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BGH - Entscheidung vom 18.09.2019

2 StR 187/19

Normen:
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 24

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 174
StV 2020, 653

BGH, Beschluss vom 18.09.2019 - Aktenzeichen 2 StR 187/19

DRsp Nr. 2020/3073

Revisionsrechtliche Überprüfung einer Verurteilung wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; Prüfung des Vorliegens einer beendeten Raubtat; Wechsel der tatsächlichen Sachherrschaft bei kurzfristigem Entreißen einer Geldbörse

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. Januar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 349 Abs. 4 ; StGB § 24 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten ausweislich des Urteilstenors wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe angeordnet. Ausweislich der Urteilsgründe hat das Landgericht hingegen angenommen, der Angeklagte habe sich statt wegen besonders schweren Raubes wegen versuchten besonders schweren Raubes schuldig gemacht.

Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wegen des Widerspruchs im Schuldspruch zwischen Urteilsformel und Urteilsgründen in vollem Umfang Erfolg.

1. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil der in der Urteilsformel zum Ausdruck kommende Schuldspruch – Verurteilung wegen besonders schweren Raubes – von den in den Urteilsgründen getroffenen Feststellungen und der rechtlichen Würdigung – versuchter besonders schwerer Raub – nicht getragen wird. Es liegt kein für alle Beteiligten klar zu Tage tretendes Fassungs-oder Schreibversehen vor (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 5 StR 154/19, juris Rn. 7 mwN), das eine Tenorberichtigung ermöglichen würde. Es handelt sich auch nicht um eine Fallgestaltung, bei der ohne Weiteres ersichtlich wird, dass der Tatrichter seine Erwägungen in Wirklichkeit nicht auf den in den Urteilsgründen, sondern auf den in der Urteilsformel zum Ausdruck gebrachten Schuldspruch bezogen hat und dass dies trotz der anderslautenden Entscheidungsgründe dem Beratungsergebnis entspricht. Vielmehr wird die Urteilsformel von den Feststellungen nicht zweifelsfrei getragen.

a) Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der kokain- und alkoholabhängige Angeklagte am 4. August 2018 in einen Lebensmitteldiscounter begab, um Alkohol zu stehlen. Er sah in der Tüte einer an der Kasse wartenden Zeugin eine Geldbörse und wollte diese an sich bringen. Er folgte der Zeugin aus dem Gebäude und sprühte ihr, nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Passanten in der Nähe waren, Pfefferspray in Richtung des Gesichts, um die nunmehr in der Hand der Geschädigten befindliche Geldbörse und andere stehlenswerte Gegenstände zu entwenden. Er versuchte, die Einkaufstüten zu ergreifen und entriss der Zeugin außerdem kurzzeitig die Geldbörse. Die Zeugin wehrte sich heftig und hielt den Angeklagten an seinem T-Shirt fest. Im weiteren Verlauf des Gerangels verlor der Angeklagte die Geldbörse wieder. Nachdem einige Passanten aufgrund der Hilferufe der Zeugin herbeigeeilt waren, gab sich der Angeklagte geschlagen und wartete auf das Eintreffen der Polizei.

b) Diese Feststellungen ermöglichen keine zweifelsfreie Beurteilung, ob die Raubtat bereits vollendet war.

aa) Eine Sache ist weggenommen und ihr Raub ist vollendet, wenn der Gewahrsam des bisherigen Inhabers aufgehoben und die Sache in die tatsächliche Verfügungsmacht des Räubers gelangt ist. Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Anschauungen des täglichen Lebens; die Erlangung gesicherten oder gefestigten Gewahrsams ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Oktober 1961 – 2 StR 289/61, BGHSt 16, 271 , 273; BGH, Urteil vom 26. Juni 2008 – 3 StR 182/08, NStZ 2008, 624 , 625; vom 6. März 2019 – 5 StR 593/18, juris Rn. 4 f.).

bb) Hiervon ausgehend erweisen sich die getroffenen Feststellungen als ambivalent. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen (BGH, Urteil vom 21. April 1970 – 1 StR 45/70, BGHSt 23, 254 , 255; vom 18. Februar 2010 – 3 StR 556/09, NStZ 2011, 158 ), weshalb in Betracht kommt, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vertreten, im Entreißen der Geldbörse eine zur Vollendung des Raubdelikts führende Gewahrsamserlangung zu sehen. Konnte allerdings der Angeklagte den Geldbeutel nur kurzzeitig der Geschädigten entreißen, während diese ihn durchgehend am T-Shirt festhielt und mit ihm rang, liegt die Annahme nahe, dass der Angeklagte die Sachherrschaft am Geldbeutel noch nicht ohne Behinderung durch die Geschädigte ausüben konnte, mithin die Raubtat noch nicht vollendet war. Wie sich die Sache hier verhalten hat, lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.

c) Dieser Rechtsfehler muss zur Aufhebung des Schuldspruchs und in dessen Folge auch des gesamten Rechtsfolgenausspruchs führen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auch der Rechtsfolgenausspruch auf der Annahme eines – wie tenoriert – vollendeten Raubdelikts fußt.

2. Für die neue Verhandlung weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

a) Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass es hinsichtlich des Geldbeutels noch nicht zu einem Wechsel der tatsächlichen Sachherrschaft gekommen war, wird er die Frage nach einem Rücktritt des Angeklagten vom Versuch (§ 24 StGB ) in den Blick zu nehmen haben. Auch hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Allein die Feststellung, der Angeklagte habe sich „geschlagen gegeben“, lässt nicht erkennen, ob nach dessen Vorstellung nach dem Ende seiner letzten Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221 , 227; vom 13. März 2018 – 4 StR 531/17, NStZ 2018, 468 ) die Tat mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln noch hätte vollendet werden können und er durch freiwilliges Abstandnehmen von weiteren Ausführungshandlungen vom Versuch der Körperverletzung strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. Senat, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304 , 306), oder ob er erkannt hat oder subjektiv davon ausging, dass eine Vollendung nicht mehr möglich ist, der Versuch also fehlgeschlagen war und ein strafbefreiender Rücktritt von vorneherein ausscheidet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156 , 157 mwN).

b) Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20 , 21 StGB und der §§ 64 , 67 Abs. 2 StGB zu treffen, naheliegender Weise unter Hinzuziehung eines neuen Sachverständigen. Die bisherigen Erwägungen des Landgerichts erweisen sich als nicht tragfähig.

Bedenken begegnet schon die ohne nähere Erläuterung getroffene Feststellung, der Angeklagte habe zum Tatzeitpunkt eine „Atemalkoholkonzentration von etwa 1 Promille“ aufgewiesen. Dies ist nicht nachvollziehbar, da das Ergebnis einer Atemalkoholmessung die in g oder mg bestimmte Äthylalkoholmenge in einem bestimmten Atemvolumen darstellt. Die Strafkammer hat also entweder nicht das konkrete Messergebnis (zur Frage einer direkten Konvertierbarkeit von AAK- in BAK-Werte vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2001 – 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358 Rn. 17 ff.) oder aber irrtümlich ein unzutreffendes Messergebnis mitgeteilt und damit nicht ausschließbar einen unzutreffenden Grad der Alkoholisierung seiner Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zugrunde gelegt.

Soweit die Strafkammer ihre Annahme vollständig erhaltener Schuldfähigkeit darauf stützt, der Angeklagte habe „unter keinem besonderen Suchtdruck gestanden“, steht dies im Widerspruch zu den zu § 64 StGB getroffenen Feststellungen. Danach hat der Angeklagte, der seit dem 11. Lebensjahr Alkohol und dem 14. Lebensjahr regelmäßig Drogen, Kokain und Ecstasy konsumierte, mit dem entwendeten Geld seine Kokainsucht finanzieren wollen und stand „unter einem erheblichen Suchtdruck“. Ferner hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht, dass die Anwendung des § 21 StGB bei Beschaffungsdelikten eines Rauschmittelabhängigen nicht in jedem Fall davon abhängt, dass er zur Tatzeit unter aktuellen körperlichen Entzugserscheinungen gelitten hat. Es ist vielmehr nicht ausgeschlossen, dass die Angst des Täters vor Entzugserscheinungen, die er schon als äußerst unangenehm erlebt hat und als nahe bevorstehend einschätzt, sein Hemmungsvermögen erheblich beeinträchtigen kann (vgl. Senat, Urteil vom 2. November 2005 – 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151 , 152 mwN).

Auch die bislang erfolgte Bestimmung der Therapiedauer ist nicht frei von Bedenken. Der Sachverständige hat ausgehend von seiner Diagnose eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt „für indiziert und angemessen“ und eine „Langzeittherapie von 6 Monaten“ für erforderlich gehalten. Das ist offenkundig in sich widersprüchlich. Ihre hiervon abweichende Annahme, eine Therapiedauer von einem Jahr sei erforderlich, stützt die Kammer auf nicht näher ausgeführte „Erfahrungen der Kammer in gleichgelagerten Fällen und mit dem hessischen Maßregelvollzug“. Auch damit ist die erforderliche individuelle Festlegung einer Therapiedauer (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2013 – 4 StR 60/13, juris Rn. 3; vgl. zum Zusammenhang von Therapiedauer und konkreter Erfolgsaussicht BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14, BGHR StGB § 64 Satz 2 nF Erfolgsaussicht 2 mwN) nicht tragfähig begründet. Es kann dahinstehen, ob das nach § 246a StPO zur Hinzuziehung eines Sachverständigen verpflichtete Gericht in einem Fall wie dem vorliegenden einen weiteren Sachverständigen hinzuziehen musste, oder ob das Gutachten dem Gericht noch die erforderliche Sachkunde vermitteln konnte. Denn die – auch insoweit recht knappen – Urteilsgründe erlauben nicht die Nachprüfung, ob das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen zutreffend und hinreichend sachkundig gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat, wozu es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Bekundungen bedurft hätte, insbesondere zu den Gesichtspunkten und Erkenntnissen, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 – 3 StR 368/17, juris Rn. 11; KK-StPO/Krehl, 8. Aufl., § 246a Rn. 4).

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 03.01.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 3550 Js 238508/18 KLs 7/18
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 174
StV 2020, 653