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BGH - Entscheidung vom 16.10.2019

XII ZB 341/17

Normen:
BGB § 1578b
BGB § 1581
BGB § 1578b
BGB § 1581
BGB § 1578b
BGB § 1581

Fundstellen:
FamRB 2020, 4
FamRZ 2020, 97
FuR 2020, 107
MDR 2019, 1451
NJW 2020, 243
NJW-RR 2020, 1

BGH, Beschluss vom 16.10.2019 - Aktenzeichen XII ZB 341/17

DRsp Nr. 2019/16637

Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts als Aufgabe des Tatrichters in einem Verfahren über einen nachehelichen Unterhalt; Anspruch auf Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über einen nachehelichen Unterhalt

Die Bemessung des eheangemessenen Selbstbehalts ist Aufgabe des Tatrichters. Dabei ist es diesem nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung gebieten. Die Erfahrungs- und Richtwerte können dabei auch eine Differenzierung zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen vorsehen (Fortführung von Senatsurteil vom 17. März 2010 - XII ZR 204/08 - FamRZ 2010, 802 ).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Juni 2017 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Normenkette:

BGB § 1578b; BGB § 1581 ;

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs über nachehelichen Unterhalt ab Oktober 2016.

Aus der am 4. Dezember 1980 geschlossenen Ehe der Beteiligten sind zwei 1981 und 1984 geborene Töchter hervorgegangen. Die Beteiligten trennten sich am 5. August 2007; seit dem 2. Januar 2009 ist ihre Ehe rechtskräftig geschieden.

Der im Mai 1953 geborene Antragsteller war seit September 1970 durchgehend als Angestellter im öffentlichen Dienst vollschichtig erwerbstätig. Er ist alkoholkrank und leidet an diversen weiteren Erkrankungen, was zu einem Grad der Behinderung von 70 (mit Merkzeichen G) geführt hat. Seit Oktober 2016 bezieht er vorgezogene ungekürzte Altersrente (DRV Bund) in Höhe von monatlich 1.831,67 € (ab Januar 2017: 1.827,56 €) sowie eine Zusatzrente der Rheinischen Versorgungskasse in Höhe von monatlich 419,45 €. Den Wohnwert seiner von ihm bewohnten Eigentumswohnung haben die Beteiligten mit 400 € unstreitig gestellt.

Die im Juni 1957 geborene Antragsgegnerin besuchte bis 1972 die Hauptschule und absolvierte dann eine Ausbildung zur Uhren- und Schmuckfachverkäuferin. In diesem Beruf war sie bis März 1979 beschäftigt. Danach arbeitete sie in einem Tabakgeschäft. Im Februar 1980 erkrankte sie und ab Juli 1980 war sie arbeitslos. Im September 1980 arbeitete sie nochmals einen Monat als Verkäuferin, bevor sie noch vor der Eheschließung wiederum erkrankte und dann schwanger wurde. Mit Ausnahme des Zeitraums von Oktober 1991 bis Juni 1993, in dem sie als geringfügig beschäftigte Verkäuferin tätig war, arbeitete sie danach nicht mehr, zunächst wegen der Betreuung und Erziehung der Kinder und später krankheitsbedingt. Auch sie ist alkoholkrank und krankheitsbedingt dauerhaft vollständig erwerbsunfähig, ohne die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente zu erfüllen.

Seit der Trennung zahlte der Antragsteller der Antragsgegnerin dauerhaft Unterhalt. Am 9. November 2011 schlossen die Beteiligten vor dem Amtsgericht einen Vergleich, in dem sich der Antragsteller auf der Grundlage eines unterhaltsrelevanten Einkommens von 2.422,39 € (inklusive Wohnvorteil) verpflichtete, an die Antragsgegnerin ab Dezember 2011 nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 1.600 € zu zahlen, in dem Krankenvorsorgeunterhalt in Höhe von 210 € und Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 296,50 € enthalten war.

Der Antragsteller begehrt eine Abänderung des Unterhaltsvergleichs dahingehend, dass er ab Oktober 2016 nur noch nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 612,58 € schuldet und der Unterhalt ab Juni 2021 insgesamt entfällt. Das Amtsgericht hat den Antrag abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht den Vergleich dahingehend abgeändert, dass sich der nacheheliche Unterhalt ab Oktober 2016 auf monatlich 1.561 € (1.075 € Elementarunterhalt zuzüglich 231,31 € Krankenvorsorgeunterhalt und 254,69 € Altersvorsorgeunterhalt) und ab Januar 2017 auf 1.557 € (1.075 € Elementarunterhalt zuzüglich 230,95 € Krankenvorsorgeunterhalt und 251,05 € Altersvorsorgeunterhalt) beläuft; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt der Antragsteller eine weitere Reduzierung des Unterhalts ab Oktober 2016 auf 1.034 € (880 € Elementarunterhalt zuzüglich 154 € Krankenvorsorgeunterhalt) sowie einen Wegfall des Unterhalts ab Juni 2023 an.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, unterhaltsrechtlich sei es billigenswert, dass der Antragsteller bereits mit der Vollendung des 63. Lebensjahrs in den Ruhestand eingetreten sei. Insoweit könne offenbleiben, ob eine Kündigung des Arbeitgebers unmittelbar bevorgestanden habe. Denn die Krankheiten des Antragstellers ließen es nachvollziehbar und nicht unterhaltsrechtlich leichtfertig erscheinen, dass er den Bezug einer abschlagsfreien Rente auch vor Erreichen der Regelaltersgrenze dem aktiven Dienst vorgezogen habe. Zusätzlich stehe der Grad der Behinderung von 70 einer unterhaltsrechtlichen Leichtfertigkeit entgegen. Daher seien ab Oktober 2016 die tatsächlich erzielten Versorgungseinkünfte zugrunde zu legen.

Aus dem Einkommen des Antragstellers (Renten zuzüglich Wohnvorteil von unstreitig 400 €) von 2.651,12 € (ab 2017: 2.647,01 €) errechne sich für die Zeit ab Oktober 2016 ein vorläufiger Elementarbedarf von 1.325,56 € (ab 2017: 1.323,51 €). Daraus ergebe sich ein Krankenvorsorgeunterhalt von 231,31 € (ab 2017: 230,95 €). Nach Abzug dieses Krankenvorsorgeunterhalts vom Einkommen des Antragstellers vermindere sich der vorläufige Elementarunterhalt auf 1.210 € (ab 2017: 1.208 €). Daraus ergebe sich der Altersvorsorgeunterhalt von 269,26 € (ab 2017: 266,56 €) und ein neu berechneter Elementarunterhalt für den gesamten Zeitraum ab Oktober 2016 von (gerundet) 1.075 €.

Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit sei von einem eheangemessenen Selbstbehalt des nicht erwerbstätigen Antragstellers von 1.090 € auszugehen. Insoweit bestehe kein Anlass, von dem in Nr. 21.4 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm aufgeführten Betrag abzuweichen. Dass demgegenüber für einen Erwerbstätigen ein höherer Selbstbehalt (1.200 €) angesetzt werde, solle - wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsbemessung - einen Anreiz geben, eine Erwerbstätigkeit nicht aufzugeben. Sei der Unterhaltspflichtige allerdings nicht erwerbstätig, entfalle diese Rechtfertigung. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liege insoweit schon deshalb nicht vor, weil die Leitlinien ausweislich ihrer Vorbemerkung keine verbindlichen Regeln darstellten. Zudem werde eine Anpassung des Selbstbehalts, um eine den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werdende angemessene Lösung zu finden, durch die Leitlinien nicht ausgeschlossen.

Eine Erhöhung des Selbstbehalts entsprechend Nr. 21.5 Abs. 1 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm komme vorliegend nicht in Betracht. Erhöhte unvermeidbare Wohnkosten, die den im Selbstbehalt enthaltenen Wohnkostenanteil von 430 € überschreiten, habe der Antragsteller nicht hinreichend dargelegt.

Konkrete Mehrkosten, die für den Antragsteller aufgrund seiner Behinderung anfallen und deshalb zu einer Erhöhung des Regelselbstbehalts führen könnten, seien nicht vorgetragen worden.

Unter Berücksichtigung des eheangemessenen Selbstbehalts sei der Antragsteller daher in Höhe von 1.561 € (ab 2017: 1.557 €) leistungsfähig. Damit bestehe hinsichtlich des Gesamtbedarfs der Antragsgegnerin in Höhe von 1.575,57 € (ab 2017: 1.572,51 €) eine Leistungsunfähigkeit nur in ganz geringem Umfang. Da der Elementarunterhalt und der Krankenvorsorgeunterhalt vorrangig seien, sei der Altersvorsorgeunterhalt entsprechend geringfügig auf 254,69 € (ab 2017: 251,05 €) zu kürzen.

Eine Begrenzung und Befristung des nachehelichen Unterhalts gemäß § 1578 b BGB komme jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht. Die Ehedauer sei mit nahezu 28 Jahren relativ lang. Zudem gehe es nicht um Aufstockungsunterhalt, sondern um Krankenunterhalt. Selbst wenn die Erkrankung der Antragsgegnerin nicht ehebedingt sei, sei es als ehebedingter Nachteil zu berücksichtigen, dass sie ohne die Ehe zu einem früheren Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erfüllt hätte, weil sie dann jedenfalls bis zum Auftreten der Symptome der Erkrankung einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre. Der Altersvorsorgeunterhalt entfalle auch nicht deswegen, weil die Antragsgegnerin eine Erwerbsminderungsrente nicht durch zusätzliche Zahlungen aufstocken könne, da sie den Altersvorsorgeunterhalt auch anderweitig zur Altersvorsorge verwenden könne. Auch eine Befristung oder Herabsetzung auf den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze der Antragsgegnerin im Juni 2023 scheide im Hinblick auf die mit dem langen Zeitraum verbundenen Unabwägbarkeiten derzeit aus.

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 2. Juni 2017 die Einigung der Beteiligten auf einen Wohnwert von 400 € im Verhandlungstermin vom 26. April 2016 vor dem Amtsgericht anfechten wolle, sei diese Anfechtung ersichtlich verspätet. Auch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei insoweit nicht dargelegt.

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Abänderungsantrag nach § 239 FamFG zulässig ist. Bei dem gerichtlichen Vergleich vom 9. November 2011 handelt es sich um einen Vergleich im Sinne der §§ 239 Abs. 1 Satz 1 FamFG , 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO . Damit ist ein Abänderungsantrag gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG zulässig, sofern der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine Abänderung rechtfertigen. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts erzielte der Antragsteller bei Abschluss des Vergleichs monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 3.323,84 €, während er ab Oktober 2016 vorgezogene ungekürzte Altersrente (DRV Bund) in Höhe von monatlich 1.831,67 € (ab Januar 2017: 1.827,56 €) sowie eine Zusatzrente der Rheinischen Versorgungskasse in Höhe von monatlich 419,45 € bezieht.

Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist das Oberlandesgericht indessen weiter zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Abänderungsantrag nur in ganz geringem Umfang Erfolg hat. Denn die Rechtsbeschwerde übergeht im Ansatz, dass sich das für den Ehegattenunterhalt relevante Einkommen des Antragstellers gegenüber dem Vergleichsabschluss gleichwohl nur unwesentlich verändert hat, weil zwischenzeitlich und mit dem Rentenbezug Abzugsposten des Antragstellers in Höhe von insgesamt 1.301,45 € (604,39 € ehebedingte Belastungen, 210 € für die Ehefrau gezahlte Krankenversicherungsbeiträge, 150 € pauschale berufsbedingte Aufwendungen und 337,06 € Erwerbstätigenbonus) entfallen sind.

a) Die Abänderung eines Prozessvergleichs gemäß § 239 Abs. 2 FamFG richtet sich nach der Rechtsprechung des Senats allein nach materiell-rechtlichen Kriterien. Dabei ist - vorrangig gegenüber einer Störung der Geschäftsgrundlage - durch Auslegung zu ermitteln, ob und mit welchem Inhalt die Beteiligten eine insoweit bindende Regelung getroffen haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2015 - XII ZB 66/14 - FamRZ 2015, 734 Rn. 11 f. und vom 5. Dezember 2012 - XII ZB 670/10 - FamRZ 2013, 274 Rn. 14 mwN).

b) Dass das Oberlandesgericht eine Abänderung des Vergleichs unter dem Gesichtspunkt der vom Antragsteller geltend gemachten Belastungen an Hausgeld (monatlich 179 €, ab Januar 2017 monatlich 210 €) und Grundsteuer (monatlich 22,28 €) abgelehnt hat, ist schon danach nicht zu beanstanden.

Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Seine Auslegung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind oder ob die Auslegung auf im Rechtsbeschwerdeverfahren gerügten Verfahrensfehlern beruht, wobei die Auslegung auch ohne entsprechende Rüge vom Rechtsbeschwerdegericht zu überprüfen ist (vgl. Senatsurteil vom 26. Juni 2013 - XII ZR 133/11 - FamRZ 2013, 1366 Rn. 23 mwN).

Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses am 9. November 2011 bewohnte der Antragsteller noch das Einfamilienhaus, das den Beteiligten zuvor als Ehewohnung gedient hatte. Die Beteiligten hatten insoweit einen Wohnwert von 400 € unstreitig gestellt. Schon vor Beginn des Rentenbezugs seitens des Antragstellers wurde das Einfamilienhaus verkauft. Der Antragsteller hat stattdessen eine Eigentumswohnung mit einer Wohnfläche von 68 m2 erworben. Auch hinsichtlich der Eigentumswohnung haben die Beteiligten im Termin vom 26. April 2016 vor dem Amtsgericht einen Wohnwert von 400 € unstreitig gestellt.

Der gerichtliche Vergleich vom 9. November 2011 beruht auf der in Ziffer 3 des Vergleichs ausdrücklich als Grundlage in Bezug genommenen mehrseitigen Unterhaltsberechnung im Schriftsatz des damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 27. Oktober 2011. In dieser Berechnung wird der unstreitige Wohnwert jeweils ohne Abzüge für Hauskosten oder Grundsteuer berücksichtigt. Das Oberlandesgericht hat den Vergleich - jedenfalls konkludent - im Einklang mit seinem Wortlaut dahingehend ausgelegt, dass der Wohnwert ohne weitere Abzüge wie etwa Hausgeld oder Grundsteuer (vgl. insoweit Senatsurteil vom 27. Mai 2009 - XII ZR 78/08 - FamRZ 2009, 1300 Rn. 30 ff. mwN) angesetzt werden soll. Im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigende Auslegungsfehler sind insoweit weder dargelegt noch ersichtlich. Die Rechtsbeschwerdebegründung beschränkt sich auf die schlichte Mutmaßung, dass diese Kosten offensichtlich vergessen worden seien. Diese erstmalig im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgetragene Auffassung lässt einen Auslegungsfehler des Oberlandesgerichts nicht erkennen, zumal der Antragsteller selbst im gesamten vorangegangenen Verfahren ein solches Vergessen nicht behauptet hat.

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners dessen angemessenen Selbstbehalt nach Nr. 21.4 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm mit 1.090 € für einen nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen (gegenüber 1.200 € für einen Erwerbstätigen) angesetzt hat.

aa) Die Leistungsfähigkeit des Antragstellers ergibt sich aus seinen Einkünften abzüglich eines ihm zu belassenden Selbstbehalts. Eine Unterhaltspflicht besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Unterhaltsschuldner infolge einer solchen Pflicht selbst sozialhilfebedürftig würde. Denn dem Unterhaltspflichtigen muss schon aus verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen sicherstellt. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet deswegen jedenfalls dann, wenn der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern. Bei der Bemessung des Selbstbehalts, die nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters ist, sind zusätzlich die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, die sich insbesondere aus dem Wesen der Unterhaltspflicht ergeben (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008 - XII ZR 129/06 - FamRZ 2009, 307 Rn. 23 mwN).

bb) Auf die weiter von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, in Nr. 21.4 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm werde zu Unrecht zwischen dem eheangemessenen Selbstbehalt für Nichterwerbstätige (1.090 €) und für Erwerbstätige (1.200 €) differenziert, kommt es nach der umfassenden Prüfung des Oberlandesgerichts in der angefochtenen Entscheidung nicht an.

Zwar trifft es zu, wie die Rechtsbeschwerde vorträgt, dass diese Differenzierung über die Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm hinaus gegenwärtig nur von den Oberlandesgerichten Frankfurt, Braunschweig, Celle, Hamm, Karlsruhe, Stuttgart und dem 2. und dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Zweibrücken (vgl. Anmerkung zu Nr. 21.4 SüdL) vorgenommen wird, während die überwiegende Zahl der Leitlinien der Oberlandesgerichte (KG Berlin, Bremen, Brandenburg, Düsseldorf, Hamburg, Jena, Koblenz, Köln, Naumburg, Oldenburg, Rostock, Saarbrücken und Schleswig jeweils unter Nr. 21.4) eine solche Differenzierung beim Ehegattenunterhalt ablehnt.

Indessen hat der Senat bereits wiederholt entschieden, dass ein erhöhter Selbstbehalt des Erwerbstätigen im Rahmen der Leistungsfähigkeit - wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsbemessung - die Fortführung der Erwerbstätigkeit honoriert (vgl. auch Senatsbeschluss vom 13. November 2019 - XII ZB 3/19 - zur Veröffentlichung bestimmt). Ist der Unterhaltspflichtige allerdings nicht erwerbstätig, entfällt auch diese Rechtfertigung (vgl. Senatsurteile vom 19. November 2008 - XII ZR 129/06 - FamRZ 2009, 307 Rn. 15, 25 , 27 und vom 9. Januar 2008 - XII ZR 170/05 - FamRZ 2008, 594 Rn. 26). Soweit der Tatrichter im Rahmen der Leistungsfähigkeit auch beim Ehegattenunterhalt eine entsprechende Differenzierung vornimmt, ist dies daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurteil vom 17. März 2010 - XII ZR 204/08 - FamRZ 2010, 802 Rn. 27 mwN; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 210, 124 = FamRZ 2016, 1142 Rn. 7 f., 26 bezüglich der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm).

cc) Nach der Berechnung des Oberlandesgerichts ist der eheangemessene Selbstbehalt von 1.090 € nach Nr. 21.4 der Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm für den nicht erwerbstätigen Antragsteller gewahrt. Die Voraussetzungen einer Anpassung des Selbstbehalts, wie sie in Nr. 21.5 dieser Leitlinien geregelt ist, hat das Oberlandesgericht verneint. Dabei hat es darauf hingewiesen, dass die Leitlinien ausweislich ihrer Vorbemerkung keine verbindlichen Regeln darstellen, sondern lediglich dazu beitragen sollen, angemessene Lösungen zu finden, ohne den Spielraum einzuengen, der erforderlich ist, um den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls gerecht zu werden. Daher hat das Oberlandesgericht zusätzlich noch geprüft, ob weitere Gesichtspunkte vorliegend für eine Erhöhung des Selbstbehalts des Antragstellers sprechen könnten, dies aber im Ergebnis verneint, da der Antragsteller konkrete Mehrkosten nicht vorgetragen hat.

Diese Ausführungen des Oberlandesgerichts lassen Rechtsfehler nicht erkennen, zumal die Rechtsbeschwerdebegründung auch keine konkreten Mehrkosten benennen kann, deren Vortrag das Oberlandesgericht etwa übergangen haben sollte.

d) Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht Hamm einen angemessenen Selbstbehalt des nicht erwerbstätigen Antragstellers von 1.090 € nach Nr. 21.4 seiner Leitlinien als gewahrt angesehen hat.

Da die Einkünfte des Antragstellers nicht um Hauskosten und Grundsteuer zu kürzen sind, kann entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde daraus auch keine Unterschreitung des Selbstbehalts hergeleitet werden. Auch der Regelsatz der Sozialhilfe wird entgegen den Behauptungen der Rechtsbeschwerde selbst dann nicht unterschritten, wenn man berücksichtigt, dass in dem vom Oberlandesgericht angenommenen Selbstbehalt von 1.090 € der Wohnwert von 400 € enthalten ist.

e) Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist eine Abänderung des Vergleichs auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass der Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin den eheangemessenen Selbstbehalt des Antragstellers übersteige. Die Rechtsbeschwerde vergleicht insoweit zu Unrecht den Bruttounterhaltsbedarf der Antragsgegnerin von 1.561 € (ab 2017: 1.557 €) mit dem Nettoselbstbehalt des Antragstellers von 1.090 € abzüglich des Wohnwerts von 400 €. Dass das Oberlandesgericht dem Halbteilungsgrundsatz Rechnung getragen hat, zeigt sich vielmehr im Vergleich des dem unterhaltspflichtigen Antragsteller tatsächlich verbleibenden Selbstbehalts (1.090 €) mit dem der Antragsgegnerin tatsächlich zur Verfügung stehenden Elementarunterhalt (1.075 €). Soweit die Rechtsbeschwerde noch einwendet, dass im Selbstbehalt des Antragstellers ein geldwerter Vorteil des mietfreien Wohnens in Höhe von 400 € enthalten sei, steht dem gegenüber, dass die Antragsgegnerin aus ihrem Elementarunterhalt auch die Miete für ihre Wohnung zahlen muss.

f) Die Voraussetzungen für den Altersvorsorgeunterhalt sind entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht weggefallen. Denn eine Vermutung dahingehend, dass die Antragsgegnerin den Altersvorsorgeunterhalt zukünftig nicht zweckgebunden verwenden wird, ist nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht gerechtfertigt.

g) Schließlich ist es aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht derzeit eine Begrenzung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578 b BGB abgelehnt hat.

aa) Mit zutreffender Begründung und von der Rechtsbeschwerde unbeanstandet ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller eine Begrenzung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578 b BGB im Abänderungsverfahren geltend machen kann, nachdem dies in Ziffer 4 des gerichtlichen Vergleichs vom 9. November 2011 ausdrücklich vorbehalten worden war.

bb) Nach § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung sind § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zu entnehmen. Danach ist neben der Dauer der Ehe vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes und aus der Gestaltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben. Ein ehebedingter Nachteil äußert sich in der Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Einkünfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17 - FamRZ 2018, 1506 Rn. 23 und vom 8. Juni 2016 - XII ZB 84/15 - FamRZ 2016, 1345 Rn. 14 mwN).

§ 1578 b BGB beschränkt sich allerdings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksichtigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass der Tatrichter in seine Abwägung auch einzubeziehen hat, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17 - FamRZ 2018, 1506 Rn. 24 und vom 8. Juni 2016 - XII ZB 84/15 - FamRZ 2016, 1345 Rn. 15 mwN).

Als Rechtsfolge sieht § 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB die Herabsetzung bis auf den angemessenen Lebensbedarf vor. Dieser Maßstab bildet regelmäßig die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts und bemisst sich nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte ohne Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfügung hätte. Aus dem Begriff der Angemessenheit folgt aber zugleich, dass der nach § 1578 b Abs. 1 BGB herabgesetzte Unterhaltsbedarf jedenfalls das Existenzminimum des Unterhaltsberechtigten erreichen muss (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17 - FamRZ 2018, 1506 Rn. 25 mwN und vom 8. Juni 2016 - XII ZB 84/15 - FamRZ 2016, 1345 Rn. 16 mwN).

Die Abwägung aller für die Billigkeitsentscheidung nach § 1578 b BGB in Betracht kommenden Gesichtspunkte ist Aufgabe des Tatrichters. Sie ist vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin zu überprüfen, ob der Tatrichter die im Rahmen der Billigkeitsprüfung maßgebenden Rechtsbegriffe verkannt oder für die Einordnung unter diese Begriffe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat. Der rechtlichen Überprüfung unterliegt insbesondere, ob der Tatrichter sich mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17 - FamRZ 2018, 1506 Rn. 26 und vom 8. Juni 2016 - XII ZB 84/15 - FamRZ 2016, 1345 Rn. 17 mwN).

cc) Die angefochtene Entscheidung steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung des Senats.

(1) Das Oberlandesgericht ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsgegnerin durch die Pflege und Erziehung der gemeinsamen Töchter und die Gestaltung der Haushaltsführung während der Ehe ein Nachteil erwachsen ist. Denn die Antragsgegnerin wäre ohne die Ehe länger einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und hätte damit auch früher die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nach § 43 Abs. 2 SGB VI erfüllt. Dass nicht genau festgestellt werden kann, wie lange sie ihren Beruf als Verkäuferin krankheitsbedingt noch hätte ausüben können, lässt diesen Nachteil - der über die durch den Versorgungsausgleich ausgeglichenen Rentenanwartschaften hinausgeht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht vollständig entfallen (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Februar 2010 - XII ZR 140/08 - FamRZ 2010, 629 Rn. 24 mwN). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Mutmaßungen der Rechtsbeschwerde, in welchem Umfang die Antragsgegnerin bis zur Erkrankung nach ihrem Versicherungsverlauf noch Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung hätte erwerben können.

Danach ist es im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht eine Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin abgelehnt hat, solange die Antragsgegnerin noch keine Altersrente bezieht. Denn insoweit ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass eine Befristung des Unterhaltsanspruchs im Hinblick auf einen fortwirkenden ehebedingten Nachteil regelmäßig ausscheidet (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2018 - XII ZB 448/17 - FamRZ 2018, 1506 Rn. 29; Senatsurteil vom 18. Februar 2015 - XII ZR 80/13 - FamRZ 2015, 824 Rn. 24 mwN).

(2) Dass das Oberlandesgericht im Hinblick auf die Unwägbarkeiten hinsichtlich des Rentenbezugs der Antragsgegnerin die Entscheidung über eine Befristung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 1578 b Abs. 1 und 2 BGB einem späteren Abänderungsverfahren überlassen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Denn einer Entscheidung über eine Befristung des Unterhaltsanspruchs steht derzeit jedenfalls entgegen, dass die Höhe der Renteneinkünfte, die die Antragsgegnerin erzielen wird, bislang nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann. Fest steht nach der Rentenauskunft der DRV Bund für die Antragstellerin vom 26. Juni 2015 lediglich, dass letztere die Regelaltersgrenze am 12. Mai 2023 erreichen wird. Eine verbindliche Auskunft über die Höhe der zu erwartenden Rente liegt dagegen nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts nicht vor.

(3) Schließlich ist es im Rechtsbeschwerdeverfahren ebenso wenig zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht gegenwärtig auch eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs auf den angemessenen Lebensbedarf abgelehnt hat.

Das Oberlandesgericht hat dafür hinsichtlich der nachehelichen Solidarität maßgeblich auf die Dauer der Ehe abgestellt. Dass das Oberlandesgericht insoweit bei einer Dauer der Ehe von knapp 28 Jahren von einer relativ langen Ehe ausgegangen ist, wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt. Wenn es im Hinblick darauf auch auf die Haushaltstätigkeit und Kindererziehung der Antragsgegnerin während der Ehe einen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen gegenwärtig noch nicht als unbillig i.S. von § 1578b Abs. 1 Satz 1 BGB erachtet hat, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 16. Oktober 2019

Vorinstanz: AG Essen, vom 15.11.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 109 F 308/15
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 26.06.2017 - Vorinstanzaktenzeichen II-4 UF 267/16
Fundstellen
FamRB 2020, 4
FamRZ 2020, 97
FuR 2020, 107
MDR 2019, 1451
NJW 2020, 243
NJW-RR 2020, 1