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BGH - Entscheidung vom 26.06.2019

AnwZ (Brfg) 29/19

Normen:
BRAO § 46 Abs. 3 Nr. 1-2
BRAO § 46 Abs. 4 S. 1

Fundstellen:
NJW 2019, 3650
NJW-RR 2019, 1267
NZG 2020, 37

BGH, Beschluss vom 26.06.2019 - Aktenzeichen AnwZ (Brfg) 29/19

DRsp Nr. 2019/11293

Erteilung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt i.R.d. Prüfung der fachlichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der ausgeübten Tätigkeit für einen Versicherer

Eine fachlich unabhängige Tätigkeit im Sinne von § 46 Abs. 3 BRAO übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Dementsprechend liegt eine unabhängige Tätigkeit nicht vor, wenn Vorgaben zur Art und Weise der Bearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfragen bestehen.

Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das am 7. Februar 2019 verkündete Urteil des 1. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.

Normenkette:

BRAO § 46 Abs. 3 Nr. 1 -2; BRAO § 46 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I.

Die Klägerin wurde am 31. Januar 2002 als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Schreiben vom 11. März 2016 beantragte sie bei der Beklagten die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der A. AG (jetzt: A. SE).

Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 ab. Auf die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin hat der Anwaltsgerichtshof - nach Anhörung der Klägerin - den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihre Tätigkeit bei der A. SE die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt zu erteilen. Die Beklagte beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

Der Antrag der Beklagten ist nach § 112e Satz 2 BRAO , § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 , 3 , 5 VwGO ) liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senat, Beschluss vom 17. September 2015 - AnwZ (Brfg) 32/15, juris Rn. 4 mwN).

a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb, weil der Anwaltsgerichtshof Widersprüche zwischen den verschiedenen Tätigkeitsbeschreibungen der Klägerin, insbesondere zwischen der Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15. März 2016 einerseits und den Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 sowie den Bekundungen der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof vom 7. Februar 2019 andererseits nicht hinreichend beachtet hat.

aa) Der Anwaltsgerichtshof hat seine Feststellungen zur Tätigkeit der Klägerin auf den Nachtrag vom 14./23. März 2016 zum Arbeitsvertrag vom 16./25. Juni 2014, auf die Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 sowie auf die Anhörung der Klägerin gestützt (S. 7 ff. der Entscheidungsgründe). Hiervon möglicherweise abweichende Angaben der früheren Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15. März 2016 hat er nicht zugrunde gelegt. Mit dieser hat er sich ausdrücklich befasst und insofern eine weitere Aufklärung in Anbetracht der glaubhaften Aussage der Klägerin nicht für notwendig erachtet (S. 8 f. der Entscheidungsgründe).

Das ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat nachvollziehbar erklärt, dass und aus welchem Grund die in der vorgenannten Tätigkeitsbeschreibung aufgeführten "Hauptaufgabenfelder" nicht einen entsprechend hohen zeitlichen Anteil an ihrer Gesamtarbeitszeit haben. Gleiches gilt für den Inhalt des "Relationship Management". Hierzu hat die Klägerin in ihrer Anhörung ein Beispiel genannt, das mit der Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15. März 2016 ("Proaktive Steuerung der Einbeziehung von Funktionsbereichen in den Schadensabwicklungsprozess") in Einklang steht. Es lässt sich - in Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin - auch Ziffer 2b und 3b der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 zuordnen. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass nicht der gesamte Inhalt des "Relationship Management", wie es in der Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15. März 2016 dargestellt wird, als anwaltliche Tätigkeit im Sinne von § 46 Abs. 3 BRAO eingestuft werden kann. Eine solche Bewertung hat der Anwaltsgerichtshof, der seinen Feststellungen die Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 sowie die Anhörung der Klägerin zugrunde gelegt hat, indes auch nicht vorgenommen.

bb) Die Bekundungen der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof stehen mit den Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 in Einklang. Das gilt entgegen der Auffassung der Beklagten auch im Hinblick auf die Angaben zu Ziffer 3b und 3f der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017. Die dort aufgeführten Tätigkeiten betreffen das Monitoring und die Übernahme von Großschäden im Wege der gemeinsamen Bearbeitung mit den lokalen Schadenbearbeitern (Ziff. 3b) und die durch die Klägerin selbst erfolgende Bearbeitung von Komplexschäden der erweiterten Produkthaftpflicht, die Rückrufdeckung und Planungshaftpflicht für deutsche Kunden im Ausland (Ziff. 3f). Beide Tätigkeiten werden jeweils mit einem Arbeitszeitanteil von 40 % angegeben. Dies entspricht den Bekundungen der Klägerin in ihrer Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof. Danach beträgt das Verhältnis zwischen den eigenen von ihr bearbeiteten Schadensfällen und der Überprüfung der Bearbeitung lokaler Schadensachbearbeiter "ca. 50/50" und ist mithin der auf beide Gebiete verwandte Arbeitszeitanteil gleich hoch.

b) Der Anwaltsgerichtshof hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht eine reine Überwachungs- und Vorgesetztentätigkeit der Klägerin als anwaltliche Tätigkeit im Sinne von § 46 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BRAO (Prüfung von Rechtsfragen, Erteilung von Rechtsrat) bewertet. Betroffen ist die unter Ziffer 3b der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 dargestellte Tätigkeit. Diese ist indes keine reine Überwachungs- und Vorgesetztentätigkeit. Nach den vom Anwaltsgerichtshof zugrunde gelegten Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 (Ziff. 3b) und vom 29. April 2017 (Ziff. 2) handelt es sich um eine "gemeinsame Bearbeitung mit den lokalen Schadenbearbeitern". Dabei prüft die Klägerin die Ermittlung des dem Schaden zugrunde gelegten Sachverhalts, die Berechtigung der geltend gemachten Schadensersatzansprüche und den Deckungsumfang des bestehenden Haftpflichtvertrages. Sie diskutiert die rechtliche Bewertung ihrer Kollegen. Nach ihren Bekundungen in der Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof fertigt sie anschließend Vorlagen, da sie in den Auslandsfällen - auf die sich ihre Überprüfungstätigkeit bezieht - nur eine "Eigenkompetenz" bis zu fünf Millionen Euro hat, indes erst ab diesem Betrag befasst werden muss. Es handelt sich bei dieser Tätigkeit mithin keineswegs um die reine Erteilung von Anweisungen durch einen Vorgesetzten an nachgeordnete Mitarbeiter, sondern um die eigene Prüfung von Rechtsfragen und die - im Wege der Vorlage - erfolgende Rechtsberatung der Arbeitgeberin der Klägerin.

c) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht im Hinblick auf die fachlich unabhängige und eigenverantwortliche Ausübung der Tätigkeit der Klägerin (§ 46 Abs. 3 und 4 BRAO ). Solche Zweifel werden insbesondere nicht dadurch begründet, dass die Klägerin bei ihren eigenen Inlandsfällen bei Beträgen ab 250.000 € Vorlagen zu fertigen hat, was nach ihren Angaben in der Anhörung vor dem Anwaltsgerichtshof für 80 % der von ihr bearbeiteten Inlandsfälle zutrifft.

aa) Nach § 46 Abs. 4 Satz 1 BRAO übt eine fachlich unabhängige Tätigkeit im Sinne von § 46 Abs. 3 BRAO nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Dementsprechend liegt eine unabhängige Tätigkeit nicht vor, wenn Vorgaben zur Art und Weise der Bearbeitung und Bewertung bestimmter Rechtsfragen bestehen, wie dies beispielsweise bei einem richtliniengebundenen Schadenssachbearbeiter einer Versicherung der Fall ist (Fraktionsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte, BT-Drucks. 18/5201, S. 29). Bestehen solche Vorgaben nicht und berät der Rechtsanwalt seinen Arbeitgeber - in Gestalt seines Vorgesetzten - fachlich unabhängig, steht das Recht des Arbeitgebers zur Entscheidung, ob dem - fachlich unabhängig erteilten - Rechtsrat des Rechtanwalts zu folgen ist, der Annahme einer - zeitlich vor dieser Entscheidung ausgeübten - fachlich unabhängigen Tätigkeit des Rechtsanwalts nicht entgegen. Rät die Klägerin mithin ihrer Arbeitgeberin mittels einer von ihr gefertigten Vorlage - nach fachlich unabhängiger Prüfung von Rechtsfragen - zu einer bestimmten Vorgehensweise in einem Schadensfall, wird ihre fachliche Unabhängigkeit bei der bereits zuvor erfolgten Prüfung und der darauf basierenden Erteilung des Rechtsrats nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Vorgesetzte ihrem Rat nicht folgt und sich - in Vertretung der Arbeitgeberin der Klägerin - für ein anderes Vorgehen entscheidet (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2019 - AnwZ (Brfg) 36/17, juris Rn. 11).

bb) Zu prüfen ist jeweils, ob das Arbeitsverhältnis von der eigenverantwortlichen, fachlich unabhängigen Tätigkeit oder aber von der weisungsgebundenen Tätigkeit des Arbeitnehmers geprägt wird (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 29/17, juris Rn. 13). Dabei ist entgegen der Auffassung der Beklagten im Fall der Klägerin zu berücksichtigen, dass nach der - auch von ihrer Arbeitgeberin unterzeichneten - Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 (Ziff. 4a) ihr Vorgesetzter in über 95 % der vorgelegten Entscheidungen ihrem Vorschlag folgt. Von ihm wird danach gewünscht, dass die rechtliche Prüfung, die Entscheidungsfindung und die Verhandlungen eigenverantwortlich vorgenommen werden und die Klägerin selbständig auftritt. In der Gesamtschau stellt sich die Bearbeitung eines Inlandsfalls durch die Klägerin danach dergestalt dar, dass sie den Fall sowohl vor als auch nach der Vorlage an ihren Vorgesetzten weitgehend fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auf der Grundlage der von ihr gefertigten und fast ausnahmslos von ihrem Vorgesetzten genehmigten Vorlage bearbeitet. Die Genehmigung erscheint vor diesem Hintergrund eher als "Formsache", die keine Auswirkung auf die Bewertung der Fallbearbeitung der Klägerin als fachlich unabhängig und eigenverantwortlich hat.

d) Soweit die Klägerin nach der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 (Ziff. 4a) selbständig Verhandlungen mit den Kunden ihrer Arbeitgeberin und den Kunden dieser Kunden führt, ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ersichtlich, dass es sich hierbei nicht um Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin im Sinne von § 46 Abs. 5 Satz 1 BRAO handelt. Dabei kann vorliegend offenbleiben, ob es sich angesichts der Besonderheiten der von der Klägerin bearbeiteten Haftpflichtversicherungsverhältnisse auch dann, wenn die Klägerin die Kunden ihrer Arbeitgeberin, d.h. die Versicherungsnehmer, beraten würde, noch um Rechtsangelegenheiten ihrer Arbeitgeberin handeln würde. Denn für eine solche Beratung ergibt sich aus der von der Beklagten herangezogenen Textstelle der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 nichts. Vielmehr können Verhandlungen mit den Kunden der Arbeitgeberin der Klägerin unmittelbar Rechtsangelegenheiten der Arbeitgeberin betreffen, wie etwa deren Einstandspflicht als Haftpflichtversicherer bei Meldung eines Schadensfalls. Soweit die Klägerin zusammen mit den Versicherungsnehmern mit deren Kunden verhandelt, ist ebenfalls nichts dafür ersichtlich, dass die Einstandspflicht ihrer Arbeitgeberin als Haftpflichtversicherer und damit deren Rechtsangelegenheiten nicht auch Gegenstand dieser Verhandlungen sind.

e) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen ferner nicht in Anbetracht der "Richtlinien und Weisungen der Gesellschaft", welche die Klägerin nach § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vom 16./25. Juni 2014 zu beachten hat. Der Inhalt dieser innerbetrieblichen Vorschriften ist nicht bekannt. Sollte es sich um Regelungen handeln, die (auch) Weisungen in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit der Klägerin beinhalten, könnten sie zwar grundsätzlich der Unabhängigkeit ihrer Tätigkeit entgegenstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. August 2017 - AnwZ (Brfg) 14/17, NJW 2017, 2835 Rn. 12; vgl. dagegen zu unternehmensinternen reinen Compliance-Vorschriften ohne fachlichen Bezug Senat, Beschlüsse vom 29. Januar 2019 - AnwZ (Brfg) 16/18, juris Rn. 28 und vom 12. März 2018 - AnwZ (Brfg) 15/17, juris Rn. 12). Vorliegend ist eine solche Beeinträchtigung der fachlichen Unabhängigkeit der Tätigkeit der Klägerin durch die "Richtlinien und Weisungen" jedoch ausgeschlossen. Denn in § 1 Abs. 3 des - gegenüber den "Richtlinien und Weisungen" vorrangigen - Nachtrages vom 14./23. März 2016 zum Arbeitsvertrag ist bestimmt, dass die Klägerin in ihrer Funktion als Expert Claims Specialist keinen allgemeinen Weisungen unterliegt, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Innerhalb ihrer anwaltlichen Tätigkeit arbeite sie daher fachlich eigenverantwortlich. Soweit die "Richtlinien und Weisungen" fachbezogene Regelungen enthalten, die geeignet wären, die fachliche Unabhängigkeit der Tätigkeit der Klägerin zu beeinträchtigen, gelten sie nach dem Nachtrag zum Arbeitsvertrag nicht in Bezug auf die Klägerin.

f) Das in § 1 Abs. 6 des Arbeitsvertrages vom 16./25. Juni 2014 und § 2 des Nachtrages vom 14./23. März 2016 zum Arbeitsvertrag bestimmte Versetzungsrecht der Arbeitgeberin der Klägerin steht der Annahme einer fachlichen Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Klägerin nicht entgegen. Es mag zwar sein, dass die Versetzung oder die Drohung mit ihr von der Arbeitgeberin im Einzelfall als Mittel oder Versuch der Disziplinierung eines Angestellten eingesetzt werden können. Eine solche arbeitgeberseitige Wahrnehmung des Versetzungsrechts allein zur Disziplinierung einer in - arbeitsvertraglich gewährleisteter - fachlicher Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit ausgeübten Tätigkeit wäre indes missbräuchlich und nicht rechtswirksam (zur Unwirksamkeit einer willkürlichen oder missbräuchlichen Versetzung vgl. BAG, NZA 2017, 1394 Rn. 30 m.w.N.). Die Möglichkeit der - missbräuchlichen - Versetzung oder der Drohung mit ihr schließt die fachliche Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit im Sinne von § 46 Abs. 3 und 4 BRAO daher ebenso wenig aus wie die den meisten Beschäftigungsverhältnissen immanente Möglichkeit einer (Beendigungs- oder Änderungs-)Kündigung des Arbeitsverhältnisses und deren missbräuchliche Ausübung durch den Arbeitgeber oder wie die Nichtübernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nach Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses (Senat, Beschlüsse vom 2. April 2019 - AnwZ (Brfg) 77/18, juris Rn. 24 und AnwZ (Brfg) 83/18, juris Rn. 21).

An dieser Bewertung vermag auch die Argumentation der Beklagten nichts zu ändern, die Frage, ob eine unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers tatsächlich rechtsmissbräuchlich sei, sei im Einzelfall schwer zu entscheiden, ihre Beantwortung gehe häufig nicht zu Gunsten des Arbeitnehmers aus. Erfolgt eine Versetzung zur Disziplinierung einer in - arbeitsvertraglich gewährleisteter - fachlicher Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit ausgeübten Tätigkeit, ist dies stets rechtsmissbräuchlich und die Frage des Rechtsmissbrauchs einfach zu beantworten. Probleme mögen im Einzelfall in der Beweisbarkeit der den Rechtsmissbrauch begründenden Umstände, d.h. der Versetzung als Disziplinierung einer fachlich unabhängig und eigenverantwortlich ausgeübten Tätigkeit bestehen. Solche Beweisschwierigkeiten können sich in Arbeitsverhältnissen indes auch bei zahlreichen weiteren rechtsmissbräuchlichen Disziplinierungen stellen, wie etwa bei verweigerten Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen des Arbeitgebers oder bei der Drohung mit ihnen. Der Syndikusrechtsanwalt übt seine Tätigkeit nicht in einem von jeglichen Einflussmöglichkeiten seines Arbeitgebers abgeschotteten Bereich, sondern innerhalb eines Arbeitsverhältnisses aus, das durch eine Vielzahl von Berührungspunkten zwischen den Sphären von Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihrer Interessen gekennzeichnet ist und daher naturgemäß dem Arbeitgeber eine große Anzahl von tatsächlichen Möglichkeiten bietet, unzulässig auf die fachlich unabhängige und eigenverantwortliche Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts Einfluss zu nehmen. Führten bereits die Existenz solcher Einfluss- und Disziplinierungsmöglichkeiten und ihre im Einzelfall schwer zu beweisende Wahrnehmung durch den Arbeitgeber zur Verneinung der fachlichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts, könnten diese grundlegenden Voraussetzungen einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nur noch in wenigen Ausnahmefällen angenommen werden. Das entspricht ersichtlich nicht der Absicht des Gesetzes, das in § 46 Abs. 4 Satz 2 BRAO lediglich fordert, die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung des Syndikusrechtsanwalts vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten, nicht aber - was ohnehin kaum umsetzbar wäre - jegliche Möglichkeit der rechtswidrigen Disziplinierung des Syndikusrechtsanwalts durch seinen Arbeitgeber von vornherein zu unterbinden.

Soweit sich die Beklagte darüber hinaus gegen den in den Senatsentscheidungen vom 2. April 2019 (jeweils aaO) angestellten Vergleich mit Sanktionsmöglichkeiten gegenüber einem in einer Rechtsanwaltskanzlei (unter Umständen befristet) angestellten Rechtsanwalt und einem in eigener Kanzlei tätigen Rechtsanwalt wendet, handelt es sich hierbei lediglich um ergänzende Überlegungen, zu deren Vertiefung vorliegend keine Veranlassung besteht.

2. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) hat die Beklagte nicht dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288 , 291; BVerfG, NVwZ 2009, 515 , 518; BVerwG, NVwZ 2005, 709 ).

a) Die Beklagte misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, dass zwar einerseits der Arbeitsvertrag dem Antragsteller fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortung zubilligt, andererseits aber klar definierte Grenzen bestehen, bei deren Überschreitung der Antragsteller dem Arbeitgeber oder einem Vorgesetzten lediglich Handlungsvorschläge unterbreiten darf und sein weiteres Vorgehen sodann an der Entscheidung, also einem konkreten Weisungsrecht des Arbeitgebers oder Vorgesetzten ausrichten muss.

Dabei handelt es sich aber, wie gerade der vorliegende Sachverhalt zeigt, nicht um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern um eine solche des jeweiligen Einzelfalls. Die fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der ausgeübten Tätigkeit ist danach zu beurteilen, welche Bedeutung einem etwaigen Weisungsrecht des Arbeitgebers oder Vorgesetzten im Einzelfall zukommt, d.h. in welcher Phase der Fallbearbeitung, wie oft, wie konkret und mit welchem Inhalt es ausgeübt wird und wie sich die Bearbeitung des Falles nach der Ausübung des Weisungsrechts gestaltet. Abhängig hiervon kann das Weisungsrecht im Einzelfall der fachlichen Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit einer - nach seiner Ausübung - erfolgenden Fallbearbeitung entgegenstehen. Nur wenn dies der Fall ist, sind die nach der Weisung erfolgende Fallbearbeitung und ihr Arbeitszeitanteil bei der Frage der Prägung des Arbeitsverhältnisses durch anwaltliche Tätigkeit (§ 46 Abs. 3 BRAO ) nicht zu berücksichtigen. Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend aus den vorstehend erörterten Gründen (zu 1c) nicht gegeben.

b) Die weitere von der Beklagten aufgeworfene Frage, wie die Unterweisung von nachgeordneten Mitarbeitern und die Überprüfung der Arbeitsleistung nachgeordneter Mitarbeiter einzustufen sind, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Denn bei der betroffenen (unter Ziff. 3b der Tätigkeitsbeschreibung vom 4. Februar 2017 dargestellten) Tätigkeit handelt es sich - wie ausgeführt (zu 1b) - nicht um eine reine Überwachungs- und Vorgesetztentätigkeit in vorstehendem Sinne, sondern um die eigene Prüfung von Rechtsfragen und die - im Wege der Vorlage - erfolgende Rechtsberatung ihrer Arbeitgeberin durch die Klägerin.

c) Die Frage, wie sich Versetzungsklauseln - insbesondere solche, die zu einem Verlust der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt führen können (vgl. § 46b Abs. 2 Satz 2 BRAO ) - auf die fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit (§ 46 Abs. 3 BRAO ) auswirken, ist nicht klärungsbedürftig, soweit - wie vorliegend - die fachliche Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Tätigkeit des Antragstellers arbeitsvertraglich gewährleistet ist (siehe vorstehend zu 1f).

3. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO , § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ). Er hat seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO nicht dadurch verletzt, dass er dem in der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2019 gestellten Beweisantrag der Beklagten nicht gefolgt ist. Zu Recht hat er weiteren Aufklärungsbedarf verneint.

Insbesondere sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die im Protokoll der Sitzung des Anwaltsgerichtshofs vom 7. Februar 2019 enthaltenen Angaben der Klägerin zur Zusammensetzung ihrer Tätigkeit nicht den Tatsachen entsprechen. Die Angaben der Klägerin stimmen mit den Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 überein. Diese sind jeweils von einem Vertreter der Arbeitgeberin der Klägerin unterzeichnet. Es ist daher nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch nicht dargelegt, warum die von der Beklagten benannten Zeugen A. und O. als Vertreter der Arbeitgeberin der Klägerin in einer Vernehmung als Zeugen nicht den Inhalt der vorgenannten Tätigkeitsbeschreibungen und die ihm entsprechenden Angaben der Klägerin bestätigen sollten.

Auf die Tätigkeitsbeschreibung vom 14./15. März 2016 hat der Anwaltsgerichtshof seine Feststellungen nicht gestützt. Er hat sich mit ihr und den darin enthaltenen Angaben ausdrücklich befasst und insofern angesichts der glaubhaften Aussage der Klägerin eine weitere Aufklärung nicht für notwendig erachtet. Das ist - wie ausgeführt (zu 1a aa) - nicht zu beanstanden und begründet keinen weiteren Aufklärungsbedarf.

Der Amtsermittlungsgrundsatz gebietet keinesfalls, bei einer Anhörung des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung stets auch dem Arbeitgeber oder einem Vertreter desselben Gehör zu gewähren. Aus welchem Grund die Entscheidung im Zulassungs- oder Klageverfahren nicht nur den Träger der Rentenversicherung bindet (§ 46a Abs. 2 Satz 4 BRAO ), sondern auch den Arbeitgeber, wird von der Beklagten nicht erläutert. Dies ist nicht der Fall. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 46a Abs. 2 BRAO auch nur eine Anhörung und Beteiligung des Trägers der Rentenversicherung und nicht des Arbeitgebers zwingend vorgesehen. Im Übrigen ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs auf den Tätigkeitsbeschreibungen vom 4. Februar 2017 und 29. April 2017 beruhen, die von einem Vertreter der Arbeitgeberin der Klägerin unterzeichnet sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO , § 154 Abs. 2 , § 162 Abs. 3 VwGO , die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 BRAO .

Vorinstanz: AnwGH Bayern, vom 07.02.2019 - Vorinstanzaktenzeichen BayAGH I - 1 - 3/18
Fundstellen
NJW 2019, 3650
NJW-RR 2019, 1267
NZG 2020, 37