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BGH - Entscheidung vom 24.10.2019

4 StR 200/19

Normen:
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 4
StGB § 66 Abs. 2

Fundstellen:
NStZ-RR 2020, 15
StV 2020, 471

BGH, Beschluss vom 24.10.2019 - Aktenzeichen 4 StR 200/19

DRsp Nr. 2019/17228

Annahme eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten und die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit wegen der fehlenden eigenen Kenntnis über seine pädophile Veranlagung; Verwertung des Leugnens, Bagatellisierens und Zuschiebens der Schuld an der Tat einem anderen als zulässiges Verteidigungsverhalten i.R.d. Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 130 Fällen

Zulässiges Verteidigungsverhalten wie das Leugnen oder Bagatellisieren der Tat durch den Angeklagten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit eines Angeklagten verwertet werden. Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht.

Tenor

1.

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 19. November 2018

a)

im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben;

b)

im Ausspruch über die Einziehung dahingehend abgeändert, dass neben der Speicherkarte SD-San Disk 8 GB lediglich die Festplatte des sichergestellten Laptops Acer Predator G-792 eingezogen wird.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 66 Abs. 1 Nr. 4 ; StGB § 66 Abs. 2 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 130 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften in vier Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Zudem hat es die Einziehung einer Speicherkarte und eines Notebooks angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO .

1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.

2. Das Urteil weist im Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO ).

3. Indes hat die auf § 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung keinen Bestand, weil das Landgericht zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten zur Begründung eines Hanges des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten sowie zur Begründung seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit herangezogen hat.

a) Die Strafkammer hat das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB einerseits auf die Dauer der Tatserie von zwei Jahren und deren Umfang gestützt. Andererseits hat sie die Annahme eines Hanges und die Gefährlichkeit des Angeklagten maßgeblich damit begründet, der Angeklagte sei nicht in der Lage, seine pädophile Veranlagung zu erkennen und mit seinen sexuellen Bedürfnissen umzugehen. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht insoweit angenommen, bei dem Angeklagten bestehe eine "ich-dystone" Persönlichkeitsstruktur, weshalb er in Bezug auf seine sexuellen Bedürfnisse seine Gedanken, Impulse und Gemütszustände nicht als zu sich gehörend erlebe. Der Angeklagte könne den pädophilen Hintergrund seiner Taten nicht begreifen und kognitiv erfassen. Eine Auseinandersetzung mit seinen sexuellen Bedürfnissen habe deshalb nie stattgefunden. Zur Begründung dieser Einschätzung, die sich das Landgericht zu eigen gemacht hat, hat der Sachverständige ausgeführt, der Angeklagte habe im Rahmen seiner Exploration selbst auf Vorhalt von Videoaufnahmen einzelner Tatgeschehen, auf denen sowohl sein Schwimmanzug und sein Gesicht zu sehen als auch seine Stimme zu hören sei, die Tatbegehung in Abrede gestellt und erklärt, er habe "so etwas" nicht gemacht, möglicherweise habe eine andere Person seinen Schwimmanzug oder eine Maske mit seinem Gesicht getragen. Auch seine Einlassung in der Hauptverhandlung, in der er die gefilmten Taten zwar eingeräumt, sich aber darauf berufen habe, hierzu von einer benannten dritten Person gezwungen worden zu sein, sei eine Bestätigung dieser Persönlichkeitsstruktur.

b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die auch im Hinblick auf die Maßregelentscheidung zu beachtenden Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1992 - 2 StR 277/92, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4).

Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 13; Beschluss vom 20. März 2012 - 1 StR 64/12, StV 2012, 597 [Ls]; Beschluss vom 4. Februar 2014 - 3 StR 451/13, NStZ-RR 2014, 107 ; Beschluss vom 21. August 2014 - 1 StR 320/14, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 11). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 - 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; Beschluss vom 27. Juni 1990 - 2 StR 256/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 9; Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 160/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10; BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, StV 2011, 482 ; Beschluss vom 21. August 2014 - 1 StR 320/14, aaO; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9 ). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (BGH, Urteil vom 16. September 1992 - 2 StR 277/92, aaO; Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, aaO; Beschluss vom 21. August 2014 - 1 StR 320/14, aaO).

Zwar mag der Rechtfertigungsversuch des Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen nicht überzeugend gewesen sein. Eine verbotene Verteidigungsstrategie hat dies aber nicht dargestellt. Vielmehr hat der Angeklagte gegenüber dem Sachverständigen die Taten in Gänze in Abrede gestellt. In der Hauptverhandlung hat er die überwiegende Anzahl der Taten ebenfalls bestritten und - neben wenigen anderen - nur diejenigen letztlich eingeräumt, von denen Videoaufnahmen existierten. Soweit er insoweit die Verantwortung mit der Begründung, er sei erpresst worden, auf eine dritte Person zu verlagern versucht hat, darf dem Angeklagten dies, soweit die Grenze zulässigen Verteidigungsverhaltens nicht überschritten ist, zur Begründung eines Hanges und der Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs.1 Nr. 4 StGB nicht angelastet werden. Müsste der Angeklagte befürchten, dass zulässiges Verteidigungsverhalten zur Begründung der Sicherungsverwahrung zu seinem Nachteil verwertet wird, wäre er in seiner Entscheidung, wie er sich gegen die Anklagevorwürfe verteidigen will, nicht mehr frei.

4. Die Einziehungsentscheidung war dahingehend abzuändern, dass neben der Speicherkarte SD-San Disk 8 GB lediglich die Festplatte des Laptops Acer Predator G-792 eingezogen wird.

Bei einer Verurteilung nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB sind nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB nur die Beziehungsgegenstände der Tat zwingend einzuziehen. Wurden die kinderpornographischen Schriften - wie hier - nach ihrer Herstellung als Bilddateien auf einer Speicherkarte bzw. einem Computer abgespeichert, unterliegen lediglich die als Speichermedien verwendeten Bauteile - also die Speicherkarte selbst und die Festplatte des Notebooks - der Einziehung. Die Einziehung des für den Speichervorgang verwendeten Computers nebst Zubehör kann nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 74 Abs. 1 Alternative 2 StGB erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 - 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319 ; Beschluss vom 8. Oktober 2019 – 4 StR 247/19, juris Rn. 3; Hörnle in: MüKoStGB, 3. Aufl., § 184b Rn. 62).

Das Landgericht hat seine mit keiner Begründung versehene Entscheidung zwar ausdrücklich (nur) auf § 74 Abs. 1 StGB gestützt; die dabei gewählte Formulierung lässt aber erkennen, dass die Strafkammer insoweit rechtsfehlerhaft von einer zwingend zu treffenden Entscheidung ausgegangen ist. Ermessen hat das Landgericht in Bezug auf die Einziehung des Laptops nicht ausgeübt. Um jede Beschwer des Angeklagten zu vermeiden, reduziert der Senat deshalb den Umfang der Einziehung auf den nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB , § 74a StGB zulässigen Umfang.

Vorinstanz: LG Baden-Baden, vom 19.11.2018
Fundstellen
NStZ-RR 2020, 15
StV 2020, 471