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BGH - Entscheidung vom 13.08.2019

AK 39/19, AK 40/19, AK 41/19

Normen:
StPO § 121
StPO § 122
StGB § 211
StGB § 212

BGH, Beschluss vom 13.08.2019 - Aktenzeichen AK 39/19, AK 40/19, AK 41/19

DRsp Nr. 2019/13374

Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft; Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a.; Dringender Tatverdacht

Tenor

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Hamburg übertragen.

Normenkette:

StPO § 121 ; StPO § 122 ; StGB § 211 ; StGB § 212 ;

Gründe

I.

Die Angeschuldigten wurden am 30. Januar 2019 festgenommen und befinden sich seitdem aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 2019 ( 1 BGs 62/19 und 1 BGs 56/19 betreffend die Angeschuldigten S. und H. F. ) und vom 31. Januar 2019 ( 1 BGs 55/19 betreffend den Angeschuldigten N. ) in Untersuchungshaft. Gegenstand der Haftbefehle betreffend die Angeschuldigten F. ist der Vorwurf, diese hätten gemeinsam eine schwere staatsgefährdende Gewalttat - eine Straftat gegen das Leben gemäß §§ 211 , 212 StGB , die nach den Umständen geeignet war, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen - vorbereitet, indem sie sich zur Herstellung einer Spreng- und Brandvorrichtung Sprengstoff verschafften, und zugleich entgegen § 27 Abs. 1 des Gesetzes über explosionsgefährdende Stoffe ( SprengG ) explosionsgefährliche Stoffe erworben sowie versucht, ohne Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 WaffG in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 eine halbautomatische Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu erwerben (strafbar gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 52 Abs. 1 , §§ 22 , 23 StGB , § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG , § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 2 WaffG ). Dem Angeschuldigten N. wird in dem ihn betreffenden Haftbefehl zur Last gelegt, er habe die Angeschuldigten F. zu deren vorsätzlich und rechtswidrig begangener Tat der gemeinschaftlichen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Hilfe geleistet (strafbar gemäß § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 und 3, § 25 Abs. 2 , § 27 StGB ).

Der Senat hat mit Beschluss vom 3. Juli 2019 ( StB 16/19, juris) die Haftbeschwerde des Angeschuldigten H. F. verworfen. Der Generalbundesanwalt hat am 29. Juli 2019 wegen der in den Haftbefehlen genannten Taten Anklage gegen die Angeschuldigten vor dem Oberlandesgericht Hamburg erhoben.

II.

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vorgeworfenen Taten dringend verdächtig.

a) Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Angeschuldigten S. und H. F. sind Cousins. Sie kamen im Jahr 2015 als Flüchtlinge aus dem Irak nach Deutschland, radikalisierten sich hier und wurden Anhänger der Ideologie des "Islamischen Staats". Mit weiteren dieser terroristischen Vereinigung nahestehenden Personen etwa in Großbritannien, Irak und Syrien standen sie über Telekommunikationsdienste in Kontakt.

Jedenfalls in der Zeit ab November 2018 begannen die Angeschuldigten F. damit, in Deutschland einen islamistisch motivierten Sprengstoffanschlag vorzubereiten, durch den möglichst viele Menschen getötet und zugleich das innere Gefüge der Bundesrepublik Deutschland durch einen Vertrauensverlust der Bevölkerung in den staatlichen Schutz vor solchen militant-religiös motivierten Anschlägen beeinträchtigt werden sollte. Um den 2. Dezember 2018 bestellten sie bei ihrer Kontaktperson in Großbritannien eine Zündvorrichtung für den zu bauenden Sprengsatz und beschafften sich mit Hilfe von dessen Kontakten über das Internet verschiedene Anleitungen zum Bau einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung. Am 29. Dezember 2018 erwarben sie Silvesterböller, aus denen sie 254 Gramm Schwarzpulver extrahierten und mit Klebeband umwickelten. Anschließend begannen sie mit der Sprengung der auf diese Art hergestellten Testbombe. Zwischenzeitlich war ihre Planung weiter dahin gediehen, dass sie bei dem Anschlag eine Schusswaffe und/oder ein Fahrzeug als weitere Tatmittel einsetzen wollten. Zu diesem Zweck versuchten sie mit Hilfe des Angeschuldigten N. , eine Schusswaffe vom Typ Makarov, Kaliber neun Millimeter, zu erwerben. Der Angeschuldigte N. wandte sich zu diesem Zweck an einen ihm bekannten potentiellen Waffenlieferanten und vermittelte in der Folgezeit zwischen diesem und den Angeschuldigten F. , indem er jeweils telefonisch die Preisvorstellungen übermittelte. Die Angeschuldigten F. begannen zudem damit, Fahrunterricht zu nehmen, um die Bedienung eines gegebenenfalls bei dem Anschlag einzusetzenden Fahrzeugs zu erlernen.

b) Hinsichtlich der den dringenden Tatverdacht belegenden Umstände nimmt der Senat zunächst Bezug auf seinen Beschluss vom 3. Juli 2019 ( StB 16/19, juris) betreffend die Haftbeschwerde des Angeschuldigten H. F. , der anlässlich seiner Vernehmungen am 30. Januar sowie am 13. und 14. Februar 2019 die ihm und dem Angeschuldigten S. F. zur Last gelegten Tathandlungen zur Vorbereitung des Anschlags im Wesentlichen ebenso eingeräumt hat wie ihre islamistische Motivation und die Zielsetzung, durch den Anschlag möglichst viele Menschen zu töten.

Zwar hat sich der Angeschuldigte H. F. dahin eingelassen, er habe die Pläne letztlich nicht umsetzen wollen; er sei immer wieder von der Begehung eines Anschlags abgerückt, dann aber durch seine Kontaktpersonen beeinflusst worden, die Planungen doch weiter voranzutreiben. Im Übrigen habe er die Fahrstunden nur genommen, um nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis einer Beschäftigung nachgehen zu können. Der Angeschuldigte S. F. hat sich abweichend davon dahin eingelassen, er habe den Kontakt zu "Leuten vom IS" nur gesucht, um diese den kurdischen Behörden im Irak zu melden. Darüber hinaus hat er eingeräumt, den Angeschuldigten N. auf den Erwerb einer Waffe angesprochen zu haben. Später sei er aber auch aus finanziellen Gründen davon abgerückt.

Wie der Senat schon im Beschluss vom 3. Juli 2019 ( StB 16/19, juris Rn. 9 f.) ausgeführt hat, stehen diesen den Tatverdacht in Abrede stellenden Einlassungen jedoch die weiteren Ermittlungsergebnisse entgegen, die in den Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs im Einzelnen aufgeführt und gewürdigt worden sind. So ergibt sich aus Protokollen der Wohnraumüberwachung, dass die Angeschuldigten F. zu einem Anschlag entschlossen waren, sie mit diesem im Sinne der Organisation "Islamischer Staat" handeln wollten, sie eine möglichst große Wirkung mit zahlreichen Opfern erzielen wollten und nach dem Test mit dem aus den Silvesterböllern extrahierten Sprengstoff, vor dessen Ausführung sie zur Motivation IS-Propaganda gehört hatten, ihr Unterfangen nicht aufgaben, sondern - wegen der aus ihrer Sicht zu geringen Wirkung der Testbombe - ihre Pläne dahin modifizierten, eine Nagelbombe unter Zuhilfenahme eines Schnellkochtopfs zu bauen. Erkenntnisse betreffend den in Großbritannien festgenommen Kontaktmann A. bestätigen diese Planungen. Aus bei der Wohnraumüberwachung aufgezeichneten Gesprächen ergibt sich auch, dass die Angeschuldigten bei dem Anschlag ein Auto einsetzen wollten.

Weitere Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung belegen die Bemühungen um den Kauf einer halbautomatischen Kurzwaffe. Der Angeschuldigte H. F. schaltete hierzu den Angeschuldigten N. ein, der über Kontakte zu einem Waffenhändler verfügte und mit diesem bereits konkret über Kaufpreise verhandelte. Die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse werden durch korrespondierende Erkenntnisse aus Observationen bestätigt. Der Angeschuldigte N. hat zudem seine Bemühungen, eine Waffe zu beschaffen, in objektiver Hinsicht eingeräumt. Soweit er dazu angegeben hat, er habe die Frage der Angeschuldigten F. nach einer Waffe nicht ernst genommen und nicht gewusst, wofür sie eine Waffe benötigten, ergibt sich der dringende Verdacht, dass der Angeschuldigte N. es für möglich hielt und zumindest billigend in Kauf nahm, dass die Angeschuldigten F. mit der Schusswaffe eine schwere staatsgefährdende Gewalttat begehen wollten, aus einer Gesamtschau der gegen ihn sprechenden Indizien: Er ist mit den Mitangeschuldigten seit Jahren gut bekannt, wohnte zeitweise mit dem Angeschuldigten S. F. zusammen und besuchte den Angeschuldigten H. F. unabhängig davon in dessen Unterkunft. Angesichts dieser Umstände war dem Angeschuldigten N. die militant-islamistische Einstellung der Angeschuldigten F. mit hoher Wahrscheinlichkeit bekannt, zumal er in seiner Beschuldigtenvernehmung eingeräumt hat, die Hinwendung der beiden zu einem an der Religion des Islam ausgerichteten Leben mitbekommen zu haben. Die Angeschuldigten F. sprachen mehrfach offen über ihre militant-islamistische Gesinnung und berichteten selbst einer ihnen erst seit kurzer Zeit bekannten Vertrauensperson des Bundeskriminalamts freimütig von ihren Anschlagsplänen. Auch aus Erkenntnissen der Wohnraumüberwachung ergibt sich, dass alle drei Angeschuldigten gemeinsam über religiöse Themen, den IS und den Märtyrertod sprachen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen nimmt der Senat Bezug auf die ausführlichen Darstellungen und Würdigungen in den Haftbefehlen.

2. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus betreffend die Angeschuldigten F. der dringende Verdacht einer Straftat nach § 89a Abs. 1 , Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB : Die Angeschuldigten verschafften sich Sprengstoff, um diesen zum Bau einer unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung zu verwenden. Dazu tateinheitlich begingen sie hochwahrscheinlich ein Vergehen nach § 40 Abs. 1 Nr. 3 SprengG , indem sie entgegen § 27 Abs. 1 SprengG Sprengstoff erwarben. Der Verstoß gegen die Verbotsnorm folgt daraus, dass sie die Silvesterböller nicht bestimmungsgemäß abbrannten, sondern den Sprengstoff daraus extrahierten. Ob die Bemühungen um den Erwerb der halbautomatischen Handfeuerwaffe Makarov zudem den Tatbestand des versuchten Erwerbs einer halbautomatischen Kurzwaffe gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 2 WaffG , § 22 , § 23 Abs. 1 StGB erfüllen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn nachdem der Generalbundesanwalt das Verfahren insoweit nach § 154a Abs. 1 StPO auf die anderen Tatvorwürfe beschränkt hat, hat der Verstoß gegen das Waffengesetz im Haftprüfungsverfahren außer Betracht zu bleiben.

Mit Blick auf den Angeschuldigten N. besteht der dringende Verdacht, dass er den Angeschuldigten F. zu deren Tat nach § 89a Abs. 1 , Abs. 2 Nr. 2 StGB Beihilfe leistete, indem er sie in ihrem Bestreben unterstützte, eine Schusswaffe zur Begehung der in Aussicht genommenen schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu erwerben.

Wie bereits der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zu Recht ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen zur Begründung der evokativen Zuständigkeit des Generalbundesanwalts nach § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 , § 74a Abs. 1 GVG gegeben, weil nach den vorliegenden Erkenntnissen ein gewichtiger Angriff auf die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland drohte, der ein Einschreiten des Generalbundesanwalts und eine Aburteilung durch ein Bundesgerichtsbarkeit ausübendes Gericht geboten erscheinen lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 3 StR 327/09, NStZ 2010, 468 ).

3. Es besteht bei allen Angeschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO .

Die Angeschuldigten F. sind irakische Staatsangehörige und vermochten im Inland keine tragfähigen sozialen Kontakte aufzubauen. Bei ihrer Einreise gaben sie bewusst falsche Personalien an und legten gefälschte Ausweisdokumente vor. Zudem verfügen sie über zahlreiche Kontakte ins Ausland, namentlich nach Großbritannien und in den Irak, wo etliche Familienangehörige von ihnen leben. Sie haben wegen der ihnen zur Last gelegten Taten mit empfindlichen Freiheitsstrafen zu rechnen. Diese Umstände machen es überwiegend wahrscheinlich, dass sie sich dem weiteren Verfahren durch Flucht entziehen würden; dieser Gefahr kann durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht in gleicher Form begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann.

Gleiches gilt im Ergebnis für den Angeschuldigten N. . Auch er ist Iraker, verfügt in Deutschland über kein gefestigtes persönliches Umfeld und geht keiner geregelten Beschäftigung nach. Nachdem er bereits im Jahr 2016 zunächst noch nicht umgesetzte Rückkehrtendenzen hatte erkennen lassen, sind im Zuge der Telefonüberwachung weitere Erkenntnisse gewonnen worden, nach denen der Angeschuldigte die Rückkehr nach Kurdistan erwägt, wenn sich seine Lage in Deutschland nicht signifikant verbessert. Angesichts dessen sowie mit Blick auf das Gewicht seines Tatbeitrags und der daraus resultierenden jedenfalls nicht unerheblichen Straferwartung ist auch bei ihm ein hoher Fluchtanreiz gegeben, dem durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht in gleich geeigneter Weise begegnet werden kann.

4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO ) liegen vor. Der Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft:

Das Verfahren umfasst derzeit 73 Stehordner, richtet sich mittlerweile gegen fünf Beschuldigte und hat ein komplexes Geschehen mit internationalen Bezügen zum Gegenstand, bei dem mehrere parallel laufende Handlungsstränge in den Blick zu nehmen sind. Die im Vorfeld der Festnahmen durchgeführten verdeckten Ermittlungsmaßnahmen haben zahlreiche Erkenntnisse erbracht - etwa auch in Form von in ausländischer Sprache geführten Gesprächsprotokollen -, die übersetzt, ausgewertet und dokumentiert werden mussten.

Anlässlich der Festnahme der Angeschuldigten wurden zudem deren Wohnungen durchsucht und zahlreiche Speichermedien sowie schriftliche Unterlagen sichergestellt, die ebenfalls zeitaufwendig auszuwerten waren. Bis Ende Mai 2019 wurden 28 Zeugen vernommen und mehrere Rechtshilfeersuchen gestellt. Wegen der weiteren Ermittlungsschritte und verfahrensfördernden Maßnahmen nimmt der Senat Bezug auf die Auflistung des Generalbundesanwalts in seiner Zuschrift vom 24. Juli 2019. Gleichwohl sind die Ermittlungen binnen sechs Monaten abgeschlossen und es ist Anklage erhoben worden.

5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ). Dies gilt im Ergebnis auch hinsichtlich des Angeschuldigten N. , obgleich dessen Tatbeitrag hinter demjenigen der anderen Angeschuldigten zurückbleibt. Der Senat geht davon aus, dass mit Blick auf das geringere Gewicht seiner Tat das Verfahren - jedenfalls diesen Angeschuldigten betreffend - nunmehr besonders gefördert, zeitnah über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und die Hauptverhandlung gegebenenfalls zügig geführt werden wird.