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BGH - Entscheidung vom 18.07.2019

5 StR 235/19

Normen:
StGB § 64
StPO § 358 Abs. 2 S. 3

BGH, Beschluss vom 18.07.2019 - Aktenzeichen 5 StR 235/19

DRsp Nr. 2019/12911

Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch der Nötigung; Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt; Berücksichtigung einer Alkoholisierung im Zeitpunkt der Tatbegehung

Aus den Urteilsgründe muss sich ergeben, ob der Angeklagte strafbefreiend von einer versuchten Nötigung zurückgetreten ist. Das Urteil leidet daher unter einem Erörterungsmangel, wenn es sich nicht zu der Vorstellung des Angeklagten im Zeitpunkt nach dem Ende seiner letzten Ausführungshandlung verhält.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 4. Januar 2019 aufgehoben

1.

im Fall II.2 der Urteilsgründe,

2.

im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

3.

soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 64 ; StPO § 358 Abs. 2 S. 3;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

I.

Nach den Feststellungen zu Fall II.2 der Urteilsgründe entschloss sich der Angeklagte, der exzessiv Alkohol zu sich nimmt und auch am Tattag Alkohol getrunken hatte, abermals eine Gruppe Jugendlicher aufzusuchen. Deren Habe hatte er mit dem Mitangeklagten W. unter Einsatz von Gewalt kurz zuvor bereits auf Drogen durchsucht, da er von einem Drogenkonsum der Jugendlichen ausging und diesen aufgrund seiner eigenen Drogenerfahrung "eine Lektion erteilen" wollte. Nachdem er keine Betäubungsmittel auffinden konnte und sich mit dem Mitangeklagten W. zunächst von der Gruppe entfernt hatte, wollte er nunmehr eine Antwort auf die Frage erzwingen, weshalb einige Jugendliche während des vorangehenden Geschehens weggelaufen seien. Hierzu packte er den Zeugen T. an den Haaren und hielt ihm eine abgebrochene Glasflasche an den Kopf. Er forderte ihn zudem auf, den weggelaufenen Zeugen D. zurückzuholen. Der Zeuge T. kam dem Verlangen nicht nach. Der Angeklagte, der weiterhin eine Antwort auf seine Frage und die Rückkehr des Zeugen D. erreichen wollte, äußerte nunmehr, dass er weiterhin nicht glaube, die Jugendlichen hätten keine Drogen bei sich gehabt. "Obwohl sich seine Drohung mit der Flasche auf diese Äußerung nicht erstreckt hatte," zeigte der Zeuge T. dem Angeklagten den Inhalt seiner Bauchtasche. Als der Angeklagte festgestellt hatte, dass sich darin Marihuana befand, war er "sehr zufrieden, dass er sich in Bezug auf die Drogen nicht geirrt hatte" und ließ von dem Zeugen T. ab.

II.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Nötigung im Fall II.2 der Urteilsgründe unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch das Absehen von einer Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat bei der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Nötigung die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts nicht bedacht.

Die Urteilsgründe weisen insoweit einen Erörterungsmangel auf, als sich aus ihnen nicht ergibt, ob der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2018 - 5 StR 150/18; vom 13. März 2018 - 4 StR 531/17, NStZ 2018, 468 ; vom 24. Oktober 2017 - 1 StR 393/17; Urteil vom 11. April 2018 - 2 StR 551/17, NStZ 2019, 198 , 199). Das Urteil verhält sich nicht zu der Vorstellung des Angeklagten im Zeitpunkt nach dem Ende seiner letzten Ausführungshandlung (sogenannter Rücktrittshorizont, vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221 , 227 f.), insbesondere dazu, ob er davon ausging, er könne die von ihm angestrebten Nötigungsziele durch Aufrechterhaltung der Drohung noch erreichen. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob der Versuch der Nötigung unbeendet, beendet oder aufgrund Fehlschlags nicht mehr rücktrittsfähig war. Da im Falle eines unbeendeten Versuchs der Angeklagte mit Ablassen vom Zeugen T. nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 StGB durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen vom Versuch der Nötigung strafbefreiend zurückgetreten wäre, durfte dies nicht dahinstehen. Dass der Angeklagte hinsichtlich seiner Vermutung über den Drogenkonsum der Jugendlichen - die jedenfalls ursprünglich von ihm erstrebte - Bestätigung erlangen konnte, schließt die Möglichkeit eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch nicht aus (vgl. zur außertatbestandlichen Zielerreichung BGH, aaO, S. 230 f.).

2. Der Wegfall der für den Fall II.2 der Urteilsgründe festgesetzten Einzelfreiheitsstrafe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

3. Das Landgericht hat nicht über die Anwendung von § 64 StGB entschieden. Es hat trotz der festgestellten erheblichen und andauernden Suchtproblematik des Angeklagten sowie dessen Alkoholisierung im Zeitpunkt der Tatbegehung keine Ausführungen zur Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB getroffen. Dies stellt eine Lücke des Urteils und damit einen sachlich-rechtlichen Fehler dar (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Mai 2019 - 5 StR 56/19 mwN).

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO ). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanordnung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.

4. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO ). Sie dürfen durch neue ergänzt werden, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

Vorinstanz: LG Dresden, vom 04.01.2019