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BGH - Entscheidung vom 07.02.2019

V ZB 216/17

Normen:
FamFG § 62 Abs. 1
FamFG § 62 Abs. 1
FamG § 62 Abs. 1
AufenthG § 14
AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 59
AsylG § 71 Abs. 5

BGH, Beschluss vom 07.02.2019 - Aktenzeichen V ZB 216/17

DRsp Nr. 2019/5402

Fehlen an einem Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft durch seine Verlegung in dem von der Anordnung der Sicherungshaft erfassten Zeitraum aufgrund ärztlicher Überweisung in ein Krankenhaus

An einem Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft fehlt es, wenn und soweit er in dem von der Anordnung der Sicherungshaft erfassten Zeitraum aufgrund ärztlicher Überweisung in ein Krankenhaus verlegt wurde, es sei denn, der stationäre Aufenthalt findet wegen der angeordneten Sicherungshaft in einem Haftkrankenhaus, in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses oder unter Überwachung statt.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. Oktober 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts Neuwied vom 24. Februar 2017 ihn in dem Zeitraum bis zum 14. März 2017 in seinen Rechten verletzt hat, zurückgewiesen worden ist.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Neuwied vom 24. Februar 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit Sicherungshaft bis zum 14. März 2017 angeordnet worden ist.

Von den gerichtlichen Kosten trägt der Betroffene 40 %. Weitere gerichtliche Kosten werden nicht erhoben. Der Kreis Neuwied trägt 60 % der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Im Übrigen trägt sie dieser selbst.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamG § 62 Abs. 1; AufenthG § 14 ; AufenthG § 58 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ; AufenthG § 59 ; AsylG § 71 Abs. 5 ;

Gründe

I.

Der Betroffene, ein eritreischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im Juni 2016 über Italien in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 7. September 2015 als unzulässig ab, weil er bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zugleich wurde seine Abschiebung dorthin angedroht. Am 16. Februar 2017 wurde der Betroffene, gegen den Sicherungshaft angeordnet war, nach Italien überstellt. Am 23. Februar 2017 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein und wurde noch am selben Tag in Gewahrsam genommen. Am 24. Februar 2017 beantragte er erneut Asyl.

Das Amtsgericht hat, nachdem es zunächst mit Beschluss vom 23. Februar 2017 im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft für die Dauer von sieben Tagen angeordnet hat, mit Beschluss vom 24. Februar 2017 Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach Italien bis längstens 15. April 2017 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Diese hat er, nachdem er am 15. März 2017 fachärztlich in eine Klinik für Psychiatrie und Neurologie überwiesen worden ist, mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung weiterverfolgt. Ende März 2017 hat der Betroffene die Klinik verlassen und sich in sog. Kirchenasyl begeben. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag sei zulässig. Zwar hätte die Haft gemäß Art. 28 Abs. 32 UAbs. 3 der Dublin-III-Verordnung nur für lediglich sechs Wochen, also nur bis zum 7. April 2017 angeordnet werden dürfen. Der Verstoß sei jedoch unschädlich, da der Betroffene am 15. März 2017 in eine Klinik überstellt worden sei. Es fehle auch nicht an einer Rückkehrentscheidung. Die Abschiebungsandrohung vom 7. September 2016 sei durch die am 16. Februar 2017 erfolgte Überstellung nach Italien nicht verbraucht, zumal das BAMF mit Bescheid vom 3. April 2017 erneut die Abschiebung des Betroffenen angeordnet habe, nachdem der Betroffene am 24. Februar 2017 einen Asylfolgeantrag gestellt habe. Dieser stehe der Anordnung von Überstellungshaft nicht entgegen.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.

1. Die Beschwerde des Betroffenen ist allerdings zu Recht zurückgewiesen worden, soweit sie die Haftanordnung durch das Amtsgericht für den Zeitraum ab dem 15. März 2017 betrifft, weil es insoweit an einem Feststellungsinteresse (§ 62 Abs. 1 FamG) fehlt.

a) In Freiheitsentziehungssachen besteht nach einer Erledigung der Hauptsache zwar grundsätzlich ein Rehabilitierungsinteresse und damit ein Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen für einen Antrag, mit dem die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung festgestellt werden soll (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG sowie BVerfGE 104, 220 , 235; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, NVwZ 2010, 726 Rn. 9; Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1510 Rn. 5). An einem solchen Interesse fehlt es aber, soweit sich der Betroffene in dem von der Haftanordnung nach § 421 FamFG erfassten Zeitraum nicht (mehr) in Abschiebungshaft befunden hat. Das ist z.B. der Fall, wenn er eine Freiheitsstrafe verbüßt oder sich in Untersuchungshaft befunden hat (vgl. Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 211/10, juris Rn. 6; Beschluss vom 2. Dezember 2010 - V ZB 162/10, juris Rn. 2).

b) An einem Interesse des Betroffenen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft (§ 62 Abs. 1 FamFG ) fehlt es auch, wenn und soweit er in dem von der Anordnung der Sicherungshaft erfassten Zeitraum - wie hier - aufgrund ärztlicher Überweisung in ein Krankenhaus verlegt wurde, es sei denn, der stationäre Aufenthalt findet wegen der angeordneten Sicherungshaft in einem Haftkrankenhaus, in einer geschlossenen Abteilung des Krankenhauses oder unter Überwachung statt. Nur in diesen Fällen ist die Verlegung in das Krankenhaus mit einer Freiheitsentziehung verbunden. Fehlt es daran, wird die Abschiebungshaft infolge der Verlegung nicht vollzogen. Dass hier die Freiheitsentziehung des Betroffenen während des Krankenhausaufenthalts fortdauerte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Dagegen spricht schon, dass der Betroffene die Klinik Ende März 2017 aus freien Stücken verlassen konnte. Auch in der Folgezeit wurde die Haft nicht mehr vollzogen, nachdem er sich in sog. Kirchenasyl begeben hat.

2. Bezogen auf den Zeitraum, in dem die Sicherungshaft vollstreckt wurde (24. Februar bis 14. März 2017), ist die Rechtsbeschwerde jedoch begründet. Die Haftanordnung durch das Amtsgericht hat den Betroffenen insoweit in seinen Rechten verletzt

a) Allerdings liegt der Haftanordnung entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Von einer näheren Begründung wird insoweit gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

b) Die Anordnung von Abschiebungshaft hat den Betroffenen aber in seinen Rechten verletzt, weil im Zeitpunkt der Haftanordnung eine Abschiebungsandrohung entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde nicht vorlag und es deshalb an einer Vollstreckungsvoraussetzung fehlte.

aa) Zu den von dem Haftrichter zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen gehört grundsätzlich das Vorliegen einer Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG . Eine solche Androhung muss auch dann erfolgen, wenn der Ausländer gemäß § 14 AufenthG unerlaubt eingereist und deshalb nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig ist (Senat, Beschluss vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, juris Rn. 5 mwN).

bb) Die Abschiebungsandrohung vom 7. September 2015 konnte nicht Grundlage für die anzuordnende Haft sein. Durch die Überstellung des Betroffenen nach Italien am 16. Februar 2017 ist diese Abschiebungsandrohung „verbraucht“; sie wirkt nicht als vorsorgliche Androhung für den Fall einer erneuten unerlaubten Einreise fort (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, Asylmagazin 2018, 182 Rn. 12; Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 61/18, juris Rn. 5; vgl. für den Fall der freiwilligen Ausreise Senat, Beschluss vom 17. März 2016 - V ZB 39/15, juris Rn. 8; Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 18/14, juris Rn. 9; Beschluss vom 1. Oktober 2015 - V ZB 44/15, InfAuslR 2015, 440 Rn. 7).

cc) Etwas anderes folgt hier nicht aus § 71 Abs. 5 und 6 AsylG .

(a) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es allerdings nach § 71 Abs. 5 AsylG zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung. Nach Absatz 6 Satz 1 dieser Vorschrift gilt dies auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Die Vorschrift ermöglicht die Abschiebung des Ausländers auf der Grundlage der in einem früheren Verfahren erlassenen asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Oktober 2015 - V ZB 44/15, InfAuslR 2015, 440 Rn. 6; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2001 - 11 S 2099/01, juris Rn. 5). Ein Verbrauch der Abschiebungsandrohung scheidet in diesem Fall aus. Bei der Ausreise bzw. Abschiebung kann nämlich noch nicht übersehen werden, ob nach einer späteren Wiedereinreise ein Folgeantrag gestellt und die frühere Abschiebungsandrohung - der Regelung in § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG entsprechend - noch für die Aufenthaltsbeendigung des potentiellen Folgeantragstellers benötigt wird (OVG Münster, NWVBl 2005, 439 , 440; OVG Magdeburg, Beschluss vom 21. Februar 2006 - 2 M 217/05, juris Rn. 12).

(b) Die Vorschrift des § 71 Abs. 6 AsylG ist hier jedoch nicht einschlägig. Der Betroffene hat zwar am 24. Februar 2017 erneut einen Asylantrag gestellt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Asylfolgeantrag. Dieser setzt nach § 71 Abs. 1 AsylG voraus, dass ein früherer Asylantrag zurückgenommen oder unanfechtbar abgelehnt worden ist. Daran fehlt es. Aus dem von dem Landgericht in Bezug genommenen Bescheid des BAMF vom 3. April 2017 ergibt sich, dass über die Klage des Betroffenen gegen den Bescheid vom 7. September 2015 in der Hauptsache noch nicht entschieden war. Dann kann es sich bei dem weiteren Asylbegehren nicht um einen Folgeantrag, sondern nur um eine Bestätigung bzw. Ergänzung des noch anhängigen Asylantrags (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 71 AsylG Rn. 11, 13; HK-AuslR/Kerstin Müller, 2. Aufl., § 71 AsylVfG Rn. 14) oder um einen sog. „Mehrfach-“ bzw. „Doppelantrag“ handeln (BeckOK AuslR/Dickten, AsylG [1.8.2018], § 71 Rn. 4a), weswegen entgegen der Ansicht der beteiligten Behörde die für den Folgeantrag geltenden Spezialvorschrift des § 71 Abs. 5 und 6 AsylG nicht anwendbar ist.

c) Der Fehler ist nicht geheilt worden. Nach den Feststelllungen des Beschwerdegerichts hat das BAMF zwar am 3. April 2017 eine erneute Abschiebungsandrohung erlassen, so dass ab diesem Zeitpunkt die vollziehbare Ausreisepflicht durch eine Abschiebung durchgesetzt werden konnte (Senat, Beschluss vom 27. September 2012 - V ZB 31/12, InfAuslR 2013, 38 Rn. 6). Das konnte den Fehler schon deshalb nicht beheben, da sich der Betroffene zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Sicherungshaft befunden hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , § 83 Abs. 1 , 84 , § 430 FamFG , Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG .

Vorinstanz: AG Neuwied, vom 24.02.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 64/17
Vorinstanz: LG Koblenz, vom 10.10.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 358/17