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BGH - Entscheidung vom 28.03.2019

1 StR 10/19

Normen:
StGB § 64

Fundstellen:
StV 2021, 249

BGH, Beschluss vom 28.03.2019 - Aktenzeichen 1 StR 10/19

DRsp Nr. 2019/6760

Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wegen eines Hangs zum übermäßigen Konsum von alkoholischen Getränken und der Gefahr der Begehung von erheblichen rechtswidrigen Taten

Die nach § 64 StGB anzustellende Gefahrprognose wird nicht tragfähig verneint, wenn das Tatgericht entgegen den eigenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen davon ausgeht, dass das Hinterziehungssystem im Tatzeitraum bereits etabliert gewesen sei und der Angeklagte dieses wegen seiner alkoholbedingt herabgesetzten Hemmungsfähigkeit nur nicht verlassen habe.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. August 2018 aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten.

2.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO ).

3.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StGB § 64 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hat das Landgericht abgesehen.

Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO ); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO ).

1. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte seit etwa dem Jahr 2009 regelmäßig in erheblichem Maße alkoholische Getränke und steigerte den Konsum bis Anfang des Jahres 2011 auf bis zu zwei Flaschen Whisky am Tag; zusätzlich trank er auch Bier und andere Alkoholika. Erst im Jahr 2017 schränkte der Angeklagte seinen Alkoholkonsum deutlich ein, ohne ihn jedoch aufzugeben. Er leidet nach wie vor an einer Alkoholabhängigkeit, lebt aber derzeit abstinent. Einer Entzugs- oder Alkoholtherapie hat sich der Angeklagte bislang nicht unterzogen.

b) Das sachverständig beratene Landgericht hat vor diesem Hintergrund angenommen, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten (Zeitraum 2011 bis Ende 2014) in seinem Hemmungsvermögen und damit in seiner "motivationalen" Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt war, weshalb die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt seien.

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB ) hat das Landgericht dagegen verneint. Es ist zwar von einem Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, ausgegangen und hat auch einen symptomatischen Zusammenhang im Sinne des § 64 StGB bejaht. Eine Gefahr, dass der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, hat das Landgericht dagegen nicht gesehen.

Unter Hinweis auf die entsprechende Einschätzung der Sachverständigen hat das Landgericht insoweit ausgeführt, es sei nicht zu erwarten, dass der Angeklagte infolge seines Hanges künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde, weil dieser nach seiner Verhaftung nicht mehr "Teil des entsprechenden Systems" gewesen sei; dieses sei durch die Ermittlungen "im Wesentlichen" zerschlagen worden. Auch seien die Schulden des Angeklagten, zu deren Abbau das Steuerhinterziehungssystem gedient habe, inzwischen getilgt. Der Angeklagte sei derzeit auch nicht mehr im Schrotthandel tätig. Die besondere Situation, in der er die Hinterziehung der Umsatzsteuer weitergeführt habe, weil er in seiner Hemmungsfähigkeit alkoholbedingt erheblich eingeschränkt gewesen sei und er deshalb ein etabliertes Gesamtsystem nicht verlassen habe, bestehe nicht mehr fort. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte zur Fortführung eines gesetzwidrigen Verhaltens ein neues Geschäftsfeld erschließen würde. Insbesondere führe die alkoholbedingte Einschränkung der "motivatorischen" Steuerungsfähigkeit nach den Ausführungen der Sachverständigen regelmäßig gerade nicht dazu, dass der Betroffene hangbedingt aktiv werde und sich erneut kriminell betätige. Auch aus den Vorstrafen des Angeklagten lasse sich nicht auf die Gefahr einer hangbedingten Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch diesen schließen, weil weitestgehend schon nicht erkennbar sei, dass der Angeklagte diese Taten unter dem Einfluss von Alkohol begangen habe (UA S. 83 f.).

c) Die nach § 64 StGB anzustellende Gefahrprognose wird so nicht tragfähig verneint. Die Ausführungen des Landgerichts begegnen schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die Strafkammer entgegen den eigenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen - hiernach wirkte der Angeklagte zwar schon vor 2011 an der Hinterziehung von Umsatzsteuer im Zusammenhang mit dem Handel von Alt- und Buntmetall mit, er errichtete jedoch das verfahrensgegenständliche Steuerhinterziehungssystem erst im Jahr 2011, also in der Zeit seiner stark ausgeprägten Alkoholabhängigkeit - davon ausgeht, dass das Hinterziehungssystem im Tatzeitraum bereits etabliert gewesen sei und der Angeklagte dieses wegen seiner alkoholbedingt herabgesetzten Hemmungsfähigkeit nur nicht verlassen habe. Dass der Angeklagte das konkrete System mit seinen fiktiven Lieferketten erst aufgrund einer Vereinbarung im April 2011 errichtet hat und er trotz seiner starken Alkoholabhängigkeit zudem die Initiative aufgebracht hat, dieses in der Folge durch Einbeziehung der C. GmbH anstelle der Firma S. umzustrukturieren, hat das Landgericht dabei nicht erkennbar bedacht. Soweit es darauf hingewiesen hat, dass die Schulden des Angeklagten nunmehr abgetragen seien, und es somit auf den Fortfall des maßgeblichen Anreizes für die Tatbegehung abgestellt hat, hat es nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass der Angeklagte nunmehr Steuerforderungen in zweistelliger Millionenhöhe ausgesetzt ist. Schließlich hat sich das Landgericht im Zusammenhang mit seinem Hinweis, dass der Angeklagte derzeit nicht im Schrotthandel tätig sei (der Angeklagte befindet sich gegenwärtig in Haft), nicht damit auseinander gesetzt, dass der Angeklagte über keine Berufsausbildung verfügt und sich bislang im Wesentlichen im Bereich des Schrott- und Metallhandels beruflich betätigt hat, was zumindest als nicht fernliegend erscheinen lässt, dass dieser nach der Haftentlassung wieder im Bereich des Schrott- und Metallhandels tätig werden wird, also in sein bisheriges berufliches Umfeld zurückkehrt. All dies sind aber konstellative Faktoren, die bei einer unbehandelten Alkoholabhängigkeit zu einem raschen Rückfall in die Sucht und zur Begehung entsprechender Symptomstraftaten führen können.

Die Frage, ob die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seines Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, und daher eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, ist nach alledem vom neuen Tatgericht im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau erneut zu prüfen und zu entscheiden.

2. Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht, weil diese von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO ). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Denn es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte.

Vorinstanz: LG Berlin, vom 14.08.2018
Fundstellen
StV 2021, 249