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BGH - Entscheidung vom 30.10.2019

XII ZB 27/19

Normen:
FamFG § 68
FamFG § 68
FamFG § 68 Abs. 3 S. 1-2
FamFG § 276 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
FamRZ 2020, 281
MDR 2020, 183
NJW-RR 2020, 129

BGH, Beschluss vom 30.10.2019 - Aktenzeichen XII ZB 27/19

DRsp Nr. 2019/17946

Einräumen der Möglichkeit dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren des Absehens von einer erneuten Anhörung des Betroffenen; Vornahme der Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften

§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG räumt dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18 - FamRZ 2019, 387 ).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 18. Dezember 2018 aufgehoben, soweit seine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Itzehoe vom 1. März 2018 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Normenkette:

FamFG § 68 Abs. 3 S. 1-2; FamFG § 276 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Für den Betroffenen besteht eine zuletzt am 12. Januar 2015 verlängerte Betreuung mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Vertretung vor Ämtern und Behörden, Kranken- und Pflegekassen, Vermögenssorge einschließlich der Entscheidung über die Entgegennahme und das Öffnen der Post. Ferner ist angeordnet, dass der Betroffene "zu Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis betreffen" der Einwilligung seines Betreuers bedarf, und eine Überprüfungsfrist auf den 12. Januar 2022 bestimmt.

Der Betroffene hat in der Folgezeit mehrfach mündlich und schriftlich um Aufhebung seiner Betreuung gebeten. Das Amtsgericht hat am 3. März 2017 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens angeordnet, welches von der Sachverständigen Dr. S.-M. am 3. September 2017 erstattet worden ist. Nach Anhörung des Betroffenen am 1. März 2018 hat das Amtsgericht den Antrag auf Aufhebung der Betreuung durch Beschluss vom gleichen Tage zurückgewiesen. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht durch Beschluss vom 12. März 2018 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat diese Entscheidung des Landgerichts unter anderem deshalb aufgehoben, weil das Landgericht nicht geprüft hatte, ob die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen erforderlich ist (Senatsbeschluss vom 22. August 2018 - XII ZB 180/18 - FamRZ 2018, 1776 ).

Das Landgericht hat nach Zurückverweisung der Sache Rechtsanwalt S. als Verfahrenspfleger bestellt. Es hat danach den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts dahingehend abgeändert, dass der angeordnete Einwilligungsvorbehalt entfällt, und die Beschwerde des Betroffenen im Übrigen erneut zurückgewiesen. Mit seiner dagegen gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene weiterhin die vollständige Aufhebung seiner Betreuung.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Beschwerdegerichts.

1. Das Landgericht hat den Betroffenen auch nach der Zurückverweisung der Sache im Beschwerdeverfahren nicht angehört und dies damit begründet, dass eine Anhörung im ersten Rechtszug durchgeführt worden sei und mit Rücksicht auf die sehr ausführliche Darstellung im Protokoll über die Anhörung und die von den Sachverständigen durchgeführten Explorationen von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten seien. Der dem Betroffenen beigeordnete Verfahrenspfleger habe keine Stellungnahme abgegeben.

2. Das hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Diese rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.

a) Einen Antrag oder eine Anregung auf Aufhebung der Betreuung kann das Gericht nur unter Beachtung der für das Betreuungsverfahren geltenden Verfahrensvorschriften der §§ 272 bis 277 FamFG - in Verbindung mit den Regelungen des allgemeinen Teils - ablehnen. Nach § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Nach den Maßstäben des § 26 FamFG bestimmt sich, ob im Einzelfall auch im Aufhebungsverfahren eine persönliche Anhörung des Betroffenen durchzuführen ist, um dem Gericht dadurch einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Dabei ist eine Anhörung des Betroffenen im Aufhebungsverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Gericht - wie im vorliegenden Fall - zur Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober 2017 - XII ZB 198/16 - FamRZ 2018, 124 Rn. 9 und vom 24. August 2016 - XII ZB 531/15 - FamRZ 2016, 1922 Rn. 8 mwN).

Ist der Betroffene zwingend anzuhören, besteht die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch unter anderem voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist (Senatsbeschluss vom 21. November 2018 - XII ZB 57/18 - FamRZ 2019, 387 Rn. 5 mwN).

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die persönliche Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht ist in Abwesenheit des - erst nachträglich vom Beschwerdegericht bestellten - Verfahrenspflegers erfolgt. Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde zu Recht als verfahrensfehlerhaft.

aa) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll im Verfahren nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - XII ZB 465/17 - FamRZ 2018, 705 Rn. 7 mwN).

bb) Das Amtsgericht hat in der ersten Instanz keinen Verfahrenspfleger bestellt, obwohl es im vorliegenden Fall schon wegen des - einen Einwilligungsvorbehalt umfassenden - Verfahrensgegenstands evident gewesen ist, dem Betroffenen bei Eintritt in nennenswerte neue Tatsachenermittlungen auch im Aufhebungsverfahren einen Verfahrenspfleger zur Seite zu stellen. Auf die Voraussetzungen, unter denen bei der nachträglichen Bestellung eines Verfahrenspflegers in der gleichen Instanz von der Wiederholung einer zunächst ohne Beteiligung eines Verfahrenspflegers durchgeführten Anhörung abgesehen werden kann (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 15. Mai 2019 - XII ZB 57/19 FamRZ 2019, 1356 Rn. 9 f. und vom 14. Februar 2018 - XII ZB 465/17 - FamRZ 2018, 705 Rn. 8 f.), kommt es nicht an, weil der Verfahrenspfleger hier erst im Beschwerdeverfahren bestellt worden ist. Die in erster Instanz ohne Beteiligung eines Verfahrenspflegers durchgeführte Anhörung bleibt verfahrensfehlerhaft und musste von dem Beschwerdegericht zwingend wiederholt werden.

3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch macht. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Vorinstanz: AG Itzehoe, vom 01.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 82 XVII 239/07
Vorinstanz: LG Itzehoe, vom 18.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 62/18
Fundstellen
FamRZ 2020, 281
MDR 2020, 183
NJW-RR 2020, 129