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BGH - Entscheidung vom 08.10.2019

1 StR 327/19

Normen:
StPO § 302 Abs. 1
StPO § 302 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 30
NStZ-RR 2021, 239

BGH, Beschluss vom 08.10.2019 - Aktenzeichen 1 StR 327/19

DRsp Nr. 2019/16372

Ermächtigung des Verteidigers zur Rechtsmittelrücknahme hinsichtlich Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten (hier: sexueller Missbrauch von Kindern)

Der Wirksamkeit einer Rechtsmittelrücknahme steht nicht entgegen, dass der Angeklagte unter Betreuung steht, wenn ausweislich des Betreuerausweises der Angeklagte für die Wirksamkeit von Willenserklärungen gegenüber Behörden nicht der Einwilligung der gesetzlichen Betreuerin bedarf.

Tenor

Es wird festgestellt, dass das Rechtsmittel des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 14. März 2019 wirksam zurückgenommen worden ist.

Normenkette:

StPO § 302 Abs. 1 ; StPO § 302 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. März 2019 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie hinsichtlich eines näher bezeichneten Mobiltelefons eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Gegen dieses Urteil haben sowohl der Wahlverteidiger am 20. März 2019 als auch die Pflichtverteidigerin des Angeklagten am 21. März 2019 fristgerecht Revision eingelegt. Der Wahlverteidiger hat die von ihm eingelegte Revision mit der näher ausgeführten Sachrüge mit Schriftsatz vom 20. Mai 2019 begründet.

Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2019, eingegangen bei Gericht am 29. Mai 2019, hat die Pflichtverteidigerin des Angeklagten erklärt, dass sie die Revision "nach ausführlicher Rücksprache" mit dem Angeklagten zurücknehme. Dieser Rücknahme hat der Wahlverteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 31. Mai 2019 widersprochen. Er erachtet die Rücknahme für unwirksam, weil der Angeklagte unter Betreuung stand, die Betreuerin der Rücknahme nicht zugestimmt habe und der Angeklagte im Zeitpunkt der Rücknahme nicht verhandlungsfähig gewesen sei.

II.

Die Revision des Angeklagten wurde durch seine Pflichtverteidigerin wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 StPO ). Da dies in Zweifel steht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss fest (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 - 1 StR 552/16 Rn. 8 mwN).

1. Die Verteidigerin war zur Rechtsmittelrücknahme ermächtigt. Im Zeitpunkt der Abgabe der Rücknahmeerklärung lag die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung des Angeklagten vor. Für diese ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich und telefonisch erteilt werden kann. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 - 1 StR 552/16 Rn. 9 und vom 15. April 2015 - 1 StR 112/15 Rn. 10).

Eine solche anwaltliche Versicherung enthielt die Erklärung der Verteidigerin vom 28. Mai 2019. Die Rücknahme erfolgte "nach ausführlicher Rücksprache" mit dem Mandanten, so dass die Verteidigerin zur Rücknahme ausdrücklich ermächtigt war.

2. Auch die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten unterliegt keinem Zweifel, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ermächtigung zur Rücknahme bestehen.

a) Der Wirksamkeit der Rücknahme steht nicht entgegen, dass der Angeklagte unter Betreuung stand (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 4 StR 691/10 Rn. 9). Ausweislich des vom Wahlverteidiger vorgelegten Betreuerausweises bedarf der Angeklagte für die Wirksamkeit von Willenserklärungen gegenüber Behörden nicht der Einwilligung der gesetzlichen Betreuerin.

b) Auch bestehen an der prozessualen Handlungsfähigkeit des Angeklagten keine Zweifel. Dies stellt der Senat im Wege des Freibeweises auf Grundlage des Akteninhalts fest (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2017 - 1 StR 552/16 Rn. 11 mwN).

aa) Ein Angeklagter muss bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung bzw. der Ermächtigung hierzu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- und Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 - 1 StR 552/16 Rn. 12 und vom 15. Dezember 2015 - 4 StR 491/15 Rn. 6; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO , 62. Aufl., § 302 Rn. 8a mwN). Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu Lasten des Angeklagten (BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2017 - 1 StR 552/16 Rn. 12 und vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 368/07 Rn. 6 mwN).

bb) Nach diesen Maßstäben hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Angeklagte bei Abgabe der Ermächtigung zur Rücknahmeerklärung verhandlungs- und damit prozessual handlungsfähig war. Das sachverständig beratene Landgericht hat beim Angeklagten zwar eine leichte Intelligenzminderung und eine undifferenzierte, zu den Tatzeiten vollständig remittierte Schizophrenie festgestellt, ist aber von einer vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen. Weder die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten noch seine Steuerungsfähigkeit seien im Tatzeitraum aufgehoben gewesen und es seien sowohl vom Angeklagten selbst als auch von den Zeugen keinerlei Tatsachen geschildert worden, die eine fehlende oder eingeschränkte Willensfreiheit begründen könnten.

c) Die durch die Pflichtverteidigerin erklärte Rechtsmittelrücknahme ist daher wirksam und als Prozesshandlung weder widerruflich noch anfechtbar. Sie erstreckt sich auch auf die vom Wahlverteidiger des Angeklagten eingereichte Rechtsmittelerklärung (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1995 - 3 StR 205/95, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 15).

III.

Im Übrigen hätte das Rechtsmittel auch in der Sache keinen Erfolg.

Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in vier tatmehrheitlichen Fällen. Dieser beruht auf einer umfassenden und nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Landgerichts. Auch die Rechtsfolgenentscheidung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Vorinstanz: LG Mosbach, vom 14.03.2019
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 30
NStZ-RR 2021, 239