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BGH - Entscheidung vom 06.02.2019

5 StR 495/18

Normen:
StGB § 63

BGH, Urteil vom 06.02.2019 - Aktenzeichen 5 StR 495/18

DRsp Nr. 2019/4229

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei Begehung von zahlreichen Gewalt- und Aggressionsdelikten; Ablehnung der Anordnung einer Maßregel

Auch nach der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Fassung des § 63 StGB ist davon auszugehen, dass nur solche Taten als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB anzusehen sind, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 18. Juli 2018 mit Ausnahme des Freispruchs im Fall 4 der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 63 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, der vorsätzlichen Körperverletzung in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, der Nötigung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen wegen Schuldunfähigkeit und im Fall 4 der Urteilsgründe aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie sich nur gegen den Freispruch des Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit in den zwölf vorgenannten Anklagefällen wendet. Soweit sie insofern ausdrücklich lediglich die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beanstandet, ist eine Beschränkung der Revision unwirksam. Eine getrennte Prüfung der Maßregel gemäß § 63 StGB und der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB ist nicht möglich, weil das Bejahen eines der Eingangsmerkmale von § 20 StGB eine Voraussetzung der Unterbringung nach § 63 StGB ist (vgl. BGH, Urteile vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11; vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17). Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte leidet jedenfalls seit 2015 an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer Schizophrenie. Er ist vielfach und auch einschlägig vorbestraft. Zuletzt wurde er im Juli 2014 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, die er bis Anfang März 2016 verbüßte. Während der Haftzeit, in der er anfangs mehrere Suizidversuche unternommen hatte, stabilisierte sich sein Zustand infolge medikamentöser Behandlung. Nach Vollverbüßung wurde der Angeklagte in die Obdachlosigkeit entlassen. Medikamente nahm er nicht mehr. Daraufhin traten bei ihm als Symptome der Schizophrenie akustische Halluzinationen auf. Er hörte Stimmen, die ihn beleidigten und ihn zu Handlungen aufforderten. Auch um seine Symptome zu dämpfen, nahm er – wie schon in den Jahren zuvor – alkoholische Getränke zu sich.

In dem Zeitraum vom 7. Oktober 2016 bis zum 23. August 2017 beging der Angeklagte – soweit vom Revisionsangriff der Staatsanwaltschaft noch erfasst – die folgenden zwölf rechtswidrigen Taten jeweils aufgrund seiner Erkrankung in einer psychotischen Verkennung der Realität:

(1) Am 7. Oktober 2016 ließ der Angeklagte in einer Grünanlage eine Tüte neben einen Abfalleimer fallen. Die Bemerkung einer Passantin, er habe etwas verloren, nahm er dahingehend wahr, dass diese ihn angreifen wolle. Er rief ihr, als sie an ihm vorbeiging, etwas Unverständliches zu, fasste sie an der Schulter, drehte sie zu sich herum und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Er traf ihre Nase, aus der es heftig zu bluten begann. Die Geschädigte erlitt eine Nasenprellung und konnte deshalb ca. drei Wochen lang nicht arbeiten. Wegen ihrer psychischen Belastung durch den Vorfall nahm sie sechs Gespräche bei einem Psychologen wahr.

(2) Gegen die Polizeibeamten, die ihn noch in Tatortnähe antrafen und zur Personalienfeststellung auf ihre Dienststelle mitnehmen und zuvor durchsuchen wollten, wehrte er sich heftig. Er versuchte unter anderem, sich ihren Griffen zu entwinden, die Hand eines Beamten zu ergreifen und einen weiteren zu treten. Bei seiner Ingewahrsamnahme wurde eine Blutalkoholkonzentration von 1,29 Promille festgestellt.

(3) Am 17. November 2016 ging der Angeklagte vor einem Café auf eine Angestellte zu, die dort Außendekoration wegräumen wollte. Sie bemerkte ihn, bekam ein ungutes Gefühl und drehte sich von ihm weg, um wieder in das Lokal zu gehen. In diesem Moment schlug ihr der Angeklagte mit der Faust oder einem Gegenstand gegen den Hinterkopf. Sie erlitt eine blutende Platzwunde, die genäht werden musste. In den ersten Tagen nach dem Vorfall war sie wegen Kopfschmerzen krankgeschrieben und hatte Angstzustände und Schlafstörungen, weshalb sie fünf Gespräche bei einem Psychologen wahrnahm.

(4) Während sich der Angeklagte vom Tatort entfernte, kam ihm auf dem Bürgersteig eine Passantin entgegen, die einen Hund und ein Fahrrad bei sich führte. Er versetzte ihr unvermittelt einen Schlag ins Gesicht, der sie im Kinn und Wangenbereich traf und zu Boden fallen ließ. Infolge des Schlags hatte sie eine Schwellung im Gesicht und einige Tage lang Schmerzen.

(5) Der Angeklagte setzte seinen Weg fort. Ein ihm folgender Augenzeuge des Geschehens forderte ihn auf, stehen zu bleiben, und fragte ihn, warum er das getan habe. Der Angeklagte drehte sich daraufhin zu ihm um, bewegte sich auf ihn zu und erfasste ihn am Oberkörper. Er versuchte, ihn wegzuschieben, wogegen sich der Zeuge wehrte. Schließlich machte der Angeklagte eine Greifbewegung unter seine Jacke und sagte zu ihm: „Ich knall euch ab!“. Der Zeuge wich zurück und verzichtete darauf, ihn weiter zur Rede zu stellen.

(6) Gegenüber den beiden ihn kurz darauf festnehmenden Polizeibeamten wehrte sich der Angeklagte heftig. Er schlug wild um sich und stieß einen Beamten von sich, der dadurch zu Boden fiel und im Laufe des Geschehens Schürfwunden erlitt. Der Angeklagte ließ sich erst nach dem Einsatz von Pfefferspray fixieren und hatte bei seiner Ingewahrsamnahme eine Blutalkoholkonzentration von 0,58 Promille.

(7) Am 13. April 2017 drängte sich der Angeklagte auf einem Wochenmarkt an einem Stand, an dem einige Kunden in einer Schlange anstanden, nach vorne und stellte sich neben eine Kundin. Diese drehte sich zu ihm um und blickte ihn kurz an, woraufhin er Iaut zu ihr sagte: „Glotz mich nicht so an!“. Sie erwiderte, dass sie doch gar nichts mache, und bewegte ihre Hand kurz vor ihrer Stirn hin und her. Der Angeklagte schrie daraufhin unverständliche Worte und stieß gegen ihren Oberkörper, so dass sie rücklings auf den Boden fiel. Sie erlitt hierdurch noch tagelang schmerzhafte Prellungen.

(8) Nach diesem Vorfall begab sich der Angeklagte in das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses. Die herbeigerufenen Polizeibeamten trafen auf ihn im oberen dunklen Bereich des Treppenhauses und forderten ihn auf, zwecks Identitätsfeststellung mit nach draußen zu kommen. Er hob eine Glasflasche drohend in Richtung der Polizisten und ging auf diese zu. Deren Aufforderung, stehen zu bleiben, ignorierte der Angeklagte. Zwei Beamte ergriffen ihn daraufhin, wogegen er sich – um sich schlagend – wehrte. Er wurde in einen Streifenwagen gebracht, wo er insbesondere die weiblichen Beamten vor Ort beschimpfte und äußerte, er hasse Frauen und habe deshalb auch die Frau auf dem Markt umgeschubst. Bei seiner Ingewahrsamnahme hatte er eine Atemalkoholkonzentration von 1,84 Promille.

(9) Am 19. Juli 2017 überquerte der Angeklagte an einer Ampel für Fußgänger und Radfahrer eine Straße und kam auf eine Radfahrerin zu, die dort mit ihrem sechsjährigen Sohn das Grünsignal abwartete. Dabei schrie der Angeklagte, der einen etwa 60 cm langen und 5 cm dicken Ast in der Hand hielt, unverständlich und schlug ihr, als er auf ihrer Höhe war, unvermittelt mit dem Ast in Richtung ihres Kopfes. Der Schlag traf ihre zum Schutz erhobene Hand, an der sie einige Tage lang Schmerzen hatte. Ihr Sohn war von dem Geschehen sehr mitgenommen und von ihr erst nach einer Weile zu beruhigen.

(10) Der Angeklagte setzte seinen Weg fort und schlug einer vor ihm gehenden Passantin mit dem Ast gegen den Hinterkopf und die Schulter, wobei er für sie unverständlich schimpfte. Sie erlitt durch den schmerzhaften Schlag Rötungen und Hautabschürfungen an der Schulter sowie eine Prellmarke am Hinterkopf. Ein kurz darauf bei dem Angeklagten durchgeführter Atemalkoholtest ergab eine Alkoholkonzentration von 1,48 Promille.

(11) Am 21. August 2017 saß der Angeklagte auf einer Bank in einer Grünanlage und hatte eine Zeitung und eine Glasflasche bei sich. Als sich eine Passantin auf eine gegenüber stehende Bank setzte, machte er ein Zeichen in ihrer Richtung, dass sie verschwinden solle. Sie fragte ihn nach dem Grund, woraufhin sich der Angeklagte erhob, und an einem Zaun neben der Bank, auf der die Geschädigte saß, seine Flasche zerschlug. Sodann ging er zu ihr und schlug ihr mit der Zeitung ins Gesicht. Er traf sie an der Wange, was ihr Schmerzen bereitete. Vor Angst schrie sie laut. Bevor sich der Angeklagte entfernte, legte er seine Hand an seinen Hals und deutete zu ihr gewandt mit einer Geste an, ihr den Kopf abzuschneiden. Die Geschädigte war durch den Vorfall noch einige Zeit psychisch mitgenommen.

(12) Am 23. August 2017 wühlte der Angeklagte im Abfalleimer eines Wurststands nach Essensresten. Die Verkäuferin des Standes, die dieses Verhalten des Angeklagten früher geduldet, es ihm dann aber wegen der von ihm verursachten Verunreinigungen untersagt hatte, forderte ihn auf, es zu unterlassen. Daraufhin schlug er ihr unvermittelt mit der Faust auf ihr Auge, wobei er sie beschimpfte. Die Geschädigte erlitt eine Prellung mit Hämatom.

b) Das Landgericht hat sachverständig beraten angenommen, dass dem Angeklagten, der in dem gesamten Tatzeitraum psychotisch gewesen sei, aufgrund seiner Erkrankung bei den elf Taten vom 7. Oktober und 17. November 2016 sowie vom 13. April, 19. Juli und 21. August 2017 die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun; bei der letzten Tat vom 23. August 2017 hat es eine Aufhebung der Unrechtseinsichtsfähigkeit nicht ausschließen können. Gleichwohl hat das Landgericht eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB abgelehnt, weil nicht zu erwarten sei, dass der Angeklagte in Zukunft rechtswidrige Taten begehen werde, die in ihrem Gewicht über dasjenige der festgestellten Taten hinausgehen würden. Die Opfer seien durch diese Anlasstaten weder erheblich geschädigt noch erheblich gefährdet worden; insofern sei es nicht nur „glücklichen Zufällen“ zu verdanken gewesen, dass die Taten keine schwereren Folgen gehabt hätten.

2. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Ablehnung der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB beruht auf einem Wertungsfehler.

a) Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat prognostiziert, dass bei dem Angeklagten nach einem mit erneutem Leben auf der Straße einhergehenden Absetzen der medikamentösen Behandlung sehr wahrscheinlich wieder verstärkt psychotische Symptome in Form von Halluzinationen oder Fehlwahrnehmungen bzw. Fehldeutungen der Realität auftreten würden. Diese Symptome würden wahrscheinlich auch zu Fehlreaktionen in Form von ähnlichen Taten wie den Anlasstaten führen. Dieser Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht zwar angeschlossen, jedoch – offenbar unter Anwendung der für geringfügige Anlasstaten geltenden Regelung des § 63 Satz 2 StGB – gemeint, die zukünftig vom Angeklagten zu erwartende Kriminalität sei nicht geeignet, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen. Damit hat es einen zu strengen Maßstab an die Gefährlichkeitsprognose angelegt.

b) Auch nach der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Fassung des § 63 StGB ist davon auszugehen, dass nur solche Taten als erheblich im Sinne des § 63 Satz 1 StGB anzusehen sind, die geeignet erscheinen, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören sowie das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, und damit zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BT-Drucks. 18/7244, S. 18). Insoweit wollte der Gesetzgeber (anders als bei Vermögensdelikten) bei Taten, die gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtet sind, insbesondere bei Körperverletzungsdelikten, mit der vor allem klarstellenden Ergänzung im Gesetzestext, dass Taten zu erwarten sein müssen, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch „erheblich“ geschädigt oder „erheblich“ gefährdet werden, die Anforderungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht anheben (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 18, 42; BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18 mwN).

Danach gehören Gewalt- und Aggressionsdelikte weiterhin regelmäßig zu den erheblichen Straftaten, bedürfen allerdings stets einer konkreten Einzelfallprüfung, wobei neben der konkreten Art der drohenden Taten und dem Gewicht der konkret bedrohten Rechtsgüter auch die zu erwartende Häufigkeit und Rückfallfrequenz von Bedeutung sein können (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 18 f. mwN.; BVerfG, NJW 2012, 513 , 514; BVerfG, Beschluss vom 22. August 2017 – 2 BvR 2039/16; BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18 mwN; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN). Einfache Körperverletzungen im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB , die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich vorausgesetzten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit lediglich unwesentlich überschreiten, reichen grundsätzlich nicht aus; das gilt beispielsweise für eine einfache Ohrfeige, einen Fußtritt gegen das Bein, Ziehen an den Haaren, einen Stoß gegen die Brust oder einen Kniff ins Gesäß (vgl. BT-Drucks. aaO, mwN; BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18 mwN; Beschlüsse vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12 , 13; vom 28. August 2012 – 3 StR 304/12). Nicht erforderlich ist hingegen, dass Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch „schwer“ geschädigt werden (BT-Drucks. aaO, S. 19). Dementsprechend sind etwa Faustschläge ins Gesicht in der Regel bereits mittlerer Kriminalität zuzurechnen, insbesondere wenn sie Verletzungen zur Folge haben, die ärztlich versorgt werden müssen (BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – 3 StR 174/18; Beschluss vom 10. August 2010 – 3 StR 268/10).

c) Daran gemessen hat das Landgericht die Anlasstaten jedenfalls in Bezug auf die Körperverletzung zum Nachteil der Passantin im Fall 1, die durch den Faustschlag ins Gesicht eine heftig blutende und zu längerer Arbeitsunfähigkeit führende Nasenprellung erlitt, die Körperverletzung zum Nachteil der Cafémitarbeiterin im Fall 3, die durch den Schlag gegen ihren Hinterkopf eine blutende Platzwunde davontrug, die genäht werden musste, die Körperverletzung zum Nachteil der Passantin im Fall 4, die durch den Schlag ins Gesicht zu Boden fiel und eine tagelang schmerzende Schwellung im Gesicht hatte, die Körperverletzung zum Nachteil der Marktkundin im Fall 7, die durch den Stoß gegen ihren Oberkörper rücklings auf den Boden fiel und hierdurch tagelang schmerzende Prellungen erlitt, die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Radfahrerin im Fall 9, die der in Richtung ihres Kopfes ausgeführte Schlag mit dem Ast an ihrer zur Abwehr erhobenen Hand traf, die infolgedessen tagelang schmerzte, die gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Passantin im Fall 10, die durch den schmerzhaften Schlag mit dem Ast Hautabschürfungen an der Schulter sowie eine Prellmarke am Hinterkopf erlitt, und in Bezug auf die Körperverletzung zum Nachteil der Standverkäuferin im Fall 12, die durch den Faustschlag auf ihr Auge eine Prellung mit Hämatom erlitt, zu Unrecht als nicht erheblich im Sinne von § 63 Satz 1 StGB angesehen. Schon allein wegen der körperlichen Folgen handelt es sich bei diesen Taten nicht um nur „niedrigschwellige“ Gewaltdelikte.

Das Landgericht hat zudem bei der Bewertung der Anlasstaten nicht hinreichend bedacht, dass der Angeklagte es bei Taten, bei denen er sich in einer psychotischen Verkennung der Realität, wie etwa einer wahnhaften Bedrohungssituation, befindet und ihm die Unrechtseinsichtsfähigkeit fehlt, nicht in der Hand hat, die Verletzungsfolgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11). Der Umfang der Verletzungen bleibt vielmehr – wie die Beschwerdeführerin zutreffend darlegt hat – dem Zufall überlassen, insbesondere bei Schlägen mit der Faust oder einem gefährlichen Werkzeug gegen bzw. in Richtung des Kopfes und somit gegen eine besonders gefährdete Körperregion. Welche konkreten körperlichen Verletzungsfolgen eintreten, hängt hier maßgeblich von der körperlichen Konstitution des jeweiligen Opfers ab. Im Übrigen birgt auch ein Sturz zu Boden, wie er in den Fällen 4 und 7 eine weitere Folge des Schlages bzw. Stoßes gewesen ist, die unkontrollierbare Gefahr zusätzlicher Verletzungen, deren Eintritt davon abhängt, ob und wie ein Opfer auf den unerwarteten Angriff reagieren kann. Die Unwägbarkeit dieser Folgen hat das Landgericht außer Acht gelassen. Entsprechendes gilt für den Eintritt psychischer Folgen der Tat bei den Opfern, die auch von deren psychischer Konstitution abhängen und deren Verarbeitung ein individueller Prozess ist.

Nicht zuletzt hat das Landgericht bei der Bewertung der Erheblichkeit der vorgenannten in hoher Frequenz begangenen Anlasstaten mit zumindest tagelangen körperlichen Folgen für die Geschädigten nicht erkennbar berücksichtigt, dass sich die Gewaltanwendungen des Angeklagten in Alltagssituationen im öffentlichen Raum wahllos gegen arglose weibliche und mithin körperlich oft schwächere Opfer richteten. Vorsätzliche Körperverletzungen gegen dem Täter völlig unbekannte Personen stören in der Regel den Rechtsfrieden erheblich (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11; siehe auch Beschluss vom 25. April 2017 – 5 StR 78/17).

d) Das Urteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers im tenorierten Umfang aufzuheben. Auch die an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen können nicht bestehen bleiben, da der Angeklagte das Urteil, obwohl die Begehung rechtswidriger Taten durch ihn festgestellt ist, mangels Beschwer nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteile vom 23. Februar 2000 – 3 StR 595/99; vom 9. Januar 2019 – 5 StR 466/18).

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Lübeck, vom 18.07.2018