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BGH - Entscheidung vom 27.06.2019

IX ZB 5/19

Normen:
ZPO § 148
ZPO § 148
ZPO § 148

Fundstellen:
DZWIR 2019, 547
MDR 2019, 1011
MDR 2019, 1367
NJW 2019, 3235
NJW-RR 2019, 1212
WM 2019, 1461
ZInsO 2019, 1808

BGH, Beschluss vom 27.06.2019 - Aktenzeichen IX ZB 5/19

DRsp Nr. 2019/10532

Aussetzung des Rechtsstreits bei der getrennten Geltendmachung von Teilen einer einheitlichen Forderung bei Beruhen auf demselben Klagegrund

Eine Aussetzung des Rechtsstreits kommt bei der getrennten Geltendmachung von Teilen einer einheitlichen Forderung nicht in Betracht, auch wenn sie auf demselben Klagegrund beruhen.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 30. Zivilkammer des Landgerichts München I - Einzelrichter - vom 21. Dezember 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert wird auf 800 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 148 ;

Gründe

I.

Der klagende Rechtsanwalt wurde von den Beklagten zu 1 und 2 beauftragt, die Freigabe von zwei Grundschulden gegenüber der D. AG und der Z. AG zu erwirken. Für seine Tätigkeit stellte der Kläger ausgehend von einem Gegenstandswert über 658.000 € den Beklagten am 23. Dezember 2016 Gebühren von 11.367,48 € in Rechnung. Die Beklagten hatten an den Kläger einen Gebührenvorschuss von 7.181,65 € entrichtet.

In einem zwischen den Parteien seit dem Jahr 2015 zunächst vor dem Amtsgericht, jetzt vor dem Landgericht München I anhängigen Rechtsstreit verlangt der Beklagte zu 1 Erstattung des dem Kläger in dieser Angelegenheit geleisteten Gebührenvorschusses in Höhe eines Betrages von 4.151,55 €. Insoweit beruft er sich darauf, mit dem Kläger eine Vereinbarung getroffen zu haben, nach deren Inhalt sich sein Honorar auf den Betrag von 3.030,10 € beschränke. Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1 und die Beklagte zu 2 als Drittwiderbeklagte Widerklage auf Zahlung von 3.030,10 € erhoben und gegenüber der Beklagten zu 2 die Feststellung beantragt, dass ihr keine Ansprüche in Höhe von 4.151,55 € zustehen. Die Aufrechnung gegen die Klageforderung und die Widerklage stützt der Kläger auf einen Teilbetrag von insgesamt 7.181,65 € aus seiner Vergütungsforderung von 11.367,48 €.

Den nach der Aufrechnung verbleibenden, zuletzt mit 4.162,03 € bezifferten Restbetrag verlangt der Kläger in dem vorliegenden, am 31. Dezember 2016 vor dem Amtsgericht München eingeleiteten Rechtsstreit. Das Amtsgericht hat das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem Beschwerdegericht - Einzelrichter - zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren, dem Verfahren Fortgang zu geben, weiter.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums der Einzelrichter entschieden hat. Der angefochtene Beschluss unterliegt indes der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ) ergangen ist.

Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. Bejaht er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2011 - VIII ZB 81/11, NJW-RR 2012, 125 Rn. 9 mwN; vom 18. September 2018 - VI ZB 34/17, NJW-RR 2018, 1460 Rn. 5; vom 19. Dezember 2018 - VII ZB 45/18, WM 2019, 271 Rn. 7 ff).

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass nach jetzigem Sach- und Streitstand eine Aussetzung gemäß § 148 ZPO nicht in Betracht kommen dürfte, weil die hier gegebene getrennte Geltendmachung von Teilforderungen aus demselben Klagegrund keine Vorgreiflichkeit bewirkt.

a) Nach § 148 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei. Die Aussetzung der Verhandlung setzt damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit oder dem Verwaltungsverfahren zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (BGH, Beschluss vom 30. März 2005 - X ZB 26/04, BGHZ 162, 373 , 375). Vorgreiflichkeit ist insbesondere gegeben, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine Entscheidung ergeht, die für das auszusetzende Verfahren materielle Rechtskraft entfaltet oder Gestaltungs- bzw. Interventionswirkung erzeugt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII ZB 54/11, NJW-RR 2012, 575 Rn. 6). Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - IV ZB 36/03, Rn. 2; vom 25. November 2013 - NotZ (Brfg) 11/13, WM 2014, 810 Rn. 13). Andernfalls würde das aus dem Justizgewährleistungsanspruch folgende grundsätzliche Recht der Prozessparteien auf Entscheidung ihres Rechtsstreits in seinem Kern beeinträchtigt (BGH, Beschluss vom 25. November 2013, aaO). Eine Aussetzung allein aus Zweckmäßigkeitsgründen sieht das Gesetz nicht vor (BGH, Urteil vom 21. Februar 1983 - VIII ZR 4/82, NJW 1983, 2496 unter II 2 a).

b) Nach diesen Maßstäben ist im Streitfall eine Vorgreiflichkeit nicht gegeben, weil der vorliegende Rechtsstreit und das vor dem Landgericht München I schwebende Verfahren voneinander abtrennbare Teile einer einheitlichen Forderung betreffen.

aa) Rechnet der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten Gegenforderung in einem weiteren Prozess erneut auf, so hat das mit der Zweitaufrechnung befasste Gericht - soweit es auf die Einwendung ankommt - zu prüfen, ob die Gegenforderung (noch) besteht. Das mit der zweiten Aufrechnung befasste Gericht hat selbst sachlich zu untersuchen, ob die mit der Zweitaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung besteht oder möglicherweise bereits durch die Erstaufrechnung verbraucht ist. Regelmäßig wird sich die Aussetzung des Zweitprozesses empfehlen, bis dasjenige Verfahren erledigt ist, in dem zuerst aufgerechnet wurde. Mit Rücksicht auf die Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO ist eine Vorgreiflichkeit des anderen Verfahrens gegeben (BGH, Versäumnisurteil vom 8. Januar 2004 - III ZR 401/02, WM 2004, 2324 , 2325)

bb) Vorliegend klagt der Kläger eine Teilforderung vor dem Amtsgericht ein, während er mit dem übrigen Teil der Forderung in dem Verfahren vor dem Landgericht München I die Aufrechnung erklärt. In dieser Gestaltung ist § 148 ZPO nicht anwendbar.

Eine Aussetzung der Verhandlung nach § 148 ZPO ist bei der getrennten Geltendmachung von Teilansprüchen aus demselben Klagegrund nicht zulässig. Dabei ist es bedeutungslos, in welcher Weise die Teile einer einheitlichen Forderung in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten zur Prüfung gestellt werden, etwa im Wege der Klage und Widerklage oder durch Klage einerseits und Aufrechnung andererseits. Der abtrennbare Teil der vorliegend verfolgten Vergütungsforderung ist nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Landgericht München I. Bei dieser Sachlage sind die Voraussetzungen der Aussetzung mangels einer Rechtskrafterstreckung nicht erfüllt. Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass durch die Aufspaltung der Vergütungsforderung auf zwei Prozesse die Gefahr widersprechender Entscheidungen besteht. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine Aussetzung jedoch nicht. Der Gefahr widersprechender Entscheidungen kann zudem nicht durch eine Aussetzung zuverlässig begegnet werden, weil die Entscheidung in dem vor dem Landgericht München I geführten Prozess mangels identischer Streitgegenstände keine Rechtskraftwirkung für den vorliegenden Rechtsstreit erzeugt. Die Richter beider Verfahren sind verpflichtet, den jeweils anhängigen Rechtsstreit selbständig und nach eigener Überzeugung zu entscheiden (RG, Warn Rspr. 1908 Nr. 400; OLG Köln, NJW 1958, 106 ; OLG Nürnberg, MDR 1963, 507 ; OLG Köln, MDR 1983, 848 ; OLG München, MDR 1996, 197 ; OLG Frankfurt, OLGR 1999, 39; Stein/Jonas/Roth, ZPO , 23. Aufl., § 148 Rn. 25; Zöller/Greger, ZPO , 32. Aufl., § 148 Rn. 5a; Hk-ZPO/Wöstmann, 8. Aufl., § 148 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO , 77. Aufl., § 148 Rn. 26 "Teilforderung"; Prütting/Gehrlein/Dörr, ZPO , 10. Aufl., § 148 Rn. 11; aA KGR Berlin 2009, 957). Allenfalls käme in Betracht, das Ruhen eines der Verfahren auf gemeinsamen Antrag der Parteien (§ 251 ZPO ) anzuordnen (OLG München, aaO).

Vorinstanz: AG München, vom 11.07.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 191 C 27428/16
Vorinstanz: LG München I, vom 21.12.2018 - Vorinstanzaktenzeichen 30 T 10033/18
Fundstellen
DZWIR 2019, 547
MDR 2019, 1011
MDR 2019, 1367
NJW 2019, 3235
NJW-RR 2019, 1212
WM 2019, 1461
ZInsO 2019, 1808