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BGH - Entscheidung vom 19.07.2019

V ZR 175/17

Normen:
BGB § 1004 Abs. 1 S. 2
BGB § 1004 Abs. 2
BNatSchG § 65 Abs. 1 S. 1
BNatSchG § 68 Abs. 1
BNatSchG § 68 Abs. 2

BGH, Urteil vom 19.07.2019 - Aktenzeichen V ZR 175/17

DRsp Nr. 2019/14973

Duldungspflicht des Eigentümers und der sonstigen Nutzungsberechtigten von Grundstücken von Maßnahmen des Naturschutzes bei zumutbarer Beeinträchtigung der Nutzung des Grundstücks (hier: Schäden an Buchen); Ansiedlung und Freisetzung der Wisente zur "Wiederansiedlung und Erhaltung des Wisents im Rothaargebirge" i.R.e. Vereins

Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG haben Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte von Grundstücken u.a. Maßnahmen des Naturschutzes auf Grund von Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes zu dulden, soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Bis zur Beendigung der Freisetzungsphase kann sich hieraus eine Duldungspflicht ergeben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. Mai 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Revision des Klägers ist damit gegenstandslos.

Normenkette:

BGB § 1004 Abs. 1 S. 2; BGB § 1004 Abs. 2 ; BNatSchG § 65 Abs. 1 S. 1; BNatSchG § 68 Abs. 1 ; BNatSchG § 68 Abs. 2 ;

Tatbestand

Der Beklagte (im Folgenden Verein) ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Satzungszweck in der "Wiederansiedlung und Erhaltung des Wisents im Rothaargebirge" besteht. Er wurde im Nachgang zu der am 25. Juni 2008 erfolgten Unterzeichnung eines öffentlich-rechtlichen Vertrags "Wisente im Rothaargebirge" gegründet. Auf der Grundlage dieses Vertrags begann der Verein im Jahr 2010 mit der Ansiedlung von acht Wisenten in einem abgesperrten Gebiet, das zuletzt die Größe von ca. 88 ha aufwies. Am 8. April 2013 schloss der Verein mit dem örtlichen Landkreis, der Bezirksregierung Arnsberg, dem Landesbetrieb Wald und Holz sowie dem Eigentümer des für das Vorhaben ausgewählten Projektgebiets einen weiteren öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Freisetzung von Wisenten, der den Vertrag vom 25. Juni 2008 mit Zustimmung des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Naturund Verbraucherschutz ablöste. Ziel des Vertrags ist der Präambel zufolge die dauerhafte Etablierung einer frei lebenden Wisentpopulation von maximal 25 Tieren im Rothaargebirge.

Geregelt wird in dem Vertrag vom 8. April 2013 die auf mehrere Jahre angelegte und von einer Koordinierungsgruppe unter Vorsitz des örtlichen Landrats begleitete "Freisetzungsphase", in der der Verein Eigentümer der Wisente bleibt; die Tiere sollen erst im Anschluss an die Freisetzungsphase nach Abschluss eines weiteren öffentlich-rechtlichen Vertrages herrenlos werden. Der Vertrag ersetzt sämtliche in der Freisetzungsphase erforderlichen Genehmigungen unter Ausnahme der (in diesem Stadium nicht als erforderlich angesehenen) jagdrechtlichen Genehmigung für die Aussetzung von fremden Tierarten und von Schalenwild in der freien Wildbahn (§ 28 Abs. 3 BJagdG , § 31 LJagdG NW). Im Anschluss entließ der Verein eine achtköpfige Gruppe von Wisenten in das rund 4.300 ha große Projektgebiet, um sie dort auszuwildern. Die zuletzt auf 19 Tiere angewachsene Herde verließ im Zuge ihrer Wanderungen das Projektgebiet und drang unter anderem in den angrenzenden Grundbesitz des Klägers ein. Hierbei handelt es sich um ein umfangreiches Waldgebiet; es liegt - ebenso wie Teile des Projektgebiets - in dem Natura 2000-Gebiet "Schanze" (vgl. Art. 3 Flora-Fauna-Habitat- Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, im Folgenden FFH-RL). Die Wälder des Klägers werden überwiegend mit Rotbuchen nach dem Prinzip der Naturverjüngung bewirtschaftet. Wegen der Schäden an den Buchen, die dadurch entstehen, dass die Wisente die Rinde abfressen ("Schälen"), hat der Verein Zahlungen an den Kläger geleistet. Dazu wurde ein auch mit öffentlichen Mitteln finanzierter Entschädigungsfonds eingerichtet.

Mit der Klage will der Kläger - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - erreichen, dass der Verein geeignete Maßnahmen ergreifen muss, um ein Betreten seiner Grundstücke durch die Wisente zu verhindern. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Oberlandesgericht die Verurteilung insoweit geändert, als der Verein die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um eine Beschädigung der auf dem Grundstück des Klägers wachsenden Bäume zu verhindern; dies steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass dem Verein die für das Einfangen und Umsetzen der Tiere erforderliche Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt wird. Gegen das Berufungsurteil wenden sich beide Parteien mit ihren von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revisionen. Der Kläger will erreichen, dass der auf die Ausnahmegenehmigung bezogene Vorbehalt entfällt, während der beklagte Verein weiterhin die Abweisung der Klage beantragt.

Entscheidungsgründe

A.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts - dessen Entscheidung in AUR 2017, 336 ff. veröffentlicht ist - steht dem Kläger ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB gegen den Verein zu. Das Eigentum des Klägers werde durch das Eindringen der Wisente und die von diesen verursachten Baumschäden beeinträchtigt. Verantwortlich hierfür sei der Verein. Zwar müssten der Inanspruchnahme Grenzen gezogen werden, damit die Bereitschaft zur Durchführung solcher grundsätzlich wünschenswerter Auswilderungsprojekte nicht geschmälert werde. Aber in wertender Betrachtung sei der Verein jedenfalls während der Freisetzungsphase als mittelbarer Handlungsstörer anzusehen, und zwar auch im Hinblick auf die in Freiheit geborenen Tiere. Denn er habe die Gefahrenlage geschaffen, indem er die Wisente als seinerzeitiger Eigentümer und Halter freigelassen und in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag die Verantwortung für die Zeit der Freisetzungsphase übernommen habe. Er hafte zudem als Zustandsstörer.

Im Grundsatz stehe dem Beseitigungsanspruch aber entgegen, dass das Naturschutzrecht eine Duldungspflicht des Klägers im Sinne von § 1004 Abs. 2 BGB begründe. Gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG sei es nämlich verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten. Auf diese Zugriffsverbote könne sich der Verein berufen, weil sich die Eigentumsbeeinträchtigung nur durch das Fangen oder Töten der Tiere sicher beseitigen lasse; andere Maßnahmen - wie ein Zaun um das Projektgebiet, der Erwerb weiterer Flächen und Lockfütterung, eine Induktionsschleife um das Gebiet, Schälschutzmatten an den Bäumenoder der Einsatz von Wisent-Hirten - eigneten sich allesamt nicht dazu, die Wisente sicher fernzuhalten und die Baumschäden zu verhindern. Die Voraussetzungen der Zugriffsverbote lägen vor, weil es sich bei den Wisenten um wild lebende Tiere handele. Die ursprünglich ausgesetzten Zuchttiere seien inzwischen gemäß § 960 Abs. 2 BGB herrenlos geworden und damit ebenso wie die in Freiheit geborenen Tiere als wild lebend anzusehen. Die Vereinbarung in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag, wonach die Tiere während der Freisetzungsphase nicht herrenlos werden sollen, ändere daran nichts, weil es auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme. Der Artenschutz greife selbst dann ein, wenn bei der Freisetzung gegen naturschutz- und jagdrechtliche Bestimmungen verstoßen worden sein sollte.

Die aus § 44 Abs. 1 BNatSchG abgeleitete Duldungspflicht des Klägers entfalle aber dann, wenn die zuständige Naturschutzbehörde dem Verein die für das Einfangen und Umsetzen der Tiere erforderliche Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erteile. Der Störer dürfe sich nicht hinter dem Verbot des § 44 BNatSchG "verschanzen", wenn er mit Aussicht auf Erfolg eine öffentlich-rechtliche Ausnahme beantragen könne; die Verurteilung zur Unterlassung habe dann unter dem Vorbehalt der Ausnahmegenehmigung zu erfolgen. So lägen die Dinge hier. Nach summarischer Prüfung könne die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zur Abwehr erheblicher land-, forst-, fischerei-, wasser- oder sonstiger erheblicher wirtschaftlicher Schäden auch unter Berücksichtigung des EU-Artenschutzrechts nicht ausgeschlossen werden. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, dass nämlich die forstwirtschaftliche Nutzung der klägerischen Grundstücke infolge des Artenschutzes schwer und unerträglich getroffen sei, obwohl der Kläger als Betriebsinhaber alle Anstrengungen unternommen habe, dem entgegenzuwirken, lägen möglicherweise vor. Auf 30 Jahre gesehen müsse nämlich damit gerechnet werden, dass bis zu 70% des klägerischen Baumbestandes beschädigt werden könnten. Eine Verschlechterung der Wisentpopulation im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG sei nicht zu erwarten, obwohl der hier vorgesehene Siedlungsraum verloren gehe; denn die Tiere könnten etwa in den Nationalpark Bialowieza an der polnisch-weißrussischen Grenze umgesiedelt werden.

B.

Zur Revision des Beklagten

I.

Die Revision des Vereins ist im Ergebnis begründet. Dem Unterlassungsanspruch kann mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht stattgegeben werden.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB bejaht. Wegen der näheren Begründung wird auf das am 19. Juli 2019 in Sachen V ZR 177/17 verkündete Urteil des Senats (juris Rn. 10 ff.) Bezug genommen.

2. Die Revision hat gleichwohl Erfolg, weil auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts eine Duldungspflicht des Klägers im Sinne von § 1004 Abs. 2 BGB in Betracht kommt, die sich bei einer naturschutzrechtlichen Maßnahme aus § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ergeben kann (vgl. Kraft in Lütkes/Ewer, BNatSchG , § 65 Rn. 5). Nach dieser Vorschrift, die das Berufungsgericht nicht in den Blick genommen hat, haben Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte von Grundstücken u.a. Maßnahmen des Naturschutzes auf Grund von Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes zu dulden, soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Bis zur Beendigung der Freisetzungsphase kann sich hieraus eine Duldungspflicht ergeben.

a) Bei der Freisetzungsphase handelt es sich um eine Maßnahme des Naturschutzrechtes auf Grund von Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes . Wegen der näheren Begründung wird auf das am 19. Juli 2019 in Sachen V ZR 177/17 verkündete Urteil des Senats (juris Rn. 32 ff.) Bezug genommen.

b) Es kommt in Betracht, dass die Durchführung der Maßnahme die Nutzung des klägerischen Grundstücks derzeit (noch) nicht unzumutbar beeinträchtigt. Insoweit bedarf es weiterer Feststellungen. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung ist bei erheblicher Erschwerung der Nutzung bzw. nicht nur unerheblicher Verringerung des Ertrags auszugehen (Kraft in Lütkes/Ewer, BNatSchG , 2. Aufl., § 65 Rn. 12). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die wirtschaftlichen Schäden bislang durch den Verein mit Unterstützung durch den (freiwilligen) öffentlichen Entschädigungsfonds reguliert werden; dass die Schäden hierdurch jedenfalls teilweise kompensiert werden, muss in die Beurteilung der Zumutbarkeit der Maßnahme einbezogen werden. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Rechtsansicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers lässt sich aus § 68 BNatSchG nichts anderes ableiten. Gemäß § 68 Abs. 1 und 2 BNatSchG kann nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eine Entschädigung für eine unzumutbare Belastung durch naturschutzrechtliche Eigentumsbeschränkungen verlangt werden (vgl. BeckOK Umweltrecht/Teßmer [1.4.2019], BNatSchG § 68 Rn. 1). Darum geht es hier nicht. Vielmehr ist zu klären, ob und inwieweit die auf zivilrechtlicher Grundlage geleisteten Zahlungen des privaten Vorhabenträgers die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks ausgleichen können, so dass dem Kläger die Duldung der Maßnahme zugemutet werden kann. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz sind dem Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Schäden in Höhe von mindestens 1.840 € entstanden. Welche Schäden tatsächlich entstanden sind, und inwieweit diese durch die Zahlungen kompensiert worden sind, hat das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt.

II.

Infolgedessen ist das Urteil aufzuheben. Eine eigene Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil es weiterer Feststellungen bedarf. In dem weiteren Verfahren wird zum einen die Zumutbarkeit der Maßnahme im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG zu prüfen sein. Zum anderen setzt eine Duldungspflicht aus § 65 BNatSchG voraus, dass die Maßnahme (Freisetzungsphase) auf der Grundlage eines wirksamen staatlichen Regelungskonzepts erfolgt. Deshalb wird ggf. auch die Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags - auf die es von dem rechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts aus bislang nicht ankam - zu überprüfen sein. Wegen der in dem weiteren Verfahren zu beachtenden rechtlichen Vorgaben verweist der Senat auf seine eingehenden Ausführungen in dem am 19. Juli 2019 in Sachen V ZR 177/17 verkündeten Urteil (juris Rn. 40 ff.).

C.

Zur Revision des Klägers

Die Revision des Klägers wird mit der Aufhebung des Ausspruchs über den Unterlassungsantrag gegenstandslos. Da sie nur gegen den auf die Unterlassungsverpflichtung bezogenen Vorbehalt gerichtet ist, steht sie (unausgesprochen) unter der innerprozessualen Bedingung, dass die Revision des Beklagten keinen Erfolg hat.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 19. Juli 2019

Vorinstanz: LG Arnsberg, vom 16.10.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 329/14
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 29.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I-5 U 153/15