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BGH - Entscheidung vom 27.08.2019

VI ZB 32/18

Normen:
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 4
ZPO § 234 B
ZPO § 517
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 4
ZPO § 234 (B)
ZPO § 517
ZPO § 117 Abs. 4
ZPO § 576 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1

Fundstellen:
FamRZ 2019, 2015
MDR 2019, 1399
MDR 2020, 151
NJW 2019, 3727

BGH, Beschluss vom 27.08.2019 - Aktenzeichen VI ZB 32/18

DRsp Nr. 2019/15202

Beseitigung in einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren des der Rechtsverfolgung entgegenstehenden Hindernisses der Mittellosigkeit erst mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts; Auslegung eines mit "Berufung" überschriebenen Schreibens der Naturalpartei als Prozesskostenhilfeantrag; Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens aufgrund einer körperlichen Auseinandersetzung

a) In einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren wird das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit erst mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beseitigt.b) Zur Auslegung eines mit "Berufung" überschriebenen Schreibens der Naturalpartei als Prozesskostenhilfeantrag.c) Zur Verpflichtung des Berufungsgerichts, die erstinstanzlich unterlegene Partei darauf hinzuweisen, dass der von ihr gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Berufung unvollständig ist und sie innerhalb der Berufungsfrist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen müsse.

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Mai 2018 gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 5.000 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 117 Abs. 4 ; ZPO § 576 Abs. 1 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 3 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aufgrund einer körperlichen Auseinandersetzung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Die Parteien gerieten am 30. März 2014 in Streit, in dessen Verlauf der Beklagte dem Kläger einen Schlag versetzte. Der Kläger fiel zu Boden und prallte gegen die Bordsteinkante. Er erlitt jedenfalls eine Riss-Quetsch-Wunde des Nasenrückens, eine Nasenbeinfraktur sowie eine Fraktur der neunten Rippe. Der Kläger behauptet, aufgrund des Vorfalls seien schwerwiegende Folgeschäden bei ihm eingetreten.

Die Sache war zunächst vor dem Amtsgericht anhängig, das dem Kläger Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt hat. Nachdem der Kläger die Klage erweitert und das Amtsgericht den Rechtsstreit an das Landgericht verwiesen hatte, hat das Landgericht den Beklagten mit Urteil vom 13. März 2018 verurteilt, an den Kläger 2.000 € zu zahlen; die auf Zahlung weiterer 2.826,40 € sowie auf Feststellung der Ersatzverpflichtung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. März 2018 zugestellt worden. Mit handschriftlichem, an das Oberlandesgericht gerichteten und bei diesem am 4. April 2018 eingegangenen Schreiben hat der Kläger erklärt:

"... hiermit lege ich gegen das Urteil vom 13.3.18 mir zugestellt am 20.3.18 Berufung ein. ...

Ich bin durch den Vorfall und insbesondere durch die unmenschliche Verfahrensweise der Richterin S[...] schwer krank geworden. Ich kann mein Nebenjob nicht mehr ausüben, wo ich dringend darauf angewiesen bin. Ich habe über 2.900 € Stromschulden, die ich nicht zurückzahlen kann, da mich die Anwaltskosten erdrücken. ... Ich weiß, dass bei Ihnen Anwaltszwang besteht. Ich kann mir einen Rechtsanwalt nicht mehr leisten. Ich hoffe, dass Sie die Sache ordnungsgemäß prüfen."

Mit Ersuchen vom selben Tag hat das Oberlandesgericht die Akten beim Landgericht angefordert. Mit Verfügung vom 27. April 2018 hat es darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht formgerecht eingelegt worden sei, weil dies nur durch einen zugelassenen Rechtsanwalt erfolgen könne. Da die Berufungsfrist abgelaufen sei, könne dies auch nicht nachgeholt werden. Mit Beschluss vom 4. Mai 2018 hat das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Der Beschluss des Berufungsgerichts ist dem Kläger persönlich mit Postzustellungsurkunde am 11. Mai 2018 zugestellt worden.

Mit einem am 17. Mai 2018 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schreiben hat der Kläger u.a. erklärt, das Oberlandesgericht habe ihm die Möglichkeit eingeräumt, Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss einzulegen. Seine "kleine Hungerrente" reiche aber "hinten und vorne nicht zum Leben". Nach Hinweis auf die Möglichkeit eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Notwendigkeit der Verwendung des amtlichen Vordrucks hat der Kläger mit einem am 5. Juni 2018 beim Bundesgerichtshof eingegangenen Schreiben einen Prozesskostenhilfeantrag auf dem hierfür vorgesehenen Vordruck eingereicht. Der Senat hat dem Kläger mit Beschluss vom 21. August 2018 Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde bewilligt und ihm mit Beschluss vom 18. September 2018 seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beigeordnet. Der Kläger beantragt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt er die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Oberlandesgerichts.

II.

Dem Kläger ist gemäß § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil er vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Senat ohne Verschulden daran gehindert war, diese Fristen einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfristen des § 234 Abs. 1 ZPO sind gewahrt. Diese Fristen beginnen nach § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. In einem dem Anwaltszwang unterliegenden Verfahren wie dem Rechtsbeschwerdeverfahren wird das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit erst mit der Beiordnung eines Rechtsanwalts beseitigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2001 - IX ZR 407/98, WM 2001, 1038 , 1039; Beschlüsse vom 17. Juni 2004 - IX ZB 208/03, NJW 2004, 2902 , 2903; vom 16. Januar 2014 - XII ZB 571/12, NJW-RR 2014, 699 Rn. 11).

III.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ). Das Berufungsgericht hat das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (st. Rspr., vgl. BVerfGK 11, 461, 463; zuletzt Senatsbeschlüsse vom 10. April 2018 - VI ZB 44/16, VersR 2018, 1085 Rn. 5 und vom 14. März 2017 - VI ZB 36/16, NJW-RR 2017, 895 Rn. 4, jeweils mwN).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Das Berufungsgericht hat verkannt, dass der Kläger mit seinem am 4. April 2018 und damit 15 Tage vor Ablauf der Berufungsfrist eingegangenen Schreiben keine - mangels Postulationsfähigkeit unzulässige - Berufung eingelegt, sondern einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt hat.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Rechtsbeschwerdegericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 11). Die Auslegung darf auch im Prozessrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist zugunsten einer Partei davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das bezweckt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer wohlverstandenen Interessenlage entspricht (vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 2009 - VI ZR 174/08, NJW-RR 2010, 428 Rn. 13; BGH, Urteile vom 1. August 2013 - VII ZR 268/11, NJW 2014, 155 Rn. 30; vom 9. Juni 2016 - IX ZR 314/14, BGHZ 210, 321 Rn. 46; vom 2. Februar 2017 - VII ZR 261/14, ZfBR 2017, 347 Rn. 17). Dies dient der Verwirklichung des durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Anspruchs des Einzelnen auf wirkungsvollen Rechtsschutz (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 - IX ZR 314/14, BGHZ 210, 321 Rn. 46; BVerfG, Beschluss vom 21. April 2006 - 1 BvR 2140/05, juris Rn. 17).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist das am 4. April 2018 beim Berufungsgericht eingegangene Schreiben des Klägers dahingehend auszulegen, dass er nicht Berufung eingelegt, sondern die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nebst Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt hat. Der Kläger hat in seinem Schreiben zu erkennen gegeben, dass er die Beiordnung eines Rechtsanwalts begehrt, um ihm die Durchführung des Berufungsverfahrens zu ermöglichen. Er hat ausgeführt, dass er sich gegen das Urteil des Landgerichts mit der Berufung wenden wolle und wisse, dass er hierfür einen Anwalt benötige, aber aufgrund krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit und erheblicher Schulden, insbesondere Stromschulden, nicht über die für die Beauftragung eines Anwalts erforderlichen finanziellen Mittel verfüge. Zugleich hat er seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass das Berufungsgericht die Sache ordnungsgemäß prüfe.

Die Auslegung seines Schreibens als Prozesskostenhilfeantrag wird auch seiner Interessenlage gerecht. Die Einlegung einer mangels Postulationsfähigkeit unzulässigen Berufung wäre offensichtlich unvernünftig.

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht bereits deshalb auf der Rechtsverletzung (§ 576 Abs. 1 ZPO ), weil keine Berufung vorliegt, die kostenpflichtig verworfen werden durfte.

IV.

Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ). Dieses wird dabei zu unterstellen haben, dass der Kläger innerhalb der Berufungsfrist einen formal ordnungsgemäßen Antrag gestellt hat. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger innerhalb der am 19. April 2018 abgelaufenen Berufungsfrist weder eine (erneute) Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem hierfür von § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordruck eingereicht noch auf seine in der Vorinstanz eingereichte Erklärung Bezug genommen und unmissverständlich mitgeteilt hat, es habe sich seither nichts geändert (vgl. Senatsbeschluss vom 21. August 2018 - VI ZA 20/18, juris Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2001 - XI ZR 161/01, BGHZ 148, 66 , juris Rn. 5 f; vom 7. Oktober 2004 - V ZA 8/04, FamRZ 2004, 1961 ). Zwar kann einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Einlegung eines Rechtsmittels grundsätzlich nur stattgegeben werden, wenn neben dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist auch die notwendigen Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der erforderlichen Form gemacht werden (Senatsbeschluss vom 21. August 2018 - VI ZA 20/18, juris Rn. 4; vgl. auch Senatsbeschluss vom 14. März 2017 - VI ZB 36/16, NJW-RR 2017, 895 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2019 - XII ZB 520/18, NZFam 2019, 538 Rn. 10). Das in der unterlassenen Einreichung des Vordrucks liegende Versäumnis des Klägers wirkt sich unter den Umständen des Streitfalls aber nicht zu seinen Lasten aus. Denn das Berufungsgericht hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, den in der Berufungsinstanz anwaltlich nicht vertretenen und insoweit offensichtlich nicht rechtskundig beratenen Kläger darauf hinzuweisen, dass sein Prozesskostenhilfeantrag unvollständig ist.

1. Der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren verpflichtet das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Parteien (vgl. Senatsbeschluss vom 29. August 2017 - VI ZB 49/16, VersR 2018, 186 Rn. 13; BVerfGE 75, 183 , 188 ff.; 93, 99, 114; BVerfG, NJW 2006, 1579 ). So sind die Gerichte beispielsweise gehalten, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen ist; dies kann die Weiterleitung der Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs gebieten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - IV ZB 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 14; BVerfG, NJW 2002, 3692 , 3693; NJW 2006, 1579 ). Dem Gericht ist es untersagt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Versäumnissen Verfahrensnachteile abzuleiten (vgl. Senatsbeschluss vom 29. August 2017 - VI ZB 49/16, VersR 2018, 186 Rn. 13; BVerfGE 75, 183 , 190; 93, 99, 115; BVerfG, NJW 2006, 1579 Rn. 8).

Das Gebot der Rücksichtnahme gilt im Prozesskostenhilfeverfahren in besonderem Maße (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1996 - 2 BvR 306/94, StV 1996, 445 f.; VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2004, 230 ; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO , 77. Aufl., § 117 Rn. 35; Stein/Jonas/Bork, ZPO , 23. Aufl., vor § 114 Rn. 8 ff.). In diesem Verfahren ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass die Prozesskostenhilfe das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit verwirklichen soll, indem Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichgestellt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03, NVwZ 2004, 334 , juris Rn. 15; vom 5. Dezember 2018 - 2 BvR 2257/17, AGS 2019, 82 , 84). Da dieses Verfahren den grundgesetzlich gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen - sowohl an den Vortrag der Beteiligten als auch bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse - nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03, NVwZ 2004, 334 , juris Rn. 15, 17; BGH, Beschluss vom 3. Juli 2013 - XII ZB 106/10, FamRZ 2013, 1650 Rn. 13). Das gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Wahrnehmung aller Instanzen, die eine Prozessordnung vorsieht (BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1996 - 2 BvR 306/94, StV 1996, 445 f.).

Dementsprechend ist es in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Gericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe nicht wegen unterlassener Einreichung des in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordrucks ablehnen darf, wenn es die Partei nicht zuvor erfolglos auf die Unvollständigkeit ihres Antrags hingewiesen und ihr eine Frist gesetzt hat, innerhalb der der Vordruck einzureichen ist (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. März 2014 - 10 WF 19/14, BeckRS 2015, 2990 Rn. 3; OLG Saarbrücken, FamRZ 2012, 806 f.; OLG Rostock, FamRZ 2003, 1396 ; VGH Baden-Württemberg, FamRZ 2004, 125 ; OVG Lüneburg, FamRZ 2007, 295 , 296, jeweils zum erstinstanzlichen Verfahren; MünchKommZPO/Wache, 5. Aufl. 2016, § 117 Rn. 19; Stein/Jonas/Bork, ZPO , 23. Aufl., § 117 Rn. 22; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO , 77. Aufl. 2019, § 117 Rn. 35; Zöller/Geimer, ZPO , 32. Aufl. 2018, § 117 ZPO Rn. 17; Musielak/Voit/Fischer, ZPO ,16. Aufl., § 117 Rn. 19; Saenger, ZPO , 8. Aufl. § 117 Rn. 23).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war das Berufungsgericht im Streitfall verpflichtet, den offensichtlich nicht rechtskundig beratenen Kläger nach Eingang seines Schreibens am 4. April 2018 darauf hinzuweisen, dass der von ihm gestellte Prozesskostenhilfeantrag unvollständig war und er innerhalb der Berufungsfrist eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlichen Vordruck einreichen müsse (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 28. März 2019 - IX ZA 8/18, NZI 2019, 644 Rn. 6; vom 6. Dezember 2017 - V ZA 44/17, juris Rn. 5; vom 10. November 2016 - V ZA 12/16, NJW 2017, 735 Rn. 6; vom 7. Oktober 2004 - V ZA 8/04, FamRZ 2004, 1961 , juris Rn. 5 sowie BGH, Beschluss vom 3. Juli 2013 - XII ZB 106/10, FamRZ 2013, 1650 ; BVerfG, NJW 2000, 275 ; NVwZ 2004, 334 , 335). Der vom Berufungsgericht am 4. April 2018 angeforderten Prozessakte bedurfte es hierfür nicht. Sowohl das Rechtsschutzziel des Klägers als auch das Fehlen des amtlichen Vordrucks waren leicht und einwandfrei zu erkennen.

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger, dem bereits erstinstanzlich Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungen bewilligt worden war und dessen wirtschaftliche Verhältnisse sich bis auf eine geringfügige Erhöhung seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht verändert hatten, auf einen solchen Hinweis - wie in der Rechtsbeschwerdeinstanz geschehen - innerhalb der Rechtsmittelfrist reagiert und eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem in § 117 Abs. 4 ZPO vorgeschriebenen Vordruck eingereicht hätte. Denn die Berufungsfrist lief erst am 19. April 2018 ab.

Vorinstanz: LG Essen, vom 13.03.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 215/17
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 04.05.2018 - Vorinstanzaktenzeichen I-9 U 62/18
Fundstellen
FamRZ 2019, 2015
MDR 2019, 1399
MDR 2020, 151
NJW 2019, 3727