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BGH - Entscheidung vom 04.07.2019

V ZB 190/18

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 04.07.2019 - Aktenzeichen V ZB 190/18

DRsp Nr. 2019/12160

Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Sicherungshaft nach Ablauf des Haftzeitraums; Notwendige Beschränkung der Haft auf die kürzest mögliche Dauer

Die Ausführungen zur Begründung eines Sicherungshaftantrags können knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Stellt die Begründung eine in einer Vielzahl von Verfahren einsetzbare Leerformel dar, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 10. Oktober 2018 und der Beschluss des Landgerichts Deggendorf - 1. Zivilkammer - vom 30. Oktober 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in den Rechtsmittelinstanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste im Jahr 2017 in das Bundesgebiet ein. Er stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 12. März 2018 ablehnte. Seine Rücküberstellung nach Italien wurde angeordnet. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 2018 Sicherungshaft bis zum 21. November 2018 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene nach Ablauf des Haftzeitraums die Rechtswidrigkeit der Haft feststellen lassen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Sicherungshaft gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG . Insbesondere seien die Erforderlichkeit der Haft und die notwendige Haftdauer ausreichend dargelegt worden. Im Übrigen habe die Ausländerbehörde zwischenzeitlich mitgeteilt, dass ein Flugtermin für eine Überstellung nach Italien für den 8. November 2018 vorliege. Es sei der Haftgrund der Fluchtgefahr nach der Dublin-III-Verordnung gegeben.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung in seinen Rechten verletzt.

1. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 4 mwN).

b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts genügt der Haftantrag vom 10. Oktober 2018 diesen Anforderungen nicht.

aa) Die Dauer der beantragten Haft von sechs Wochen wird in dem Antrag damit begründet, dass aufgrund der Erfahrungen der beteiligten Behörde davon auszugehen sei, die Abschiebung spätestens bis 21. November 2018 vollziehen zu können. Der erforderliche Verwaltungsaufwand und der mit der Überstellung verbundene organisatorische Aufwand, insbesondere die zweiwöchige Anmeldefrist des Betroffenen in Italien und die Buchung eines neuen Fluges, rechtfertigten die beantragte Dauer der Haft.

bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ), unzureichend. Die Begründung stellt eine in einer Vielzahl von Verfahren einsetzbare Leerformel dar, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt. Warum die Buchung eines - wie hier - ohne Sicherheitsbegleitung geplanten Fluges in ein europäisches Land (Italien) eine Zeit von vier Wochen in Anspruch nehmen soll, wird nicht näher erläutert (vgl. zu den erforderlichen Angaben in den Fällen einer begleiteten Abschiebung demgegenüber Senat, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11). Beschrieben ist zudem nur die allgemein zu erwartende Höchstdauer für eine Flugabschiebung nach Italien, die „spätestens“ bis 21. November 2018 vollzogen werden könne. Die Angabe einer Höchstdauer kann aber die Erforderlichkeit der Haftdauer für den konkreten Antrag nicht begründen und rechtfertigt nicht die - vorsorgliche - Haftanordnung bis zu diesem Zeitpunkt (vgl. Senat, Beschluss vom 22. November 2018 - V ZB 54/18, juris Rn. 8 mwN). Die Haftdauer von sechs Wochen ist auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst versteht.

2. Der Fehler ist nicht geheilt worden.

a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegung ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzungen für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 9 mwN).

b) Vorliegend hat die beteiligte Behörde zwar im Beschwerdeverfahren ergänzend vorgetragen, dass die Rücküberstellung nunmehr für den 8. November 2018 vorgesehen sei. Diese Angaben waren auch grundsätzlich ausreichend, um die Erforderlichkeit der verbleibenden Haftzeit zu belegen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 10). Der Betroffene wurde hierzu aber durch das Beschwerdegericht nicht persönlich angehört.

3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ). Da die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist, hätte eine Nachholung der unterlassenen Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht auf die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung keine Auswirkung. Denn eine Heilung könnte nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: AG Deggendorf, vom 10.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 408 XIV 665/18
Vorinstanz: LG Deggendorf, vom 30.10.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 12 T 133/18