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BGH - Entscheidung vom 07.11.2019

4 StR 226/19

Normen:
StGB § 227 Abs. 2
StPO § 261

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 20
NStZ-RR 2021, 266
StV 2020, 314

BGH, Urteil vom 07.11.2019 - Aktenzeichen 4 StR 226/19

DRsp Nr. 2019/17216

Beibringen der todbringenden schweren Verletzungen mit bedingtem Vorsatz des Vaters durch Schütteln des Säuglings i.R.d. Körperverletzung mit Todesfolge

Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können.

Tenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 8. Januar 2019 werden verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Normenkette:

StGB § 227 Abs. 2 ; StPO § 261 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen des Angeklagten und - zu dessen Ungunsten - der Staatsanwaltschaft. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am 23. Juni 2018 zu seinem am 4. April 2018 geborenen Sohn I. und begann, mit dem in einer Wippe liegenden Kind zu spielen. Er nahm den Säugling aus der Wippe und fasste ihn im Zustand einer inneren, Aggressionen auslösenden Anspannung, deren Auslöser das Landgericht nicht feststellen konnte, mit beiden Händen am Brustkorb unter die Arme. In stehender Position hielt er seinen Sohn vor sich und schüttelte ihn etwa zehnmal derart heftig vor und zurück, dass der ungestützte Kopf des Kindes unkontrolliert vor und zurück schlug. Obwohl der Angeklagte dies bemerkte, ging er sodann dazu über, den Säugling - wenn auch nicht ganz so heftig - seitlich zu schütteln, so dass dessen Kopf nach rechts und links schlug. Am 26. Juni 2018 verstarb I. in einer Spezialklinik in G. ; todesursächlich war ein zentrales Herz-Kreislauf-Versagen infolge eines auf die Einwirkung des Angeklagten zurückzuführenden Schütteltraumas.

Dem Angeklagten war bekannt, dass man ein Kind dieses Alters nicht derart behandeln darf und insbesondere der Kopf eines knapp dreimonatigen Säuglings noch gestützt werden muss; dennoch schüttelte er das Kind. Er erkannte die Möglichkeit, die Gesundheit I. s dadurch zu schädigen und fand sich hiermit ab; für ihn war auch vorhersehbar, dass dies zum Tod I. s führen konnte.

2. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht die Annahme bedingten Verletzungsvorsatzes mit Blick auf die Gefährlichkeit der Tathandlung näher begründet; dolus directus ersten oder zweiten Grades hat es nicht festzustellen vermocht (UA 22). Es hat das Vorliegen von Eventualvorsatz strafmildernd berücksichtigt, auch hierauf gestützt einen minder schweren Fall angenommen und die Strafe insgesamt dem gemilderten Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB entnommen.

II.

1. Die Revision des Angeklagten, der meint, es komme lediglich eine fahrlässige Tötung in Betracht, ist unbegründet. Insbesondere übersieht der Rechtsmittelführer bei seinen teils eigene Beweiswürdigung enthaltenden Angriffen gegen die tatrichterliche Annahme bedingten Verletzungsvorsatzes, dass das Landgericht seiner verharmlosenden Einlassung ("um mit dem Säugling zu spielen", UA 13) nicht gefolgt ist.

2. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls unbegründet.

a) Das Rechtsmittel ist nicht beschränkt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet vor allem, dass das Landgericht keinen direkten Verletzungsvorsatz angenommen hat; hiermit wendet sie sich gegen eine doppelrelevante, auch dem Schuldspruch zugrunde liegende Tatsache (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1956 - 4 StR 524/56, BGHSt 10, 71 , 73 f.; Urteil vom 14. Januar 1982 - 4 StR 642/81, BGHSt 30, 340 , 343; BayObLG, Beschluss vom 9. Juli 1982 - RReg 1 St 113/82; vgl. auch OLG Oldenburg, NdsRpfl 2008, 405 ).

b) Die Revisionsangriffe der Beschwerdeführerin versagen; auch sonst weist der Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:

aa) Die Beweiswürdigung, mit der das Schwurgericht seine Annahme eines bloß bedingten Verletzungsvorsatzes des Angeklagten begründet hat, hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 261 StPO ). Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können.

Derartige Rechtsfehler enthält die Beweiswürdigung des Schwurgerichts zum subjektiven Tatbestand nicht. Insbesondere hat es den "Indizwert" des "mehrfachen massiven Schüttelns des Säuglings" (UA 22) nicht verkannt; aus dem vom Generalbundesanwalt für seinen - revisionsrechtlich ohnehin unbehelflichen - Einwand, das Landgericht habe sich hiermit "nicht hinreichend auseinander(ge)setzt", herangezogenen Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 24. Juli 2003 ( 3 StR 159/03, NStZ 2004, 201 ) ergibt sich nichts anderes. Auf die Frage, ob jedwedes Schütteln - unabhängig von dessen Stärke - eine körperliche Misshandlung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ist und insoweit der Angeklagte mit dolus directus 2. Grades gehandelt haben könnte, kommt es nicht an. Die auch von der revisionsführenden Staatsanwaltschaft nicht in Frage gestellte Verurteilung des Angeklagten allein gemäß § 227 StGB wegen Körperverletzung mit Todesfolge setzt voraus, dass der Verwirklichung des Grunddelikts eine ihm eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr des Eintritts der schweren Folge anhaftet (vgl. Fischer, StGB , 66. Aufl., § 227 Rn. 5 ff. mwN). In Bezug auf diejenige Gesundheitsbeschädigung, die durch das massive, das Opfer in die Gefahr des Todes bringende Schütteln verursacht wurde, verbleibt es indes bei dem vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten dolus eventualis.

bb) Das Schwurgericht war nicht gehindert, den Umstand, dass der Angeklagte seinem Sohn die todbringenden schweren Verletzungen lediglich mit bedingtem Vorsatz beigebracht hat, strafmildernd zu berücksichtigen (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 212 Rn. 86; Fischer, aaO, § 46 Rn. 57a; § 212 Rn. 18a, jew. mwN; Fahl, JR 2017, 387 , 389; Kett-Straub, NStZ 2018, 533 , 537).

Die Strafzumessung des Landgerichts erweist sich auch im Übrigen alsrechtsfehlerfrei.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Münster, vom 08.01.2019
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 20
NStZ-RR 2021, 266
StV 2020, 314