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BGH - Entscheidung vom 05.06.2019

2 StR 42/19

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 63 S. 1

BGH, Urteil vom 05.06.2019 - Aktenzeichen 2 StR 42/19

DRsp Nr. 2019/14893

Anordnung der Unterbringung eines Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus i.R.d. Gefährlichkeitsprognose; Erheblichkeit der in der Unterbringung begangenen Anlasstaten (hier: Körperverletzungen)

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die neben der sicheren Feststellung mindestens einer im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangenen Anlasstat voraussetzt, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. 2. Körperverletzungsdelikte können bereits der mittleren Kriminalität zugeordnet werden, wenn der Beschuldigte bei Taten, bei denen er sich in einer wahnhaften Situation befindet und die Impulsstörung zum Durchbruch kommt, es nicht in der Hand hat, die Verletzungsfolgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern und der Umfang der Verletzungen vielmehr dem Zufall überlassen bleibt.

Tenor

1.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Limburg vom 14. September 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

2.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 63 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der im Jahr 2002 geborene Beschuldigte unter anderem an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0), einer Störung der Impulskontrolle (ICD-10: F63.8) und einer gemischt dissoziativen Störung (ICD-10: F44.7). Der Beschuldigte war im August 2009 in einer teilstationären Jugendhilfemaßnahme sowie in den Jahren 2010 und 2013 in stationärer Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Im März 2013 zeigten sich nicht näher aufklärbare Probleme im Rahmen seines Schulunterrichts, im Mai 2013 drohte er einer Mitschülerin telefonisch, sie umzubringen. Im Juli 2015 bedrohte der Beschuldigte einen Mitschüler, der ihn angegriffen hatte, mit einem abgebrochenen Geodreieck und schlug ihm eine Flasche auf den Kopf, bis dieser sich erbrach.

2. Das Landgericht hat folgende Anlasstaten festgestellt:

a) Ab Februar 2016 wurde der Beschuldigte in insgesamt 17 Fällen stationär und zum Teil geschlossen in verschiedenen Stationen der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Vitos Klinik H. untergebracht. Dort kam es „unter anderem“ zu folgenden Geschehen:

Am 24. August 2017 richtete der Beschuldigte ein Tafelmesser, welches er so hielt, dass die Klingenseite aus der zur Faust geballten Hand herausragte, gegen einen Klinikmitarbeiter, um diesem Angst vor einem – tatsächlich aber nicht beabsichtigten – Messereinsatz zu machen; der Klinikmitarbeiter konnte den Beschuldigten zu Boden bringen, ohne selbst verletzt zu werden (Fall 1 der Urteilsgründe). Im weiteren Verlauf wehrte sich der Beschuldigte gegen eine Fixierung und drohte Klinikmitarbeitern, diese zu verletzen oder zu töten; er wolle deren Köpfe solange aneinanderschlagen, bis diese „platzen“ würden (Fall 2 der Urteilsgründe). Am 14. November 2017 bzw. am 2. Dezember 2017 äußerte der Beschuldigte gegenüber Klinikmitarbeitern, die anlassbezogen seine Fixierung vornahmen: „Ich bringe Euch alle um und schlage Euch Eure Köpfe ab“ (Fall 8 der Urteilsgründe), „ich haue Euch die Köpfe ein“ und „ich bringe Euch um“ (Fall 9 der Urteilsgründe). Am 9. Dezember 2017 (Fall 10 der Urteilsgründe) sagte er zu Klinikmitarbeitern unter anderem „ich fackel Euch Eure Köpfe ab“ und – direkt an eine Klinikmitarbeiterin unter Nennung ihres Namens gewandt – „ich werde Dich töten“. Einen Tag später (Fall 11 der Urteilsgründe) betrat der Beschuldigte gegen 14.50 Uhr die – anders als üblich – geöffnete Stationsküche, packte eine Mitarbeiterin am Oberarm, so dass sie ein Hämatom erlitt und schubste sie beiseite. Er ergriff eine Packung Spülmaschinenpulver und schloss sich in der Toilette ein in der Hoffnung, den Eindruck zu erwecken, das Spülmittel eingenommen zu haben, und deshalb in ein Krankenhaus gebracht zu werden. Nach einiger Zeit verließ er die Toilette freiwillig. Seiner wegen dieses Vorfalls sodann erfolgten Fixierung widersetzte sich der Beschuldigte, indem er – nicht gezielt – um sich schlug und trat. Einen Mitarbeiter traf er mit einem Tritt in den Genitalbereich, wodurch dieser unter anderem starke Schmerzen erlitt (Fall 12 der Urteilsgründe). Die Drohungen nahmen die Klinikmitarbeiter jeweils nicht ernst.

b) Am 20. September 2017 (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe) schlug der Beschuldigte einmal auf dem Bahnhofsplatz und einmal in der Fußgängerzone in D. seiner Mutter mit der flachen Hand ins Gesicht; dass diese dadurch Schmerzen erlitt oder der Beschuldigte sie überdies würgte, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen.

c) Ab dem 21. Oktober 2017 befand sich der Beschuldigte stationär in einer geschlossenen Einrichtung in N. . Am 27. Oktober 2017 (Fälle 5 bis 7 der Urteilsgründe) wurde er dort von einem Mitbewohner verhöhnt und war hierüber verärgert. Er nutzte eine sich ihm bietende Gelegenheit und rannte mit seinem Zimmerschlüssel in der Hand auf den Mitbewohner zu, woraufhin ein Gerangel entstand, in dessen Verlauf der Beschuldigte den Mitbewohner mit dem Schlüssel und mit Fäusten schlug, der Kratzspuren im Brustbereich erlitt. Den eingreifenden Mitarbeiterinnen der Einrichtung G. und S. schlug er mit der Faust ins Gesicht. Sodann sagte der Beschuldigte, der nicht vom Mitbewohner ablassen wollte, zur Zeugin G. , er werde sie töten, wenn sie ihm nicht aus dem Weg gehe, die Zeugin S. forderte er zur Herausgabe von deren Schlüsseln auf. Er näherte sich nun rückwärtsgehend den Mitarbeiterinnen. G. schlug er mindestens fünfmal mit der Faust ins Gesicht und warf mit einer Plastikgießkanne sowie Schuhen nach ihr, was diese aber abwehren konnte. S. schlug er mindestens zweimal mit der Faust ins Gesicht, wobei er sie einmal auf der Nase und ein weiteres Mal gegen die Stirn traf. Erst nach einem Eingreifen des Mitbewohners, der den Beschuldigten ins Gesicht schlug, ließ dieser von den beiden Mitarbeiterinnen ab und konnte sodann von zwischenzeitlich gerufenen Polizeibeamten widerstandslos festgenommen werden. Die Zeugin G. erlitt durch die Schläge Hämatome, unter anderem im Gesicht, die Zeugin S. litt nach der Tat unter Schmerzen.

3. Das Landgericht hat die Taten des Beschuldigten als versuchte Nötigung (Fall 1), als Bedrohung (Fälle 2, 8, 9 und 10), als versuchte Körperverletzung (Fälle 3 und 4) sowie als vorsätzliche Körperverletzung (Fälle 5, 6, 7, 11 und 12), in einem Fall davon in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung (zum Nachteil G. ) gewertet. Es hat – sachverständig beraten – weiter festgestellt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten infolge seiner paranoiden Schizophrenie bzw. seiner Störung der Impulskontrolle bei der Begehung dieser Anlasstaten sicher erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen ist. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen jedoch nicht vor, da ihm die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden könne.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeit verneint hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die neben der sicheren Feststellung mindestens einer im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB ) oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB ) begangenen Anlasstat voraussetzt, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB ). Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne Weiteres aus dem Anlassdelikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10 Rn. 11; Beschluss vom 3. April 2008 – 1 StR 153/08 Rn. 11 je mwN). Zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte sind, soweit es sich nicht um bloße Bagatellen handelt, regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (Senat, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 2 StR 121/18 Rn. 13 mwN; BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrundeliegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74 , 75; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394 , 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 mwN). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB ) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2017 – 2 StR 24/17 Rn. 13; vom 10. Mai 2016 – 4 StR 185/16, StV 2016, 719 , 720 und vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 ).

2. Hiervon ausgehend begegnen die Erwägungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Die Strafkammer hat sich die Ausführungen der Sachverständigen zu eigen gemacht, wonach die beim Beschuldigten diagnostizierte Störung der Impulskontrolle bei allen Taten übergreifend wirksam gewesen sei und auch bei behandelter paranoider Schizophrenie fortbestehen werde; es bestehe lediglich die Möglichkeit der Begehung erheblicher Straftaten – insbesondere auch von Tötungsdelikten – außerhalb einer Unterbringungssituation. Die zu erwartenden Körperverletzungsdelikte erreichten den notwendigen Schweregrad nicht.

aa) Diese Formulierungen lassen besorgen, dass das Landgericht insoweit von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Von § 63 StGB erfasst werden nicht nur Delikte schwerster Kriminalität; es reicht regelmäßig aus, dass von einem Beschuldigten Taten zu erwarten sind, die zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 – 1 StR 176/12 Rn. 7 mwN). Körperverletzungsdelikte der vom Beschuldigten begangenen Art können bereits der mittleren Kriminalität zugeordnet werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 – 1 StR 341/11; vom 6. Februar 2019 – 5 StR 495/18). Insoweit hat die Strafkammer hier nicht erkennbar bedacht, dass der Beschuldigte bei Taten, bei denen er sich in einer wahnhaften Situation befindet und die Impulsstörung zum Durchbruch kommt, es nicht in der Hand hat, die Verletzungsfolgen seines aggressiven Vorgehens zu steuern. Der Umfang der Verletzungen bleibt vielmehr dem Zufall überlassen, wie die drei Körperverletzungsdelikte zeigen. So blieb etwa der Angriff auf den Mitbewohner nur durch das Eingreifen Dritter für diesen ohne erhebliche Folgen. Auch die bei den Anlasstaten und weiteren von der Strafkammer festgestellten Geschehnissen zu Tage getretene Affinität des Beschuldigten zu Messern durfte nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07 Rn. 14), zumal nach den mitgeteilten Ausführungen der Sachverständigen bei dem Beschuldigten „persistierende Verhaltensmuster“ festzustellen seien, insbesondere der „Gebrauch von gefährlichen Waffen wie Messer“ und direkten Angriffen auf die Opfer. Warum gleichwohl keine gesteigerte Gefahr einer zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnenden Gewalttat droht, hätte – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt – jedenfalls näherer Erörterung bedurft.

bb) Nicht ohne Weiteres tragfähig ist auch die Erwägung, der Beschuldigte habe seit der letzten Anlasstat eine dem Vorfall vom 27. Oktober 2017 vergleichbare Tat nicht mehr begangen. Zwar ist es als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, wenn ein Täter trotz bestehenden Defekts über einen längeren Zeitraum hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. Senat, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72 , 73), diesem Umstand kann indes keine Bedeutung zukommen, wenn der Täter an der Begehung von Straftaten durch Sicherungsmaßnahmen gehindert war. Hier war der Beschuldigte nach den Urteilsfeststellungen nach der letzten Anlasstat über einen längeren Zeitraum fixiert und nur stundenweise und unter Aufsicht ohne körperliche Sicherung.

b) Soweit die Strafkammer eine Erheblichkeit der während einer Unterbringung des Beschuldigten begangenen Anlasstaten „aus rechtlichen Gründen“ verneint, lässt dies besorgen, dass das Landgericht nicht alle beachtlichen Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der von § 63 StGB geforderten Gefährlichkeitsprognose können Verhaltensweisen innerhalb einer Betreuungseinrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne Weiteres denjenigen Handlungen gleichgesetzt werden, die ein Täter außerhalb einer solchen Einrichtung begeht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12 Rn. 5; vom 3. September 2002 – 5 StR 399/02 Rn. 4; vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01 Rn. 8; Urteil vom 22. Januar 1998 – 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405 ). Das bedeutet allerdings nicht, dass Aggressions- und Gewaltdelikte als Grundlage für die Annahme einer Allgemeingefährlichkeit eines Beschuldigten ausscheiden, weil sie in einer Betreuungseinrichtung begangen wurden. Jeder ist als Einzelner Mitglied der zu schützenden Allgemeinheit. Dementsprechend genügt es für eine Gefährlichkeit im Sinne des § 63 StGB , wenn vom Täter erhebliche rechtswidrige Taten nur gegen einen begrenzten Personenkreis oder sogar nur gegen eine Einzelperson zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28 ). Auch in solchen Fällen ist, wie stets, die zur Beurteilung der Gefährlichkeit notwendige Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, Rn. 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141 , 142; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10 mwN). Einzustellen sind insbesondere die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Angeklagten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen (Senat, Urteil vom 10. Januar 2018 – 2 StR 525/16 Rn. 9 mwN).

bb) Dem wird die vom Landgericht gegebene Begründung, mit der es eine Erheblichkeit der in der Unterbringung begangenen Anlasstaten verneint, nicht gerecht.

(1) Zum einen lassen die Urteilsgründe besorgen, dass das Landgericht sich den Blick darauf verstellt hat, dass nicht alle Taten, die in einer Unterbringung begangen werden „in der Regel“ als rechtlich unerheblich anzusehen sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Taten ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden begründeten Ausnahmesituation haben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01 Rn. 8; vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169 , 170; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 63 mwN).

Jedenfalls für die Fälle 5 bis 7 der Urteilsgründe hätte es näherer Erörterungen dazu bedurft, inwieweit diese Taten auf der Unterbringungssituation oder allein auf der Erkrankung des Beschuldigten oder seiner Persönlichkeit beruhen. Dies in den Blick zu nehmen und näher zu erörtern bestand vorliegend auch deswegen Anlass, weil die Strafkammer der Sachverständigen folgend zwar annimmt, der Beschuldigte habe einen (wahnhaften) Drang, aus der Unterbringung nach Hause zu kommen, dieses Handlungsmotiv aber bei den Taten zum Nachteil der Geschädigten G. und S. gerade nicht zum Tragen kam. Auslöser dieser Taten war vielmehr, dass der Beschuldigte von einem Mitbewohner provoziert wurde und er sich hierfür durch Gewaltanwendung rächen wollte, worin er sich durch das Eingreifen der Geschädigten gehindert sah. Unbeschadet der Frage, ob ein solches Verhalten auch normalpsychologisch erklärbar sein könnte, ist ohne nähere Darlegung jedenfalls nicht nachvollziehbar, weshalb entsprechende Gewaltreaktionen des an mangelnder Impulskontrolle leidenden Beschuldigten nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit in einer Alltagssituation außerhalb einer Unterbringung zu erwarten sind.

(2) Zum anderen hat die Strafkammer nicht hinreichend in den Blick genommen, dass neben der konkreten Art der drohenden Taten und dem Gewicht der jeweils bedrohten Rechtsgüter auch die zu erwartende Häufigkeit und Rückfallfrequenz von Bedeutung sein können, dass also neben einer qualitativen Bewertung ergänzend auch eine quantitative Betrachtung anzustellen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 2 StR 121/18 juris Rn. 14 mwN). Je höher die zu erwartende Rückfallfrequenz ist, desto eher kommen, in Grenzen, auch Abstriche bei der auf die einzelne Tat bezogenen schweren Verletzungsfolgen in Betracht, wobei maßgeblich ist, inwieweit sich aus der Art der konkret drohenden Taten und der zu erwartenden Rückfallfrequenz insgesamt eine schwere Störung des Rechtsfriedens ergibt (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2018, aaO). Die Strafkammer hätte daher in die Gefährlichkeitsprognose auch die Häufigkeit der festgestellten Anlasstaten einstellen und in Relation zur gegenläufig bewerteten Unterbringungssituation setzen müssen. So teilt das Landgericht zwar die Aussage einer Zeugin mit, der Beschuldigte sei mit einem Messer in der Hand auf sie zugegangen, habe gesagt „ich steche Dich ab“ und sie sodann an die Wand geschubst. Ob die Strafkammer diesem Umstand und der Feststellung, dass sich in der Vitus Klinik H. nicht nur die Anlasstaten („unter anderem“) ereignet haben, bei einer quantitativen Betrachtung Bedeutung beigemessen hat, lässt sich den Urteilsgründen indes nicht hinreichend entnehmen.

3. Die Sache bedarf danach erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass eine rechtsfehlerfreie Gefährlichkeitsprognose zur Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten geführt hätte. Der Senat hebt auch die Feststellungen des Landgerichts auf, um dem neuen Tatrichter eine eigene, umfassende und widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.

4. Die neue Hauptverhandlung, bei der auch das bis dahin gezeigte Verhalten des Angeklagten zu berücksichtigen ist, bietet Gelegenheit, die Frage des symptomatischen Zusammenhangs näher als bislang geschehen in den Blick zu nehmen. Die Anwendung des § 63 StGB setzt nicht nur voraus, dass die Gefährlichkeit des Täters aus demjenigen Zustand folgt, der die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit begründet („infolge seines Zustandes“), sondern auch, dass zwischen dem Zustand und der Anlasstat ein solcher Zusammenhang besteht; der Defekt („Zustand“) muss kausal für die Anlasstat geworden sein (vgl. MüKo-StGB/van Gemmeren, aaO § 63 Rn. 47, 56 mwN). Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, die weitere körperliche Entwicklung des zur Tatzeit erst knapp 15-jährigen Beschuldigten zu bedenken.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Limburg, vom 14.09.2018