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BGH - Entscheidung vom 10.12.2019

II ZR 451/18

Normen:
ZPO § 139 Abs. 2
ZPO § 139 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 2

Fundstellen:
FamRZ 2020, 617
MDR 2020, 364
NZG 2020, 317
WM 2020, 277
ZIP 2020, 583

BGH, Beschluss vom 10.12.2019 - Aktenzeichen II ZR 451/18

DRsp Nr. 2020/1843

Erforderlichkeit eines richterlichen Hinweises; Verletzung des rechtlichen Gehörs; Vermeidung von Überraschungsentscheidungen

Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 5. Dezember 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten entschieden worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 59.400 € festgesetzt.

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; ZPO § 139 Abs. 2 ;

Gründe

I. Der Beklagte war mit einem Gesellschaftsanteil von 95 % Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der im Jahr 1993 gegründeten W. GbR. Deren Gegenstand war u.a. die Verwaltung und Nutzung einer Immobilie, die zum Betrieb einer Altenwohnanlage vermietet ist. Weitere Gesellschafterin der GbR mit einem Gesellschaftsanteil von 5 % war die Klägerin, eine GmbH, die am 28. Dezember 2005 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht wurde. Mit Beschluss des Amtsgerichts C. vom 20. Januar 2010 wurde die Nachtragsliquidation angeordnet. Mit weiterem Beschluss vom 8. April 2010 wurde der Wirkungskreis des Nachtragsliquidators auf die Wahrnehmung der Rechte aus der Beteiligung der Klägerin an der GbR erweitert.

Nach § 9 des Gesellschaftsvertrags der GbR (im Folgenden: GV) war der Beklagte verpflichtet, zum Abschluss eines jeden Geschäftsjahres eine Abrechnung des Überschusses und Ermittlung des Vermögens der Gesellschaft sowie der Vermögensanteile der Gesellschafter vorzunehmen.

Das Landgericht hat eine auf diese Regelung gestützte, auf Auskunft gerichtete Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils der Klage überwiegend stattgegeben und den Beklagten verurteilt, über die Überschüsse der W. GbR in den Jahren 1996 bis 2014 Auskunft zu erteilen durch Vorlage der entsprechenden Einnahme- /Überschussrechnungen nebst Buchungsunterlagen und Rechnungsbelege über Einnahmen und Ausgaben sowie durch Vorlage der zugunsten nach § 9 des Gesellschaftsvertrags vom 16. November 1993 zu erstellenden Abrechnungen der Vermögensanteile der Gesellschafter.

II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt:

Der Durchsetzbarkeit des der Klägerin zustehenden Anspruchs aus §§ 721 , 666 BGB stehe nicht die von dem Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Löschung der Klägerin im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit am 28. Dezember 2005 nicht analog § 13 GV zu ihrem Ausscheiden aus der GbR geführt. Soweit der Beklagte im nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16. November 2018 erstmals vorgetragen habe, dass die Klägerin selbst mit Schreiben ihres damaligen Geschäftsführers vom 29. Dezember 1999 den Gesellschaftsvertrag der W. GbR zum 31. Dezember 2000 gekündigt habe, sei sein Vortrag gemäß § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen.

III. Die Beschwerde der Beklagten hat Erfolg, soweit der Beklagte auf die Berufung der Klägerin hin verurteilt wurde, und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist seiner Hinweispflicht nach § 139 Abs. 2 ZPO nicht nachgekommen und hat dadurch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO ).

1. Gerichtliche Hinweispflichten dienen der Vermeidung von Überraschungsentscheidungen und konkretisieren den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör. Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen hat, darf das Gericht nach § 139 Abs. 2 ZPO seine Entscheidung nur stützen, wenn es auf diesen hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Eine Partei übersieht einen Gesichtspunkt auch dann, wenn das Gericht bei ihr etwa durch einen gerichtlichen Hinweis den Eindruck erweckt hat, eine bestimmte Rechtsauffassung zu vertreten und hieran bei seiner Entscheidung nicht mehr festhalten will. In diesem Fall ist ein Hinweis auf die geänderte Auffassung erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317 , 3320; Beschluss vom 29. April 2014 - VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn. 5; Beschluss vom 11. Mai 2017 - V ZR 235/16, juris Rn. 6; Beschluss vom 13. Dezember 2016 - VI ZR 116/16, MDR 2017, 355 ; BVerfG, NJW 1996, 3202 ). Ein richterlicher Hinweis darauf, dass das Gericht an einer entscheidungserheblichen Rechtsauffassung nicht mehr festhalten will, kann auch dann geboten sein, wenn das Gericht diese Rechtsauffassung in einem früher zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit vertreten hat und eine Partei in einem weiteren zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit, für das Gericht erkennbar, davon ausgeht, dass das Gericht auch in diesem Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten werde.

Ein danach erforderlicher Hinweis ist nach § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO so früh wie möglich zu erteilen, das heißt so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann (BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 8; Beschluss vom 12. September 2019 - V ZR 276/18, juris Rn. 5). Erteilt das Gericht entgegen § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO den Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht die mündliche Verhandlung dann vertagen, soweit dies im Einzelfall sachgerecht erscheint, ins schriftliche Verfahren übergehen oder, wenn von der betroffenen Partei nach § 139 Abs. 5 ZPO beantragt, einen Schriftsatznachlass gewähren (BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom 12. September 2019 - V ZR 276/18, juris Rn. 5). Unterlässt das Gericht die derart gebotenen prozessualen Reaktionen und erkennt es sodann aus einem nicht nachgelassenen Schriftsatz, dass die betroffene Partei sich in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend hat erklären können, ist es gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet (BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328 Rn. 4; Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 12). Dies gilt auch dann, wenn die Partei einen Antrag nach § 139 Abs. 5 ZPO nicht gestellt hat (BGH, Beschluss vom 18. September 2006 - II ZR 10/05, WM 2006, 2328 Rn. 6; Beschluss vom 4. Juli 2013 - V ZR 151/12, NJW-RR 2014, 177 Rn. 13; Urteil vom 27. September 2013 - V ZR 43/12, MDR 2014, 47 Rn. 15; Beschluss vom 12. September 2019 - V ZR 276/18, juris Rn. 5).

2. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

a) Die Klage hatte in erster Instanz keinen Erfolg, weil das Landgericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der Gesellschaft in Folge der Amtslöschung wegen Vermögenslosigkeit im Jahr 2005 sowie einem auf diesen Zeitpunkt bezogenen Abfindungsanspruch der Klägerin ausgegangen ist und die insoweit verbleibenden, auf diesen Abfindungsanspruch bezogenen Auskunftsansprüche der Klägerin als verjährt angesehen hat. In einem Parallelverfahren zwischen den Parteien vor demselben Senat in derselben Besetzung hat das Berufungsgericht während des vorliegenden Berufungsverfahrens diese Auffassung des Landgerichts, wenn auch dort nicht entscheidungstragend, in seinem Urteil vom 21. März 2018 geteilt. Der Beklagte hat im vorliegenden Verfahren um Verlängerung der Frist zur Berufungserwiderung gebeten, um die Entscheidungsgründe des Urteils aus dem Parallelverfahren noch einfließen zu lassen. In seiner am 2. Mai 2018 eingegangenen Berufungserwiderung hat der Beklagte auf die Entscheidung in dem Parallelverfahren verwiesen und ausgeführt, dass das Berufungsgericht dort die Rechtsauffassung der Vorinstanz bestätigt habe, wonach die GbR nach der Löschung von Amts wegen gemäß § 141a FGG aufgrund analoger Anwendung der Regelungen im Gesellschaftsvertrag bereits im Jahre 2005 beendet worden sei. Es war somit offensichtlich, dass der Beklagte davon ausging, das Berufungsgericht werde auch im vorliegenden Verfahren keine abweichende Auffassung vertreten. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2018 erteilte Hinweis, dass das Gericht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR frühestens zum Dezember 2014 ausgehe und ein Ausscheiden bereits mit der Löschung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit nicht in Betracht komme, kam für den Beklagten danach überraschend und im Hinblick auf die Vorgabe des § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu spät.

Eine sofortige Äußerung auf die entgegen dem Landgericht und entgegen der bisher vom Berufungsgericht vertretenen, nunmehr geänderten Auffassung konnte nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, schon weil der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht persönlich anwesend war. Sein persönliches Erscheinen war auch nicht angeordnet worden. Bei dieser Sachlage war das Berufungsgericht auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des Beklagten vom 16. November 2018 gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet, durfte nicht ohne weitere Begründung an dem Verkündungstermin vom 5. Dezember 2018 festhalten und lediglich unter Verweis auf § 296a ZPO das im Schriftsatz enthaltene Vorbringen unberücksichtigt lassen. Bei einer solchen Verfahrensweise war der Hinweis in der mündlichen Verhandlung sinnlos und verfehlte den mit der gerichtlichen Hinweispflicht und dem Verbot von Überraschungsentscheidungen verfolgten Zweck (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - VII ZR 103/05, NJW-RR 2007, 17 Rn. 4).

b) Die Gehörsverletzung ist nach der maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts erheblich. Der Beklagte hat in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz unter Vorlage eines entsprechenden Schreibens vom 29. Dezember 1999 vorgetragen, die Klägerin habe die GbR bereits zum 31. Dezember 2000 gekündigt und der Beklagte habe fristgerecht von seinem Fortsetzungsrecht Gebrauch gemacht. Nachdem das Berufungsgericht die Verjährung der Ansprüche der Klägerin aufgrund ihrer Löschung am 28. Dezember 2005 geprüft und nur deshalb verneint hat, weil es nicht von einer Vollbeendigung der Klägerin und aus diesem Grund nicht von einem Ausscheiden der Klägerin aus der GbR ausgegangen ist, ist der Vortrag, die Klägerin sei bereits durch Kündigung zum 31. Dezember 2000 aus der GbR ausgeschieden, erheblich.

III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Eine unterstellt wirksame Kündigung der GbR zum 31. Dezember 2000 wäre unabhängig von der Frage der Verjährung von entscheidungserheblicher Bedeutung. Mit dem Ausscheiden der Klägerin zu diesem Zeitpunkt würde den ausgeurteilten Auskunftsansprüchen für die Jahre 2001 bis 2014 der Boden entzogen werden. Aber auch die den Zeitraum ab 1996 betreffenden, vom Berufungsgericht zugesprochenen Ansprüche wären von einer wirksamen Kündigung zum 31. Dezember 2000 betroffen. Denn die Klägerin hätte in diesem Fall nur noch einen Anspruch auf ihr nach den Vorgaben des Gesellschaftsvertrags zu bemessendes Abfindungsguthaben. Den vom Berufungsgericht angenommenen Ansprüchen auf Auszahlung von Gewinnanteilen und hierauf gerichteten Auskunftsansprüchen könnte dann die Durchsetzungssperre entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2012 - II ZR 159/10, ZIP 2013, 361 Rn. 42 ff.; Beschluss vom 29. Juli 2014 - II ZR 360/12, ZInsO 2015, 2440 Rn. 12; Urteil vom 3. Februar 2015 - II ZR 335/13, ZIP 2015, 1116 ; Urteil vom 13. Oktober 2015 - II ZR 214/13, ZIP 2016, 216 Rn. 18).

Vorinstanz: LG Saarbrücken, vom 16.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 16 O 144/15
Vorinstanz: OLG Saarbrücken, vom 05.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 1 U 163/17
Fundstellen
FamRZ 2020, 617
MDR 2020, 364
NZG 2020, 317
WM 2020, 277
ZIP 2020, 583