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BGH - Entscheidung vom 21.08.2019

XII ZB 135/19

Normen:
FamFG § 26
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2
FamFG § 286 Abs. 3
FamFG § 26
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2
FamFG § 286 Abs. 3
BGB § 1896 Abs. 1a
BGB § 1896 Abs. 2
FamFG § 26
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2

Fundstellen:
FamRZ 2019, 2027
FuR 2019, 721
MDR 2020, 57
NJW-RR 2019, 1410

BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - Aktenzeichen XII ZB 135/19

DRsp Nr. 2019/14306

Auswirkungen des Ablaufs der festgesetzten Überprüfungsfrist auf die Fortgeltung der Betreuung einschließlich eines etwa angeordneten Einwilligungsvorbehalts; Überschreitung der vom erstinstanzlichen Gericht festgesetzten Überprüfungsfrist im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich Zurückweisung einer gegen die Betreuungsanordnung gerichteten Beschwerde

a) Der Ablauf der festgesetzten Überprüfungsfrist hat auf die Fortgeltung der Betreuung einschließlich eines etwa angeordneten Einwilligungsvorbehalts keine Auswirkungen.b) Wird die vom erstinstanzlichen Gericht festgesetzte Überprüfungsfrist im Verlauf des Beschwerdeverfahrens überschritten, darf das Beschwerdegericht eine gegen die Betreuungsanordnung gerichtete Beschwerde nur dann zurückweisen, wenn es sich im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht die Überzeugung davon verschafft hat, dass die Maßnahme auch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung noch erforderlich ist.c) Zu den Voraussetzungen, unter denen das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren absehen kann.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 14. März 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Normenkette:

BGB § 1896 Abs. 1a ; BGB § 1896 Abs. 2 ; FamFG § 26 ; FamFG § 68 Abs. 3 S. 2;

Gründe

I.

Der 1937 geborene Betroffene leidet unter einer Verhaltenssucht (Spielsucht) auf dem Boden eines Frontalhirnsyndroms, infolge derer er sich in der Vergangenheit hoch verschuldet hat. Seit Juni 2014 besteht für ihn eine rechtliche Betreuung, zuletzt mit dem Aufgabenkreis "Vermögenssorge, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten". Für die Vermögenssorge ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet.

Das Amtsgericht hat die Betreuung nach Anhörung des Betroffenen und nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen S. mit dem genannten Aufgabenkreis unter Beibehaltung des Einwilligungsvorbehalts bis zum 31. Dezember 2018 verlängert. Insoweit hat das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen durch Beschluss vom 5. Oktober 2017 zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben, weil es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlte, ob die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 552/17 - FamRZ 2019, 239 ).

Das Landgericht hat nach Zurückverweisung der Sache ein Gutachten des Sachverständigen Dr. B. eingeholt und danach die Beschwerde durch Beschluss vom 14. März 2019 erneut zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der sich weiterhin gegen die Verlängerung der Betreuung wendet.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Beschwerdegerichts.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, dass der Betroffene unter einer deutlichen hirnorganischen Schädigung leide. Er könne krankheitsbedingt die für oder wider eine Betreuerbestellung sprechenden Gesichtspunkte nicht erkennen und gegeneinander abwägen. Der Betroffene sei nicht in der Lage, seine krankheitsbedingten Defizite zutreffend einzuschätzen. Dies bestätige zum einen der Sachverständige Dr. B. und zum anderen zeige sich dies auch aus der eindrucksvollen Schilderung der Ehefrau des Betroffenen. Eigen- und Fremdwahrnehmung des Betroffenen gingen deutlich auseinander. Insbesondere gehe aus den sachverständigen Äußerungen deutlich hervor, dass der Einwilligungsvorbehalt im Bereich der Vermögenssorge erforderlich sei, um den Betroffenen vor der Anhäufung neuer Schulden zu bewahren. Auch dessen Ehefrau habe in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Sachverständigen eindrucksvoll beschrieben, dass der Betroffene unter dem Zwang stehe, ständig Geld zu haben und auszugeben. Von einer Anhörung des Betroffenen habe im Beschwerdeverfahren abgesehen werden können, weil eine erneute Anhörung angesichts des Umstands, dass "allein medizinische Sachverhalte prägend" seien, keinen Erkenntnisgewinn verspreche.

2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

a) Allerdings ist es entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde aus verfahrensrechtlichen Gründen für sich genommen nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht über die (neuerliche) Zurückweisung der Erstbeschwerde des Betroffenen zu einem Zeitpunkt entschieden hat, in dem die in der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts festgesetzte Überprüfungsfrist bereits abgelaufen war.

aa) Im rechtlichen Ausgangspunkt hat der Ablauf der festgesetzten Überprüfungsfrist auf die Fortgeltung der Betreuung einschließlich eines etwa angeordneten Einwilligungsvorbehalts keine Auswirkungen (vgl. Keidel/Budde FamFG 17. Aufl. § 286 Rn. 9; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 286 Rn. 11; BeckOK FamFG/Günter [Stand: Januar 2019] § 286 Rn. 10a; Sonnenfeld in Bienwald/Sonnenfeld/Harm Betreuungsrecht 6. Aufl. § 286 Rn. 26; Jürgens/Kretz Betreuungsrecht 5. Aufl. § 286 Rn. 9; vgl. zum früheren Recht BayObLG FamRZ 1998, 1183 , 1185; OLG Naumburg OLGR 2004, 56; OLG München FamRZ 2008, 2062 , 2063). Schon aus den Gesetzesmaterialien zum früheren § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG geht der eindeutige Wille des Gesetzgebers hervor, dass die Überschreitung der Überprüfungsfrist nicht zur Beendigung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts führen soll, weil dies mit erheblichen Nachteilen für den Betroffenen verbunden sein könnte (vgl. BT-Drucks. 11/6949 S. 80). Dass dies auch nach der Reform des Verfahrensrechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht anders zu beurteilen ist, erschließt sich schon aus dem weitgehend unveränderten Wortlaut und aus der Systematik des Gesetzes, das in einem Hauptsacheverfahren - im Gegensatz zur vorläufigen Betreuung (§ 302 Satz 1 FamFG ) - eine automatische Beendigung der Maßnahme nicht vorsieht.

bb) Freilich wird die konkrete Bemessung der Überprüfungsfrist von der Erforderlichkeit der Maßnahme (§ 1896 Abs. 2 BGB ) nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. November 2012 - XII ZB 344/12 - FamRZ 2013, 284 Rn. 10). Auch wenn die vom erstinstanzlichen Gericht festgesetzte Überprüfungsfrist - wie hier - im Verlauf des Beschwerdeverfahrens überschritten wird, kann das Beschwerdegericht eine gegen die Betreuungsanordnung gerichtete Beschwerde nur dann zurückweisen, wenn es sich im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG ) die Überzeugung davon verschafft hat, dass die Maßnahme im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung noch erforderlich ist. Die dafür notwendigen Erkenntnisse muss das Beschwerdegericht aber nicht in jedem Fall zwingend durch die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens gewinnen. Auch die Verwertung des Sachverständigengutachtens, auf das die erstinstanzliche Entscheidung die Festsetzung der Überprüfungsfrist gestützt hat, kann ausnahmsweise ausreichen, wenn sich aus ihm hinreichend deutlich entnehmen lässt, dass die angeordnete Maßnahme voraussichtlich über den Ablauf der festgesetzten Überprüfungsfrist hinaus erforderlich sein wird.

Davon kann unter den hier obwaltenden Umständen ausgegangen werden. Nach den Ausführungen im erstinstanzlich eingeholten Gutachten des Sachverständigen S. sollen spezifische Behandlungsmöglichkeiten, die zu einer Ausheilung des Krankheitsbildes führen, angesichts des langjährigen Krankheitsverlaufs und des Alters des Betroffenen nicht mehr gegeben und eine Verringerung der voraussichtlich dauerhaften Verhaltens- und Persönlichkeitsstörung nicht mehr zu erwarten sein. Dass die Überprüfungsfrist durch das Amtsgericht gleichwohl nicht auf die nach diesen sachverständigen Ausführungen denkbar erscheinende Höchstfrist, sondern (nur) auf knapp anderthalb Jahre festgesetzt wurde, beruht offenkundig auf einer im Anhörungstermin am 7. April 2017 erzielten Verständigung mit dem Betroffenen, der seinerzeit unter der Voraussetzung der Bestellung eines neuen Betreuers damit einverstanden war, einer Verlängerung der bisherigen Betreuung bis zum 31. Dezember 2018 zuzustimmen.

cc) Das Beschwerdegericht war - anders als die Rechtsbeschwerde wohl meint - darüber hinaus nicht gehalten, weitergehende Feststellungen über die voraussichtliche weitere Dauer der Erforderlichkeit der Betreuungsmaßnahmen zu treffen und auf dieser Grundlage eine neue Überprüfungsfrist festzusetzen. Der Neufestsetzung einer verlängerten Überprüfungsfrist auf eine (allein) durch den Betroffenen eingelegte Beschwerde gegen eine Betreuungsanordnung steht im Übrigen bereits das verfahrensrechtliche Verschlechterungsverbot im Rechtsmittelverfahren (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 26. April 2017 - XII ZB 100/17 - FamRZ 2017, 1157 Rn. 10 mwN) entgegen. Die Bemessung der neuen Überprüfungsfrist kann vielmehr einem (weiteren) in der ersten Instanz einzuleitenden Verlängerungsverfahren vorbehalten bleiben.

b) Demgegenüber rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht als verfahrensfehlerhaft, dass das Beschwerdegericht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, etwa wenn die erstinstanzliche Anhörung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt keine neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtlichen Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Zieht das Beschwerdegericht demgegenüber für seine Entscheidung eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, gebietet schon dies in der Regel eine erneute persönliche Anhörung des Betroffenen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Februar 2019 - XII ZB 504/18 - MDR 2019, 498 Rn. 7 und vom 15. August 2018 - XII ZB 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 11).

Gemessen daran durfte das Beschwerdegericht aus mehreren Gründen nicht von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen:

aa) Der Betroffene ist zwar im erstinstanzlichen Verfahren angehört und die Ergebnisse dieser Anhörung sind auch umfassend dokumentiert worden. Die Anhörung durch das Amtsgericht erfolgte jedoch am 7. April 2017 und lag somit im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts schon fast zwei Jahre zurück. Bereits dies hätte im vorliegenden Fall eine neuerliche Anhörung des Betroffenen nahegelegt (vgl. Senatsbeschluss vom 6. November 2013 - XII ZB 650/12 - FamRZ 2014, 293 Rn. 13).

bb) Eine erneute Anhörung des Betroffenen war jedenfalls deshalb zwingend erforderlich, weil der Betroffene ausweislich des Protokolls vom 7. April 2017 bei seiner Anhörung durch die Betreuungsrichterin vorbehaltlich eines Betreuerwechsels mit der Verlängerung der bisherigen Betreuung bis zum 31. Dezember 2018 einverstanden war. Nachdem das Amtsgericht in der Verlängerungsentscheidung einen neuen Betreuer bestellt und die Überprüfungsfrist auf den 31. Dezember 2018 bestimmt hatte, brauchte es aufgrund des im Anhörungstermin erzielten Einverständnisses aus seiner Sicht nicht mehr zu prüfen, ob der Betroffene noch zur Bildung eines freien Willens (§ 1896 Abs. 1a BGB ) imstande war. Diese Sachlage hatte sich nach Einlegung der Beschwerde verändert, so dass sich im Beschwerdeverfahren erstmals die Frage nach der Verlängerung der Betreuung gegen den Willen des Betroffenen gestellt hat. Sobald indessen die Möglichkeit der freien Willensbildung in der Beschwerdeinstanz erstmals entscheidungserheblich wird, sind durch eine persönliche Anhörung des Betroffenen stets zusätzliche Erkenntnisse im Sinne von § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Dezember 2015 - XII ZB 381/15 - FamRZ 2016, 456 Rn. 18 mwN und vom 16. Oktober 2013 - XII ZB 320/13 - BtPrax 2014, 38 Rn. 6 mwN).

cc) Schließlich ist eine persönliche Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren generell unverzichtbar, wenn sich das Beschwerdegericht nach dessen Anhörung durch das erstinstanzliche Gericht zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens entschließt und dieses Gutachten als Tatsachengrundlage für seine Entscheidung heranziehen will (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2015 - XII ZB 227/12 - FamRZ 2016, 300 Rn. 9 mwN). So liegt der Fall auch hier, weil das Beschwerdegericht seine Feststellung, dass die Ablehnung der Betreuung durch den Betroffenen nicht von einer freien Willensbildung getragen ist, auf das nach der Zurückverweisung der Sache im Beschwerdeverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gestützt hat. Die in diesem Zusammenhang stehenden Ausführungen des Beschwerdegerichts, dass eine erneute Anhörung bei rein medizinisch geprägten Sachverhalten keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn verspräche, beruhen auf einem grundlegenden Missverständnis der Funktionen, welche die Anhörung im betreuungsgerichtlichen Verfahren erfüllen soll. Zu diesen Funktionen gehört insbesondere die Kontrolle des Sachverständigen, die das Gericht nur dann sachgerecht ausüben kann, wenn es sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen verschafft (vgl. Senatsbeschluss vom 24. August 2016 - XII ZB 531/15 - FamRZ 2016, 1922 Rn. 8). Der Verzicht des Beschwerdegerichts auf die persönliche Anhörung des Betroffenen hätte im vorliegenden Fall zur Folge gehabt, dass die sachverständige Einschätzung, der Betroffene könne über die Ablehnung der Betreuung nicht frei im Sinne des § 1896 Abs. 1a BGB entscheiden, im gesamten betreuungsgerichtlichen Verfahren von keinem Richter anhand eines unmittelbaren Eindrucks vom Betroffenen überprüft worden wäre.

3. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Sie ist gemäß § 74 Abs. 5 FamFG aufzuheben und die Sache ist nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 74 Abs. 6 Satz 3 FamFG Gebrauch macht.

Vorinstanz: AG Burgwedel, vom 04.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3c XVII H 6843
Vorinstanz: LG Hannover, vom 14.03.2019 - Vorinstanzaktenzeichen 2 T 60/17
Fundstellen
FamRZ 2019, 2027
FuR 2019, 721
MDR 2020, 57
NJW-RR 2019, 1410