mittlere arterielle Druck ab, was unter Umständen aber auch ein erwünschtes therapeutisches Ziel sein könne.

b) Dem konnte der Fachmann entnehmen, dass die auch in der Streitpatentschrift erwähnte neuere Tendenz in der Medizin, bei Intensivpatienten auf einen geringeren Sedierungsgrad zu setzen, insbesondere auch bei schwerkranken Neurologiepatienten von Bedeutung war. Er wurde auch darauf hingewiesen, dass die Sedierung auf den einzelnen Patienten abzustimmen ist und gegebenenfalls unterschiedliche Aspekte der Sedierung im Vordergrund stehen.

Vor diesem Hintergrund wurden dem Fachmann die Alpha2-Adrenozeptor-Agonisten Clonidin und Dexmedetomidin als Vertreter einer für die Sedierung kritisch kranker Neurologiepatienten in Intensivbehandlung jedenfalls in Betracht zu ziehenden Wirkstoffgruppe vor Augen geführt. Dem musste der Fachmann umso mehr Beachtung schenken, als dieser im Vergleich mit den nach der Darstellung in der NiK11 am häufigsten verwendeten Benzodiazepinen und Opioiden Vorteile zugeschrieben wurden, die gegebenenfalls die Kombination mehrerer Sedativa entbehrlich machen und damit unerwünschte Wechselwirkungen vermeiden konnten.

Befasste sich der Fachmann aufgrund dessen näher mit den mit Dexmedetomidin gemachten Erfahrungen, fand er in der NiK3 dessen Eignung zu einer Sedierung bestätigt, bei der der Patient wie gewünscht ansprechbar und orientiert bleibt, und die zudem, wie bereits in der NiK11 erwähnt, mit einer verbesserten hämodynamischen Stabilität einhergeht.

Auch der NiK6, in der Wirkungen und Einsatzgebiete der alpha2-Adrenozeptor-Agonisten Clonidin und Dexmedetomidin vorgestellt werden, konnte er entnehmen, dass nach einer Studie Patienten, denen im Vorfeld einer aortokoronaren Bypassoperation oral Clonidin verabreicht worden war, vor der Narkose eine deutliche sedative Wirkung zu beobachten war. Nach einer zusätzlichen Clonidingabe hätten die Patienten signifikant weniger Sufentanil benötigt; außerdem hätten sie früher extubiert werden können (NiK6 S. 5).

Aus dem Umstand, dass die erfindungsgemäße Sedierung, wie ausgeführt, in der NiK3 nur für den präoperativen Zustand der Patienten beschrieben wird, die nicht die Voraussetzungen des Merkmals 2.1 erfüllten, ergibt sich dabei nichts zugunsten der Beklagten. Denn weder die NiK3 und die NiK11 noch der sonstige Stand der Technik bieten einen Anhalt für die Annahme, dass der Fachmann hieraus auch nur Zweifel an der Eignung von Dexmedetomidin auch zur Sedierung kritisch kranker Patienten ableiten musste. Vielmehr standen ihm hierfür grundsätzlich dieselben Sedativa zur Verfügung, die er auch sonst einsetzen konnte, und demgemäß lehrt auch die NiK3, wie ausgeführt, die perioperative Dexmedetomidin-Gabe und lässt lediglich offen, inwieweit die postoperative Sedierung - auch - durch Dexmedetomidin der präoperativen entsprach.

Zudem ergab sich aus der NI5, in der über Möglichkeiten zur Behandlung von erregten oder im Delirium befindlichen Patienten auf der Intensivstation berichtet und als neuere Wirkstoffe unter anderem alpha2-Andrenozeptor-Agonisten vorgestellt werden, angesichts der Fokussierung auf die intensivmedizinische Behandlung von Patienten mit kritischer Erkrankung ein konkreter Hinweis gerade auch auf die Verwendung im intensivmedizinischen Bereich.

c) Die erfindungsgemäße Lehre war dem Fachmann damit auch dann nahegelegt, wenn er die besonders vorteilhafte Wirkungsweise von Dexmedetomidin, die eine wirksame Sedierung mit einer besonders ausgeprägten Ansprechbarkeit und Aufrechterhaltung der Orientiertheit des Patienten verbindet, nicht erkennen konnte. Denn auch ohne diese Erkenntnis musste er zur Sedierung kritisch kranker (Neurologie-)Patienten in Intensivbehandlung aus den ihm zur Verfügung stehenden Wirkstoffgruppen ein Sedativum auswählen, das ihm für den zu behandelnden Patienten unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse als das geeignetste erschien. Diese Wahl musste nicht zwingend auf Dexmedetomidin fallen, aber sie konnte ohne weiteres hierauf fallen, zumal diesem Wirkstoff, wie ausgeführt, Vorteile zugeschrieben wurden, die andere Wirkstoffgruppen jedenfalls in der Kombination nicht in gleicher Weise aufwiesen.

Aus diesem Grund vermag der Senat auch der Wertung des Oberlandesgerichts Wien nicht beizutreten, das die Bejahung der erfinderischen Tätigkeit damit begründet, dass die Dexmedetomidin eigene Qualität der Sedierung eine neue technische Wirkung darstelle, deren Erkenntnis oder Entdeckung ein erfinderischer Beitrag zum Stand der Technik sei (OLG Wien aaO zu 4.3). Eine besondere Sedierungsqualität stellte für den Fachmann, der Dexmedetomidin als naheliegende Auswahl aus den ihm zur Verfügung stehenden Sedierungsmitteln heranzog, vielmehr einen Bonus-Effekt dar, der nicht vorhersehbar gewesen sein mag, gleichwohl aber das Ergebnis fachmännischen Handelns war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2002 - X ZR 68/99, GRUR 2003, 317 , 320 - Kosmetisches Sonnenschutzmittel I; Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 Rn. 41 - Escitalopram; Urteil vom 15. April 2010 - Xa ZR 28/08, GRUR 2010, 607 Rn. 80 - Fettsäurezusammensetzung).

3. Über die Hilfsanträge I bis III ist nicht zu entscheiden. Die Beklagte stellt diese Hilfsanträge in der Berufungsinstanz nur für den Fall, dass der Senat zu der Auffassung gelangt, die Patienten der in NiK3 offenbarten Studie hätten bereits vor der Operation an einer kritischen Erkrankung im Sinne von Merkmal 2.1 gelitten. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.

4. Der mit Hilfsantrag IV verteidigte Gegenstand ist entgegen der Auffassung des Patentgerichts ebenfalls nicht patentfähig.

a) Hilfsantrag IV sieht im Vergleich zur erteilten Fassung folgende zusätzlichen Merkmale vor:

3.

Der Stoff wird intravenös verabreicht, und zwar

3.1

mit einer Ladungsdosis und einer Erhaltungsdosis und

3.2

in einer solchen Menge, dass eine Plasmakonzentration von 0,1 bis 2 ng/ml erreicht wird.

b) Aus Merkmal 3.1 ergibt sich, dass Dexmedetomidin in zwei unterschiedlichen Dosierungen verabreicht wird, nämlich in einer ersten Dosis, die dazu dient, die nach Merkmal 3.2 anzustrebende Plasmakonzentration zu erreichen, und einer zweiten Dosis, die dazu dient, diese Konzentration zu erhalten.

Die Höhe der Dosierung bleibt dem Fachmann überlassen. Nach dem Wortlaut des Anspruchs ist es nicht ausgeschlossen, dass die Ladungsdosis geringer ist als die Erhaltungsdosis. In der Regel wird jedoch die Dosis, die benötigt wird, um die Plasmakonzentration zu erhöhen, höher sein als die Dosis, die zum Halten einer erreichten Konzentration erforderlich ist.

c) Die Verabreichung mittels einer Ladungsdosis und einer niedrigeren Erhaltungsdosis war dem Fachmann durch NiK7 nahegelegt.

aa) In NiK7 wird über die Verabreichung von Dexmedetomidin-Hydrochlorid an erwachsene Freiwillige berichtet.

Nach den Ausführungen in NiK7 erhielten die Probanden eine fünfminütige Infusion mit einer Dosierung von 2 µg/kg. Ausweislich der Darstellung in Figur 1 stieg die Plasmakonzentration bis zum Ende der Infusion auf rund 10 ng/ml an und sank innerhalb der nächsten zehn Minuten auf einen weitgehend konstanten Wert im Bereich zwischen 1 und 5 ng/ml.

Bei der Diskussion der Ergebnisse wird ausgeführt, hämodynamische Veränderungen nach intravenöser Verabreichung machten den Einsatz von Dexmedetomidin als schnelle intravenöse Infusion oder Bolus unmöglich. Als Alternative komme die Verabreichung über eine computergesteuerte Infusionspumpe in Betracht, was aber eine kompartimentale pharmakokinetische Analyse erforderlich mache. Einfacher seien langsame intravenöse Infusionen oder intramuskuläre Injektionen (NiK7 S. 818). Im Hinblick auf die beobachteten Unterschiede bei den hämodynamischen Profilen könne es erstrebenswert sein, eine Plasmakonzentration unterhalb von 1,0 ng/ml aufrechtzuerhalten. Eine Konzentration von 1,0 ng/ml lasse sich mit einer Infusionsrate von 0,511 µg/min erreichen. Um diese Konzentration nach weniger als 19,25 Stunden zu erreichen, könne eine höhere Anfangsdosis, gefolgt von einer Erhaltungsinfusion, verabreicht werden (NiK7 S. 819).

bb) Daraus ergab sich entgegen der Auffassung des Patentgerichts die Anregung, auch für die Anwendung bei kritisch kranken Patienten mit intensivmedizinischer Betreuung eine Anfangsdosis und eine niedrigere Erhaltungsdosis in Betracht zu ziehen.

So ermöglicht die in NiK3 eingesetzte Infusionspumpe (Stanpump) eine computergesteuerte Infusion, wie sie in NiK7 als zwar aufwendig, aber geeignet in Betracht gezogen wird. Angesichts des Umstands, dass NiK3 keine Angaben zur Infusionsrate enthält, musste sich der Fachmann darüber klar werden, in welcher Weise er diese Pumpe einsetzte. Hierzu bot es sich an, auf die Erkenntnisse aus NiK7 zurückzugreifen.

Das Patentgericht weist zwar zutreffend darauf hin, dass kritisch kranke Patienten gegenüber gesunden Patienten eine abweichende Pharmakokinetik und -dynamik aufweisen. Der Fachmann konnte deshalb nicht erwarten, dass die in NK7 offenbarten Erkenntnisse unbesehen auf den Anwendungsbereich der intensivmedizinischen Behandlung übertragbar waren. Ebenso wenig ergaben sich aber aus NiK7 oder sonstigen Entgegenhaltungen verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass eine langsame Infusion mit fester Rate für diesen Anwendungsfall geeignet ist. Auch nach dem Vorbringen der Beklagten muss ein geeignetes Verabreichungsschema für jeden Wirkstoff individuell ermittelt werden. Vor diesem Hintergrund hatte der Fachmann Anlass, beide in NiK7 als geeignet bezeichneten Vorgehensweisen auch für die intensivmedizinische Behandlung in Betracht zu ziehen.

Dass eine schnelle intravenöse Verabreichung in NiK7 als nicht möglich bezeichnet wird, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Diese Ausführungen beziehen sich auf Verabreichung der gesamten Menge innerhalb von fünf Minuten, nicht aber auf die auch in NiK7 als geeignet bezeichnete langsame Infusion mit zwei unterschiedlichen Raten.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 , § 97 Abs. 1 ZPO sowie § 110 Abs. 8 PatG in Verbindung mit § 516 Abs. 3 ZPO .

Die Streithelferin ist gemäß § 101 Abs. 2 ZPO an den Kosten des Rechtsstreits zu beteiligen, weil sie gemäß § 69 Abs. 1 ZPO bis zur Rechtsmittelrücknahme als Streitgenossin der Klägerin anzusehen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 2014 - X ZR 25/13, GRUR 2014, 911 Rn. 27 - Sitzgelenk).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. September 2019

Vorinstanz: BPatG, vom 07.03.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 Ni 14/15 (EP)