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BGH - Entscheidung vom 19.02.2019

2 ARs 35/19

Normen:
StPO § 42 Abs. 3 S. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2019, 160

BGH, Beschluss vom 19.02.2019 - Aktenzeichen 2 ARs 35/19

DRsp Nr. 2019/4892

Bestimmung der Zuständigkeit des Gerichts für die Untersuchung und Entscheidung der Sache wegen unbekannten Aufenthalts des Angeklagten

Die Voraussetzungen für die Abgabe eines Verfahrens nach § 42 Abs. 3 JGG an ein bestimmtes Amtsgericht liegen nicht vor, wenn der Angeklagte nicht nach der Eröffnung des Hauptverfahrens in den dortigen Bezirk verzogen ist, sondern dieser sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens mit unbekanntem Ziel abgesetzt hat, um einer angedrohten Abschiebung zu entgehen.

Tenor

1.

Der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Neubrandenburg - 353 Ds 76/17 jug. - vom 6. Juni 2018 wird aufgehoben.

2.

Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache ist das

Amtsgericht - Jugendrichter - Neubrandenburg

- Zweigstelle Demmin -

zuständig.

Normenkette:

StPO § 42 Abs. 3 S. 2;

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg hat mit Datum vom 7. September 2017 beim Amtsgericht - Jugendrichter - Neubrandenburg, Zweigstelle Demmin, gegen den zur Tatzeit 19 Jahre alten Angeklagten Anklage wegen eines im Zeitraum von Januar 2017 bis Mai 2017 in Neubrandenburg begangenen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz erhoben. Zugleich hat es die Verbindung zu einem weiteren seinerzeit dort bereits gegen den Angeklagten anhängigen Verfahren 353 Ds 41/17 jug. - 711 Js 18561/16 beantragt. Mit Beschluss vom 17. November 2017 hat das Amtsgericht Neubrandenburg die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Über den Antrag auf Verbindung der Verfahren hat es nicht entschieden. Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 6. Dezember 2017 bestimmt. Der Angeklagte, der noch unter seiner ehemaligen Meldeanschrift in Demmin geladen worden war, erschien nicht zur Hauptverhandlung. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren ohne Verhandlung zur Sache durch Gerichtsbeschluss gemäß § 205 StPO vorläufig eingestellt, da der Angeklagte unbekannten Aufenthalts war.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2018 hat das Amtsgericht Neubrandenburg das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg mit der Begründung, der Angeklagte sei nach Reutlingen verzogen, an das Amtsgericht - Jugendrichter - Reutlingen abgegeben.

Das Amtsgericht Reutlingen hält sich nicht für zuständig und hat das Verfahren mit Beschluss vom 12. Oktober 2018 dem Bundesgerichtshof als gemeinschaftlichem oberen Gericht zur Entscheidung vorgelegt. Aus seiner Sicht liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe des Verfahrens nach § 42 Abs. 3 JGG nicht vor, weil der Angeklagte nicht nach der Eröffnung des Hauptverfahrens in den dortigen Bezirk verzogen ist. Es verweist insoweit darauf, dass der Angeklagte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Amtsgericht Neubrandenburg mit unbekanntem Ziel abgesetzt habe, um einer angedrohten Abschiebung nach Mazedonien zu entgehen. Die Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Reutlingen sei zudem nicht zweckmäßig, weil der Angeklagte im dortigen Bezirk nicht aufhältig oder wohnhaft sei.

II.

Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung des zwischen den Jugendgerichten bestehenden Streits gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht berufen, weil die Amtsgerichte Reutlingen und Neubrandenburg in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte liegen.

Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:

"Für die Verhandlung und Entscheidung der Sache ist das Amtsgericht - Jugendrichter - Neubrandenburg zuständig. Unabhängig davon, dass schon unklar ist, ob der Angeklagte seinen Aufenthaltsort nach Anklageerhebung gewechselt hat, liegen die Voraussetzungen für eine Abgabe nach § 42 Abs. 3 JGG nicht vor. Denn - zumindest derzeit - steht nicht fest, ob der Angeklagte überhaupt in den Bezirk des Amtsgerichts Reutlingen verzogen ist oder sich aktuell dort aufhält. Die Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht Neubrandenburg stützen sich hinsichtlich des Wegzugs des Angeklagten nach Reutlingen auf Erkenntnisse, die die Polizei im Rahmen von Aufenthaltsermittlungen in dem weiteren ursprünglich gegen den Angeklagten beim Amtsgericht Neubrandenburg anhängigen Verfahren erlangt hat (Beiakte 5 Ds 43 Js 16639/18 jug. (ehemals 353 Ds 41/17 jug. - 711 Js 18561/16 - AG Neubrandenburg)). Die Annahme, dass der Angeklagte nach Reutlingen verzogen sei, beruht jedoch nach Aktenlage allein auf der E-Mail eines E. M. (Vater des Angeklagten, Bl. 5 d.A.) an eine Wohnungsbaugesellschaft in Demmin, in welcher eine Anschrift in Reutlingen mitgeteilt wird (Beiakte Bl. 56). Auch wenn es sich hierbei um den neuen Wohnsitz des Vaters handeln sollte und sich der Angeklagte während seiner Aufenthalte in Deutschland, die Gegenstand beider gegen ihn anhängiger Verfahren sind, regelmäßig bei seinem Vater aufgehalten hat (Bl. 5 d.A., Bl. 73 Beiakte), steht allein damit ein Aufenthaltswechsel auch des Angeklagten nach Reutlingen noch nicht fest. Laut Auskunft des Einwohnermeldeamts der Stadt Reutlingen war er dort auch zu keinem Zeitpunkt gemeldet (Bl. 40 d.A)."

Dem schließt sich der Senat an.

Vorinstanz: AG Neubrandenburg, vom 06.06.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 353 Ds 76/17
Vorinstanz: AG Reutlingen, - Vorinstanzaktenzeichen 43 Js 18153/18
Fundstellen
NStZ-RR 2019, 160