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BGH - Entscheidung vom 21.08.2019

V ZB 142/18

Normen:
AufenthG § 72 Abs. 4

BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - Aktenzeichen V ZB 142/18

DRsp Nr. 2019/14305

Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung einer Abschiebehaft; Berücksichtigung der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen einen Asylbewerber; Notwendiges Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft für eine Abschiebung

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 31. Juli 2018 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 23. April 2018 den Betroffenen für die Zeit vom 23. April bis 8. Mai 2018 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Duisburg auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 72 Abs. 4 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste im November 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 2. November 2016 als offensichtlich unbegründet ablehnte. Die Abschiebung nach Marokko wurde angedroht. Der Aufenthalt des Betroffenen war mehrmals, zuletzt ab dem 22. Januar 2018, unbekannt.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 23. April 2018 Abschiebungshaft bis zum 16. Juli 2018 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, im Fall der Haftentlassung festzustellen, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt hat. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 9. Mai 2018 auf Antrag der beteiligten Behörde die Haft mit der Begründung aufgehoben, gegen den Betroffenen sei ein Strafverfahren eingeleitet, für das die Staatsanwaltschaft ihr Einvernehmen nicht erklärt habe. Der Beschwerde hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat sie zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen.

II.

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die Sicherungshaft gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag der beteiligten Behörde sei zulässig. Auch materiell-rechtlich begegne der angefochtene Beschluss keinen Bedenken.

III.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 , Satz 2 FamFG statthaft, weil sie sich gegen eine im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung richtet. Einer Zulassung des Rechtsmittels bedarf es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch dann nicht, wenn - wie hier - bereits das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat (Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, FGPrax 2012, 44 Rn. 5; Beschluss vom 14. Juli 2016 - V ZB 32/15, InfAuslR 2016, 432 Rn. 5). Das gilt auch dann, wenn das Beschwerdegericht den Feststellungsantrag als unzulässig verworfen hat (Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 4).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Haftanordnung hat den Betroffenen in der Zeit vom 23. April bis 8. Mai 2018 in seinen Rechten verletzt.

a) Der Haftanordnung stand § 72 Abs. 4 AufenthG entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, - von den Ausnahmen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 AufenthG abgesehen - nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Fehlt es, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus (Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, FGPrax 2011, 146 Rn. 7; Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 26/17, juris Rn. 4; Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 231/17, FGPrax 2019, 41 Rn. 4). So ist es hier.

b) Für die Abschiebung des Betroffenen war jedenfalls das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Duisburg erforderlich, weil im Zeitpunkt der Haftanordnung gegen den Betroffenen dort ein Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung anhängig war. Das Einvernehmen lag nicht vor, was zur Unzulässigkeit der Abschiebungshaft führt. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die beteiligte Behörde bei Haftantragstellung von dem Strafverfahren nichts wusste, dass sie nach Kenntniserlangung eine sofortige Klärung mit der Staatsanwaltschaft suchte und dass diese am 9. Mai 2018 das Einvernehmen erteilte.

aa) Das Beteiligungserfordernis nach § 72 Abs. 4 AufenthG wird, anders als die beteiligte Behörde meint, unabhängig davon ausgelöst, ob sie von dem Ermittlungsverfahren Kenntnis hatte. Da das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft Haftvoraussetzung ist, kommt es allein auf die objektive Rechtslage an (vgl. zur Begründung Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, juris Rn. 7 ff.; Beschluss vom 27. September 2017 - V ZB 26/17, juris Rn. 4). Deshalb es ist es unerheblich, aus welchen Gründen das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft fehlt (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, NVwZ 2011, 767 Rn. 16; Beschluss vom 16. Februar 2012 - V ZB 320/10, InfAuslR 2012, 225 Rn. 11).

bb) Die Erteilung des Einvernehmens durch die Staatsanwaltschaft Duisburg am 9. Mai 2018 konnte den Fehler der Haftanordnung nicht rückwirkend beheben. Eine wegen Fehlens des erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft zunächst rechtswidrige Haft kann, wenn die Strafverfolgungsbehörde ihre Zustimmung nach der Haftanordnung erteilt, zwar geheilt werden. Die Heilung tritt aber nur mit Wirkung für den weiteren Vollzug und nur unter der zwingenden weiteren Voraussetzung ein, dass der Betroffene zu dieser Haftvoraussetzung persönlich angehört wird (vgl. Senat, Beschluss vom 29. September 2011 - V ZB 173/11, NVwZ 2012, 62 Rn. 4; Beschluss vom 16. Februar 2012 - V ZB 320/10, InfAuslR 2012, 225 Rn. 12). Danach konnte der Fehler der Haftanordnung durch die Erteilung des Einvernehmens am 9. Mai 2018 schon deshalb nicht behoben werden, weil sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Sicherungshaft befand.

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

Vorinstanz: LG Krefeld, vom 31.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 7 T 104/18
Vorinstanz: AG Krefeld, vom 23.04.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 29 XIV(B) 44/18