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BGH - Entscheidung vom 02.04.2019

VI ZR 13/18

Normen:
BGB § 249 A
BGB § 253
BGB § 249 (A)
BGB § 253
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 1904 Abs. 2

Fundstellen:
BGHZ 221, 352
FamRB 2019, 276
FamRZ 2019, 999
JZ 2019, 837
MDR 2019, 669
NJW 2019, 1741
VersR 2019, 760
ZEV 2019, 373
r+s 2019, 349

BGH, Urteil vom 02.04.2019 - Aktenzeichen VI ZR 13/18

DRsp Nr. 2019/6478

Erhaltungswürdigkeit des menschlichen Lebens als ein höchstrangiges Rechtsgut i.R.e. Urteils eines Dritten über seinen Wert; Ansehen eines leidensbehafteten Weiterlebens als Schaden; Herleitung eines Anspruchs auf Schmerzensgeld aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten (hier: durch künstliche Ernährung); Verhinderung von wirtschaftlichen Belastungen als Schutzzweck etwaiger Aufklärungspflichten und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen

a) Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten.b) Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Tenor

I.

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Dezember 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und wie folgt neu gefasst:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

II.

Die Revision des Klägers wird als unzulässig verworfen. Die Anschlussrevision des Klägers wird zurückgewiesen.

III.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Normenkette:

GG Art. 1 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 2 S. 1; BGB § 253 Abs. 2 ; BGB § 1904 Abs. 2 ;

Tatbestand

Der Kläger macht als Alleinerbe seines am 19. Oktober 2011 verstorbenen Vaters (im Folgenden: Patient) gegen den Beklagten Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung des Patienten in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist der Auffassung, der Beklagte hafte für die durch die künstliche Ernährung bedingte sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten.

Der 1929 geborene Patient stand wegen eines dementiellen Syndroms von September 1997 bis zu seinem Tod unter Betreuung eines Rechtsanwalts, die sowohl die Gesundheitsfürsorge als auch die Personensorge umfasste. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim. Während eines stationären Krankenhausaufenthalts wurde ihm im September 2006 wegen Mangelernährung und Austrocknung des Körpers mit Einwilligung des Betreuers eine PEG -Sonde angelegt, durch welche er bis zu seinem Tod künstlich ernährt wurde. Der Beklagte, ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, betreute seit dem Frühjahr 2007 den Patienten hausärztlich.

Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung errichtet noch ließ sich sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen.

Bereits im Jahr 2003 war die Demenz weit fortgeschritten und es wurde eine mutistische Störung diagnostiziert, auf Grund derer seit jedenfalls 2008 eine Kommunikation gänzlich unmöglich war. Seit 2003 war der Patient wegen Kontrakturen nicht mehr zur selbständigen Fortbewegung fähig. Im Juni 2008 wurden zudem eine spastische Tetraparese und ein Nackenrigor diagnostiziert. Ab November 2008 wurden dem Patienten regelmäßig Schmerzmittel auf Opioidbasis verschrieben.

Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 19. Oktober 2011 hatte der Patient regelmäßig Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrende Druckgeschwüre (Dekubiti). Viermal wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Ende Mai bis Mitte Juni 2011 befand sich der Patient in stationärer Behandlung wegen einer Gallenblasenentzündung mit zwei Abszessen; von einer Operation wurde in Anbetracht des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten abgesehen. Am 8. Oktober 2011 erfolgte eine stationäre Aufnahme aufgrund einer Aspirationspneumonie. Auf eine intensivmedizinische Behandlung wurde verzichtet. Am 19. Oktober 2011 verstarb der Patient im Krankenhaus.

Der Kläger behauptet, die Sondenernährung sei spätestens ab Anfang 2010 weder medizinisch indiziert noch durch einen feststellbaren Patientenwillen gerechtfertigt gewesen; vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustands geführt. Der Beklagte sei daher verpflichtet gewesen, das Therapieziel dahingehend zu ändern, das Sterben des Patienten unter palliativmedizinischer Betreuung durch Beendigung der Sondenernährung zuzulassen. Zudem macht der Kläger geltend, der Beklagte habe den Betreuer nicht hinreichend darüber aufgeklärt, dass für die künstliche Ernährung keine medizinische Indikation (mehr) bestanden habe. Durch die Fortführung der Sondenernährung und das Fortdauernlassen der Schmerzen und Leiden seien der Körper und das Persönlichkeitsrecht des Patienten verletzt worden. Deshalb stehe dem Kläger aus ererbtem Recht ein Anspruch auf Schmerzensgeld zu. Zudem habe er einen Anspruch auf Ersatz der im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen in Höhe von 52.952 €, die ohne die Behandlung nicht entstanden wären, da der Patient dann nicht mehr gelebt hätte.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht diesem ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 € zugesprochen und die Abweisung der weitergehenden Klage bestätigt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger wendet sich mit seiner (Anschluss-)Revision gegen die Abweisung der Klage auf Ersatz des materiellen Schadens.

Entscheidungsgründe

I.

Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2018, 723 veröffentlicht ist, hat dem Kläger das Schmerzensgeld aus ererbtem Recht des Patienten zugesprochen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es, soweit im Revisionsverfahren noch erheblich, ausgeführt, der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufklärungspflicht gehalten gewesen, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern, was er unterlassen habe. Die aus dieser Pflichtverletzung möglicherweise resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar. Die für die Verneinung eines kindlichen Schadensersatzanspruchs wegen "wrongful life" maßgeblichen Erwägungen im Urteil des Bundesgerichtshofs zum sogenannten "Röteln-Fall" (Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240 ) kämen in der vorliegenden Fallkonstellation nicht zum Tragen. Es gehe nicht darum, das Leben eines schwerkranken Patienten als "unwert" zu qualifizieren, sondern um die Frage, ob die Fortsetzung der Sondenernährung oder nicht eher das Zulassen des Sterbens seinem Wohl besser diene. Es verbleibe allerdings das grundsätzliche Problem, ob das (Weiter-) Leben, wenn auch unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leiden, gegenüber dem Tod bzw. der Nichtexistenz einen Schaden im Rechtssinn darstellen könne. Dies sei im vorliegenden Fall zu bejahen. Wenn nach Beweislastregeln im Rahmen der Kausalität zu unterstellen sei, dass der Betreuer den Patienten hätte sterben lassen, weil der Tod für ihn eine Erlösung gewesen wäre, müsse dies auch schadensrechtlich so gesehen werden. Es würde zudem einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man einerseits die Beibehaltung einer Magensonde als fortdauernden einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität ansehe und andererseits diesem Sachverhalt eine schadensbegründende Qualität von vornherein abspräche.

Bereits die Verletzung des Integritätsinteresses des Patienten, dem ohne wirksame Einwilligung über einen längeren Zeitraum mittels einer Magensonde Nahrung verabreicht worden sei, rechtfertige für sich betrachtet ein Schmerzensgeld. Erschwerend komme hinzu, dass der Patient über einen Zeitraum von 21 Monaten bis zum Eintritt seines Todes massive gesundheitliche Beeinträchtigungen habe durchleiden müssen. Der Beklagte sei zwar nicht für den schlechten Gesundheitszustand des Patienten verantwortlich, wohl aber dafür, dass der Patient in diesem Zustand weitergelebt habe und habe leben müssen.

Ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens bestehe demgegenüber nicht. Der Kläger habe eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt. Zwar habe sich nach dem Vortrag des Klägers das Barvermögen des Patienten im streitgegenständlichen Zeitraum vermindert. Der Patient sei jedoch auch Eigentümer eines Hausgrundstücks in München gewesen, von dem der Beklagte behauptet habe, dass es erheblich an Wert gewonnen habe. Vor diesem Hintergrund habe es dem Kläger oblegen, konkret vorzutragen, weshalb die ererbte Immobilie im genannten Zeitraum an der allgemeinen Wertentwicklung nicht teilgenommen haben solle.

II.

Die Revision des Beklagten ist begründet.

1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Es ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen, ob mit der Begründung des Berufungsgerichts eine Verpflichtung des Beklagten zur Selbstbestimmungsaufklärung und eine Verletzung dieser Pflicht angenommen werden können. Ebenfalls kann offenbleiben, ob das hier zu beurteilende Verhalten des Beklagten, wie vom Kläger geltend gemacht, als behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren ist. Keiner Entscheidung bedarf ferner die Frage, ob etwaige Pflichtverletzungen des Beklagten zu einer Gesundheitsverletzung beim Patienten geführt haben, die dem Beklagten zuzurechnen ist. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB ).

a) Für die Bestimmung eines Schadens bedarf es eines Vergleichs der bestehenden Gesamtlage mit der Lage, die ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Ein etwaiger Nachteil, der sich bei diesem Vergleich ergibt, ist nur dann ein Schaden, wenn die Rechtsordnung ihn als solchen anerkennt (vgl. Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240 , 253, juris Rn. 44; MünchKommBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 17 mwN).

b) Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod. Die Option eines Weiterlebens ohne oder mit weniger Leiden gab es nicht. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1 , Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ).

aa) Im sogenannten Rötelnfall, in welchem die Gefahr der Schädigung des Ungeborenen durch eine Rötelnerkrankung der Schwangeren von dem die Schwangere beratenden Arzt nicht erkannt worden war mit der Folge, dass ein (erlaubter) Schwangerschaftsabbruch unterblieb und das Kind schwerstgeschädigt zur Welt kam, hat der Senat eigene Ansprüche des Kindes auf Schadensersatz verneint. Es entziehe sich einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen (wrongful life) gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage darstelle (Senatsurteil vom 18. Januar 1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 241 , 253, juris Rn. 44). Ein rechtlich relevantes Urteil über den Lebenswert fremden Lebens sei aus gutem Grund nicht erlaubt (aaO S. 252, juris Rn. 41). Der Mensch habe grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet sei. Es bestehe kein Anspruch des Kindes auf Nichtexistenz (aaO S. 254, juris Rn. 48). Eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und naturbedingte Verläufe sei nicht mehr sinnvoll und tragbar (aaO S. 255, juris Rn. 50).

Dem Urteil des Zweitens Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 (Schwangerschaftsabbruch II) zufolge kommt eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG ) nicht in Betracht. Es bestehe die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten (BVerfGE 88, 203 , 296, juris Rn. 269). Der Senat hat in seiner Reaktion auf dieses Urteil erneut betont, dass es sich auch nach seiner Auffassung verbietet, die Existenz des Kindes als Schaden anzusehen (Senatsurteil vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128 , 139, juris Rn. 35).

Während zu der vom Senat grundsätzlich bejahten Frage, ob sich der Unterhaltsaufwand der Eltern für das geborene Kind - anders als die Existenz des Kindes - als Schaden begreifen lasse, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88, 203 , 296, juris Rn. 269 einerseits, BVerfGE 96, 375 , 399 ff., juris Rn. 66 ff. andererseits) und in der Literatur (ablehnend z.B. Picker, AcP 195, 483 ff.; Weber, ZfL 2004, 74 , 78 ff.) unterschiedliche Meinungen vertreten werden, ist die Ansicht des Senats zur Verneinung eines eigenen Anspruchs des Kindes auf Schadensersatz überwiegend auf Zustimmung gestoßen (Aretz, JZ 1984, 719 ff.; Fischer, JuS 1984, 434 , 438 f.; Picker, AcP 195, 483, 501; Winter, JZ 2002, 330 , 332 ff.; Zimmermann, ZfL 2018, 106 f.; a.A. Deutsch, JZ 1983, 451 f.; Merkel, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 74, 2000, 173, 183 ff.).

bb) Dem Berufungsgericht ist darin Recht zu geben, dass nicht alle Erwägungen des Senatsurteils zum sogenannten Rötelnfall auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar sind, wie dies in dem Senatsurteil bereits angedeutet wurde (BGHZ 86, 241 , 252, juris Rn. 41). Ging es damals um ein leidensbehaftetes Leben, dessen Beginn nicht durch einen Schwangerschaftsabbruch verhindert wurde, geht es vorliegend um ein leidensbehaftetes Weiterleben, das nicht durch einen Behandlungsabbruch beendet wurde. Die Fallkonstellationen unterscheiden sich vor allem dadurch, dass dem Menschen im Gegensatz zum Nasciturus grundsätzlich das Recht zuerkannt wird, selbstbestimmt über eine ärztliche Behandlung, so auch den Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme, zu entscheiden. Dieser Unterschied führt allerdings nicht dazu, dass in dem leidensbehafteten Weiterleben ein Schaden gesehen werden kann.

(1) Die zunehmende Abhängigkeit des Sterbeprozesses von den medizinischen Möglichkeiten lässt den Tod längst nicht mehr nur als schicksalhaftes Ereignis erscheinen, sondern als Ergebnis einer von Menschen getroffenen Entscheidung (BT-Drucksache 16/8442, S. 7). Aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Gebot, den Menschen nicht als Objekt, sondern als Subjekt ärztlicher Behandlung zu begreifen, ergibt sich, dass der Patient in jeder Lebensphase, auch am Lebensende, das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, ob er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen will. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286 , sogenanntes Patientenverfügungsgesetz) wurde die Bedeutung des grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts bei ärztlichen Maßnahmen von Patienten, die inzwischen einwilligungsunfähig geworden sind, in allen Lebensphasen und unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung (§ 1901a Abs. 3 BGB ) gestärkt. Danach bleibt auch nach Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit der tatsächlich geäußerte oder mutmaßliche Wille des Patienten für die Entscheidung über die Vornahme oder das Unterlassen ärztlicher Maßnahmen maßgeblich. Geht der Wille dahin, lebenserhaltende Maßnahmen zu unterlassen und so das Sterben zu ermöglichen, so folgt daraus ein Abwehranspruch gegen lebensverlängernde Maßnahmen. Hinter dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten tritt dann die Schutzpflicht des Staates für das Leben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zurück, selbst wenn ohne den Behandlungsabbruch noch eine Heilungs- oder Lebensperspektive bestanden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2014 - XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226 Rn. 22; BVerwGE 158, 142 Rn. 33; Müller-Terpitz in Isensee/Kirchhoff, HdbStR VII, 3. Aufl., § 147 Rn. 100; Huber, GesR 2017, 613, 617 f.; Zimmermann, ZfL 2018, 104 , 108).

(2) Dennoch ist auch in einem solchen Fall das Weiterleben mit der damit zwangsläufig verbundenen Fortdauer der krankheitsbedingten Leiden nicht als Schaden anzusehen (im Ergebnis ebenso: Ludyga, NZFam 2017, 595 ff.; Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 f.). Auch wenn der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. Dem steht nicht entgegen, dass das Betreuungsgericht gemäß § 1904 Abs. 2 und 3 BGB die Nichteinwilligung oder den Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine lebenserhaltende Maßnahme zu genehmigen hat, wenn das Unterbleiben oder der Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahme dem Willen des Betreuten entspricht. Auch wenn damit dem Willen des Betreuten Geltung verschafft und so eine Beendigung seines Lebens ermöglicht wird, verbietet es sich aus den genannten Gründen, das Weiterleben für den Fall, dass ein Behandlungsabbruch unterbleiben sollte, als Schaden zu werten. Abgesehen davon entzieht es sich menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil ist.

Das dem Leben anhaftende krankheitsbedingte Leiden, das durch lebenserhaltende Maßnahmen verlängert wird, kann schon deshalb nicht für sich genommen als Schaden angesehen werden, weil es sich nicht - wie etwa die Unterhaltspflicht der Eltern - vom Leben trennen lässt (Zimmermann, ZfL 2018, 104 , 107).

2. Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Patienten zu. Es kann offenbleiben, ob ein solcher Anspruch auf eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten gestützt werden könnte, wenn lebenserhaltende Maßnahmen gegen dessen Willen aufrechterhalten würden (vgl. hierzu nur Baltz, Lebenserhaltung als Haftungsgrund, 2010, S. 161 ff.; Ludyga, NZFam 2017, 595, 598; Prütting, ZfL 2018, 94 , 99 ff.; Zimmermann, ZfL 2018, 104 , 108 f.). Denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Dass die Sondenernährung gegen den Willen des Patienten erfolgte, was vom Kläger zu beweisen wäre, vermochte das Berufungsgericht nicht festzustellen.

III.

Die Revision des Klägers ist unzulässig, weil das Berufungsgericht ausweislich der Entscheidungsgründe die Revision nur zugunsten des Beklagten, nicht jedoch zugunsten des Klägers zugelassen hat.

Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor des Berufungsurteils. Dieser ist aber im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich die Beschränkung aus den Gründen klar ergibt. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt (vgl. nur Senatsurteil vom 10. Oktober 2017 - VI ZR 520/16, NJW 2018, 402 Rn. 9 mwN). Eine Beschränkung der Zulassung der Revision ist danach auch auf eine von beiden Prozessparteien statthaft, zu deren Nachteil das Berufungsgericht die von ihm für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage entschieden hat. Die Zulassung wirkt in diesem Fall nicht zugunsten der Partei, zu deren Gunsten die Rechtsfrage entschieden ist und die das Urteil aus einem völlig anderen Grund angreift (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 - VI ZR 225/10, ZUM 2012, 35 Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 23. Juni 2016 - IX ZR 158/15, WM 2016, 1463 Rn. 45; vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 6; jeweils mwN).

So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Rechtsstreit die Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, "ob das Weiterleben eines Patienten, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher verstorben wäre, einen ersatzfähigen Schaden in der Person des Patienten darstellen kann." Die Revisionszulassung konnte zwar nicht auf diese unselbständige Rechtsfrage beschränkt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7 mwN). Das Berufungsgericht hat damit aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur dem Beklagten die Gelegenheit zur Überprüfung seiner Entscheidung geben wollte, ob der zuerkannte Schmerzensgeldanspruch besteht. Die für klärungsbedürftig erachtete Rechtsfrage kann sich zwar auch für das Bestehen des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des materiellen Schadens stellen. Den diesbezüglichen Anspruch hat das Berufungsgericht aber ausschließlich mit der davon unabhängigen und selbständig tragenden Begründung verneint, dass der Kläger eine Minderung des Vermögens seines Vaters infolge der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt habe. Diese von dem Kläger mit der Revision angegriffene Beurteilung hat das Berufungsgericht ebenso wie die Ausführungen zu den ersatzfähigen Rechtsanwaltskosten nicht zur Überprüfung gestellt. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich vielmehr, dass es insoweit von aus seiner Sicht unumstrittenen und nicht klärungsbedürftigen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Aufgrund einer Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt sich somit der eindeutige Wille des Berufungsgerichts, die Revision nur hinsichtlich des zugesprochenen Teils der Klage zuzulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 7).

IV.

Die zulässige Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens nicht zustehe, hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

Auch insoweit kann offenbleiben, ob der Beklagte ihm obliegende Aufklärungs- oder Behandlungspflichten verletzt hat. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Schutzzweckzusammenhang zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung und dem geltend gemachten materiellen Schaden.

1. Während es Art. 1 Abs. 1 GG verbietet, das Dasein eines Menschen als solches als Schaden anzusehen, ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, die wirtschaftlichen Belastungen, die mit der Existenz des Menschen verbunden sind, unter bestimmten Umständen als materiellen Schaden zu begreifen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die durch die planwidrige Geburt eines Kindes ausgelöste wirtschaftliche Belastung der Eltern mit dem Unterhaltsaufwand einen ersatzpflichtigen Schaden darstellen (vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128 ; vom 4. März 1997 - VI ZR 354/95, NJW 1997, 1638 , 1640, juris Rn. 16; vom 18. Juni 2002 - VI ZR 136/01, BGHZ 151, 133 , 145, juris Rn. 28). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung für die Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes als mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar erachtet (BVerfGE 96, 375 ). Ob es verfassungsrechtlich unbedenklich wäre, Schadensersatz für wirtschaftliche Belastungen zuzusprechen, die mit dem eigenen Dasein verbunden sind, kann dahinstehen (für die Ersatzfähigkeit dieses Schadens Prütting, ZfL 2018, 94 , 102). Denn vorliegend fehlt es schon an der allgemeinen haftungsrechtlichen Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zwischen der möglicherweise verletzten Norm und dem materiellen Schaden.

2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die Folgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (vgl. nur Senatsurteil vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN). So hängt die Schadensersatzpflicht unter anderem davon ab, dass die Norm oder vertragliche Pflicht den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart bezweckt; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend gemachte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm oder Vertragspflicht fallen. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. nur Senatsurteile vom 17. April 2018 - VI ZR 237/17, NJW 2018, 3215 Rn. 13; vom 20. Mai 2014 - VI ZR 381/13, BGHZ 201, 263 Rn. 10 mwN).

Dementsprechend hat der Senat den Eltern eines (ursprünglich) nicht gewollten Kindes Schadensersatz gegen den Arzt für die Unterhaltsbelastungen nur dann und nur insoweit zugesprochen, als die durch den Beratungs- oder Behandlungsvertrag - in rechtlich zulässiger Weise - übernommenen Pflichten dem Schutz vor diesen Belastungen dienten (vgl. nur Senatsurteile vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92, BGHZ 124, 128 , 138 f., 146, juris Rn. 32 f., 46; vom 15. Februar 2000 - VI ZR 135/99, BGHZ 143, 389 , 395, juris Rn. 12; vom 15. Juli 2003 - VI ZR 203/02, NJW 2003, 3411 , juris Rn. 5).

3. Die hier etwa verletzten Pflichten waren nach ihrem Zweck nicht darauf gerichtet, den Patienten vor wirtschaftlichen Belastungen, die mit seinem - wenn auch leidensbehafteten - Weiterleben verbunden waren, zu schützen.

Eine etwaige Verpflichtung eines Arztes, den Betreuer eines einwilligungsunfähigen Patienten darüber aufzuklären, dass ein Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnte, dient allein dem vom Betreuer wahrzunehmenden Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Die Pflicht, die medizinische Indikation für lebenserhaltende Maßnahmen nicht fehlerhaft zu bejahen, hat den Zweck, zu verhindern, dass der Sterbeprozess unnötig belastet wird. Zweck der genannten Pflichten ist es hingegen bei der gebotenen wertenden Betrachtung nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen die Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten. Damit sind die vom Kläger geltend gemachten finanziellen Belastungen nicht ersatzfähig.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 2. April 2019

Vorinstanz: LG München I, vom 18.01.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 5246/14
Vorinstanz: OLG München, vom 21.12.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 454/17
Fundstellen
BGHZ 221, 352
FamRB 2019, 276
FamRZ 2019, 999
JZ 2019, 837
MDR 2019, 669
NJW 2019, 1741
VersR 2019, 760
ZEV 2019, 373
r+s 2019, 349