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BGH - Entscheidung vom 04.06.2019

5 StR 96/19

Normen:
SDÜ Art. 54

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 259

BGH, Beschluss vom 04.06.2019 - Aktenzeichen 5 StR 96/19

DRsp Nr. 2019/9819

Entgegenstehen einer Verurteilung wegen des zu beachtenden Verfahrenshindernis des zwischenstaatlichen Verbots der Strafverfolgung wegen derselben Tat; Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Verabredung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; Prüfung des Vorliegens einer einheitlichen Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ

Derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf nicht durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat verfolgt werden, wenn im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Bei dem Verbot der Doppelbestrafung handelt es sich um ein Verfahrenshindernis.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. August 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

SDÜ Art. 54;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Verabredung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision führt zur Aufhebung des Urteils.

1. Nach den Feststellungen plante der Angeklagte, ein spanischer Staatsangehöriger, gemeinsam mit dem anderweitig verurteilten F. Ende 2011, mindestens 80 Kilogramm qualitativ hochwertiges Haschisch von einer Kurierin in einem hierfür umgebauten Schmuggelfahrzeug von Spanien nach Hamburg bringen zu lassen, um es dort gewinnbringend zu verkaufen. Die von beiden ausgewählte Kurierin wurde auf der Fahrt von Spanien nach Hamburg in der Nacht auf den 7. Februar 2012 an der französischen Grenze angehalten. In dem Fahrzeug wurden von französischen Beamten 80 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 19 % bis 27 % THC sichergestellt. Im Rahmen eines anderen, in Spanien geführten Strafverfahrens fanden spanische Ermittler im Juli 2012 bei einer Durchsuchung auf einem vom Angeklagten genutzten Grundstück weitere 60 Kilogramm Haschisch. Wegen Besitzes dieses zum Verkauf bestimmten Haschischs ist der Angeklagte in Spanien gesondert verurteilt worden und befand sich dort bis zu seiner Überstellung nach Deutschland zum Zwecke der Durchführung des hiesigen Strafverfahrens in Strafhaft.

2. Das Urteil ist aufzuheben.

Der Senat kann auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen und des ihm zugänglichen Akteninhalts nicht ausschließen, dass der Verurteilung des Angeklagten wegen der verfahrensgegenständlichen Tat mit Blick auf seine Verurteilung durch das Strafgericht Nr. 3 in Malaga vom 3. April 2013 in der Fassung des Urteils der Ersten Kammer des Landgerichts Malaga vom 30. Mai 2013 das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis des zwischenstaatlichen Verbots der Strafverfolgung wegen derselben Tat gemäß Art. 54 SDÜ entgegensteht.

a) Nach den vom Strafgericht Nr. 3 in Malaga getroffenen Feststellungen wurden am 26. Juli 2012 auf dem Grundstück des Beschuldigten 60 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 22,13 % THC sichergestellt, das vom Angeklagten zum Verkauf oder zur Abgabe an Dritte bestimmt war (Bl. 222 d. A.). Infolgedessen wurde der Angeklagte wegen einer Straftat gegen die öffentliche Gesundheit (Art. 368 Spanisches Strafgesetzbuch ) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt (Bl. 227 f. d. A.). In jenem Verfahren hatte er eine Tatbegehung noch bestritten und angedeutet, die Betäubungsmittel seien von Dritten ohne sein Wissen auf seinem Grundstück versteckt worden (Bl. 225 d. A.).

b) Aus dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 24. Mai 2018 sowie aus der Anklageschrift vom 5. Juni 2018 geht hervor, dass der Angeklagte demgegenüber im Verlauf des hiesigen Ermittlungsverfahrens angegeben hat, er habe gemeinschaftlich mit F. eine Lieferung von insgesamt etwa 140 Kilogramm Haschisch aus Marokko bestellt, das – bedingt durch das geringere Fassungsvermögen des in das Kurierfahrzeug eingebauten Drogenverstecks – in zwei Lieferungen nach Hamburg transportiert und dort weiterverkauft werden sollte. Das Haschisch habe er zunächst auf seinem Grundstück gelagert. Aus dieser Menge habe er die bei der Kurierin sichergestellten Betäubungsmittel entnommen. Nachdem er und F. von deren Festnahme erfahren hätten, habe F. die weiteren Geschehnisse abwarten wollen und erklärt, es sollten zunächst keine Aktivitäten hinsichtlich des restlichen Haschischs erfolgen. Schließlich habe F. mitgeteilt, aus dem Rauschgifthandel aussteigen zu wollen. Deshalb hätten die restlichen Betäubungsmittel bis zu ihrer Sicherstellung am 26. Juli 2012 auf seinem, des Angeklagten, Grundstück verwahrt werden müssen und – entgegen dem ursprünglichen Plan – nicht nach Hamburg geliefert werden können.

Während diese Einlassung in der Anklageschrift nach eingehender Beweiswürdigung als Schutzbehauptung eingestuft worden ist, hat das Oberlandesgericht die Auffassung vertreten, bereits unter ihrer Zugrundelegung liege keine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ vor.

c) Das angefochtene Urteil verhält sich weder zu dieser Einlassung noch dazu, ob der Angeklagte etwa in der Hauptverhandlung von ihr abgerückt ist, was die Revision – insoweit freilich urteilsfremd – bestreitet. Es stellt auch nicht fest, ob die bei der Kurierfahrt im Februar 2012 und die im Juli 2012 auf dem Grundstück des Angeklagten sichergestellte Rauschgiftmenge aus einer oder mehreren Bestellungen oder Lieferungen stammte. Allerdings trifft es die in Richtung der Einlassung des Angeklagten weisenden Feststellungen, Ende Januar oder Anfang Februar 2012 habe der Angeklagte „jedenfalls“ 80,12 Kilogramm Haschisch entgegengenommen und auf seinem Grundstück verwahrt (UA S. 9), die dem ursprünglichen Plan entsprechend in zwei Fahrten von Spanien nach Hamburg befördert werden sollten (UA S. 7).

d) Ausgehend von der Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren läge ein Strafklageverbrauch nach Art. 54 SDÜ vor. Es kommt mithin darauf an, ob das Tatgericht dieser Einlassung – unter Berücksichtigung des für die Frage des Strafklageverbrauches zu beachtenden Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 – 5 StR 574/01; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 123) – folgt.

aa) Art. 54 SDÜ bestimmt, dass derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, nicht durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat verfolgt werden darf, wenn im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Bei dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 54 SDÜ handelt es sich um ein Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2010 – 1 StR 57/10, BGHSt 56, 11 ; vom 9. Juni 2008 – 5 StR 342/04, NJW 2008, 2931 , 2932), dessen Vorliegen in jeder Lage des Verfahrens, mithin auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120 , 123).

Nach der für die nationalen Gerichte verbindlichen Auslegung des Art. 54 SDÜ durch den Europäischen Gerichtshof gilt im Rahmen dieser Vorschrift ein im Verhältnis zu den nationalen Rechtsordnungen eigenständiger, autonom nach unionsrechtlichen Maßstäben auszulegender Tatbegriff (vgl. EuGH, NJW 2006, 1781 ; 2007, 3412 ; 2011, 983; NStZ 2008, 164 ). Maßgebendes Kriterium für die Anwendung des Art. 54 SDÜ ist danach die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar miteinander verbundener Tatsachen. Demgegenüber ist die Einordnung der Tatsachen nach den Strafrechtsordnungen der Vertragsstaaten unbeachtlich. Allein aus dem Umstand, dass die Taten durch einen einheitlichen Vorsatz auf subjektiver Ebene verbunden sind, lässt sich die Identität der Sachverhalte nicht herleiten; erforderlich ist vielmehr eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 531/12, aaO, S. 126). Ob nach diesen Kriterien im konkreten Fall eine einheitliche Tat anzunehmen ist, obliegt der Beurteilung durch die zuständigen nationalen Gerichte (EuGH, NJW 2006, 1781 , 1782).

bb) Eingedenk dieser Maßstäbe läge ausgehend von der Einlassung des Angeklagten eine einheitliche Tat im Sinne des Art. 54 SDÜ vor.

Der Angeklagte hat das vom Landgericht abgeurteilte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ) bereits mit der „Organisation“ der Anlieferung des zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmten Rauschgifts in Spanien (UA S. 9) verwirklicht (vgl. Körner/Patzak/Volkmer, BtMG , 9. Aufl., § 29 Teil 4 Rn. 46 ff.). Nach seiner Einlassung bezog sich dieses Handeltreiben auf die Gesamtmenge des im Februar und Juli 2012 sichergestellten Rauschgifts. Es schloss also die Drogenmenge ein, die Gegenstand der Verurteilung durch das Strafgericht Nr. 3 in Malaga vom 3. April 2013 war. Auch die Verabredung zum Weitertransport des von der spanischen Polizei auf dem Grundstück des Angeklagten aufgefunden Rauschgifts nach Deutschland und damit zu seiner Einfuhr war bereits getroffen. Die teilweise Identität des Rauschgifts, auf das sich die beiden Verurteilungen bezogen, hätte eine objektive Verbindung der zu beurteilenden Handlungen begründet (vgl. EuGH, NStZ 2008, 164 , 165 für den Fall, dass den rechtswidrigen Taten in zwei Vertragsstaaten ganz oder teilweise dieselben Gewinne aus dem Drogenhandel zugrundeliegen). Der spätere auf der Festnahme der Kurierin beruhende Verzicht auf die ursprünglich geplante zweite Lieferfahrt nach Hamburg könnte diese Verbindung nicht auflösen. Denn das Handeltreiben bezog sich auf die gesamte Rauschgiftmenge; ein der „Organisation“ der Anlieferung des Rauschgifts nachfolgendes Geschehen könnte daran nichts mehr ändern.

3. Ob danach ein Verfahrenshindernis vorliegt, hat das Revisionsgericht zwar grundsätzlich selbst aufgrund der getroffenen oder von ihm noch weiter zu treffenden ergänzenden Feststellungen und des Akteninhalts zu entscheiden. Es ist ihm aber nicht verwehrt, die Sache zur Nachholung fehlender Feststellungen an das Tatgericht zurückzuverweisen. Dazu besteht insbesondere dann Anlass, wenn die Ermittlung der maßgebenden Tatsachen eine Beweisaufnahme wie in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung erforderlich machen würde (BGH, Beschluss vom 18. November 2015 – 4 StR 76/15, NStZ-RR 2016, 42 , 43). Entsprechendes gilt, wenn die Feststellung eines Verfahrenshindernisses von der Würdigung der vom Tatgericht erhobenen Beweise abhängt. Denn diese ist zumindest dann, wenn sie untrennbar mit den Feststellungen zur Schuldfrage verbunden ist, Sache des Tatgerichts und liegt in dessen Verantwortung (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2010 – 1 StR 266/10, BGHSt 56, 6 , 10; vom 4. Juli 2018 – 5 StR 650/17, StraFo 2019, 17 , 19).

So verhält es sich hier. Das Landgericht hat die auf das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses hinweisende Einlassung des Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht beweiswürdigend in den Blick genommen. Die für die Frage eines Verstoßes gegen Art. 54 SDÜ maßgebliche Beurteilung ihrer Glaubhaftigkeit ist dem Senat versagt.

Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Vorinstanz: LG Hamburg, vom 27.08.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 259