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BGH - Entscheidung vom 21.08.2019

VII ZB 48/16

Normen:
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 2
§§ 688 ff.
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 2
ZPO §§ 688 ff.
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 2
ZPO § 688

Fundstellen:
AnwBl 2020, 45
BGHZ 223, 330
BauR 2019, 1970
DZWIR 2019, 550
FamRZ 2019, 1876
MDR 2019, 1326
MDR 2019, 1432
NJW 2019, 3079
NZI 2019, 918
WM 2019, 1848
ZIP 2019, 1984
ZInsO 2019, 2108
ZVI 2020, 16
ZfBR 2019, 781

BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - Aktenzeichen VII ZB 48/16

DRsp Nr. 2019/13686

Gewährung von Prozesskostenhilfe; Hinreichende Erfolgsaussicht für ein Mahnverfahren bei zu erwartendem Widerspruch; Erforderlichkeit einer Einzelfallprüfung für die Annahme einer Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung

a) Die hinreichende Erfolgsaussicht für ein Mahnverfahren kann nicht allein deshalb verneint werden, weil ein Widerspruch des Antragsgegners zu erwarten ist.b) In einem solchen Fall kann auch nicht ohne Weiteres die Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Abs. 2 ZPO ) angenommen werden. Hierfür bedarf es vielmehr der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 9 f., NJW-RR 2017, 1469 ; Beschlüsse vom 28. November 2017 - X ZA 1/16 und 2/16; Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 87/17 Rn. 8, FamRZ 2018, 601 ).

Tenor

Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden der Beschluss der Zivilkammer 54 des Landgerichts Berlin vom 10. Juni 2016 und der Beschluss des Amtsgerichts Wedding vom 2. März 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe an das Amtsgericht Wedding zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 4.429,80 €

Normenkette:

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1; ZPO § 114 Abs. 2 ; ZPO § 688 ;

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. N. . Am 28. Dezember 2015 hat er beim zuständigen Amtsgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Erlass eines Mahnbescheids gegen den weiteren Beteiligten wegen einer Forderung aus Werkvertrag/Werklieferungsvertrag in Höhe von 4.429,80 € nebst Zinsen beantragt. Das Amtsgericht hat den weiteren Beteiligten angehört, der angekündigt hat, gegen einen etwaigen Mahnbescheid Widerspruch einlegen zu wollen. Daraufhin hat das Amtsgericht den Antrag mangels Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Antragsteller unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Beschlüsse, ihm für die Durchführung des Mahnverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie aufgrund der vom Senat gewährten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde nicht verfristet. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht abgelehnt werden.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass im Rahmen eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren eine eingeschränkte Prüfung der Erfolgsaussicht durchzuführen sei, die sich darin erschöpfe zu prognostizieren, ob das Ziel des Mahnverfahrens, schnell einen Vollstreckungstitel in Form des Vollstreckungsbescheids zu erlangen, möglich erscheine. Wenn der Antragsgegner nach Gewährung rechtlichen Gehörs ankündige, Widerspruch gegen einen zu erlassenden Mahnbescheid zu erheben, könne eine Erfolgsaussicht für das Mahnverfahren nicht mehr angenommen werden.

Dass ein Mahnverfahren die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB bewirken könne, sei nicht das mit dem Verfahren verfolgte Ziel, sondern lediglich eine Folgeerscheinung. Soweit Schutzlücken im Zusammenhang mit der Verjährungshemmung eintreten könnten, sei dies durch analoge Anwendung von § 691 Abs. 2 ZPO zu lösen.

2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Nach allgemeiner Meinung kann für ein Mahnverfahren - beschränkt auf dieses Verfahren - Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. August 2017 - III ZA 42/16 Rn. 5, NJW-RR 2017, 1470 ; Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 7, NJW-RR 2017, 1469 ; Beschluss vom 28. November 2017 - X ZA 2/16 Rn. 6; Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 87/17 Rn. 6, FamRZ 2018, 601 ; jeweils m.w.N.).

b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers nach den bisherigen Feststellungen hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO .

aa) Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Beschwerdegericht an, dass in einem Mahnverfahren die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht in gleicher Weise wie in einem Klageverfahren zu beurteilen ist. Insbesondere findet in einem Mahnverfahren weder eine Schlüssigkeitsprüfung in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch noch eine sonstige Prüfung statt, ob in einem streitigen Verfahren eine hinreichende Aussicht bestände zu obsiegen. Dementsprechend hat eine solche Prüfung auch im Prozesskostenhilfeverfahren für den Erlass eines Mahnbescheids zu unterbleiben. Vielmehr beschränkt sich die Prüfung zunächst darauf, ob die Voraussetzungen für den Erlass eines Mahnbescheides vorliegen.

bb) Richtig ist auch die Annahme des Beschwerdegerichts, wesentlicher Zweck des Mahnverfahrens sei die Möglichkeit, auf einem einfachen und schnellen Weg einen vollstreckbaren Titel in Form eines Vollstreckungsbescheids zu erhalten, um den geltend gemachten Anspruch realisieren zu können. Das bedeutet jedoch nicht, dass allein ein zu erwartender Widerspruch dazu führt, dass die Erfolgsaussicht für das Mahnverfahren zu verneinen ist (offengelassen etwa in BGH, Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 6, NJW-RR 2017, 1469 ).

Die Durchführung eines Mahnverfahrens muss nicht auf das Ziel beschränkt sein, einen Vollstreckungsbescheid zu erlangen. Das Mahnverfahren bietet dem Gläubiger weitere Vorteile, die unabhängig von der Möglichkeit sind, einen Vollstreckungsbescheid zu erlangen, und die in der Praxis nicht unerhebliche Bedeutung haben. Es kann als Vorstufe zum Klageverfahren dienen (vgl. §§ 696 f. ZPO ), was im Vergleich zur unmittelbaren Klageerhebung mit Erleichterungen verbunden ist. So kann das Mahnverfahren beim Amtsgericht nach näherer Maßgabe von § 689 ZPO , auch ohne anwaltliche Hilfe, eingeleitet werden. Es bedarf lediglich einer vergleichsweise einfachen hinreichenden Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs und (noch) nicht der schlüssig aufgearbeiteten Klagebegründung und der Ermittlung, Beschaffung und genauen Bezeichnung der gegebenenfalls notwendigen Beweismittel. Diese Erleichterungen spielen vor allem - jedoch nicht nur dann - eine Rolle, wenn der Eintritt der Verjährung droht. Denn die Zustellung des Mahnbescheids führt zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB . Die Praxis zeigt, dass aus diesen Gründen Mahnverfahren von nicht bedürftigen Parteien häufig auch dann genutzt werden, wenn ein Widerspruch absehbar ist (vgl. auch Dörr, MDR 2017, 1408 ; Hansens, RVGreport 2017, 472).

Würde man einem bedürftigen Gläubiger allein wegen eines zu erwartenden Widerspruchs diese Vorteile versagen, indem man ihn auf ein Klageverfahren verweisen und für ein Mahnverfahren keine Prozesskostenhilfe gewähren würde, stünde er schlechter als derjenige, der die Kosten für das Mahnverfahren aus eigenen Mitteln aufbringen kann. Für eine solche Schlechterstellung findet sich im Gesetz keine Rechtfertigung. Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Mahnverfahren besonderen Voraussetzungen zu unterwerfen. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Vorteile eines Mahnverfahrens vom Zweck des Gesetzes nicht mehr umfasst wären und nur einen unbeachtlichen Reflex darstellten.

cc) Im Streitfall kann daher eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Antragstellers nicht wegen des vom Antragsgegner angekündigten Widerspruchs verneint werden.

c) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers erscheint auch nicht als mutwillig im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1, § 114 Abs. 2 , § 116 Satz 2 ZPO .

aa) Nach § 114 Abs. 2 ZPO ist eine Rechtsverfolgung mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht. Grund der Vorschrift ist, dass Prozesskostenhilfe bedürftigen Personen nicht ermöglichen soll, auf Kosten der Allgemeinheit Prozesse zu führen, die eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2017 - III ZA 42/16 Rn. 6, NJW-RR 2017, 1470 ; Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 8, NJW-RR 2017, 1469 ; Beschlüsse vom 28. November 2017 - X ZA 1/16 und 2/16, jeweils Rn. 7; Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 87/17 Rn. 7, FamRZ 2018, 601 ).

bb) Die Voraussetzung fehlender Mutwilligkeit gilt auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren (BGH, Beschluss vom 10. August 2017 - III ZA 42/16 Rn. 5, NJW-RR 2017, 1470 ; Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 7, NJW-RR 2017, 1469 ; Beschlüsse vom 28. November 2017 - X ZA 1/16 und 2/16, jeweils Rn. 6; Beschluss vom 28. November 2017 - X ZA 2/16 Rn. 6; Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 87/17 Rn. 6, FamRZ 2018, 601 ). Dort ist entscheidend, ob eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung im Wege des Mahnverfahrens absehen würde.

cc) Hiernach kann die Einleitung eines Mahnverfahrens nicht allein aus dem Grund als mutwillig angesehen werden, dass voraussichtlich ein Widerspruch des Antragsgegners erfolgen wird. Denn es ist regelmäßig nicht anzunehmen, dass ein Gläubiger, der die Kosten selbst aufbringen müsste, bei verständiger Würdigung aller Umstände nur deshalb diesen Weg nicht wählen würde. Aus den oben (unter II. 2. b) bb)) bereits dargestellten Gründen spricht häufig im Gegenteil einiges dafür, gleichwohl zunächst das Mahnverfahren zu wählen.

Insbesondere kann dem Gläubiger nicht entgegengehalten werden, im Falle des zu erwartenden Widerspruchs und der Überleitung in ein Klageverfahren entstünden Mehrkosten, die etwa ein nicht bedürftiger Gläubiger nicht aufbringen würde. Das ist nicht der Fall. Die im Rechtsstreit insgesamt anfallenden Kosten unterscheiden sich im Endergebnis allenfalls unwesentlich von denjenigen, die anfallen, wenn unmittelbar Klage erhoben wird (vgl. hierzu Hansens, RVGreport 2017, 472, 474). Damit erscheint die Wahl des Mahnverfahrens regelmäßig als eine nicht von vornherein unvernünftige Möglichkeit, ein als notwendig erscheinendes Klageverfahren einzuleiten.

dd) Der Bundesgerichtshof hat zwar bereits in mehreren Fällen, in denen der Antragsgegner angekündigt hatte, er werde gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einlegen, angenommen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers mutwillig erscheine (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2017 - III ZB 37/17 Rn. 9 f., NJW-RR 2017, 1469 ; Beschlüsse vom 28. November 2017 - X ZA 1/16 und 2/16, jeweils Rn. 8; Beschluss vom 11. Januar 2018 - III ZB 87/17 Rn. 8, FamRZ 2018, 601 ). Diese Entscheidungen stehen indes, wie der III. Zivilsenat und der X. Zivilsenat auf Anfrage mitgeteilt haben, der vorstehenden Beurteilung nicht entgegen. Sie beruhen danach auf einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls, aus denen abzuleiten ist, ob eine verständige Partei, die auch das Kostenrisiko in Verbindung mit den Prozessaussichten berücksichtigt und abwägt, das Mahnverfahren einleiten würde.

ee) Da keine weiteren Umstände festgestellt sind, die auf eine Mutwilligkeit hindeuten, insbesondere nichts dafür ersichtlich ist, dass eine nicht bedürftige Partei bei einem Widerspruch gegen einen Mahnbescheid kein streitiges Verfahren durchführen würde, ist die Beantragung eines Mahnbescheids im Streitfall nicht mutwillig.

3. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Bislang sind weder Feststellungen dazu getroffen, ob der Mahnbescheidsantrag im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, noch, ob die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Die Sache ist daher an das Amtsgericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1, § 572 Abs. 3 ZPO .

Vorinstanz: AG Berlin-Wedding, vom 02.03.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 15 - 1256474-04-N
Vorinstanz: LG Berlin, vom 10.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 54 T 15/16
Fundstellen
AnwBl 2020, 45
BGHZ 223, 330
BauR 2019, 1970
DZWIR 2019, 550
FamRZ 2019, 1876
MDR 2019, 1326
MDR 2019, 1432
NJW 2019, 3079
NZI 2019, 918
WM 2019, 1848
ZIP 2019, 1984
ZInsO 2019, 2108
ZVI 2020, 16
ZfBR 2019, 781