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BGH - Entscheidung vom 30.07.2019

2 StR 172/19

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 64 S. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 71
StV 2021, 354

BGH, Beschluss vom 30.07.2019 - Aktenzeichen 2 StR 172/19

DRsp Nr. 2020/1694

Frage der Schuldfähigkeit bei Vollrausch; Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt die hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg voraus. Erforderlich ist, dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen. Es genügt nicht, dass lediglich nicht auszuschließen ist, dass bei dem sich vehement gegen die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aussprechenden Angeklagten eine Therapiemotivation geweckt werden kann.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 18. Dezember 2018

a)

in den Fällen 2, 10, 12, 13 und 14 der Urteilsgründe;

b)

im Strafausspruch zu den Fällen 1, 8 und 9 der Urteilsgründe;

c)

im Gesamtstrafenausspruch;

d)

soweit die Einziehung von 6,2 g Marihuana angeordnet ist und

e)

hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt

mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, diese bleiben aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 64 S. 2;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Bedrohung in zwei Fällen, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Diebstahls in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, gefährlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, sexueller Belästigung, Vollrausches, versuchten Betruges und wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu drei Jahren und neun Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die von der Strafkammer vorgenommene Prüfung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, weist durchgreifende Rechtsfehler auf. Dies entzieht in den Fällen 2, 10, 12, 13 und 14 der Urteilsgründe schon dem Schuldspruch und der insoweit getroffenen Einziehungsentscheidung, in den Fällen 1, 8 und 9 der Urteilsgründe dem Strafausspruch die Grundlage. In Folge dessen kann auch der Gesamtstrafenausspruch keinen Bestand haben.

a) Rechtsfehlerfrei prüft das Landgericht zunächst, ob bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist (vgl. zum Erfordernis einer prinzipiell mehrstufigen Prüfung BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 - 4 StR 446/17 Rn. 7 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 238] und vom 14. Juli 2016 - 1 StR 285/16 Rn. 7; Urteile vom 1. Juli 2015 - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 , 3320 Rn. 17 und vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 , 520 Rn. 7). Es kommt nach eigener kritischer Prüfung des erstatteten Sachverständigengutachtens und bezugnehmend hierauf zu dem Ergebnis, dass beim Angeklagten eine Abhängigkeit von Alkohol sowie eine Cannabisabhängigkeit vorliege, die das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erreiche. Zu einzelnen Tatzeitpunkten habe ferner eine Intoxikation im Sinne einer krankhaften seelischen Störung gemäß § 20 StGB vorgelegen. Die beim Angeklagten gegebene antisoziale Persönlichkeitsstörung, einhergehend mit geringer Frustrationstoleranz und einer niedrigen Schwelle für aggressives oder gewalttätiges Verhalten, erfülle demgegenüber keines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB .

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist jedoch die sodann gebotene Bewertung der Auswirkungen der diagnostizierten Störung im Sinne des § 20 StGB auf die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung.

aa) Bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit handelt es sich um Rechtsfragen, auch wenn das Gericht für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen ist. Die Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 457/18 Rn. 10; vom 4. April 2018 - 1 StR 116/18 Rn. 6 je mwN). Der Tatrichter hat sowohl bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch zur Frage der eingeschränkten Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74 ).

bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.

(1) Die knappen Ausführungen des Landgerichts zu Fall 2 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte wegen des bei einer Polizeikontrolle festgestellten Besitzes von insgesamt 6,2 g Marihuana zum Eigenkonsum verurteilt worden ist, ermöglichen dem Senat nicht die Nachprüfung der vom Landgericht angenommenen Schuldfähigkeit des Angeklagten.

Das Landgericht stellt fest, der Angeklagte habe sich bei der Kontrolle am Boden befunden, seine Pupillen seien eng gewesen und er habe nach Alkohol gerochen. Sein Zustand habe nach Angaben des kontrollierenden Polizeibeamten minütlich zwischen schläfrig und einem krampfhaften Anspannen der Muskulatur gewechselt; der Angeklagte habe sich nicht wirklich bewegen können. Weshalb gleichwohl die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erhalten - wenn auch erheblich verringert - gewesen sein soll, versteht sich nicht von selbst und hätte näherer Erörterung bedurft, zumal eine Cannabisabhängigkeit mit teilweise schwerer Intoxikation "zu einzelnen Tatzeitpunkten" beim Angeklagten diagnostiziert wurde. Ausführungen dazu lässt das angefochtene Urteil vermissen. Der Rechtsfehler muss zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in Fall 2 der Urteilsgründe führen.

(2) Die auch in den Fällen 10, 12, 13 und 14 der Urteilsgründe sehr knappen Erwägungen der Strafkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind in sich nicht widerspruchsfrei und können deswegen revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht standhalten.

(a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte in den genannten vier Fällen entgegen einem ihm bekannten Hausverbot in eine Obdachlosenunterkunft begeben und dort in alkoholisiertem Zustand mit Gewalt auf Sachen und Personen eingewirkt: In den frühen Morgenstunden des 9. März 2018 (Fall 10 der Urteilsgründe) hat er den Zeugen S. , mit dem er Alkohol konsumierte, plötzlich gewürgt, sodann ein Türblatt aus der Angel gehoben und so heftig auf den Geschädigten geworfen, dass es zerbrach; dem fliehenden Opfer eilte er nach, würgte es erneut und ließ erst ab, als die Polizei gegen ihn Pfefferspray einsetzte. Ein wenig später beim Angeklagten durchgeführter Atemalkoholtest "ergab einen Wert von 1,93 ‰". Am 3. April 2018 (Fall 12 der Urteilsgründe) konsumierten der Angeklagte und der Zeuge H. "eine größere Menge Alkohol" und schliefen sodann ein. Als H. erwachte, sah er die zuvor in seiner Hosentasche befindlichen Geldscheine auf einem Tisch und wollte sie an sich nehmen. Dies missfiel dem Angeklagten und er schlug mit Fäusten und einer Bierflasche auf den Zeugen H. ein, der dadurch eine Unterkieferfraktur erlitt. Am Abend des gleichen Tages (Fall 13 der Urteilsgründe) suchte er in der Unterkunft nach dem Zeugen K. , um sich an ihm zu rächen, weil dieser zwei Wochen zuvor die Polizei gerufen hatte, als er, der Angeklagte, in der Unterkunft alkoholisiert herumschrie. Er schlug an dessen Zimmertür und drohte, ihn umzubringen, wobei er auch nach Eintreffen der vom Zeugen neuerlich gerufenen Polizei auf diesen einschrie, bis er festgenommen wurde. Am 6. April 2018 (Fall 14 der Urteilsgründe) suchte der Angeklagte erneut nach dem Zeugen K. . Er trat so massiv gegen dessen Zimmertür und eine weitere Türe, dass jeweils das Schließblech beschädigt wurde. Die eintreffenden Polizeibeamten trafen den aggressiv wirkenden Angeklagten mit nacktem Oberkörper an; ein Atemalkoholtest ergab "einen Wert von 1,33 ‰".

(b) Zu Fall 10 der Urteilsgründe hat die Strafkammer angenommen, eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten sei nicht auszuschließen, in den anderen Fällen sei der Angeklagte voll (Fall 12 der Urteilsgründe) oder erheblich vermindert schuldfähig (Fälle 13 und 14 der Urteilsgründe). Die hierfür gegebene Begründung leidet indes an durchgreifenden Erörterungsmängeln.

(aa) Eine nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit in Fall 10 der Urteilgründe stützt die Strafkammer - dem Sachverständigen folgend - auf den konsumierten Alkohol in Verbindung mit der beim Angeklagten vorliegenden Persönlichkeitsstörung; allein der Alkohol könne ein derart gewalttätiges Vorgehen nicht erklären. In den anderen Fällen stellt das Landgericht hingegen allein auf den Grad der Alkoholisierung einerseits und das Maß an Gewaltausübung andererseits ab. Dabei hat das Landgericht in diesen Fällen nicht die sich aufdrängende Frage geprüft, ob die festgestellte Persönlichkeitsstörung, die nach Überzeugung des Landgerichts für sich betrachtet noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit herbeiführte, möglicherweise im Zusammenwirken mit der Alkoholisierung des Angeklagten bei allen Taten dessen Fähigkeit, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1991 - 4 StR 120/91, BGHR StGB § 20 Ursachen, mehrere 2). Das Zusammenwirken mehrerer Beeinträchtigungen erfordert stets eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung ihrer Auswirkungen auf das seelische Gefüge des Täters (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 5 StR 482/11, NStZ-RR 2012, 140 , 141). Dies näher als geschehen zu erörtern bestand vorliegend auch Anlass. Der Angeklagte stand in den Fällen 12 bis 14 der Urteilsgründe ebenso wie in Fall 10 der Urteilsgründe unter dem Einfluss von Alkohol und es handelte sich in allen Fällen um nicht unerhebliche Aggressionsdelikte, zum Teil begangen aus Frust und Verärgerung. Die Strafkammer hat auch in keinem der genannten Fälle einen so niedrigen Grad der Alkoholisierung festgestellt, dass die Annahme (nicht ausschließbarer) Schuldunfähigkeit von vornherein ausschied. Vielmehr wies nach den mitgeteilten Ausführungen des Sachverständigen das "impulsive und aggressive Verhalten des Angeklagten" in Fall 13 der Urteilsgründe "klar auf eine deutliche Intoxikation des Angeklagten" hin. Weshalb diese nicht oder nicht ausschließbar in Verbindung mit der Persönlichkeitsstörung zu einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit geführt haben kann, ist ohne nähere Erörterung nicht nachvollziehbar.

(bb) Soweit die Strafkammer auf Reaktionen des Angeklagten gegenüber der Polizei oder den Grad der Alkoholisierung abhebt, vermag auch dies vorliegend die unterschiedliche Bewertung der Schulfähigkeitsfrage in den genannten Fällen nicht zu tragen. Zum einen hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht und erörtert, dass sich der Angeklagte in gleicher Weise wie im Fall 10 der Urteilsgründe auch im Fall 13 der Urteilsgründe durch die eintreffende Polizei zunächst nicht von weiterer Tatausführung und im Fall 14 der Urteilsgründe nicht von seinem aggressiven Auftreten hat abhalten lassen. Zum anderen musste die Strafkammer in den Blick nehmen, dass ein Zustand der Schuldunfähigkeit nicht erst bei sinnloser Trunkenheit eintreten, sondern schon in einem früheren Stadium erreicht sein kann; wann dies der Fall ist, kann nur durch eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren Kennzeichen des Tatgeschehens und der Persönlichkeitsverfassung des Täters, in die auch der Blutalkoholwert einzubeziehen ist, entschieden werden (Perron/Weißer in Schönke/Schröder, StGB , 30. Aufl., § 20 Rn. 16 mwN). Hierin fehlt es.

(c) Der Senat hebt die Verurteilung des Angeklagten in allen vorgenannten Fällen auf, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu einer umfassenden eigenen und in sich stimmigen Neubewertung der Schuldfähigkeitsfrage zu geben.

(3) Auch die Beurteilung der Schuldfähigkeit in den Fällen 1, 8 und 9 der Urteilsgründe, in denen die Strafkammer jeweils von vollständig erhaltener Schuldfähigkeit ausgeht, begegnet rechtlichen Bedenken. Zwar kann der Senat nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ausschließen, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten vollständig aufgehoben war. Die Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht vermindert gewesen, ist jedoch nicht tragfähig belegt. Dies muss zur Aufhebung der Strafaussprüche in den genannten Fällen führen.

(a) Im Fall 1 der Urteilsgründe bespuckte der - insoweit geständige - Angeklagte die Glastüre einer Gaststätte, zu der ihm der Zutritt verweigert wurde, und bedrohte einen dort anwesenden Zeugen, indem er eine Maske aufsetzte und ein Messer mit einer Klingenlänge von 10 cm quer vor seinen Hals hielt. Die Strafkammer macht sich das Ergebnis des Sachverständigen zu eigen, erhebliche Intoxikationszeichen seien beim Angeklagten zu verneinen. Dies werde - so die Strafkammer - gestützt durch den Eindruck des bedrohten Zeugen, der Angeklagte sei nicht "besoffen gewesen", sowie die "Bekundungen der Zeugin Sc. ". Diese hat ausweislich der Urteilsgründe ausgesagt, dass sie zur Gaststätte gerufen worden und dort vornehmlich mit Zeugenbefragung befasst gewesen sei; ihr sei berichtet worden, dass der Täter nicht in die Gaststätte hineingelassen worden war und sodann ein Messer gezogen habe; von einer Maske könne sie nichts berichten.

Inwieweit dies der Strafkammer Schlüsse auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten ermöglicht oder inwieweit diese Aussage geeignet ist, die Ausführungen des Sachverständigen zu belegen, bleibt im Dunkeln. Damit bleibt auch unklar, auf welche tatsächlichen Grundlagen der Sachverständige seine Schuldfähigkeitsbegutachtung stützt. Schließt sich der Tatrichter - wie hier - den Ausführungen eines Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 8; vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 ; Senat, Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 StR 314/15; BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305 , 306). Dies ist vorliegend nicht geschehen.

(b) In den Fällen 8 und 9 der Urteilsgründe entwendete der - auch insoweit geständige - Angeklagte jeweils Alkoholika, indem er jeweils zwei Flaschen mit Spirituosen in seine Jacke steckte, um damit den Supermarkt ohne Bezahlung der Ware zu verlassen. Zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten schließt sich die Strafkammer wiederum dem Sachverständigen an, wonach Anhaltspunkte für eine relevante Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht vorgelegen hätten. Auch der den Angeklagten nach der zweiten Tat festhaltende Kaufhausdetektiv habe "keinerlei Intoxikationszeichen geschildert". Der Umstand, dass der Angeklagte die Flaschen unter seiner Jacke versteckte, spreche dafür, dass dem Angeklagten bewusst war, dass er diese nicht ohne Bezahlung mit aus dem Laden nehmen durfte.

Das greift zu kurz. Abgesehen davon, dass wiederum die Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen nicht nachvollziehbar mitgeteilt werden, nimmt die Strafkammer nicht erkennbar in den Blick, dass allein aus dem Fehlen von Ausfallerscheinungen noch nicht auf eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit geschlossen werden kann. Dass der Angeklagte die an sich genommenen Flaschen unter seiner Jacke versteckt hat, stellt sich lediglich als bloße Verwirklichung des Tatvorsatzes dar, Alkohol zu entwenden; daraus lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Täters gewinnen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2015 - 2 StR 146/15, NStZ-RR 2015, 367 ). Das Fehlen von Ausfallerscheinungen oder alkoholbedingten Einschränkungen kann zwar grundsätzlich gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sprechen; doch ist bei - wie hier - alkoholgewöhnten Tätern zu berücksichtigen, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus erheblich auseinander fallen können und sich gerade bei Alkoholikern oft eine durch "Übung" erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten zeigt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2007 - 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696 ; Senat, Beschluss vom 30. April 2015 - 2 StR 444/14 Rn. 7). Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass sich die Strafkammer dessen bewusst war und sie dies in ihre Würdigung miteinbezogen hat.

c) Von den aufgezeigten Rechtsfehlern unberührt sind die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen. Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, können sie bestehen bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1959 - 4 StR 394/59, BGHSt 14, 30 , 34). Der neue Tatrichter kann ergänzende, hierzu nicht im Widerspruch stehende Feststellungen treffen.

2. Auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kann keinen Bestand haben. Sie bedarf daher neuer Prüfung und Entscheidung.

a) Das Landgericht hat der Maßregelanordnung einen rechtlich nicht mehr zutreffenden Maßstab zu Grunde gelegt, indem es für die Anordnung der Maßregel hat ausreichen lassen, das "nicht von vornherein von der Aussichtlosigkeit der Maßnahme" ausgegangen werden könne. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt aber sowohl nach § 64 Abs. 2 StGB a.F. - bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung (vgl. BVerfGE 91, 1 ; BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 1994 - 4 StR 675/94 und vom 29. März 1995 - 3 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Erfolgsaussicht 5, 9) - wie auch nach § 64 Satz 2 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I, 1327) die hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg voraus. Erforderlich ist insoweit, dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48 , 49). Die Aussicht auf einen Behandlungserfolg muss daher positiv festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - 3 StR 502/09, NStZ-RR 2010, 141 ).

b) Ebenso wenig genügt es, dass lediglich nicht auszuschließen ist, dass bei dem sich "vehement gegen die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt" aussprechenden Angeklagten eine Therapiemotivation geweckt werden kann. Das Gericht hat vielmehr zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung in der Maßregel geweckt werden kann. Fehlender Therapiewille allein hindert die Unterbringung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht, er kann aber ein gegen die Erfolgsaussicht der Entwöhnungsbehandlung sprechendes Indiz sein. Ob der Mangel an Therapiebereitschaft den Schluss auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel rechtfertigt, lässt sich nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - 3 StR 502/09 Rn. 5 mwN). In diesem Zusammenhang lässt die Strafkammer unerörtert, ob den Erfolgsaussichten einer Entwöhnungsbehandlung allein oder neben den fehlenden Deutschkenntnissen die in anderem Zusammenhang festgestellte antisoziale Persönlichkeitsstörung entgegenstehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 - 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315 ).

3. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgezeigt. Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung in den nach Aufhebung (oben 1) verbleibenden Fällen auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte; diese können deshalb bestehen bleiben.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei einer Verurteilung wegen Vollrausches (§ 323a StGB ) im Urteilstenor anzugeben ist, ob die Verurteilung wegen vorsätzlichen oder fahrlässigen Vollrausches erfolgte (MüKo-StGB/Geisler, 3. Aufl., § 323a Rn. 90 mwN).

Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 18.12.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 71
StV 2021, 354