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BGH - Entscheidung vom 26.06.2019

1 StR 476/18

Normen:
StGB § 23 Abs. 2
StGB § 49 Abs. 1

BGH, Urteil vom 26.06.2019 - Aktenzeichen 1 StR 476/18

DRsp Nr. 2019/11019

Annahme von direktem Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht des Täters durch Stiche mit dem Schraubenzieher in Brust und Rücken des vergewaltigten Opfers i.R.d. Beweiswürdigung wegen versuchten Mordes

Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Bei der Darstellung seiner Zumessungserwägungen ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen. Aus dem Umstand, dass ein für die Zumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, das Tatgericht habe ihn nicht gesehen oder nicht gewertet.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 25. Mai 2018 wird verworfen.

Der Revisionsführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Normenkette:

StGB § 23 Abs. 2 ; StGB § 49 Abs. 1 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe von zwei Monaten zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Als der Angeklagte in den Abendstunden des 3. Januar 1988 seine Wohnung verließ, hatte er bereits den Entschluss gefasst, eine Frau zu vergewaltigen. Zu diesem Zweck nahm er einen Schraubenzieher als Drohmittel mit. Zunächst lief er ziellos auf der Suche nach einem Opfer umher. Gegen 2 Uhr des folgenden Tages wurde er auf die 22 Jahre alte Geschädigte aufmerksam, die gerade in ihr Auto eingestiegen war und die Tür schließen wollte. Er riss die Fahrertür wieder auf, hielt der völlig überraschten Geschädigten den Schraubenzieher an den Hals, drückte sie auf das Lenkrad und drängte sich hinter ihr auf den Beifahrersitz. Durch weiteres Vorhalten des Schraubenziehers und der Drohung, sie abzustechen, brachte er die Geschädigte dazu, in ein ihm bekanntes, einsames Waldgebiet zu fahren. Dort schlug er mit der Hand auf ihren Kopf ein und forderte sie auf, sich komplett auszuziehen. Anschließend vergewaltigte er die Geschädigte bis 4.30 Uhr mehrfach. Dabei drang er sowohl mit seinem Glied als auch mit mehreren Fingern in Vagina, Mund als auch Anus ein, was für die Geschädigte sehr schmerzhaft war. Hierdurch erlitt die Geschädigte Verletzungen an Vagina und After. Dabei schlug er immer wieder mit der Hand und mit der Faust auf die Geschädigte ein.

Spätestens nach Beendigung der sexuellen Handlungen fasste der Angeklagte den Entschluss, die Geschädigte zu töten. Er verband ihr mit einem eigens mitgeführten Tuch die Augen, fesselte ihre Hände mit einem ebenfalls mitgeführten Schal und stieg mit der Geschädigten aus dem Auto. Er führte sie ein Stück in den Wald und löste die Fesseln. Nachdem er aufgelacht und zu ihr gesagt hatte, ihr werde nichts passieren, stach er zwecks Verdeckung der zuvor begangenen Straftaten in Tötungsabsicht mehrfach mit dem Schraubenzieher auf ihren Oberkörper ein. Die schwer verletzte Geschädigte sank zu Boden. Der Angeklagte entfernte das Tuch von ihrem Kopf und ging zunächst zum Auto. Dann kam er jedoch zu der hilflos am Boden liegenden Geschädigten zurück, bemerkte, dass diese noch lebte und stach erneut mehrfach mit dem Schraubenzieher in Brust und Rücken, um sie zu töten. Sodann trat er gegen ihren Körper, um zu überprüfen, ob sie auch tatsächlich tot sei. Da die Geschädigte reglos war, ging er davon aus, sie sei tot. Er bedeckte ihren Körper mit Laub und fuhr mit ihrem Fahrzeug davon.

Insgesamt fügte der Angeklagte der Geschädigten 18 Stichverletzungen zu, wovon einige Lunge und Brustfell perforierten. In der Achselregion wurde ein großes arterielles Gefäß vollständig durchtrennt. Die Verletzungen waren lebensbedrohlich. Sie erlangte nach einiger Zeit das Bewusstsein wieder und konnte sich zu einer wenig befahrenen Straße schleppen, wo sie gegen 5 Uhr nackt und blutüberströmt von einem zufällig dort vorbeikommenden Autofahrer aufgenommen und in ein Krankenhaus gebracht wurde. Nur durch eine sofortige Notoperation konnte ihr Leben gerettet werden. Sie leidet bis heute unter den psychischen und physischen Folgen der Tat.

2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine voll erhaltene Schuldfähigkeit des schwer alkoholabhängigen Angeklagten zugrunde gelegt. Sie ist von der Verjährung der Vergewaltigung ausgegangen und hat den Angeklagten wegen der mit direktem Tötungsvorsatz in Verdeckungsabsicht geführten Stiche des versuchten Mordes für schuldig befunden. Strafrahmenverschiebungen hat es abgelehnt. Eine besondere Schwere der Schuld hat es ebenfalls abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 64 StGB hat es verneint.

II.

1. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes ist nicht zu beanstanden.

Die Beweiswürdigung zur Überführung des hinsichtlich der Vergewaltigungshandlungen geständigen Angeklagten, der sich im Übrigen auf eine Erinnerungslücke beruft, beruht auf einer sorgfältigen Gesamtwürdigung und ist nachvollziehbar dargestellt. Weder die Annahme von direktem Tötungsvorsatz noch von Verdeckungsabsicht zeigt Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat sich zur Begründung dessen mit den relevanten, auch gegenläufigen Aspekten auseinandergesetzt. Soweit die Revision beanstandet, sie hätte eine von ihr erwogene Panikreaktion mit dem Wunsch, sich einfach nur vom Tatort zu entfernen, erörtern müssen, ist dem nicht zu folgen. Dies gilt bereits deswegen, weil eine solche Panik des Angeklagten nicht den Feststellungen entspricht; zudem lässt sich die konkrete Vorgehensweise des Angeklagten, schon die Stiche selbst, insbesondere aber seine Rückkehr zu der bereits schwer verletzten Geschädigten mit dem Wunsch, den Tatort so schnell wie möglich zu verlassen, nicht vereinbaren. Zur Erörterung eines solchen fernliegenden Tatmotivs war das Landgericht nicht gehalten.

2. Auch der Strafausspruch hält revisionsrechtlicher Prüfung stand.

a) Die Annahme voll erhaltener Schuldfähigkeit ist rechtsfehlerfrei. Hierbei hat das sachverständig beratene Landgericht darauf abgestellt, dass das Tatverhalten sich nicht situativ entwickelt habe, sondern von einer gewissen Vorbereitung gekennzeichnet gewesen sei. Bei der Tat selber habe der Angeklagte keine Ausfallerscheinungen gezeigt; vielmehr sei sein Leistungsverhalten unbeeinträchtigt gewesen, was insbesondere durch planvolles und zielgerichtetes Handeln zu Tage getreten sei. So sei es ihm nicht nur gelungen, in das Auto der Geschädigten zu klettern, auch habe er ihren Versuch, sich während der Fahrt aus dem Auto fallen zu lassen, durch einen gezielten Griff verhindern können. Er habe örtliche Orientierung bewiesen und sich trotz der Zeitdauer der detail- und variantenreichen Vergewaltigungshandlungen stets bestimmend und direktiv verhalten und hierzu präzise Anweisungen gegeben. Er habe klare Vorstellungen von den einzunehmenden Stellungen und Sexualpraktiken gehabt und diese auch durchgesetzt. Mit der Geschädigten habe er dabei situationsadäquat und in differenzierter Weise kommuniziert. Auch hinsichtlich der möglichen Tatentdeckung sei er vorausschauend vorgegangen, indem er Zigarettenreste eingesammelt und den Beifahrersitz des Fahrzeugs abgeklopft habe.

Dies ist auch im Hinblick auf die Alkoholisierung des Angeklagten angesichts der Aussagekraft der herangezogenen psychodiagnostischen Leistungskriterien, die nicht nur motorische Fähigkeiten betreffen, tragfähig.

b) Auch die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 , § 49 Abs. 1 StGB erweist sich als rechtsfehlerfrei.

Die Strafzumessung und die Wahl des Strafrahmens sind Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345 , 349; Urteile vom 4. Dezember 2018 – 1 StR 477/18, NStZ-RR 2019, 105 und vom 4. April 2019 – 3 StR 31/19 Rn. 15, jeweils mwN). Bei der Darstellung seiner Zumessungserwägungen ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Aus dem Umstand, dass ein für die Zumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, das Tatgericht habe ihn nicht gesehen oder nicht gewertet (BGH, Urteil vom 4. April 2019 – 3 StR 31/19 Rn. 15 mwN). Einen durchgreifenden Rechtsfehler stellt es indes dar, wenn das Tatgericht bei der Strafrahmenwahl einen bestimmenden Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO erkennbar außer Betracht lässt (BGH aaO).

Ein solcher Rechtsfehler liegt nicht vor. Das Landgericht hat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens für die Frage der Strafrahmenverschiebung wegen Versuchs zutreffende Rechtsmaßstäbe angewandt. Es hat diese aufgrund einer Gesamtschau der schuldrelevanten Umstände beantwortet und dabei vor allem die versuchsbezogenen Gesichtspunkte, insbesondere die Nähe zur Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und die eingesetzte kriminelle Energie umfassend gewürdigt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 22. November 2017 – 2 StR 166/17, NStZ-RR 2018, 102 , 103 mwN). So hat es vor allem auf die Aneinanderreihung glücklicher Umstände abgestellt, die eine Vollendung verhindert haben, so u.a. darauf, dass die Durchtrennung der Arterie, die unter normalen Umständen binnen weniger Minuten zum Tode geführt hätte, nur aufgrund des engen Stichkanals und der Bildung einer Thrombose an der Durchtrennungsstelle das Überleben sicherte, sowie auf das zufällige Vorbeikommen des rettenden Fahrzeugs auf der sonst um diese Tageszeit unbefahrenen Straße. Auch die Berücksichtigung der Gefährlichkeit des Versuchs durch die Vielzahl der Stichverletzungen ist rechtsfehlerfrei. Denn anders als die Revision meint, ist diese dargelegte Gefährlichkeit nicht schon durch die Annahme des Versuchs eines Mordes abgegolten.

Dass das Landgericht der so dargelegten besonderen Nähe zur Tatvollendung und der konkreten Gefährlichkeit des Versuchs – mithin den für die Strafrahmenverschiebung insbesondere beachtlichen Faktoren – gegenüber den für den Angeklagten sprechenden Umständen überwiegendes Gewicht beigemessen hat, ist nicht zu beanstanden. Dabei ist auch kein relevanter Strafzumessungsfaktor unberücksichtigt geblieben. So hat das Landgericht in die Gesamtwürdigung zu seinen Gunsten vor allem die zum Tatzeitpunkt fehlenden Vorstrafen, die alkoholbedingte Enthemmung und das Teilgeständnis in den Blick genommen.

Auch den Zeitablauf zwischen Tat und Urteil, der zu den Umständen gehört, die nach am Einzelfall orientierten Maßgaben Einfluss auf die Bemessung der Strafe gewinnen können (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017 – GSSt 2/17, BGHSt 62, 184 Rn. 25), hat das Landgericht ersichtlich in Betracht gezogen und als Umstand für die Strafzumessung nicht unberücksichtigt gelassen. So war dies einer der maßgeblichen Aspekte, mit denen die besondere Schwere der Schuld abgelehnt wurde. Die Berücksichtigung wird aber auch belegt durch die in die Gesamtwürdigung für die Frage der Strafrahmenverschiebung eingestellte Erwägung, dass die Geschädigte bis heute, „auch mehr als 30 Jahre nach der Tat“ unter gravierenden Folgen leidet. Dass das Landgericht den Einfluss des Zeitablaufs durch die fortdauernden Folgen für die Geschädigte relativiert gesehen hat (vgl. BGH aaO Rn. 30), hält sich im Rahmen des tatgerichtlichen Beurteilungsspielraums und ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn aus strafzumessungsdogmatischer Sicht ist die Bedeutung des Zeitablaufs weder absolut, noch wird dadurch eine Regelwirkung begründet; vielmehr ist eine generalisierende, die konkreten Einzelfallumstände außer Acht lassende Wertung mit den die Strafzumessung allgemein prägenden Grundsätzen und dem Wesen des zeitlichen Abstands zwischen Tat und Urteil als Strafzumessungsgesichtspunkt im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB nicht vereinbar (BGH aaO Rn. 31).

Die vom Landgericht getroffene Wertung ist angesichts der Umstände dieses Einzelfalls auch nicht unvertretbar. So sind keine Aspekte ersichtlich, die das Landgericht unberücksichtigt gelassen hat und die insbesondere dazu geeignet wären, unter den Aspekten von Schuld und Spezialprävention die Tat in einem günstigeren Licht erscheinen zu lassen, als es bei schneller Ahndung der Fall gewesen wäre (BGH aaO Rn. 30; LK/Theune, StGB , 12. Aufl., § 46 Rn. 240 mwN). So hat sich der Angeklagte, der seit der Tat neben Bagatelldelikten wegen Vergewaltigung und versuchter sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung bestraft worden ist, seit der Tat nicht straflos geführt; auch handelt es sich bei der abzuurteilenden Tat nicht um eine einmalige Verfehlung.

c) Die von der Revision beanstandete Versagung eines Härteausgleichs bei der Gesamtstrafenbildung (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 StR 403/09, BGHSt 55, 1 , 3 ff.; Urteil vom 8. November 2018 – 4 StR 269/18 Rn. 19) erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei, da keine auszugleichende Härte vorliegt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 – 5 StR 479/18 Rn. 32).

3. Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt hat aus dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten Gründen Bestand.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Aschaffenburg, vom 25.05.2018